Zweite Szene


[219] Vorsaal auf Marlof.

Gelage von trunkenen Knechten, viele schlafen, andere sind wach; Kaspar ist noch der munterste; Leopold von Friedheim sitzt oben am Tisch und spielt.


LEOPOLD singt.

Traun, Brüder, wer den Wein erfand,

Entdeckte wohl das schönste Land!

Schöner als Gold und Edelstein

Funkelt im Becher der goldne Wein.

Seht hinein!

Wie winkt euch lockend der labende Schein.

CHOR.

Schöner als Edelstein

Funkelt der süße Wein!

KASPAR. Das heiß' ich Wein – solchen Wein. – Ich habe schon viel Wein getrunken, aber solchen Wein; wenn von Wein die Rede ist – als was Wein bedeutet – seht –

LEOPOLD. Ich verstehe schon, was Ihr sagen wollt. Trinkt nur immerzu, er ist Euch gerne gegönnt.

KASPAR. Nun, wenn Ihr so meint.

LEOPOLD singt.

Der Becher geht rund

Von Mund zu Mund

Und macht den Kränksten ganz frisch und gesund.

CHOR.

Von Mund zu Mund

Wird ein Kranker gesund.

KASPAR. Ich kann kaum noch die Augen offen halten – und die Beine liegen schon seit einer halben Stunde stockstill unter dem Tische.

LEOPOLD steht auf und singt im Hintergrunde.[219]

Wer klopft an die Tür? –

Ich, Liebste, bin hier.

Wo ist dein Gemach?

Erkennst du mein Ach?

Auf! Liebst du mich kühn,

So laß uns entfliehn;

Schnell schwindet die Zeit,

Und Zögern gereut.

Die Stunde vergeht,

Dann ist es zu spät.


Brigitte erscheint oben auf den Stufen ihres Gemachs.


BRIGITTE. Leopold!

LEOPOLD. Liebste Brigitte!

BRIGITTE. Ich habe Euch schon lange an Eurer Stimme erkannt. – Was wollt Ihr hier?

LEOPOLD. Ihr könnt noch fragen? – Folgt mir, wenn Ihr mich liebt. – Seht, sie schlafen alle, der Tag fängt schon an zu grauen, ich muß fort, Euer Vater kehrt zurück, dort auf dem Tisch liegen die Schlüssel der Burg.

BRIGITTE. Ich sollte meinen alten Vater verlassen?

LEOPOLD. Er soll nachher unsre Ehe segnen, aber erst müssen wir in Sicherheit sein. Ihr wißt ja, er ist gegen unsre Liebe.

BRIGITTE. Aber bedenkt nur –

LEOPOLD. Lebt wohl. Ich sehe, Ihr liebt mich nicht, nun gut, so seht Ihr mich nicht wieder.

BRIGITTE. Leopold! – Ich komme ja schon. Sie steigt herunter.

LEOPOLD. O Brigitte! Er umarmt sie. Ich bin wie im Traum.

BRIGITTE. Ich auch; – ich weiß nichts von mir, nach so langer Zeit seh' ich Euch endlich wieder. –

LEOPOLD. Kommt, eh' die Zeit vergeht. Sie nehmen die Schlüssel und gehn fort, bald darauf hört man den Türmer blasen.

KASPAR taumelt auf. Was war das? – War das nicht der Türmer? – Aber ich glaube, es hat mir nur geträumt. – Was sagt Ihr, Spielmann? – Nicht wahr? – Nun, das ist auch meine Meinung. Er legt sich wieder zum Schlafen hin, es bläst von neuem.

KASPAR. Nein, das ist kein Traum – so lebhaft hat mir noch zeitlebens nichts geträumt. – Danach muß ich sehn. – Wenn nur die Beine. – Wie? Wer ist das?


Hans von Marlof tritt ein.


HANS. Gott im Himmel! Was ist denn das? Die Tore der Burg,[220] alle Türen sind offen! – Und hier, wie sieht es hier aus! – Kaspar!

KASPAR. Ja, Herr!

HANS. Liegst du auch unter dem tollen Haufen?

KASPAR. Ja, Herr!

HANS. Kaspar, ich bitte dich – mach mich nicht toll, mir schwindelt schon der alte Kopf. – Steh auf! Ich bitte dich.

KASPAR. Herr, das wird so geschwinde nicht gehn. Er richtet sich mühsam auf.

HANS. Laß mich nicht das Ärgste fürchten – Kaspar! – Meine Tochter –

KASPAR. Ich habe immer ein Auge auf sie gehabt.

HANS. Aber wie kommt ihr denn dazu –

KASPAR. Herr, da war ein Spielmann hier, und der hatte einen so köstlichen Wein bei sich – und da weiß ich nicht, wie es kam – aber kurz und gut –

HANS. Es mag für diesmal gut sein, aber ich muß nach meiner Tochter sehn. Geht ab.

KASPAR. Wo ist denn der Spielmann geblieben? – Ermuntert euch, Kerls, sag ich, steht auf. Die Knechte erheben sich nach und nach. Der Spielmann – Kaspar, Kaspar; mir fängt an, der Verstand wiederzukommen, und ich merke Unrat. – Ach! Der arme Herr, wenn es wahr sein sollte! Hans stürzt außer sich herein.

HANS. Du Schurke! – Du schlechter Kerl! – Liebst du deinen Herrn so? – O meine Tochter –

KASPAR. Herr – mäßigt Euch, Herr –

HANS. Nein, ich will jetzt vor Zorn und Gram sterben – ich will mich nicht mäßigen, damit ich nur das Unglück, die Schande nicht überlebe. – Meine Tochter, sie ist fort!

KASPAR. Nimmermehr!

HANS. Muß mir das begegnen? Der ich mein Kind so liebte? – Schaff mir sie wieder, Kaspar! – Fort, geh mir aus den Augen, du Niederträchtiger!

KASPAR. Herr, so habt Ihr mich noch nie gescholten – aber ich verdiene, ganz und gar verdien' ich das. – Oh, ich Dummkopf! Er kniet nieder. O vergebt mir, mein Herr, faßt Euch wieder. – Ach nein, Ihr könnt mir nicht vergeben.

HANS. Kaspar, ist das deine Vernunft? Sind das deine Grundsätze, von denen du so viel sprechen konntest? – Wenn nur meine Brigitte da wäre! – Und wie konnte sich mein Kind so vergessen? – Mit dem Spielmann, mit einem Nichtswürdigen ist sie fortgelaufen?[221]

KASPAR. Es muß so sein, Herr, denn ich sehe ihn nirgends. – Ach Gott! Wie wird mir, da nun mein Versland wiederkommt! Ich schäme mich vor Euch und vor mir; ich möchte in Verzweiflung fallen – daß ich an dem Unglück schuld hin! Oh, ich möchte mit dem Kopfe gegen die Mauer laufen! Und meinem lieben, guten alten Herrn! –

HANS. Mäßige dich, Kaspar, fasse deine Vernunft zusammen. Bleib bei dir.

KASPAR. Gibt es denn keinen Trost, keine Hilfe?

HANS. Ach nein, nein! – Oh, das wird mich noch wahnsinnig machen. – Es ist zuviel, zuviel, Kaspar, wenn ich von neuem daran denke. – Es ist mein Tod, ich fühl's.

KASPAR. Lieber gnädiger Herr, bedenkt Euer Alter.

HANS. Ich mag nichts bedenken, du hast keine Tochter verloren, du hast gut reden. Und du bist schuld daran! Einzig du!

KASPAR. Soll ich ins Wasser laufen? – Soll ich vom Turm herunterspringen? – Soll ich nackt in die Winternacht hinauslaufen? – Befehlt doch nur, wie ich mich strafen soll, und ich will's ja von Herzen gerne tun, nur daß ich wieder Ruhe habe, daß ich Eure Vorwürfe nicht mehr höre.

HANS. Kaspar! Kaspar! Ich merk's, wir werden uns beide toll machen. – Meine Tochter, meine Brigitte hätte vorsichtiger sein sollen – du bist nicht soviel schuld. – Komm – laß uns beide unsre Vernunft zusammenfassen – aus dem Rasen kann doch nichts herauskommen; – fasse dich nur, Kaspar, und steh mir bei.

KASPAR. Von Herzen gern, mein lieber gnädiger Herr. Ach! Wenn Ihr nur wieder gut seid!

HANS. Komm, wir wollen uns gleich zu Pferde setzen, wir müssen sie wiederfinden, wir wollen eher kein Auge zutun.

KASPAR. Aber Euer Alter, Eure Schwachheit –

HANS. Es kommt ja hier auf meine Tochter an, Kaspar!

KASPAR. Nun, wie Ihr wollt. – Aber Ihr haltet mich doch auch für keinen Schurken mehr? – Ach, gnädiger Herr, das hat meinem Herzen weh getan – ein Dummkopf bin ich wohl, ein ausgemachter Dummkopf – aber doch kein Schurke.

HANS. Vergiß es, Kaspar; vergiß es, ich wußte grade nicht, was ich sagte. – Du hast mir dreißig Jahr redlich gedient, da kann man wohl einen Fehler mit eindienen. – Komm, komm, aus der Burg mag indes werden, was da will; wenn ich sie nicht wiederfinde, komm' ich nicht so zurück. Beide ab.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 219-222.
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