|
[112] Giften der Lieb' zugänglich entbrannte ein Mann einem Jüngling.
Hold war der von Gestalt, doch hart, in dem Herzen ihr ungleich;
Haß für Liebe gewährt' er, und nichts an ihm wußte von Milde.
Kund war Eros ihm nicht, welch Gott er sei, welch ein Geschoß er
Führ' in Händen, wie bitter die Knaben er treff' mit den Pfeilen:
Ganz in Reden sowohl wie im Umgang schien er ein Wilder.
Nimmer was Linderndes kam für die Glut je, nimmer ein leuchtend
Zucken der Lippen, ein Strahl aus den Augen, Erröten der Wange,
Nimmer ein Wort, noch ein Kuß zu erleichtern die lastende Liebe.
So wie des Waldes Getier zu den Jägern im Grolle hinaufschaut,
That er dem Trauernden alles; die Lippen zur Herbe verzogen,
Hatt' in den Augen er immer den schrecklichen Blick der Entseelung.
Bitterkeit sprach sein Gesicht; es entfloh ihm die Farbe, umflossen
Stets vom Hohne des Zornes, des bleichenden; aber auch also
Blieb er noch schön, und am Zorn ward stärker entflammt der Verliebte.
Endlich ertrug er nicht länger so mächtige Glut Aphrodite,
Sondern er kam und weint' an dem unmitleidigen Hause,
Küßte die Schwell' und also erhob er die klagende Stimme:
»Grausamer Knabe, du finst'rer, genährt von der grimmigen Löwin,
Steinerner Knab', unwürdig der Lieb', ich komm' mit der letzten
Gabe für dich in den Händen, dem Stricke für mich; denn nicht länger
Will ich, zürnender Jüngling, dich ärgern: ich gehe hinunter
Wo du hin mich verdammst, da wo, wie sie sagen, der Heiltrank
Liegt, der gemeinsame für heiß Liebender Pfade: – Vergessung.«[113]
Doch wenn ganz ich ihn auch ausschlürfe mit durstigen Lippen,
Werd' ich auch so nicht löschen die Sehnsucht. Jetzo den Abschied
Werf' ich der Pforte zu dir noch zu und weiß, was gescheh'n wird.
Schön ist die Rose wie du und nach kurzem Verlaufe verdorrt sie;
Schön ist das Veilchen im Lenz und schnell kommt d'rüber das Alter;
Weiß ist der Lilie Glanz und welkt, wenn vom Stengel sie abfällt;
Weiß ist der Schimmer des Schnees und schmilzt doch, wenn er sich ballet;
Schön ist die Schönheit der Knaben, doch lebt kurzdauernde Zeit sie:
Einst wird kommen der Tag, wo dich auch fasset die Liebe,
Wo, in dem Herzen verbrannt, du bittere Thränen vergießest!
Aber du, Knabe, gewähr' dies Süße, das letzte, gewähr' nur:
Wenn aus der Thür' nun tretend im Vorplatz deiner Behausung
Hängen mich Armen du siehest, so geh' nicht an mir vorüber;
Steh', wein' Eine mir nur, nur Eine der Thränen zum Opfer,
Löse mich dann von dem Strick, und dir vom Leib die Gewänder
Nehmend, verhülle mich d'rein und endlich nun küsse mich Einmal:
Auch dem Entseeleten gönne die Lippen und fürcht' dich nicht vor mir;
Nicht mehr kehr' ich in's Leben, entselb'st du dich auch bis zum Kusse.
Höhl' eine Grube mir dann, die deckend den Liebenden berge,
Ruf' beim Weggang dreimal: Lieber, du ruhest in Frieden!
Und wenn du willst, auch dieses: ein treuer Gefährt' ist dahin mir!
Schreib' mir den Spruch dann aufs Grab, ich schreib' ihn dir auf die Wände:
»Dem ward Liebe zum Tod! geh', Wanderer, nicht ihm vorüber,
Sondern verweil' und sage: ein Grausamer war der Geliebte.«
Sprach's und faßte den Stein, und hin an der Mauer ihn wälzend
Bis inmitten der Schwelle, den schrecklichen, knüpfte von ihm aus
D'rauf er das schmächtige Seil und warf um den Hals sich die Schlinge,
Stieß dann weg mit den Füßen den Tritt und schwebete ob ihm
Tot. Bald öffnete jener die Thür' und gewahrend den Toten,
Der im eigenen Hof ihm dahing, brach er der Seele
Trotz nicht, weinte nicht über den Mord, den frisch er begangen,
Sondern, die Kleider der Jugend befleckend am Leichnam, zur Ringschul'
Ging er, und fern von Freunden begehrte für sich er der Bäder.[114]
Aber er kam zu dem Gott, dem verachteten: rasch von dem Steinrand
Sprang er hinab in das Wasser und über dem Haupt ihm hinunter
Stürzte das Bild auch des Eros, erschlagend den frevelnden Jüngling.
Purpurn wurde die Flut und der Ruf schwamm auf ihr des Knaben:
»Freut ihr Liebenden euch, denn der Hassende wurde getötet!
Zärtlicher seid, o Geliebte, der Gott weiß Strafe zu finden.«
N.
Buchempfehlung
Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro