|
In Arras lebte, in den letzten Regierungsjahren Philipp des Guten, eine reiche schöne Wittwe, die sich am liebsten, da sie mit ihrem Manne nicht glücklich gewesen war, Frau Catharina nennen hörte. Sie besaß ein großes Haus in der Stadt, in welchem sie viele Gesellschaft sah, so wie vor dem Thore einen anmuthigen Garten, wo in den Sommertagen ihre Freunde oft im kühlen Saale sich um sie versammelten.
Philipp, den seine Zeitgenossen den Guten nannten, war in seinem hohen Alter schwach geworden, und seine Günstlinge benutzten seine Launen und wechselnden Stimmungen, um sich zu bereichern und vieles durchzusetzen, worüber die Unterthanen mit Recht Klage führen konnten. Die Mächtigen, der hohe Adel, die Reichen handelten oft nach Leidenschaft und Willkühr, und jedermann war in dem wohlhabenden blühenden Lande mehr oder minder darauf angewiesen, sich selber Recht zu schaffen, und durch Kraft der Waffen Anhang oder Protectoren sich zu sichern, um nicht beeinträchtiget zu werden.
Der Herzog Philipp war mit seinem Sohne Carl gespannt. Beide hatten Ursache, sich über einander zu beklagen und Günstlinge und Schmeichler wendeten alle Künste an, um diese Verstimmung in Zwietracht und einen öffentlichen Bruch zu verwandeln.[183]
So waren zwei Partheien im Lande, die sich entgegenarbeiteten. Die des Sohnes hatte sich verstärkt, seitdem der Dauphin von Frankreich, Ludwig, seinem alten, argwöhnischen Vater mißtrauend, sich als Flüchtling unter den Schutz des Herzogs Philipp des Guten nach Burgund begeben hatte. Der Sohn, Carl Graf von Charolais glaubte, und wurde von seiner Umgebung in dieser Meinung bestärkt, daß der Dauphin seinen Einfluß benutze, um ihm seinen Vater Philipp ganz zu entfremden. Entfernen sich die Gemüther, die durch Bande des Bluts, durch Dankbarkeit und Wohlthat verbunden sind, erst von einander, so wird es Bösgesinnten leicht, gerade diese unversöhnlich und auf immer von einander zu trennen.
Alle Stände litten, indem sich das Mißtrauen immer bestimmter aussprach, und sich die Partheien immer schärfer gegenüberstellten.
In einem so reichen Lande, wie es unter der Regierung Philipp des Guten alle Provinzen von Burgund waren, gab es freilich auch viele Menschen, die sich wenig um die Gefahren des Staates, oder um die zunehmende Macht Frankreichs kümmerten, und nur dafür hauptsächlich sorgten, wohlbehaglich ihr Einkommen zu verzehren, mit Verstand ihr Vermögen zu verwalten, und mit Heiterkeit das ungewisse Leben zu genießen, das so Viele unter den Anstalten verlieren, indem sie es herausputzen und zu etwas Würdigerem erheben wollen. Der Kreis von Freunden und Bekannten, der sich bei der verständigen Frau Catharina versammelte, war in der Stadt Arras als ein solcher bekannt, in welchem man dem Kummer, der Furcht, den Grübeleien, oder fern und selbst nahe liegender Besorgniß keinen Raum gestattete. So wenig die kluge Frau ihren Umgang beschränkt hatte, so sehr sie gern Menschen um sich von allen Ständen sah, so[184] zogen sich doch die finstern Gemüther, oder diejenigen, die nur dem Gewinne oder ihren Tagesgeschäften lebten, von selbst zurück, weil man wußte, daß nur von Dichtkunst, Malerei, Festen, Putz, oder lustigen Geschichten in diesem Hause die Rede war. Schien es also, daß die weltliche Freude eine zu ausschließende Rolle hier spielen dürfe, so verweigerten dennoch ernste Gemüther, und selbst angesehene Geistliche nicht, Theil an dieser Heiterkeit zu nehmen, denn ein langer Friede, durch die Weisheit des Regenten erzeugt und erhalten, hatte Lust, Ueppigkeit und Pracht befördert und der Herzog und sein Hof gaben das Beispiel und ermunterten zur Nachahmung, das arme Leben mit allem Glanz aufzuschmücken, dessen es fähig ist, obgleich Philipp fromm war und die Kirche und ihre Regenten hochachtete und verehrte.
