[222] Berners Schloß.
Agnes, Anne, Mechthilde, Knechte, die das Abendessen abräumen.
AGNES. Ich bin von allen den herrlichen Seichen, die ich heut gesehn habe, ganz schwindelig. – Jetzt ist mir, als hätte mir das nur geträumt.
ANNE. Die Sinne ermüden am Ende, und selbst das Mannig faltigste wird einförmig.
AGNES. Die Mutter Mechthilde ist schon ganz schläfrig.
MECHTHILDE. Ja, Kinder, ich gehe gewöhnlich um die Zeit zu Bette, und da meldet sich denn der Schlaf bei mir ganz von selbst.
AGNES. Geht immer zu Bette, ich bleibe ein wenig auf. Der Mond scheint so hell, und da geh' ich denn nachher noch etwas auf den Altan hinaus, um frische Luft zu schöpfen.
MECHTHILDE. Nehmt Euch vor den Fledermäusen in acht, sie pflegen um diese Jahreszeit umherzuschwärmen.
AGNES. Es ist uns doch nicht einmal eingefallen, das siebente Zimmer zu besehen, und der Ritter war so besorgt – am Ende ist auch gar nicht einmal etwas Merkwürdiges darin.
MECHTHILDE. Das ist wohl möglich.
AGNES. Wie? Ihr seid auch niemals hineingekommen?
MECHTHILDE. Niemals.
AGNES. Das ist doch wunderbar. – Wollt Ihr jetzt, Mutter, die Schlüssel zu Euch nehmen? Wir brauchen sie doch nicht mehr.
MECHTHILDE. Recht gern.
AGNES. Die Männer haben, wie ich sehe, ebenso gerne Geheimnisse wie die Frauenzimmer.
MECHTHILDE. Noch lieber, sie wollen es nur nicht zugeben.
AGNES. Gebt mir doch die Schlüssel wieder zurück.
MECHTHILDE. Hier sind sie.
AGNES. Der Ritter möchte ungehalten werden, da er sie doch in meine eignen Hände überliefert hat.
ANNE. Nun, gute Nacht, ich gehe zu Bette.
MECHTHILDE. Gute Nacht. Beide gehn ab.
AGNES. Welch herrliche Nacht! – Man spricht soviel von der Neugier der Frauenzimmer, und jetzt stünde es doch nur bloß in meiner Gewalt, in das verbotne Zimmer hineinzugehn. – Ich habe mir zum Teil die Schlüssel wiedergeben lassen,[223] weil sonst mein Mann hätte denken können, ich traue mir nicht Stärke genug zu. – Wenn ich der Versuchung nachgäbe, so erführe kein Mensch, daß ich in dem Zimmer gewesen wäre, und das wäre doch das einzige Unglück, das daraus entstellen könnte, Meine Schwester, die Sittenpredigerin, schläft jetzt. – Ich wollte, ich hätte dem alten häßlichen Weibe die Schlüssel gelassen. – Am Ende ist das Ganze nur darauf abgesehn, daß mein Mann mich auf die Probe stellen will, und ich will mich gewiß nicht so leicht fangen lassen. – Die Alte ist selbst noch nicht einmal in dem Zimmer gewesen, der Ritter muß doch also etwas Besondres dabei haben. – Ich will nicht weiter daran denken. – Sie tritt ans Fenster. Wenn ich nur wüßte, warum er es mir verboten hat? – Der Schlüssel ist golden, die übrigen sind es nicht. Es ist gewiß das kostbarste Gemach von allen, und er will mich nächstens einmal damit überraschen. – Es war eine rechte Narrheit von ihm, daß ich es nicht jetzt gleich sehen sollte. Mir ist überhaupt nichts so verhaßt, als wenn ein Mensch dem ändern eine heimliche Freude machen will, der andere kann sich in der Überraschung niemals freuen, besonders wenn er die einfältigen Anstalten vorher schon gewahr wird. – Agnes, Agnes, hüte dich; das, was dich jetzt peinigt, ist am Ende die berüchtigte weibliche Neugier. – Und warum sollte ich nicht ein Weib sein dürfen so gut wie andre? – Die bloße Neugier ist noch keine Sünde. – Ich möchte den Menschen sehn, der an meiner Stelle nicht neugierig wäre. – Meine Schwester würde ebenso sein wie ich, wenn sie nicht ihre Liebe unaufhörlich im Kopfe hätte; wenn sie aber darauf fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer stecken könne, so würde sie mich auf den Knien um den Schlüssel bitten. – Die Menschen sind immer nur nachsichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. – Und es ist am Ende nicht einmal eine Schwachheit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheimnis verborgen liegen, von dem mein Glück abhängt. Ich ahne fast so etwas – und ich will nur so eben hineinsehn; – wovon soll er denn nachher wissen, daß ich darin gewesen bin? – Es muß doch irgendeinen Grund haben, warum er es mir so strenge verboten hat, und den Grund hätte er mir sagen sollen, so wäre meine Folgsamkeit ein vernünftiger Gehorsam, aber so handle ich nur aus einer blinden Unterwürfigkeit; eine Art zu leben, wogegen sich mein ganzes Herz empört. – Ei, bin ich nicht eine Närrin, daß ich soviel überlege? Am Ende ist es eine Narrheit und gar nicht der Mühe[224] wert. Sie nimmt den Schlüssel. Nun, warum geh' ich denn nicht? – Wenn er aber zurückkäme, wenn ich in dem Gemach stecke? – Es ist Nacht, und ehe er die Treppen heraufkäme, wäre ich schon längst in meinem Zimmer; in einigen Tagen will er ja auch erst wiederkommen. – Er hätte seinen Schlüssel für sich behalten können, wenn ich nicht hinein sollte. Sie geht ab mit einem Lichte.
Klaus und der Ratgeber treten auf.
KLAUS. Nun, wie gefällt es Euch hier?
RATGEBER. Ich weiß noch nicht, ich habe bis jetzt geschlafen, so müde bin ich gewesen. – Wie hell die Sterne scheinen!
KLAUS. Könnt Ihr in den Sternen lesen?
RATGEBER. Ich wollte, daß ich es gelernt hätte. Es muß des Nachts doch wohl eine angenehme Beschäftigung sein.
KLAUS. Man kann auch sein Schicksal daraus wissen.
RATGEBER. Je zuweilen.
KLAUS. Glaubt Ihr an Gespenster?
RATGEBER. O ja.
KLAUS. Jetzt ist grade die schauerliche Stunde.
RATGEBER. Wer jetzt umgehn will, für den ist es eben die wahre Zeit. – Darum will ich auch nur wieder zu Bette gehn.
KLAUS. Ich denke, Ihr habt nun ausgeschlafen.
RATGEBER. Bloß der Gespenster wegen; es ist nicht gut, wenn man sich jetzt wach finden läßt.
KLAUS. Nun, so geht.
Eine Tür wird mit Gewalt zugeschlagen.
RATGEBER. Hörst du wohl? Er läuft schnell ab.
Agnes tritt bleich und zitternd herein.
KLAUS. Was ist Euch, gnädige Frau? –
AGNES. Nichts, nichts – schaff mir doch ein Glas frisches Wasser. Klaus ab.
AGNES sinkt in einen Sessel. Leb' ich noch? – Wo bin ich? – Gott im Himmel! Wie schlägt mir das Herz – bis zum Halse hinauf. Klaus kommt mit Wasser.
AGNES. Stell es nur dorthin – ich kann jetzt noch nicht trinken; – geh, geh – mir fehlt nichts, gar nichts. – Geh! Klaus ab.
AGNES. Ich weiß nicht, wie ich wieder hierhergekommen bin. Sie trinkt. Jetzt wird mir besser. – Es ist finstre Nacht, die übrigen schlafen schon. Sie betrachtet den Schlüssel. Hier ist ein blutiger dunkelroter Flecken. – War der schon vorher da? – Ach nein, ich ließ ihn fallen; – alles um mich[225] her riecht noch nach Blut. Sie wäscht mit ihrem Schnupftuche den Schlüssel. Er will nicht fort, das ist doch seltsam. – O Neugier, verdammte schändliche Neugier, ich glaube, es gibt keine größere Sünde als die Neugier! – Oh, und mein Mann, wie kommt der mir jetzt vor? – Ach, ich muß zu Bette, mein armer Kopf ist ganz wüst. Aber die Schlüssel darf ich hier nicht so liegenlassen. – Gott sei Dank, daß der Flecken fort ist. – Ach nein! Ich armes Kind, auf dieser Seite ist er. Ich weiß nicht, was ich anfangen soll, ich will sehn, ob ich schlafen kann. Ab.
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Ritter Blaubart
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