[212] Peter Berners Schloß.
Agnes und Mechthilde, eine Alte.
MECHTHILDE. Ja, liebe gnädige Frau, Ihr seid nun grade die siebente, der ich gedient habe.
AGNES. Die siebente?
MECHTHILDE. Euch fällt vielleicht dabei ein, daß das keine gute Zahl sein soll, weil Ihr so fragt.
AGNES. Ach nein, ich dachte daran nicht.
MECHTHILDE. Ihr werdet's hier gut haben, denn ich kenne das Gemüt des Herrn Ritters nun schon seit langem, aber ich kann nichts als alles Gute von ihm sagen, wenn ich die Wahrheit reden soll.
AGNES. Das Schloß liegt recht hübsch.
MECHTHILDE. Die schönste Gegend ist hier weit und breit umher, man hat besonders oben auf dem Dache eine sehr freie Aussicht. – Seid Ihr schon oben gewesen?
AGNES. O ja, man sieht wohl eine Meile weit alles ganz deutlich vor sich, und dann kommen die Berge, die die Wiesen beschließen. – Aber hört einmal, der Ritter sagte mir von vielen Kostbarkeiten, habt Ihr die auch gesehn?
MECHTHILDE. O ja, ganze Zimmer voll, er hält die immer verschlossen. Ich muß Euch sagen, meine schöne gnädige Frau, es ist ein gar reicher Herr, ich glaube, er weiß selber nicht, wie reich er ist. Ich weiß, daß Euch alle Damen hier herum weit und breit, arm und reich, beneiden werden.
AGNES. Ich möchte wohl einmal diese Seltenheiten sehn.
MECHTHILDE. Es findet sich wohl eine Gelegenheit dazu.
AGNES. Ihr seid wohl schon sehr alt?
MECHTHILDE. Wieso?
AGNES. Ihr geht so gebückt, der Kopf zittert Euch so.
MECHTHILDE. Ich habe auch schon siebzig Jahr' auf dem Rücken; das will schon sehr viel sagen, wenn man das an seinem schwachen Körper ableben soll. – Ihr werdet's nicht glauben wollen, aber ich war auch einmal hübsch, und die Leute sagten, ich wäre sehr schön. Ach Gott, das verschwindet alles, als wenn es nimmermehr da gewesen wäre, und es kräht kein Hahn danach. Die ganzen siebzig Jahre sind hin, ich[212] weiß nicht wie. – Nun, man kann nicht immer jung bleiben, es muß auch alte Leute geben, das ist mein Trost. Es wird Euch auch so gehn.
AGNES. Mir?
MECHTHILDE. Ja, das will das junge Blut immer nicht glauben, sie denken gewöhnlich: Ach, das bleibt beständig so wie heute! Ja heute, und morgen ist wieder ein heute und übermorgen auch, und so nimmt ein Tag nach dem ändern Abschied, und man denkt in der jugendlichen Vergeßlichkeit nicht daran, daß daraus die Zeit besteht. Ehe wir es uns dann versehn, heißt es hinter uns: Seht die alte Frau, die da geht! Die ersten Male wollt' ich's ordentlich nicht glauben, daß das mir gälte, aber ich bin es nachher wohl inne geworden.
AGNES. Siebzig Jahr' sind aber doch eine lange Zeit.
MECHTHILDE. Ja, wenn man sie vor sich hat. In meiner Jugend dacht' ich grade so, und wollt Ihr's wohl glauben, daß mir des Nachts noch manchmal träumt, ich wär' jung, dann ist, als wäre das Wahre, mir immer Wirkliche nur ein Traum gewesen, in dem ich mir närrischerweise eingebildet hätte, ich wäre eine alte, krumme, bucklige Frau. Ich habe schon oft darüber lachen müssen. – Unser Ritter will heut mittag abreisen.
AGNES. Schon wieder abreisen?
MECHTHILDE. Ja, er hat immer viel Geschäfte, er ist aber noch immer aus allen Fehden und Händeln glücklich zurückgekommen. Geht ab.
AGNES. Wie neu mir hier alles ist, ich kann mich immer noch nicht gewöhnen, und an seine Gestalt am wenigsten. Ich weiß manchmal nicht, soll ich lachen oder mich vor ihm fürchten. – Meine Schwester ist noch nicht aufgestanden, sie ist nicht wohl. Ihr ganzes Leben ist nur mit einem einzigen Gedanken ausgefüllt. Ich kann mir nicht denken, wie es möglich ist.
