XXIV. Der kleine Herakles.

[115] Ihr zehnmonatlich Kind, den Herakles, legte Alkmene,

Mideas Fürstin, einmal und Iphikles, der jünger um Eine

Nacht war, beide gebadet und satt an der Brust ihr geworden,

Sanft in den ehernen Schild, den für sich, ein herrliches Waffen,

Als Pterelaos gefallen, zur Beute Amphitryon mitnahm,

Und an die Häupter nun rührend der Knäblein sagte die Mutter:

»Schlaft, ihr Kleinen, den süßen und wieder erwecklichen Schlummer,

Schlafet, o Seelen, die mein, ihr Brüder, gesegnete Kinder!

Lieget in seliger Ruh' und selig gelanget zum Frühlicht!«

Sprach's und wiegte den Schild, den gewalt'gen, und Schlummer umfing sie.

Doch wann mitten zur Nacht sich die Bärin geneigt zum Hinabgang

Gegen Orion, welcher die mächtige Schulter im Glanz zeigt,

Trieb zwei scheußliche Greuel die ränkeverwebende Here,

Schlangen, die Schuppung windend im dunkel gebläuten Geringel,

Her zur gebreiteten Schwell', wo offen die Pfosten den Eingang

Ließen des Hauses, und drohte, sie fräßen das Kind, den Herakles.

Beide nun wälzten, die Bäuche voll blutiger Speise im Staub fort

Schleppend, sich hin, und Feuer, unheimliches, schoß aus den Augen

Hell vor den Kommenden her, und sie spieen verderbliches Gift aus

Doch als züngelnd sie nahe heran an die Kinder gekrochen,

Wacheten auf, durch Zeus' des Allschauenden Fügung, Alkmenes

Teuere Söhne, und Licht war plötzlich umher im Gemache.

Aber Iphikles schrie, wie er sah die entsetzlichen Tiere[116]

Über die Höhle des Schilds aufragend mit grausigen Zähnen,

Und mit den Füßen hinweg sich stampfend die wollige Decke

Sucht' er zu fliehen; dagegen Herakles ergriff mit den Händen

Beide und zwängete sie in schwer umklammernde Fessel,

Hart an der Kehle sie packend, dem Sitze des tödlichen Giftes

Bei den verderblichen Schlangen, ein Abscheu selber den Göttern.

Sie nun wanden sich rings in Krümmungen her um das Knäblein

Später Geburt, um den Säugling, den nie am Busen der Amme

Weinenden; doch bald ließen sie nach, in den Wirbeln ermattet,

Nur noch Lösung suchend vom eng' umschnürenden Bande.

Aber Alkmene vernahm das Geschrei und wachte zuerst auf.

»Eile, Amphitryon, eil'! mich hält der betäubende Schrecken –

Auf! und wirf nicht erst die Sandalen dir unter die Füße;

Hörst du nicht wie aufschreiet der jüngere unserer Knaben?

Siehst du die Nacht nicht verrückt und sämtliche Wände so deutlich

Rings umher, da fern noch die Klarheit bringende Eos?

Ach, nicht geheuer ist was in dem Hause, Geliebter der Männer!«

Rief's, und vom Lager herab sprang jener, der Gattin gehorchend,

Auf, dann griff er zum Schwert, zum künstlichen, welches am Nagel

Über dem Zederngestelle des Bettes beständig ihm dahing;

Doch als er eben die Hand zum neu durchwirketen Riemen

Streckt' und rasch mit der andern die Scheide aus Lotos erfaßte,

Ward der geräumige Saal aufs neue von Dunkel erfüllet,

Und nun rief er, die schwer aushauchten den Schlummer, die Knechte:

»Bringt mir Flamme alsbald, von dem glimmenden Herde genommen,

Diener, und schiebet zurück die gewichtigen Riegel der Thüre!

Auf euch gerafft, ihr Knechte, ihr mut'gen im Herzen, der Herr ruft!«

Schnell mit brennenden Leuchten erschienen die Diener zur Stelle,

Und ein Gewimmel erfüllte den Saal, da jeder herbei lief.

Aber als nun den Herakles, den Säugling, sie vor sich erblickten,

Wie mit den Händchen, den zarten, die zwei Untier' er umstrickte,

Jauchzten und klatschten sie all': er aber in kindischer Freude

Hoch auf hüpfend und hin das Gewürm' dem Amphitryon haltend,

Warf mit Lachen hinab zu den Füßen des Vaters, betäubet

Schon vom Schlummer des Todes, die schreckumgebenen Riesen.

Sorgsam legete d'rauf an den stillenden Busen Alkmene[117]

Ihren vom Schreien der Angst jetzt heißer geword'nen Iphikles;

Aber Amphitryon hüllte den anderen unter des Lammfells

Decke, und wieder gewendet zum Lager gedacht' er des Schlafes.

Dreimal hatten die Hähne die schwindende Dämm'rung bekrähet,

Als den Teiresias jetzo, den wahrheitkündenden Seher,

Her die Alkmene berief und das Wunder, das neue, ihm kundthat,

Antwort von ihm verlangend, zu welcherlei Endung es führen

Werde: »Und wenn auch die Götter uns Trauriges ordnen im Geiste,

Nimmer verhehl' es aus Scheu; daß so auch dem Menschen nicht möglich

Dem zu entflieh'n, was die Möre mit rollender Spindel herantreibt,

Brauch' ich den Sohn des Eueres, den Kundigen, nicht zu belehren.«

Also der Königin Wort, und also erwiderte jener:

»Mutig, du heldengebärendes Weib aus dem Blute des Perseus,

Mutig! und sei auf die schönste gefaßt von den Gaben der Zukunft.

Ja bei dem freundlichen Licht, das längst aus den Augen mir wegging,

Manche Achaierin wird, auf den Knieen das weiche Gespinste

Einst in der Hand umwendend, an Abends Beginne den Namen

Singen Alkmenes; und Wunder noch wirst du der Töchter von Argos:

Also ein Mann in den Himmel hinauf, in den sternebeglänzten,

Wird dir steigen der Sohn, breittrotzenden Busens ein Heros,

Welchem die Untier' all' und alle der Männer erliegen.

Hat zwölf Kämpf' er vollendet, so ist ihm bestimmt, daß bei Zeus er

Wohne, sein Sterbliches ganz wird nehmen trachinischer Holzstoß.

Eidam heißt er alsdann den Unsterblichen, welche das Scheusal

Jetzt aus den Höhlen gesendet, das Kind zu verderben von Grund aus.

Einst wird kommen der Tag, wo im Lager das säugende Hirschkalb,

Ohne den Trieb ihm zu schaden, der stachelgezahnete Wolf sieht.

Aber, o Herrin, es sei dir Feuer bereit in der Asche,

Trockenes Holz von Pfriemen auch schaff' dir oder von Stechdorn,

Brombeer'n oder im Winde gewirbeltes Reisig der Waldbirn',

Und auf Scheitern der Wildnis verbrenne die Schlangen, die beiden,

Mitten zur Nacht, wenn selbst sie dein Kind zu ertöten getrachtet.

Früh dann sammle die Asche des Feuers der Dienenden Eine,

Trage sie über den Bach und wirf sie alle zusammen

In die zerklüfteten Felsen hinaus aus der Grenze, und kehre

Rückblick meinend ins Haus, ihr reinigt mit Schwefel die Wohnung[118]

Erst; dann, wie es Gebrauch ist, vermischet mit Salze euch reines,

Blumenbekränzetes Wasser und sprengt es umher mit dem Zweige.

Zeus auch werde ein Eber, dem Höhenbehaupter, geopfert,

Daß stets über die Feinde die Höhe behaupten ihr möget.«

Sprach's, und ab sich wendend vom elfenbeinernen Stuhle

Ging, von der Fülle der Jahre belastet, Teiresias weiter.

Aber Herakles gedieh, wie im Garten ein junges Gewächse,

Unter der Pflege der Mutter, und hieß des Amphitryon Sprößling.

Kenntnis der Schrift gab Linos dem Knaben, des Phöbos Apollon

Greifer Erzeugter, der ob ihm schlaflos sorgende Heros;

Kunde zu spannen den Bogen und mit den Geschossen zu zielen

Eurytos, reich von den Vätern an weit sich dehnendem Felde;

Und zum Sänger erschuf und bildete beid' ihm die Hände

Zu der Gitarre von Bux Philammons Entsproßter, Eumolpos.

Doch wie vom Bein aus hüftengeschmeidige Männer von Argos

Nieder sich werfen im Ringen, was immer die Schläger des Faustkampfs

Furchtbar im Riemengeflecht, was, nieder zur Erde gefallen,

Pankratiasten erfanden an künstlichen Hülfen des Kampfes,

All' das lernt' er belehrt von Harpalykos aus Phanotea,

Hermes' Sohn, den keiner, auch nur aus der Ferne ihn schauend,

Sich zu bestehen vermaß in dem Spiele der ringenden Kämpfer,

So ihm auf borst'gem Gesicht lag trotzig der Brauen Gerunzel.

Aber die Rosse zu treiben am Wagen und sicher ums Ziel her

Beugend die Nabe bewahren am schnell fort rollenden Rade

Zeigete freundlich gesinnt Amphitryon selber dem Sohne;

Denn viel Schätze in rasch hin eilenden Kämpfen errungen

Hatt' er im Roßland Argos, und nur von Alter zerfielen

Endlich die Riemen ihm morsch an dem unzerbrochenen Wagen.

Doch vorhaltend den Speer und den Schild auf den Rücken geworfen,

Habhaft werden des Manns und die Hiebe zu fassen der Schwerter,

Und zu ordnen die Schar und wohl zu ermessen im Angriff

Lauernder Feinde Versteck und Reitern gebieten, belehrt' ihn

Kastor, Hippalos' Sohn, aus Argos gekommen, ein Flüchtling,

Als sein sämtliches Reich und des Weinlands Breitungen Tydeus

Einnahm, welchem Adrastos geschenkt die durchtummelte Argos.

Niemand aber, so viel Halbgötter im Kampf sich bewährten,[119]

That es dem Kastor gleich, eh' Alter die Kraft ihm zerrieben.

Also erzog den Herakles die liebende Mutter in Sorgfalt.

Immer bereitet dem Sohn war neben dem Vater das Lager,

Fell vom Löwen, ihm selbst willkommenstes unter den Betten;

Mittags kam Bratfleisch und im Korbe ein mächtiger Brotlaib

Dorisch Gebäck', das sicher auch Feldumgräber gesättigt;

Täglich jedoch war leicht und ohne ein Feuer die Nachtkost,

Und nur rauhes Gewand ging bis zur Mitte des Beins ihm.


N.

Quelle:
Theokritos: Idyllen. In: Theokritos, Bion und Moschos, Stuttgart 1883, S. 115-120.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon