Thyrsis.
Lieblich, o Geißhirt, ist das Getön, das die Pinie drüben
Säuselnd am Felsquell übt, das melodische; lieblich ertönt auch
Deine Syringe; nach Pan wird billig der andere Preis dir.
Wenn er den Bock sich erwarb, den gehörneten, nimmst du die Ziege,
Wenn zum Lohn er die Ziege behält, dann folget das Zicklein
Dir; und fein ist das Fleisch vom Zickelchen bis du es melkest.
Geißhirt.
Lieblicher tönt, o Schäfer, dein Lied mir als mit Geplätscher
Dort von dem Fels hochher in das Thal sich ergießet der Bergquell.
Wenn die singenden Musen ein Schaf wegführen zum Preise,
Nimmst du das zärtliche Lamm zum Lohne dir; wählen sie aber
Lieber das Lamm für sich, wirst du mit dem Schafe davongeh'n.
Thyrsis.
Wolltest du nicht, bei den Nymphen! o Geißhirt, wolltest du nicht hier
Her dich setzen, am Hang des Hügelchens voll Tamarisken,
Und die Syring' anstimmen? Ich achte derweil auf die Ziegen.
Geißhirt.
Ja nicht um Mittag, Schäfer, die Syrinx blasen! um Mittag
Nicht! Pan fürchten wir da! Denn er pflegt, vom Jagen ermüdet,
Um die Stunde ja immer des Schlafs; gar wunderlich ist er,[29]
Und ihm schnaubet der bittere Zorn aus der Nase beständig.
Aber du kennst ja, Thyrsis, ich weiß, die Leiden des Daphnis,
Und im Hirtengesang bist du vor Allen ein Meister:
Komm', dort sitzen wir unter den Ulmbaum, gegen Priapos
Ueber und gegen die Nymphen des Quells, wo der Schäfer sich Rasen-
Bänke gemacht in der Eichen Umschattung. Wenn du mir sängest,
Wie du einmal mit Chromis, dem Libyer, sangest im Wettkampf,
Eine Ziege bekämst du mit Zwillingen, dreimal zu melken,
Welche die Böcklein säugt und doch zwei Kannen mit Milch füllt.
Auch ein Gefäß sei dein, mit duftendem Wachse gebonet,
Tief, zweihenklig und neu, das Holz noch riechend vom Meisel.
Epheu schlingt sich oben im Kreis umher an der Mündung,
Epheu, versetzt mit dem Golde der Blum' Helichrysos; er ranket
Durch sie hin, anlachend mit safranfarbigen Träublein.
Mitten darauf ist ein Weib, kunstvoll, wie ein Göttergebilde;
Langes Gewand schmückt sie und das Stirnband. Neben derselben
Steh'n zwei lockige Männer, die streiten, ein Jeder von seiner
Seite, mit Worten um sie, doch rühret es wenig das Herz ihr:
Jetzo kehrt sie den Blick mit lachender Miene zum Einen,
Jetzo neigt sie den Sinn zum Andern, und Beide vor Liebe
Brennend, das Aug' vorschwellend, ereifern und mühen umsonst sich.
Außer Diesen sodann ist ein Fischer zu seh'n, ein bejahrter,
Und ein zackiger Fels, auf welchen mit Eifer der Alte
Schleppt zum Wurfe sein Netz, so recht wie ein Mann, der sich anstrengt.
Alle Kraft der Glieder, so glaubest du, beut er zur Arbeit
Auf: so starren ihm rings die geschwollenen Sehnen am Halse,
Zwar bei grauendem Haupt, doch die Kraft ist würdig der Jugend.
Nur ein wenig entfernt von dem meerverwitterten Greise
Steht, gar lieblich mit purpurnen Trauben belastet, ein Weinberg,
Welchen ein Knäblein bewacht, das sitzet am Dornengehege.
Auch zwei Füchse sind dort, der eine durchwandert die Gänge
Zwischen den Reben und nascht von zeitigen Trauben, der andre
Spitzt voll List auf die Tasche des Bübleins, und er gedenkt nicht
Eher zu geh'n, als bis er ihm habe genommen das Frühstück.
Jener flicht sich aus Halmen die zierliche Grillenfalle,
Wohl mit Binsen gefügt, und es kümmert ihn weder der Weinberg,[30]
Weder die Tasche so sehr, als nun das Geflecht ihn erfreuet.
Ringsher endlich umläuft das Geschirr biegsamer Akanthos.
Staunen gewiß wirst du; ein äolisches Prachtstück ist es.
Eine Ziege bezahlt' ich dem kalydonischen Schiffer
Für dasselbe, zusammt dem größesten Käse von Geißmilch.
Noch nicht Einmal die Lippen berührt' es mir, sondern es steht noch
Ungebraucht. Dieß sollte dir jetzt mit Freuden geschenkt sein,
Ließest du jenen süßen Gesang, o Freund, mich vernehmen.
Nein, ich närre dich nicht! Fang' an denn! Sicher ja wirst du
Nicht dem Aïs dein Lied, dem allvergessenden, sparen.
Thyrsis.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Thyrsis vom Aetna ist hier, und die liebliche Stimme des Thyrsis.
– Wo wart ihr, als Daphnis verschmachtete, wo doch o Nymphen?
Fern im peneiischen Tempe, dem reizenden, oder am Pindos?
Denn nicht weiletet ihr um den mächtigen Strom des Anapos,
Nicht um des Aetna Geklüft, noch Akis' heilige Wasser.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Schakaln haben ihn ja, ihn heulende Wölfe bejammert;
Klage des Löwen um ihn, da er hinsank, scholl aus dem Walde.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Ihm zu Füßen gestreckt in Haufen, wie stöhnten die Kühe,
Brüllten in Haufen die Stiere umher, und Kälber und Färsen!