Im Garten der Frau Catharine Denisel war am heitern Sommertage eine Gesellschaft versammelt, die sich an Liedern und Saitenspiel ergötzte. Beaufort, ein alter, angesehener Edelmann und Ritter war heut der vornehmste in der Versammlung, er war in der ganzen Stadt wegen seinen Sitten, seiner Freundlichkeit und Milde, so wie wegen seines großen Reichtums geschätzt und geliebt. Er war mit seinem Sohne Friedrich zugegen, um von der artigen Frau, die er schon seit lange kannte, Urlaub zu nehmen, weil er sich in Geschäften auf einige Tage nach Gent begeben wollte. Friedrich war schwermüthig, denn er entfernte sich nur ungern, selbst auf kurze Zeit, von Arras, weil er, wenn er seinen Vater nicht gefürchtet, alle Stunden seines Lebens an der Seite der Frau Catharina zugebracht hätte, die ihn gern sah, oft aber verstimmt wurde, wenn er seine Leidenschaft zu deutlich zeigte, oder in die Gesellschaft trat, in welche er nicht geladen war.
Erfrischungen, Wein, Obst und Gewürz in Zucker wurde[185] herumgegeben, als der alte Beaufort das Wort erhob und sagte: meine Freundin, diesen anmuthigen Saal, diese glänzenden, schön gewirkten Tapeten, und Euer liebliches, holdes Antlitz, dessen Lächeln alle diese bunten Figuren bleich macht, werde ich nun auf eine oder zwei Wochen nicht sehen, denn ich habe Geschäfte in Gent mit dem großen Grafen von Etampes, dem Vetter unsers gnädigen Herzogs. Diese vornehmen Herren brauchen, eben weil sie zu Zeiten großmüthig und freigebig sind, immerdar Geld; und zuweilen nehmen sie es mit der Art, es zu erringen, nicht so gar genau und christlich. Da sollen wir wieder beisteuern, und der Vorwand ist ziemlich nichtig. Die Stadt, die schon genug gethan hat, wird gedrückt, und soviel auch aufgebracht wird, so zerrinnt es doch unserm Herrn wieder unter den Fingern, weil er zu gütig ist.
Ein geistlicher Herr, der etwa vierzig Jahr alt seyn mochte, wendete sein schönes volles Antlitz herum, sah mit klugen Augen den Ritter an, und sagte mit wohlklingender Stimme: Gewiß, Herr Ritter, hat Euer Stand, und der der Bürger, zu klagen Ursach: aber was sollen wir Geistlichen erst aussprechen? Wir, die wir so schwer vor einigen Jahren taxirt wurden, als mit so großen Feierlichkeiten der Zug gegen Constantinopel beschlossen wurde, um den Türken wieder von dort zu vertreiben? Alle die Summen, die wir und das Land hergaben, verschwinden, und es geschieht nichts, und kann und wird niemals etwas geschehen. Und doch wird immerdar wieder Nachschuß begehrt, und immer wieder reicht die Summe nicht aus. Wenn wir aber verarmen, wie soll es der Armuth ergehn, die wir ernähren müssen?
Herr Dechant, verehrter Herr Marck, antwortete der alte Ritter, Ihr findet in der Kirche immer neue Quellen, um den Verlust wieder zu ersetzen; sind aber unsre Güter[186] verpfändet und mit Schulden belastet, dringt der Kaufmann auf plötzliche Rückzahlung, so sind wir ganz und auf immer verloren. Und doch können wir uns nicht so einschränken, wie es dem Geistlichen vergönnt ist, wie es ihm sogar zur edlen und heiligen Pflicht gemacht wird; kommt der Fürst oder dessen Sohn zu uns, gilt es einen Aufzug, ein Bankett, dem Grafen Etampes zu Ehren, oder dem großen Croys, den Herren, die fast allein das Land regieren; kommt gar der Dauphin von Frankreich einmal zu uns herüber, so müssen wir in Kleidern und Livreen glänzen, und dürfen nicht fragen, um wie viel unsre Schulden zunehmen, oder wie sehr dadurch unsre Nachkommen verarmen.
Wächst uns, sagte der Dechant lächelnd, das Getreide unsichtbar nach, wie Ihr behauptet, so wißt Ihr vom Adel dagegen Künste, es auf offener Straße, in der Stadt oder auf dem Felde, am lichten Tage mit scharfer Sichel zu schneiden. Noch vorgestern ist bei Douay, unter dem nichtigsten Vorwand eines alten Zankes, ein reicher Mann aus Seeland eingefangen worden; der übermüthige Ritter hat ihn gefänglich eingesteckt, und so lange gemißhandelt, bis er ihm zweitausend Goldstücke durch einen andern Kaufmann ausgeliefert hat.
Der alte Ritter stand auf und sagte mit zornigem Gesicht: Herr Dechant, Ihr seid ein wackrer Mann, aber mit der Zunge noch etwas zu jung. Ich könnte erwiedern, daß die Kirche, Papst und Klerisei, mit Ablaß, Jubeljahr, und auf wie andre Weise noch, Gelder zwar nicht gewalttätig erpressen, aber doch auch, wie manche Freigesinnte sagen, durch Mißbräuche und falsche Deutung an sich bringen. Ich bin keiner dieser Freigesinnten, und will gegen die Kirche, die ich fromm verehre, nichts einwenden und vermuthen, weil es unerlaubt ist. Jener gewaltthätige Räuber, von dem Ihr[187] eben sprächet, ist mir weitläuftig befreundet, aber weder ich noch andre echte und wahre Ritter werden sein Mißthun billigen oder rechtfertigen. Ich bin jetzt, unter den Augen meiner Mitbürger, siebenzig Jahr alt geworden, aber ich fordere Euch, oder wer es sei, selbst meine bittersten Feinde, auf, mir das Kleinste zu beweisen, worin ich von dem Wege Rechtens abgewichen wäre. Jeder mag sein Thun verantworten, vom Höchsten bis zum Niedrigsten. Unser glorreichster Fürst, den die Welt bewundert, ist zu alt und nachgiebig, um allenthalben, wo es nöthig wäre, das Schwert der Gerechtigkeit walten zu lassen; auch erfährt er nicht alles, und so ist Gewaltthat, Willkühr und Laune des Hochmuthes in unserm Lande freilich nicht so bewacht und bestraft, wie in Frankreich. Doch ich fühle mich rein, und darf es aussprechen; und deshalb gestehe ich Euch, daß mich Euer Wort beleidigt hat.
Der geistliche Herr erhob sich, und reichte dem alten Ritter die Hand, indem er in einem freundlichen, fast bittenden Tone sagte: Nicht so war es gemeint, mein geehrter, wackrer Freund; ein Wort giebt das andere, halb im Ernst, halb im Scherz; doch vergebt mir, wenn Ihr aus meiner Rede etwas anderes herausgehört habt, denn wahrlich, es war nicht meine Absicht, Euch im mindesten zu verletzen.
Wie kommen wir nur, sagte die freundliche Frau Catharine, auf so sonderbare, widerborstige Gespräche? Laßt die jungen Nichten der Frau Wacker wieder einmal das Lied singen, welches neulich unser Freund Labitte gedichtet hat.
So geschah es; die jungen Mädchen wurden von ihrer alten Base ermuntert, und Friedrich nahm die Laute, um sie zu ihrem zärtlichen Gesange zu begleiten. Als sie geendigt hatten, fragte der Dechant, von wem diese zärtlichen Verse[188] gedichtet seien, die sich dem Ohr und Herzen so schmeichelnd einfügten.
Kennt Ihr das schöne Lied nicht? erwiederte Frau Catharina. Es ist ja von unserm vielbekannten Labitte, dem beliebten Dichter.
Ist dieser jetzt hier? fragte der alte Ritter.
Schon seit geraumer Zeit, erwiederte Friedrich; vor Jahren war er auch in unserm Hause.
Ich kenne wohl, sagte der Ritter, manche seiner älteren Gedichte; auch weiß ich, daß er ein guter Maler ist.
Er ist eine Zier, fuhr Catharina fort, unserer Dichtergesellschaft; und eine unbegreifliche Munterkeit und Kraft hält ihn aufrecht, so alt er nun auch ist. Wer ihn nicht kennt und ihn zum erstenmale erblickt, hält ihn für einen einfältigen, fast blödsinnigen Menschen; auch hat er Stunden, in welchen er nur wenig Verstand verräth. Doch plötzlich erfaßt ihn die Laune, oder eine Stimmung zur Poesie, und er spricht und singt die wunderbarsten Sachen und Gedichte. Er ist es manchmal allein, der lange Zeit hindurch unsre Gesellschaft belustigt.
Ganz recht, fügte der Dechant hinzu, es ist derselbe alte Thor, den sie oft den einfältigen, den blödsinnigen oder dummen Abt nennen, weil man nicht weiß, ob er sich albern stellt, oder wirklich ist. Ich habe nie begriffen, wie Menschen noch als Greise den Lustigmacher spielen mögen.
Ihr seid viel zu hart, ehrwürdiger Herr, sagte Catharina sehr freundlich; soll alles auf eine und dieselbe Art seyn? Ich versichere Euch, der gute Alte macht sich niemals verächtlich, so seltsam auch manchmal seine Reden ausfallen mögen. Sein Sinn ist ernst, ich habe ihn selbst schwermüthig gesehen, und wenn ein solcher, der ohne Weib und Kind, ohne Bruder und Schwester, nicht im Ueberfluß lebend,[189] sich über die dunkle Bestimmung des Daseins durch Scherz und Laune, Spaß und Witz, die manchmal an die Tollheit gränzen, zu trösten sucht, und andere erheitert und ergötzt, indem er seine Lebensgeister in der Gesellschaft erhöht, so darf man solchen nicht mit jenen gemeinen Narren vergleichen, die das Edle verschmähen und in den Staub treten. Er ist ein guter, lieber alter Mann, einfältig wie ein Kind, leichtgläubig und harmlos. Deshalb wird sein besserer Sinn auch oft von Listigen gemißbraucht, die ihn lächerlich machen. Wenn es geschieht, und er einsieht, wie boshaft man mit ihm umgegangen ist, so ist er der Erste, welcher alles vergiebt. Ist dies nicht eine christliche Tugend?
Ohne Zweifel, antwortete der Dechant, doch wäre es noch christlicher, wenn er zu allen diesen Anstößen keine Gelegenheit gäbe.
Friedrich nahm das Wort und sagte: Nicht so, ehrwürdiger Herr: sollen wir dem Scherz und Gelächter gar keine Stelle einräumen, so dürften wir jungen Gesellen nur lieber Maulkörbe tragen, die die Lippen zu Ernst und Ehrbarkeit fest zusammenschnüren. Man muß die Thorheit erleben, um später Unglück ertragen und Weisheit begreifen zu können. Glaubt Ihr nicht, daß in solchen Spaßen, die oft zweideutig aussehn und dem Tadel unterliegen dürfen, sich nicht auch Liebe, Gefühl und eine Art Frömmigkeit zu Zeiten erziehn lassen?
Verschont mich mit dergleichen Fragen, sagte der Dechant, in übler Laune, denn da ich sie nicht verstehe, weiß ich keine Antwort darauf zu geben.
Der Vater sah den Sohn mit einem strengen Blick an, worauf Friedrich mit Laune und Freundlichkeit erwiederte: Ich will niemand ärgern, sondern jene Vorrede sollte nur die Einleitung zu einer kleinen unbedeutenden Geschichte abgeben.[190] Unser guter Labitte war schon im vorigen Jahre, als er noch draußen in Douay wohnte, eine Zeitlang hier bei uns. Wir suchten ihn auf, da wir schon längst seine schönen Lieder gesungen hatten, und er gab sich uns so freundlich hin, als wenn er der jüngste und unerfahrenste von uns allen wäre. So verlor sich bald die fromme Scheu vor dem Manne, der auch den Lobgesang auf die Maria gedichtet hat, der bei uns zur Erbauung dient, wenn feierliche Umgänge gehalten werden, oder wenn man das große Erntefest feiert. Er nahm uns in seine Wohnung, und ließ uns zugegen bleiben, wenn er an seinem Bilde malte, das, wenn es auch nicht die vorzüglichsten erreicht, doch anmuthig wurde und uns mit seinen klaren Farben ergötzte.
