XXIII. Der unglücklich Liebende.

[112] Giften der Lieb' zugänglich entbrannte ein Mann einem Jüngling.

Hold war der von Gestalt, doch hart, in dem Herzen ihr ungleich;

Haß für Liebe gewährt' er, und nichts an ihm wußte von Milde.

Kund war Eros ihm nicht, welch Gott er sei, welch ein Geschoß er

Führ' in Händen, wie bitter die Knaben er treff' mit den Pfeilen:

Ganz in Reden sowohl wie im Umgang schien er ein Wilder.

Nimmer was Linderndes kam für die Glut je, nimmer ein leuchtend

Zucken der Lippen, ein Strahl aus den Augen, Erröten der Wange,

Nimmer ein Wort, noch ein Kuß zu erleichtern die lastende Liebe.

So wie des Waldes Getier zu den Jägern im Grolle hinaufschaut,

That er dem Trauernden alles; die Lippen zur Herbe verzogen,

Hatt' in den Augen er immer den schrecklichen Blick der Entseelung.

Bitterkeit sprach sein Gesicht; es entfloh ihm die Farbe, umflossen

Stets vom Hohne des Zornes, des bleichenden; aber auch also

Blieb er noch schön, und am Zorn ward stärker entflammt der Verliebte.

Endlich ertrug er nicht länger so mächtige Glut Aphrodite,

Sondern er kam und weint' an dem unmitleidigen Hause,

Küßte die Schwell' und also erhob er die klagende Stimme:

»Grausamer Knabe, du finst'rer, genährt von der grimmigen Löwin,

Steinerner Knab', unwürdig der Lieb', ich komm' mit der letzten

Gabe für dich in den Händen, dem Stricke für mich; denn nicht länger

Will ich, zürnender Jüngling, dich ärgern: ich gehe hinunter

Wo du hin mich verdammst, da wo, wie sie sagen, der Heiltrank

Liegt, der gemeinsame für heiß Liebender Pfade: – Vergessung.«[113]

Doch wenn ganz ich ihn auch ausschlürfe mit durstigen Lippen,

Werd' ich auch so nicht löschen die Sehnsucht. Jetzo den Abschied

Werf' ich der Pforte zu dir noch zu und weiß, was gescheh'n wird.

Schön ist die Rose wie du und nach kurzem Verlaufe verdorrt sie;

Schön ist das Veilchen im Lenz und schnell kommt d'rüber das Alter;

Weiß ist der Lilie Glanz und welkt, wenn vom Stengel sie abfällt;

Weiß ist der Schimmer des Schnees und schmilzt doch, wenn er sich ballet;

Schön ist die Schönheit der Knaben, doch lebt kurzdauernde Zeit sie:

Einst wird kommen der Tag, wo dich auch fasset die Liebe,

Wo, in dem Herzen verbrannt, du bittere Thränen vergießest!

Aber du, Knabe, gewähr' dies Süße, das letzte, gewähr' nur:

Wenn aus der Thür' nun tretend im Vorplatz deiner Behausung

Hängen mich Armen du siehest, so geh' nicht an mir vorüber;

Steh', wein' Eine mir nur, nur Eine der Thränen zum Opfer,

Löse mich dann von dem Strick, und dir vom Leib die Gewänder

Nehmend, verhülle mich d'rein und endlich nun küsse mich Einmal:

Auch dem Entseeleten gönne die Lippen und fürcht' dich nicht vor mir;

Nicht mehr kehr' ich in's Leben, entselb'st du dich auch bis zum Kusse.

Höhl' eine Grube mir dann, die deckend den Liebenden berge,

Ruf' beim Weggang dreimal: Lieber, du ruhest in Frieden!

Und wenn du willst, auch dieses: ein treuer Gefährt' ist dahin mir!

Schreib' mir den Spruch dann aufs Grab, ich schreib' ihn dir auf die Wände:

»Dem ward Liebe zum Tod! geh', Wanderer, nicht ihm vorüber,

Sondern verweil' und sage: ein Grausamer war der Geliebte.«


Sprach's und faßte den Stein, und hin an der Mauer ihn wälzend

Bis inmitten der Schwelle, den schrecklichen, knüpfte von ihm aus

D'rauf er das schmächtige Seil und warf um den Hals sich die Schlinge,

Stieß dann weg mit den Füßen den Tritt und schwebete ob ihm

Tot. Bald öffnete jener die Thür' und gewahrend den Toten,

Der im eigenen Hof ihm dahing, brach er der Seele

Trotz nicht, weinte nicht über den Mord, den frisch er begangen,

Sondern, die Kleider der Jugend befleckend am Leichnam, zur Ringschul'

Ging er, und fern von Freunden begehrte für sich er der Bäder.[114]

Aber er kam zu dem Gott, dem verachteten: rasch von dem Steinrand

Sprang er hinab in das Wasser und über dem Haupt ihm hinunter

Stürzte das Bild auch des Eros, erschlagend den frevelnden Jüngling.

Purpurn wurde die Flut und der Ruf schwamm auf ihr des Knaben:

»Freut ihr Liebenden euch, denn der Hassende wurde getötet!

Zärtlicher seid, o Geliebte, der Gott weiß Strafe zu finden.«


N.

Quelle:
Theokritos: Idyllen. In: Theokritos, Bion und Moschos, Stuttgart 1883, S. 112-115.
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