XXIX. An den Geliebten.

[142] Wein, o lieblichster Knab', ist gepaart mit der Wahrheit, heißt's:

Uns auch, weil wir Betrunkene, ziemt es sich, wahr zu sein.

Ich sprech' weg von der Seel', was im Winkel verborgen liegt:

Daß du ganz aus dem Herzen mich lieben noch nie gewollt,

Weiß ich wohl, denn die Hälfte des Lebens erhalte ich

Durch dein Bild, doch die andere ist mir geschwunden schon.

Willst du's, leb' ich den Tag den beseligten Göttern gleich,

Willst du's nimmer, verhüllet in Dunkel und Finsternis.

Wie paßt solches? Den Liebenden gibst du den Schmerzen hin?

Willst du, Jüngerer, mir dem Bejahrteren, Folge thun,

Hast du selber es besser und lobest noch mich dazu.

Mach' ein einziges Nest dir auf einzigem Baum zurecht,

Da wo nimmer sich wagt ein verderblich Gewürme hin.

Dort nun wählest du heute dir einen der Äste aus,

Einen anderen morgen und hüpfest von dem zu dem:

Lobt dein reizend Gesicht ein Erblickender dann etwa,

Auf drei Jahre und weiter, ein Freund ihm, erstehst du gleich,

Und drei Tage bescheid'st du dem früher dich Liebenden.

Gleich stolzsinnigen Männern erscheinst du an hohem Geist:

Lieb', so lange du lebst, den ähnlich Gesinnten nur,

Thust du dieses, so heißt in der Stadt du ein Wackerer,

Und von Eros bekommst du nichts Schweres zu tragen auf,[143]

Der den Männern die Herzen bewältiget ohne Müh'

Und zum Schwächling mich selbst aus dem Ehr'nen gewandelt hat.

Dennoch häng' ich mich dir an den lieblichen Rosenmund.

Denk', daß vorigen Jahres du jünger gewesen bist,

Und daß Greise wir werden, bevor du nur ausgespuckt,

Und uns runzeln, und Jugend zurücke zu rufen uns

Nicht ermöglicht ist: Fittiche trägt an den Schultern sie,

Und zu langsam sind wir zu erhaschen Geflügeltes.

Dies bedenkend geziemt dir zu werden ein Milderer,

Und mich Liebenden wieder zu lieben, des Truges los,

Daß wenn männlich das Kinn dir umschattet geworden ist,

Wir doch stets uns gesellt wie achillische Freunde sei'n.

Doch wenn dieses den Winden zur Beute du hin nun wirfst,

Und im Herzen du flüsterst: was plagst du mich, Grämlicher:

Ging' für dich ich auch dann zu den goldenen Äpfeln fort

Und zum Wächter der Toten, dem gräßlichen Kerberos,

Nie doch, riefst du mich auch, zu den Thoren des Hofs heran

Käm' vom schmerzlichen Sehnen der Liebe ich ausgeheilt.


N.[144]

Quelle:
Theokritos: Idyllen. In: Theokritos, Bion und Moschos, Stuttgart 1883, S. 142-145.
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