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Jetzt kam Hermes zuerst vom Gebirg' her: Daphnis, begann er,
Wer doch quält dich? Um wen, o Guter, in Liebe vergehst du?
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Jetzo kamen die Schäfer, der Kuhhirt kam und der Geißhirt.
Alle sie fragten: was ist mit dir? Auch selber Priapos
Kam und rief: Was schmachtest du, Daphnis, o Aermster! Das Mägdlein
Irrt ja umher an den Quellen und irrt durch alle die Haine –
(Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!)
Dir nachschleichend! O Thor, der du bist, in der Lieb', unbeholfner!
Kuhhirt nennst du dich wohl, doch ein Geißhirt bist du nun eher.[31]
Sieht so einer die Ziege der Brunst sich fügen des Männchens,
Schmachtend zerfließt sein Auge, daß nicht er selber ein Bock ward.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Also auch dir, wenn du siehst, wie die Jungfrauen scherzen und lachen,
Schmachtend zerfließt dein Aug', daß du nicht mittanzest im Reigen.
Nichts antwortete jenen der Kuhhirt; sondern im Herzen
Trug er die quälende Lieb', und trug bis zum Ende das Schicksal.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Endlich kam Kythereia, die anmuthvolle, mit Lächeln,
Heimliches Lächeln im Aug' und bitteren Groll in der Seele.
Daphnis, sprach sie, du prahltest ja, Eros in Fesseln zu schlagen;
Bist du nicht selbst von Eros, dem schrecklichen, jetzo gefesselt?
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Aber Daphnis darauf antwortete: Grausame Kypris!
Kypris, unselige du! o Kypris, der Sterblichen Abscheu!
Meinest du denn, schon sei mir die Sonne, die letzte, gesunken?
Doch wird Daphnis im Aïdes noch dem Eros ein Dorn sein!
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Geh' doch zum Ida nur hin, wo ein Hirt, wie es heißt, Aphroditen
Einst ... Geh' dort zu Anchises! da grünt's von Eichen und Galgant!
Reif auch schon ist Adonis für dich: er weidet die Schafe,
Oder den Hasen erlegt er und andere Thiere des Waldes.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Tritt noch einmal entgegen dem Held Diomedes und sag' ihm:
Ich bin Daphnis', des Hirten, Besiegerin! Auf, in den Zweikampf!
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Schakal und Wolf und Bär in den Klüften des Bergs, o ihr alle,
Lebet wohl! Ich Daphnis, der Hirt, bin nimmer in Wäldern,
Unter den Eichen mit euch und im Hain! Leb' wohl, Arethusa!
Wohl, ihr Bäche, vom Thymbris die lieblichen Wellen ergießend!
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Daphnis bin ich, derselbe, der hier die Kühe geweidet,
Daphnis, der hier zur Tränke die Stier, und die Kälber geführet.
Hebet Gesang, ihr Musen, geliebteste, Hirtengesang an!
Pan, o Pan, wo du jetzt auch weilst, auf den Höh'n des Lykäos,
Auf dem gewaltigen Mänalos, komm' in der Sikeler Eiland[32]
Her! Die helikischen Gipfel verlaß und das thürmende Grabmal
Jenes Sohns von Lykaon, das selber die Himmlischen ehren.
Laßt den Gesang, ihr Musen, o laßt den Hirtengesang ruh'n!
Komm' und empfang', o Herrscher, die honigathmende Flöte,
Schön mit Wachse gefügt wie sie ist, um die Lippen gebogen.
Denn schon dränget mich Eros, hinab zum Aïs zu wandern.
Laßt den Gesang, ihr Musen, o laßt den Hirtengesang ruh'n!
Fortan traget Violen, ihr Brombeerranken und Dornen!
Auf Wachholdergebüsch soll blühen der schöne Narkissos!
Alles verkehre sich rings! und der Pinie Frucht sei die Birne,
Jetzo da Daphnis stirbt! Und der Hirsch nun schleppe den Jagdhund,
Und mit der Nachtigall kämpf' im Gesang von den Bergen der Uhu!
Laßt den Gesang, ihr Musen, o laßt den Hirtengesang ruh'n!
– Als er Solches gesagt, da verstummt' er. Ihn aufrichten
Wollt' Aphrodita; doch gar nichts mehr von der Mören Gespinnst war
Uebrig. Daphnis durchgieng den Acheron und das Gestrudel
Barg den Geliebten der Musen, den auch nicht haßten die Nymphen.
Laßt den Gesang, ihr Musen, o laßt den Hirtengesang ruh'n!
Und du gib das Gefäß, auch gib mir die Ziege, so melk' ich
Sie und sprenge den Musen zum Dank. O Heil euch, ihr Musen!
Vielmal Heil! Euch will ich hinfort noch lieblicher singen.
Geißhirt.
Honig, o Thyrsis, fülle den reizenden Mund dir, es füll' ihn
Lauterer Seim! und die Feige von Aegilos reife zur süßen
Kost für dich! Du singest melodischer als die Cikade!
Hier, mein Freund, das Gefäß. O schau, wie lieblich es duftet!
Dächte man nicht, es sei in der Horen Quelle gebadet?
Komm' nun her, Kissätha! Du melke sie! – Heda, ihr Geißen,
Habt doch Ruh', mit den Possen! Der Bock wird über euch kommen!
M.
Buchempfehlung
Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.
78 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro