Neunte Szene

[306] Die Vorigen. Beringer.


BÜRGERMEISTER auf ihn zueilend. Adolf!

BERINGER. Mama hat mir gesagt ...

BÜRGERMEISTER. Herrgott, weil du nur kommst! Weil du nur wieder da bist! Junge!

BERINGER. Ja, ich weiß noch nicht, ob ...

BÜRGERMEISTER. Aber ich weiß. Das Ganze war ja ein Unsinn!

FRAU BÜRGERMEISTER welche sich mit dem Taschentuche die Tränen trocknet, zu Adolf. Die Hauptsache ist, daß du unser Suschen noch immer lieb hast.

BERINGER. Gewiß habe ich Suschen gerne, aber du weißt ja, was ich gesagt habe, Mama.

FRAU BÜRGERMEISTER zu ihrem Manne. Er war so gut zu mir, und er ist gleich mitgekommen.

BERINGER. Ja, aber ihr begreift doch, ich muß doch gewisse Sicherheiten haben.

FRAU BÜRGERMEISTER. So red doch. Fritz!

BÜRGERMEISTER zu Adolf. Natürlich! Da hast du recht! Du mußt Sicherheiten haben. Schüttelt ihm die Hand. Alter Junge!

BERINGER. Mama sagt mir, du hättest keinerlei Kontroversen mit Exzellenz gehabt?

BÜRGERMEISTER. I wo werd ich!

BERINGER. Es hat keine Szene gegeben?

BÜRGERMEISTER. Keine Spur! Wie du nur einen Moment so was glauben konntest!

FRAU BÜRGERMEISTER. Das war schon deine Schuld, Fritz.

BÜRGERMEISTER. Aber natürlich war es meine Schuld.

BERINGER. Ich begreife faktisch nicht, wie man mit so etwas renommieren kann! Das ist doch kein Verdienst!

BÜRGERMEISTER. Im Gegenteil! Da hast du recht.

FRAU BÜRGERMEISTER. Er hat ja sonst nie etwas von der Politik wissen wollen, Adolf.

BÜRGERMEISTER. Und du weißt doch, daß ich die besten Beziehungen zum Ministerium habe.

BERINGER. Das liegt vor dieser Geschichte.

BÜRGERMEISTER. Das waren bloß ein paar Redensarten, im[306] Privatkreis.

FRAU BÜRGERMEISTER. Es war gewiß nicht bös gemeint.

BÜRGERMEISTER. Und eigentlich habe ich der Regierung damit einen Dienst geleistet.

BERINGER gedehnt. So?

FRAU BÜRGERMEISTER ängstlich. Fritz!

BÜRGERMEISTER. Nein, wirklich! Du mußt doch zugeben, Adolf, daß in der Stadt eine starke Erregung herrschte.

BERINGER. Ach was!

BÜRGERMEISTER begütigend. Natürlich nichts Gefährliches. Aber immerhin eine Erbitterung. Da war es doch meine Aufgabe, den Leuten darüber wegzuhelfen. Das tat ich, indem ich sagte, daß ich ihre Interessen kräftig vertrat. Wenn wir nicht durchdrangen, ging es eben nicht anders. Der Notwendigkeit muß man sich beugen.

BERINGER. So hast du aber nicht gesprochen.

FRAU BÜRGERMEISTER. Nein, Fritz!

BÜRGERMEISTER. Ich hätte deutlicher sein sollen. Das war mein Fehler. Aber am Ende kann ich nichts dafür, wenn einige Schreier die Sache aufbauschen!

BERINGER. Das ist alles recht schön. Aber die Ovation ist nun einmal Tatsache.

BÜRGERMEISTER. Ich werde morgen dem Minister versichern, daß sie durchaus loyal gemeint war.

BERINGER. Du fährst zum Minister?

BÜRGERMEISTER. Gewiß. Vorhin habe ich es der Bürgerschaft versprochen.

FRAU BÜRGERMEISTER. Die Bürger waren bei dir?

BÜRGERMEISTER. Ja, und haben mich gebeten, dem Minister ihre Ergebenheit zu versichern. Damit ist doch die Sache bestens erledigt.

BERINGER. Aber womit kannst du deinen Besuch motivieren: Du mußt doch einen Grund haben?

BÜRGERMEISTER. Den habe ich auch. Ich werde mich feierlich gegen den Artikel im Wochenblatt verwahren. Ich werde erklären, daß wir nicht das Mindeste damit zu tun haben.

BERINGER. Der Minister wird glauben, daß dich dein schlechtes Gewissen hintreibt.

BÜRGERMEISTER eifrig. Wieso denn? Er muß es doch selbstverständlich[307] finden, daß wir gegen diese Taktlosigkeit Stellung nehmen.

BERINGER. Hm!

BÜRGERMEISTER. Außerdem weiß der Minister doch selbst am besten, daß ich ihm keine Grobheiten gemacht habe.

BERINGER. Das ist allerdings richtig.

BÜRGERMEISTER. Und er sieht ja, wieviel mir an seinem Wohlwollen liegt!

FRAU BÜRGERMEISTER. Es wird noch alles gut werden.

BERINGER zögernd. Vielleicht. Jedenfalls kann die Audienz günstig wirken.

BÜRGERMEISTER. Aber natürlich! Wird sie auch! Verlaß dich ganz auf mich! Er schiebt seinen Arm unter den Beringers. Und jetzt komm zu unserm Suschen! Er zieht Beringer lebhaft gegen die linke Türe. Die Bürgermeisterin folgt, und trocknet wieder ihre Augen. Vor der Türe bleibt Beringer stehen.

BERINGER. Gut! Ich komme mit. Aber wie gesagt, unter dem Vorbehalt, daß ich etwa ...

BÜRGERMEISTER burschikos. Papperlapapp! Da fehlt nichts mehr! Verlaß dich nur ganz auf mich! Er zieht Beringer mit. Alle drei ab. Man hört zuerst den Bürgermeister, dann seine Frau lebhaft rufen. Suschen! Suschen!


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 306-308.
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