Ein neuer Hohenzollernprinz

[567] Freudigstes Ereignis, allerehrfurchtsvollst dargestellt und submissest unterbreitet


Freudenschwanger hängt die Wolke

Über allem Preußenvolke,

Jeder Gute hofft und bangt,

Daß ein Prinzlein angelangt.


Von dem Tage der Vermählung

Und bis jetzt ergibt die Zählung,

Daß der Zeitpunkt eigentlich

Allbereits und schon verstrich.


Pastor Demmel, den man fragte,

War's, der patriotisch sagte:

»Seiner Zeit und immer war

Pünktlich unser Zollernaar.«


Und er fügte bei: »Indessen

Darf man niemals nicht vergessen,

Daß der Herr auch dieses lenkt;

Manchmal anders, wie man's denkt.


Unerforschlich ist sein Walten,

Denn er kann das Kind gestalten

Männlich, weil wir im Gebet

Ihn um dieses angefleht.


Wenn's auch gegenteilig wäre,

Ihm sei Lob und Preis und Ehre!

Immer kommt es, wie es muß.

Hosianna! Amen! Schluß!«


Schon bedeutend objektiver

Sprach Professor Doktor Kiefer:

»Neunmal dreißig Tage sind

Das Normale für ein Kind.
[568]

Doch bei Fürsten wie bei Bauern

Kann es manchmal länger dauern;

Machen wir daraus kein Hehl,

Öfter schlägt es gänzlich fehl.


Kurz, man kann nichts überstürzen,

Nichts verlängern, nichts verkürzen;

Neunmal dreißig ist als Zahl

Nur die Regel und normal.


Kommt ein Kind, dann unausbleiblich

Ist es männlich oder weiblich,

Welches aber von den zwein,

Weiß der Arzt erst hinterdrein.«


Wissenschaft und frommes Hoffen

Ließen so die Frage offen,

Die bei Hof und auch im Land

Viele auf die Folter spannt.


Niemand hat so schwer empfunden

Die erwartungsvollen Stunden

Wie der Hohenzollernaar,

Weil er hauptbeteiligt war.


Spähend muß er sitzen bleiben,

Daß sich ihm die Federn sträuben,

Während er sich Zweifel macht,

Ob es hunderteinmal kracht.


Mancherlei Prophetenzeugnis

Hört man über das Ereignis.

Meistens günstig; unterweil

Sprach man auch das Gegenteil.


Eine gute Frauenseele

Namens Probst in Hundekehle

War noch im besondern klug,

Auch indem sie Karten schlug.
[569]

Bei der Nacht, wo sie erwachte

Und an ihren König dachte,

Sah sie deutlich überm Bett

Etwas, was die Mannsform hätt'.


Als sie's näher wollt' erkunden,

War es plötzlich weg, verschwunden,

Und da ward ihr offenbar,

Daß es bloß ein Zeichen war.


Auch bei Kulickes in Zossen

Legt ein Huhn ganz unverdrossen

Jedesmal ein männlich Ei,

Daß es drin ein Gockel sei.


Während dieser Wartepoche

Hat Herr Goldstein für die »Woche«

Den Artikel reserviert,

Falls das Kind ein Knäblich wird.


Er beschrieb mit Dichtergabe,

Welche Freude alles habe

Von der Hütte bis zum Thron.

Dann beschrieb er auch den Sohn.


Dann beschrieb er auch mit Rührung

Gottes gnadenreiche Führung.

Und dann legt' er mit Geduld

Den Artikel in das Pult.


Als es immer länger währte

Und die Ungeduld sich mehrte,

Kam der Aar zum Storch heran,

Und er haucht ihn grimmig an.


Ob er weiß, um was sich's handelt,

Daß er so gemächlich wandelt?

Ob es nicht für Majestät

Ganz bedeutend fixer geht?
[570]

Fischt vielleicht man in den Binsen

Nur so nebenbei die Prinzen?

Ob man nicht die Ehre kennt?

Himmel Herrgottsakrament!


Als der Storch es ganz vernommen,

Ist er zornig heimgekommen,

Und er sprach mit voller Kraft:

»Dieser Aar ist lümmelhaft.«


»Ja, gewiß, er ist ein Flegel,«

Sagt Frau Störchin, »in der Regel

Kommt das bei den Großen vor,

Du mußt klug sein, Adebor!


Du bist fein, und deinesgleichen

Kann mit Grobheit nichts erreichen,

Denn er gibt's zurück mit Zins.

Bring ihm doch den Zollernprinz!«


Und so kam's. Nach wenig Tagen

Hat die Weihestund' geschlagen;

In dem Hohenzollernschloß

Gab es einen Kaisersproß.


Was die Witwe Probst gesehen,

Ist in Wirklichkeit geschehen,

Und Herr Pastor Demmel sprach:

»Das Gebet hilft allgemach.«


Und in Preußen herrschte Wonne,

Und die Wolke wich der Sonne,

Und Herrn Kulicke sein Ei

Hatte recht auch nebenbei.


Und auch Goldstein freut's erheblich:

Was er über diesen Knäblich

Ahnungsvoll der »Woche« schickt,

Ward bezahlt und fett gedrückt.
[571]

Und die alten Generäle

Schlürften in die Königssäle,

Und sie flüstern sich ins Ohr:

»Hohenzollernblut hält vor.


Det jibt wieder en Soldaten

Jut jebaut und wohl jeraten,

Immer stramm und immer stramm;

's is en janz famoser Stamm.


Tja, da kann woll jar nischt jegen;

Immer fix mit Kindersegen!

Heirat und gleich schwuppdi bum! –

– Pst! Man dreht sich nach uns um.«


Auch zwei alte Kammerchaisen

Sind voll Wonnigkeit gewesen,

Und sie pispern hinterrücks

Über diesen Fall des Glücks.


»Ha, mon Dieu! Und so was Rundes,

Dickes, Fettes und Gesundes!

Teure Gräfin, sehn Sie dies?

Wie entzückend! Hoh! Wie süß!«


»Hat es schon?« – »Gewiß, Komtesse!

In dem Bettchen war noch Nässe.«

»Teure Gräfin sahen dies?«

»Nu natürlich!« – »Hoh, wie süß!«


Preußens ganze Königstreue

Zeigte heute sich aufs neue,

Sie erschien im Volksgedräng

Und im Frack und Eskarpäng.


Unter ihrem Schiffhut schworen

Altgediente Direktoren,

Daß sie auch dem neuen Kind

Fürchterlich ergeben sind.
[572]

Richter, Schreiber, Staatsanwälte

Legen ab die Herzenskälte,

Öffnen ihre enge Brust

Froher Untertanenlust.


Und in manchem Sekretäre

Lag die Ahnung heut, er wäre

Zu Verschiedenem imstand

Für sein teures Vaterland.


Auch in den Kasernen waren

Aufgestellt Rekrutenscharen.

Heute wurde nicht geschimpft,

Sondern Treue eingeimpft.


Daß der Tag auch den Soldaten

Heilig bleibe, gab es Braten.

Feiernd seinen Herrscherstamm

Aß ein jeder hundert Gramm.


Kurz und gut, im Lande Preußen

Wollt' ein jeder sich befleißen,

Daß der Tag auch feierlich

Und mit Würdigkeit verstrich.


Doch wie waren die Gefühle

Weiter südlich? Ziemlich kühle.

Oben höflich, aber flau,

Unten ganz beträchtlich mau.


Der Fassadenmaurer Huber

Stand an seinem Mörtelzuber;

Als man ihm die Nachricht bracht',

Hat er sich nichts draus gemacht.


Holte seine Tabakflasche

Aus der linken Westentasche,

Sagte: »Was? A Preuß? A Prinz?

Ja, was kümmert denn dös ins?
[573]

Dös bekümmert ins ganz wenig;

Der werd halt amal a König

Bei die Preußen. Net bei ins.

So? Da ham s' an neuen Prinz?«

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 567-574.
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