Zweite Szene

[251] Frau Bürgermeister. Suschen. Major. Dr. Beringer.


SUSCHEN. Servus, Schatz!

BERINGER. Aber Suschen! Guten Tag. Immer so burschikos!

MAJOR hinter seiner Zeitung. Gewöhn dir's ab, Susanna Rehbein!

BERINGER. Guten Tag, Herr Major.

MAJOR. Guten Tag.

FRAU BÜRGERMEISTER. Du trinkst mit uns Kaffee, Adolf?

BERINGER. Ich sollte eigentlich ins Bureau.

SUSCHEN. Nein. Du mußt bleiben.

BERINGER. Also auf eine Tasse. Er setzt sich, Suschen stellt ihm eine Tasse hin und nimmt aus der Dose einige Stücke Zucker.

SUSCHEN. Wieviel Zucker heute? Drei?

BERINGER. Du weißt, ich nehme mir selbst. Nimmt sich aus der Zuckerdose etwas umständlich drei Stücke, Suschen legt die ihrigen auf den Tisch und schenkt ihm den Kaffee ein.

BERINGER. Papa ist noch nicht zurück?

FRAU BÜRGERMEISTER. Nein; der Omnibus muß Verspätung haben.

BERINGER. An der Post habe ich ein paar Leute gesehen. Die erwarteten ihn scheinbar; das ist ja eine fürchterliche Wichtigkeit.

FRAU BÜRGERMEISTER. Gerade haben wir davon gesprochen.

SUSCHEN. Wer war an der Post?

BERINGER. Herr Stelzer und noch ein paar. Der Herr Schweigel natürlich.

SUSCHEN. Hast du mit ihnen geredet?

BERINGER. Nein. Ich bin froh, wenn ich nichts höre. Die Leute tun ja so, als ob die ganze Welt von ihrer Bahn abhinge.

MAJOR. Es ist doch klar, daß sie sich darum kümmern.

BERINGER. Gewiß. Aber das Ministerium hat definitiv entschieden, und da hilft alles Reden nichts mehr.

MAJOR. Man kratzt sich, wo's einen juckt.

BERINGER. Die Bahn ist ja genehmigt.

MAJOR. Aber wie! Der Bahnhof kommt eine Viertelstunde vor die Stadt hinaus.[251]

BERINGER. Bis jetzt hat man zur nächsten Station drei Stunden mit dem Omnibus fahren müssen.

MAJOR. Das ist doch kein Grund, daß man die Bahn unpraktisch anlegt, wenn man sie schon einmal baut.

FRAU BÜRGERMEISTER. Ich habe gemeint, die ewige Streiterei nimmt ein Ende; warum ist jetzt auf einmal wieder der Spektakel?

MAJOR. Weil vorgestern ein Schreiben herauskam. Bis dahin hat man noch eine schwache Hoffnung gehabt.

BERINGER. Das Ministerium hat die Hetzerei satt bekommen und erklärt: »Entweder – oder.«

MAJOR. Sehr einfach. Entweder – oder.

BERINGER. Ja. Entweder kommt die Bahn dorthin, wo die Regierung sie haben will – oder sie kommt überhaupt nicht.

FRAU BÜRGERMEISTER. Mein Mann hat so eine Andeutung gemacht, aber er hat mir nichts Näheres gesagt.

MAJOR. Er ist ja deswegen in die Stadt, damit er den Minister noch umstimmt. Das wird was helfen! Wenn die Herren überhaupt sehen wollten, wäre es nicht zu dem Projekt gekommen.

BERINGER. Herr Major, ich habe als Jurist vielleicht so viel Verstand wie ein Normalbürger von Dornstein. Aber ich maße mir nicht an, in technischen Fragen mitzureden. Für mich ist maßgebend die Behörde; sie wird ihre Gründe haben.

MAJOR. Freilich hat sie Gründe. Aber keine sachlichen.

BERINGER. Ich muß wirklich bitten.

MAJOR. Bitten S' nicht lang und schauen Sie einmal her! Er nimmt den Brotkorb und stellt ihn vor sich hin. Das ist Dornstein? Verstanden?

FRAU BÜRGERMEISTER. Geht das schon wieder an?

MAJOR. Jetzt misch dich einen Augenblick nicht drein.

SUSCHEN. Ist das auch eine Unterhaltung?

MAJOR. Stillgestanden! Schauen Sie einmal her, Herr Amtsrichter! Ich habe ja nicht so viel Verstand wie ein Jurist, aber das kann ich Ihnen noch zeigen. Nimmt wieder den Brotkorb. Also, das ist Dornstein. Nicht wahr?

BERINGER gelangweilt. Nun ja.

MAJOR. Da rechts liegt Pertenstein. Legt eine Semmel hin. Von daher soll die Bahn gehen. Also, meint man, geht sie auf dem schnurgeraden Wege hieher südlich. Der Boden ist eben und fest.[252] Noch dazu käme der Bahnhof hart an die Stadt. Alle Gründe sind dafür. Aber nein, nichts da! Die Bahn muß da heroben Deutet. um die Stadt herum, durch nasses Terrain, schneidet den Garten vom Bierbrauer Schweigel mitten durch, und der Bahnhof liegt weitmächtig draußen. Sehen Sie da sachliche Gründe?

BERINGER nervös. Ich bin eben nicht Techniker. Ich sehe sie nicht, aber sie sind jedenfalls vorhanden.

MAJOR sieht ihn einen Augenblick an. Ja so. Da hätte ich mir die Arbeit sparen können. Tun wir den Bahnhof wieder weg! Schiebt den Brotkorb zurück.

FRAU BÜRGERMEISTER. Das ist auch das Gescheiteste. Ihr werdet ja doch nicht einig.

MAJOR. Allerdings.

BERINGER. Ich finde es – abgesehen von allem anderen – so zwecklos, an einer beschlossenen Sache rütteln zu wollen.

MAJOR. Auch dann, wenn man das Unrecht sieht?

BERINGER. Was, Unrecht!

MAJOR. Warum soll man Verstecken spielen? Jedermann weiß, daß der Baron Reisach für seine Ziegelei den Umweg durchgesetzt hat.

BERINGER. Er ist einmal der größte Industrielle im Bezirk.

MAJOR. Dann soll er sich selber ein Gleis bauen.

BERINGER. Ich begreife nicht, warum Sie sich darüber aufregen. Es muß Ihnen doch peinlich sein, wenn die Leute fortwährend über die Autorität losziehen.

MAJOR. Das ist mir ganz wurst. Ich begreife vielmehr nicht, wie einem bloß das gelten kann, was mit dem Amtssiegel petschiert ist.

BERINGER. Ich bin Beamter.

MAJOR. Wie ich jung war, hat man die Menschheit nicht in Beamte und sonstige Zweifüßler eingeteilt.

FRAU BÜRGERMEISTER. Jetzt hört aber auf!

SUSCHEN. Du bist recht garstig, Onkel!

BERINGER. Ich halte es für meine Pflicht, keine Kritik auszuüben.

MAJOR. Wenn man sieht, daß ein Unsinn gemacht wird, sagt man es frisch weg.

BERINGER erregt. Sie wollen doch nicht sagen, daß eine Behörde in ihrem Wirkungskreis einen Unsinn begeht?[253]

MAJOR. Warum denn nicht? Halten Sie die Leute für unfehlbar?

BERINGER. In gewisser Beziehung – ja!

MAJOR schlägt zornig auf den Tisch. Drei Teufel übereinander! Da hört sich doch Verschiedenes auf.

FRAU BÜRGERMEISTER. Aber Schwager!

MAJOR. Das ist der richtige Hochmut! Deswegen werden heutzutag so viele Dummheiten gemacht. Beringer ist aufgestanden, knöpft den Rock zu, nimmt den Hut und verbeugt sich sehr gemessen.

BERINGER. Ich habe die Ehre.

SUSCHEN steht ebenfalls auf. Bleib, Adolf! Der Onkel meint es nicht so.

BERINGER geht nach links. Ich muß dir offen gestehen, daß mir derartige Szenen unangenehm sind. Meine Stellung erlaubt mir nicht, alles anzuhören. Suschen schiebt ihren Arm unter den seinen; sie gehen zusammen links ab. Man hört Beringer noch unter der Türe sagen. Als Beamter habe ich gewisse Rücksichten zu üben ...


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 251-254.
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