Vierte Szene


[235] Oben auf dem Dache von Berners Schloß, an der einen Seite ist ein Pavillon, auf dessen Spitze ebenfalls Stufen führen.

Anne und Agnes.


ANNE. Wie schön die Sonne aufgegangen ist!

AGNES. Das kann mich nicht trösten.

ANNE. Sieh, wie der frische rote Strahl zwischen den lernen Bergen liegt – wie die Gegend nach und nach in den Morgenglanz hineintritt!

AGNES. Ach, Anne!

ANNE. Was ist, Schwester?

AGNES. Ich wollte, er kehrte nicht zurück. – Du hast mich seit gestern abend so verwöhnt, daß ich immer zusammenfahre, wenn du nicht im zärtlichsten Tone mit mir sprichst. In der[235] Krankheit sowie im Unglück werden wir gar zu leicht verzogene Kinder.

ANNE. Ich meine es gewiß gut mit dir.

AGNES. Das weiß ich, und das hält mich auch noch aufrecht. – Hörst du nicht Musik?

ANNE. Nein.

AGNES. Es kommt von der Waldecke dort.

ANNE. Du bist übermüdet, und davon klingt es dir vielleicht in den Ohren.

AGNES. Nein, ich höre die Trompeten gar zu deutlich.

ANNE. Jetzt höre ich es auch.

AGNES. O mein Herz klopft gar zu ungestüm – sie sind's gewiß. – Indessen will ich mich fassen, es wird vielleicht nicht so böse werden, wie ich glaube; in der Angst übertreiben wir nur gar zu leicht vor uns selber – nicht wahr, liebe Schwester?

ANNE. Natürlich.

AGNES. Es kommt immer näher, es ist mein Mann – ich kann schon die Fahnen erkennen.

ANNE. Sie sind's. Fehlmusik näher, der Zug geht unten an der Burg vorbei.

PETER. Sieh da, meine Gemahlin! – Guten Morgen, Agnes!

AGNES. Guten Morgen!

PETER. Bleibt oben, ich komme hinauf. Der Zug verliert sich in die Tore.

AGNES. Er kommt herauf! Er war es wirklich!

ANNE. Nimm dich zusammen, liebe Schwester, es kann noch alles gut werden.

AGNES. Das Leben ist mir fast zuwider geworden, und doch kann ich vor nichts anderm als vor dem Tode zittern. Ich begreife mich selber nicht.


Peter Berner kommt herauf.


PETER. Und schon so früh bist du wach?

AGNES. Ich hatte eine Ahnung, daß du kommen würdest.

PETER. Ich komme eher zurück, als ich vermuten konnte, der Feind hatte sich anders besonnen, und so rückte ich nur ins Feld, um einen vorteilhaften Frieden zu schließen.

AGNES. Das Glück begleitet dich allenthalben.

PETER. Meinst du? – Und wie hast du gelebt unterdessen?

AGNES. Ganz wohl.

PETER. Mich dünkt, du siehst blaß aus.

AGNES. Weil wir heut so früh aufgestanden sind.


Mechthilde kommt herauf.


PETER. Kommst du auch heraufgekrochen, alter Hausdrache?[236]

MECHTHILDE. Ich muß Euch doch wohl Glück wünschen, Herr Ritter.

PETER. Ich danke dir.

MECHTHILDE. Das Frühstück ist auch fertig.

PETER. Schon gut. – Es ist eine schöne Aussicht von hier oben; wenn man aber so hoch steht, muß man sich immer in acht nehmen, daß man nicht Lust bekommt, hinunterzuspringen.

ANNE. Ein Frauenzimmer denkt an so etwas nicht, aber mein Bruder Simon konnte stundenlang darüber sprechen.

AGNES. Hier sind auch die Schlüssel – doch ich will sie dir lieber nachher geben.

PETER. Schon gut; – und du hast alles besehn?

AGNES. Mit vielen Freuden, ich habe mich recht an den Kostbarkeiten ergötzt.

PETER. Gib sie mir doch lieber jetzt.

AGNES. Hier. – Den goldnen behalte ich noch zurück.

PETER. Wozu denn?

AGNES. Zum Angedenken.

PETER. Närrchen.

AGNES. Nein, ich gebe ihn dir im Ernst noch nicht zurück, ich will deine Ungeduld einmal auf die Probe stellen.

PETER. Ich werde leicht ungeduldig.

AGNES. Und doch ist unsre Ehe noch zu jung, als daß wir uns jetzt schon zanken sollten.

PETER. Nach dem Zank folgt eine desto angenehmere Versöhnung.

AGNES. Du traust mir gewiß nicht recht; und siehst du, lieber Mann, darum will ich dir zum Possen den Schlüssel noch zurückbehalten.

PETER. Meinetwegen. – Aber du gibst ihn mir doch, wenn ich recht ernstlich darum bitte.

AGNES. Wenn ich es dir nun abschlage!

PETER. Je nun, so magst du ihn ganz behalten.

AGNES. Ich habe dich noch nicht bei so guter Laune gesehn.

PETER. Mir ist heut wohl, es geht mir alles nach Wunsch. – Nun, kindische Frau, gib mir den Schlüssel.

AGNES. Hier –

PETER. Nun gut – wir wollen hinuntergehn und frühstücken.

MECHTHILDE. Kommt, gnädiger Herr.

PETER. Was fehlt dir denn? Mit dem Schlüssel spielend.

AGNES. Nichts. – Wollen wir gehn?

PETER. Was ist denn das hier für ein Fleck?

AGNES. Ein Fleck? – Ist der vielleicht jetzt hinaufgekommen?[237]

PETER. Jetzt? – Heuchlerische Schlange. O Agnes, ich dachte nicht, dich so schnell wieder zu verlieren. So geschwinde hat mich noch keins meiner Weiber verlassen, denn mein Befehl galt ihnen immer doch in den ersten Wochen etwas, und du –

AGNES. Ihr erzürnt Euch!

PETER. Verfluchte Neugier! – Er wirft zornig den Schlüssel hin. Durch dich kam die erste Sünde in die unschuldige Welt, und immer noch lenkst du den Menschen zum Verbrechen. Seit Eva neugierig war, sind es alle ihre nichtswürdigen Töchter, keine, keine ausgenommen. – Wehe dem betrogenen Mann, der sich auf eure falsche Zärtlichkeit, auf eure unschuldigen Augen, auf euren Händedruck verläßt! Betrug ist euer Handwerk; und um bequemer betrügen zu können, seid ihr schön. Man sollte euer ganzes Geschlecht von der Erde vertilgen. – Das Weib, das neugierig ist, kann ihrem Mann nicht treu sein, der Mann, der ein neugieriges Weib hat, ist in keiner Stunde seines Lebens sicher. Neugier ist die Sünde, die jede andre nach sich zieht, denn der Verbrecher sieht kein Ende, keinen Augenblick, wo er mit seinen Erfahrungen stillestehn könnte. Die Neugier hat die entsetzlichsten Mordtaten hervorgebracht, sie war der Sturz der bösen Engel, sie verwandelt die beste Natur in eine schändliche. – O ich will kein Wort mehr sprechen, denn es ist doch nur verschwendeter Atem; dies Laster wird die Welt immer noch beherrschen. – Gut, du hast dir selbst dein Schicksal gewählt.

AGNES. Ihr seid mir fürchterlich, erbarmt Euch meiner.

PETER. Alte, nimm den Schlüssel auf.

MECHTHILDE. Ich soll wohl das Kabinett aufschließen? – Gut. – Nun seht Ihr, nun kommt Ihr ja immer noch früh genug in die Kammer. Ab.

AGNES kniet nieder. Habt Mitleid! Vergebt mir meinen Vorwitz, es soll Euch nicht gereuen, ich will Euch mit aller meiner Liebe dafür lohnen.

PETER. Wenn ich Euch nicht kennte! Ihr verabscheut mich jetzt, Ihr würdet entfliehn, sobald sich nur eine Gelegenheit zeigte.

AGNES. So jung, und ich soll schon eines so schrecklichen Todes sterben? – O verstoßt mich als Eure Gattin und laßt mich als eine Magd hier dienen, laßt mich der Alten untertänig sein, nur schenkt mir das Leben.

PETER. Alle deine Bitten sind vergebens, es ist gegen mein Gelübde.[238]

ANNE kniet nieder. Seid meiner Schwester gnädig, und wir wollen Euch beide als eine Gottheit verehren. Seht die Angst des armen Mädchens, laßt Euch meine Tränen zu Herzen gehn.

PETER. Alles ist umsonst.

AGNES. Jede Bitte ist vergebens?

PETER. Bei Gott!

AGNES steht schnell auf. Nun, so steh auf, Schwester, entweihe deine Knie nicht länger, und so höre mich denn noch zuletzt, du kaltblütiges, blutdürstiges Ungeheuer, höre, daß ich dich verabscheue, daß jeder Mensch dich verabscheuen muß.

ANNE. Wären nur noch zwei Mädchen hier, so wollten wir dir mit unsern Nägeln die kleinen blinzelnden grauen Augen auskratzen.

AGNES. Widerliches Untier! Kein Mensch, sondern eine Mißgeburt. Als deine Mutter dich geboren hatte, hätte sie dich wie einen jungen Hund ersäufen sollen, damit du nicht Unglück in die Welt gebracht hättest.

PETER. Hoho! Was hält mich denn ab, euch beide von hier oben hinunterzustürzen? – Besinnet euch doch, ihr seid ja toll! – Ist das eine Sprache für Mädchen? – Nun komm, Agnes, unten ist aufgeschlossen.

AGNES. Und es ist also dein Ernst? – O weh, ich kann nicht mehr, meine Kräfte sind erschöpft.

PETER. Komm!

AGNES. Ein Gebet zum Himmel zu senden – soviel Zeit wirst du mir doch noch übriglassen?

PETER. Aber mach schnell, ich warte unten auf dich. Ab.

AGNES. Ach, Schwester, wäre es nicht ebensogut, wenn ich jetzt gleich hier hinunterspränge? – Aber mir fehlt der Mut. Sie kniet nieder. Ich will beten. – Wenn doch jetzt meine Brüder kämen. – Schwester, sieh doch einmal ins Feld hinaus; es wäre ja doch möglich. – Ach! Kein Gedanke zum Himmel! – Siehst du nichts?

PETER von unten. Agnes!

AGNES. Sogleich.

ANNE. Ich sehe nichts als Feld und Bäume, alles ruhig, kein Wind regt sich. Die Bäume hindern hier etwas die Aussicht.

AGNES. Wenn du nicht schwindelig würdest, wollte ich dich wohl bitten, auf den Pavillon hinaufzusteigen – aber falle ja nicht. – Siehst du noch nichts?

PETER. Agnes![239]

AGNES. Den Augenblick!

ANNE. Nichts, Bäume, Felder, und die Lull schlägt, auf dem Boden kleine Wellen, so wann scheint, die Sonne.

AGNES. Ach, und ich kann nicht beten; immer ruf ich innerlich wider meinen Willen: Simon! Anton! Als wenn mir dadurch geholfen würde.

PETER. Agnes, du machst mich ungeduldig.

AGNES. Nur noch ein klein Gebet. – Siehst du noch nichts?

ANNE. Ich sehe Staub aufsteigen.

AGNES. Wohl! Wohl!

ANNE. Weh! Weh! Es ist eine Herde Schafe.

AGNES steht auf. Bin ich aber nicht auch eine Törin, auf etwas Unmögliches zu hoffen? Ich will mich in mein Schicksal ergeben, und der Tod ist mir jetzt lieb. Komm herunter, Schwester, ich will Abschied von dir nehmen.

ANNE. Still! Ich sehe einen Reiter –

AGNES. Wie? Sollt' es möglich, sein?

ANNE. Er stürzt wie ein Blitz den Berg herunter –

AGNES. O Gott!

PETER. Agnes, jetzt komm' ich hinauf.

AGNES. Ich bin schon auf dem Wege zu Euch, meine Schwester umarmt mich nur noch einmal.

ANNE. Er kommt immer näher und näher.

AGNES. Kennst du ihn nicht?

ANNE. Nein; – doch – es ist Simon. – Er weht mit dem Taschentuche. Sie läßt ihr Tuch wehen.

AGNES. Wie ist mir? – Ich weiß nicht mehr, ob ich lebe oder tot bin.

ANNE. Er ist schon ganz nahe!

AGNES. Welch ein seltsamer Traum! – Wenn ich doch erst erwacht wäre! Sie sinkt nieder.

PETER. In Teufels Namen, Agnes! –

ANNE. Braver Bruder! Getümmel unten.

PETER. Was ist denn das? – Ich glaube, die Burg steht offen? – Ha! Was willst du, Bösewicht? Gefecht.


Simon stürzt herauf, findet Agnes, nimmt sie in seine Arme, küßt sie und eilt so mit ihr davon. Anne folgt.


Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in einem Band. Hamburg 1967, S. 235-240.
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