Peter Berner kommt.
PETER. Du wirst schon gehört haben, liebe Agnes, daß ich dich verlassen muß.
AGNES. Ja.
PETER. Es gibt kein so zänkisches, unbändiges Tier wie den Menschen, Agnes. Sie sehn nun, daß sie mich nicht überwältigen können, und doch ist es ihnen nicht möglich, Ruhe zu halten. – Aber sie sollen auch dafür gezüchtiget werden; dieselben wenigstens sollen nicht wiederkommen.[213]
AGNES. Lieber Mann.
PETER. Sei ruhig, ich habe noch nie etwas gefürchtet. – Soeben sind zwei Narren angekommen, die noch zu meinen Dienern gehören. Ich denke, sie werden dir auch Freude machen.
Klaus und der Ratgeber treten ein.
PETER. Ihr kommt ziemlich spät, noch grade zur rechten Zeit, um mich abreisen zu sehn.
KLAUS. Wir sind beide nicht gut zu Fuß, Herr Ritter, und das hat uns unterwegs ein wenig aufgehalten.
PETER. Ihr seid der sogenannte Ratgeber? – Nehmt's nicht übel, wenn ich über den närrischen Titel lachen muß.
RATGEBER. Ich bin derselbe.
KLAUS. Unterwegs gab er immer den Rat, in jede Herberge, die sich finden ließ, einzukehren. Ich hoffe, Ihr sollt noch bis dato die Spuren davon an ihm gewahr werden.
PETER. Ihr sprecht ja gar nicht.
RATGEBER. Der Narr läßt mich nicht zu Worte kommen.
KLAUS. Kommt zu Worte; kommt immerhin zu Worte. Es wird sich zeigen, ob Ihr was Gescheites zu Markte zu bringen wißt. – Da seid Ihr der erste Mensch auf der Welt, der da behauptet, daß ich ihn nicht zu Worte kommen lasse. – Die Leute, die das hören, sollten wohl gar denken, ich wäre ein sehr arger Schwätzer.
RATGEBER. Herr Ritter, Ihr seht, er kann nicht schweigen. – Wenn ich Euch manchmal mit meinem Rat dienen kann –
PETER. Wenn er nur gut ist.
RATGEBER. Es schickt sich nicht, daß ich ihn herausstreiche, denn jede Ware sollte sich eigentlich selber loben; aber fragt nur den Narren.
KLAUS. Sein Rat ist immer überaus schön gewesen, und das beste ist, er gibt immer zu gleicher Zeit mehrere Sorten aus, so daß, wenn man den einen nicht befolgen will, man immer noch zum zweiten seine Zuflucht nehmen kann, der dem ersten gewöhnlich gradezu entgegensteht.
PETER. Nun wohl, ich ziehe jetzt ins Feld, mein Feind ist stärker als ich, soll ich ihn angreifen?
RATGEBER. Wartet einen Augenblick. – Wenn Ihr ihn – zu bezwingen gedenkt, so rate ich Euch selbst, ihn anzugreifen.
PETER. Meint Ihr, daß das gut sei?
RATGEBER. Ich habe es wenigstens nie leiden können, daß man mich angriff.
PETER. Aber wenn ich nun geschlagen werde?
KLAUS leise zum Ratgeber. Nehmt um Himmels willen Euren[214] ganzen Verstand zusammen, sonst ist es um unsre Versorgung geschehn.
RATGEBER. Wenn Ihr geschlagen werdet? – Ja, da seid Ihr denn wahrhaftig in einer üblen Lage!
PETER. Was ist aber dabei zu tun?
RATGEBER. Wenn man das Ding von allen Seiten überlegt, so wird es noch immer das beste sein, Euch alsdann zurückzuziehn.
PETER. Wenn mir aber der Rückzug abgeschnitten wird?
RATGEBER. Dann – haltet – dann; das ist ein schwieriger Fall. Er geht auf und ab. Dann – nun hab' ich's! – Dann – einen Augenblick Geduld! – Das ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen – hm – hm. – Aber wie kommt Ihr denn auf so närrische Ideen? – Das nenn' ich einem auf den Zahn fühlen –
PETER. Nun?
RATGEBER. Gleich, gleich! – Könntet Ihr denn nicht entwischen?
PETER. Wenn mir der Rückzug abgeschnitten ist, unmöglich.
RATGEBER. Ja, da mag Euch der Henker Rat geben! – Ich glaube, ich könnte eine Woche hintereinander denken und brächte nichts Kluges heraus. – Ein Narr kann in einem Tage – Ihr kennt wohl das Sprichwort?
KLAUS. Um Gottes willen, Herr, tut ihm nichts, Ihr seht ja, wie er sich angreift.
PETER. Wenn ich dich nun zum Fenster hinaus aufhängen ließe? – Ich habe jetzt nur keine Zeit, sonst würde ich dich wenigstens noch, eine Weile ängstigen.
KLAUS. Ach, er ist schon geängstigt genug, seht nur, wie ihm der Schweiß auf der Stirne steht. – Ich sagt's Euch wohl, Ratgeber, daß Ihr einen harten Stand haben würdet. – Er hat bis jetzt nur Rat gegeben, so nach seiner Bequemlichkeit, es ist ihm etwas Neues, daß er nun so ins Große gehn soll, und da fehlt dem Manne freilich die Übung.
RATGEBER. Jetzt fällt mir was ein: Ihr könnt dann wenigstens in die Zeitungen setzen lassen, Ihr hättet den Feind eingeschlossen, und man würde nächstens mehr davon hören.
PETER. Nun, geht nur, ich sehe schon, wozu Ihr zu brauchen seid. Der Scharfsinnigste seid Ihr eben nicht, aber sonst ein ganz guter Mann. Geht, laßt euch beide zu essen geben, der Rat griff Euch tüchtig an.
KLAUS. Er wird überhaupt wohl bald müssen auf Pension gesetzt werden, und dann krieg' ich vielleicht seine Stelle.[215]
RATGEBER. Du? – Wann hast du denn schon einen Hat gegeben?
KLAUS. Nun, ich muß es von Euch lernen, Ihr müßt mir Stunden geben. – Solange Ihr noch in der Welt seid, verzweifle ich an nichts.
RATGEBER. Darauf werd' ich mich nicht einlassen.
KLAUS. Kommt nur, wir wollen jetzt erst zusammen speisen. Beide ab.
PETER. Hahaha, ein Paar herrliche Narren, besonders der Alte. – Und dabei hat er sich für seine Narrheit einen an dem vernünftigen Titel ausgedacht; er spielt den Geschäftsmann, um in einer gewissen Würde zu bleiben. – Wie gefallen sie dir?
AGNES. So ziemlich, ich habe bei ihnen an die Puppen meiner Kindheit zurückgedacht.
PETER. Ach Kind, am Ende sind wir alle nichts weiter. Das Leben von uns allen ist am Ende nur ein albernes Puppenspiel, wir selbst sind nur getäuscht, aber keiner von den Zuschauern. – Nun, es muß wohl so sein, und darum ist es auch gut so. – Agnes, ich will dir während meiner Abwesenheit alle meine Schlüssel in Verwahrung geben. – Hier. – Ich denke in einigen Tagen zurückzukommen; du magst dir die Zwischenzeit damit verkürzen, daß du die Gemächer besiehst, in die ich dich noch nicht geführt habe. Sechs Zimmer stehn dir gänzlich offen, aber das siebente, das dieser goldene Schlüssel öffnet, bleibt dir verschlossen. – Hast du mich verstanden?
AGNES. Vollkommen.
PETER. Agnes, laß dich nicht gelüsten, das siebente Zimmer zu öffnen.
AGNES. Gewiß nicht.
PETER. Ich könnte den Schlüssel mit mir nehmen, und es wäre dir unmöglich; aber ich will dir trauen, du wirst nicht so töricht sein. – Nun, lebe wohl.
AGNES. Lebe wohl.
PETER. Wenn ich wiederkomme, und du bist in dem verbotnen Zimmer gewesen –
AGNES. Erhitze dich doch nicht so umsonst, ich will nicht hineingehen, und damit gut.
PETER. Ob es gut ist, zeigt sich erst, wenn ich zurückkomme. Ab.
AGNES. Nun steht es endlich in meiner Gewalt, die längstgewünschten Kostbarkeiten zu betrachten. – Lächerlich, daß,[216] wenn uns sechs große Zimmer mit ihren Kleinodien offenstehn, wir noch nach dem siebenten sollten lüstern sein. Das wäre ja eine mehr als kindische Neugier. – Wie er über alles wild wird. – Ich möchte ihn nicht vor mir sehn, wenn ich einmal etwas gegen seinen Willen getan haben sollte.
Anne tritt auf.
AGNES. Nun, wie geht's dir, Schwester? Ist dir besser?
ANNE. Etwas.
AGNES. Ich habe jetzt die Schlüssel zu den Zimmern, der Ritter ist abgereist.
ANNE. So?
AGNES. In eins dürfen wir nicht hinein; – in das siebente kann ich dich unmöglich hineinlassen, Anne.
ANNE. Mir gleich.
AGNES. Er hat es sehr strenge verboten.
ANNE. Ich bin nicht lüstern danach.
AGNES. Freust du dich denn aber gar nicht?
ANNE. Worüber denn?
AGNES. Daß ich die Schlüssel habe.
ANNE. Wenn du dich darüber freust – o ja.
AGNES am Fenster. Da reitet er fort mit seinem Gefolge. – Sie öffnet das Fenster. Viel Glück! – Kehre bald wieder heim. Trompeten draußen.
ANNE. Wie munter sie fortziehn! Gebe der Himmel nur, daß sie ebenso fröhlich wiederkommen.
AGNES. Sollten sie nicht?
ANNE. Der Anfang von allen Dingen ist frisch, die Sorgfalt sitzt daneben und bewacht jeden Schritt, jeden Strich; aber bald fallen ihr die Augen zu, immer müder und müder gegen das Ende, der Glanz ist von den neuen Kleidern abgetragen, und die Menschen fangen dann aus Überdruß etwas Neues an, ehe sie noch das Alte geendigt haben. So kommen sie auch vielleicht mit verdrießlichen Gesichtern zurück, denn das ist so der gewöhnliche Gang des menschlichen Schicksals.
AGNES. Du machst mir bange, Schwester.
ANNE. Es sind nur meine Gedanken, indessen ist es gut, wenn sich der Mensch auf alles gefaßt hält. – Ich bin überhaupt mehr als andre zur Schwermut geneigt, laß dich das nicht anfechten.
AGNES. Sieh, was kommt da für ein Zug vor unserm Fenster vorbei?
ANNE. Es ist eine Bauernhochzeit!
AGNES. Wie die Leute fröhlich sind! – Sie grüßen. – Guten[217] Tag, liebe Leute! – Sieh, der ganze Wall ist voll. Sie wollen ein Lied anstimmen.
Lied von außen.
Wohl dem, der nach traurigen Stunden
Das Liebchen hat endlich gefunden.
Dann klingt der Schall
Der Nachtigall
Noch fröhlicher ihm durch Busch und Tal.
CHOR.
Durch Busch und Tal
Singt noch einmal
So lieblich und lockend die Nachtigall.
Glück auf! Denn es ist ihr gelungen,
Sie hält ihn mit Zagen umschlungen;
Sei froh und nicht bang,
Der Hochzeitsklang
Begleitet dich munter dein Leben entlang.
CHOR.
Durch Büsche drang
Der frohe Klang.
Das schönste Lied ist der Hochzeitsgesang.
Die Musik hat sich indes nach und nach entfernt.
AGNES. Du weinst, Schwester?
ANNE. Die Musik –
AGNES. Sie ist ja so lustig.
ANNE. Für mich nicht.
AGNES. Du wirst aber auch deines Lebens niemals froh.
ANNE. Ach, als er noch unter meinem Fenster Lieder auf seiner Laute spielte und ein fernes leises Echo seine süßen Töne nach sprach. Wie dann der Mond herunterschien und ich nichts sah, nichts hörte als seinen Gesang, der durch die einsame Nacht wie ein Bach von Wohllaut rieselte, o Schwester, ich kann es nicht vergessen.
AGNES. So lieb war er dir?
ANNE. Lieber, als ich es dir sagen kann, lieber, als es die schönste Musik auszusprechen vermag. Seine Gegenwart fiel in meine Seele, wie wenn der rote Morgenhimmel sich durchsichtig hell über die Erde ausspannt und hundert Lerchen von oben herunter ihre Freude verkündigen. – O verzeih mir, Schwester.
AGNES. Komm, zerstreue dich. – Hier sind ja die Schlüssel, sei wieder fröhlich. –[218]
ANNE. Gutes Kind.
AGNES. Wir wollen die Alte rufen, sie soll mit uns gehn.
ANNE. Wie du willst, aber sie ist mir zuwider, ich weiß selbst nicht, warum.
AGNES. Sie ist schon sehr alt.
ANNE. Und ihre Sprache; – nun komm, sie kann am Ende nichts dafür. Sie gehn ab.
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