Der Mann hat einen weißen Pudel, den er schon seit manchem Jahre mit der größten Zärtlichkeit liebt. Dieses Thier mit seinen langen Ohren und aufgelocktem Fell ist zu Hause sein beständiger Gesellschafter. Er spielt mit ihm, er spricht zu ihm, erzählt ihm, als wenn der Hund ihn verstehen könnte. Da wir zuweilen den halben Tag bei dem alten Maler zubrachten, so wurde der Hund, der schon gesellig war, auch bald mit uns allen vertraut und zuthunlich. Er machte auch uns seine Künste, die der Maler ihn gelehrt hatte, und freute sich in Sprüngen, wenn er einem von der jungen Bande auf der Straße begegnete. Wir wunderten uns oft über die Leichtgläubigkeit unseres Labitte, dem man, weil er sich um weltliche Händel und Staatssachen so gar nicht kümmerte, alles Mögliche einbilden konnte, wenn auch jedes Kind die Fabel begriffen hätte.
So geschah es denn, daß wir ihm erzählten, sein Hund sei um vieles klüger, als er es selber wisse. Wir hatten des Pudels Geburtsstunde von unserm Freunde erfahren, und so hatte uns ein leichtfertiger Astrolog das Horoskop[191] des Künstlers gestellt, aus welchem hervorging, daß ein Wesen, in dieser Stunde, unter diesen Aspekten geboren, die auffallendsten Geistesfähigkeiten in sich vereinige. Es schmeichelte dem Alten, daß das Thier, welches er liebte, außer seiner Treue noch so viele Vorzüge besitze. Wir wußten, daß er an einem Morgen schnell zum Statthalter gerufen werden würde, um dessen Bildniß zu malen; er war auf dem Spaziergange, und mußte auf einen Augenblick in sein Haus gehen, um seinen bessern Mantel umzulegen und seine Farben zu holen. Einer der Genossen, der in demselben Hause wohnte, hatte auf unsern Wink den gelehrigen, freundlichen Pudel genommen, ihn aufrecht sitzend in einem Sessel festgebunden, und vor ihm eine Chronik, die auf einem Pulte lehnte, aufgeschlagen. Wir schlichen uns in den Saal, um den Alten, wenn er eintreten würde, zu beobachten. Hinter einem großen Gemälde versteckt, sahen wir vor uns die possirliche Gestalt des Hundes, der aufrecht sitzend, die Pfoten auf den Tisch gestützt, in der kostbaren pergamentnen Handschrift zu lesen schien, indem ihm die lange rothe Zunge aus dem Maule hing, und er, von den Bändern gehemmt, keuchend Athem holte, wie einer, der tief von dem, was er lieset, ergriffen ist. Der Maler tritt hastig ein, fährt zerstreut und fahrig, nach seiner Weise, in die Kammer, kommt gleich in seinem neuen Mantel zurück, nimmt vom Tisch die Pinsel, und sieht plötzlich seinen weißen, zottigen Freund im Studium des Froissard begriffen. Die Miene des Erstaunens, der aufgerissene Mund, die großen Augen, seine Stellung, alles dies ist nicht zu beschreiben. Er hört die mahnende Glocke schlagen, und stürzt in größter Eile wieder aus dem Hause. Der Hund wird gleich losgebunden, und wir zerstreuen uns.
Am andern Tage sind wir in der Weinschenke heiter[192] versammelt, und der Alte kommt auch wohlgemuth zu uns. Man sah ihm an, daß er ein Geheimniß auf dem Herzen habe, welches ihn drücke, und daß er den Muth und den günstigen Augenblick nicht finden könne, es uns mitzutheilen. Als ihn die Weinlaune mehr beherrschte, sagte er endlich: Freunde, junge Menschen, wenn Ihr nur ein wenig solider dächtet, so könnte ich Euch wohl etwas erzählen, das schon der Beachtung würdig ist. Aber Ihr seid zu leichtsinnig und zu ungläubig, Ihr werdet mir nicht glauben, und in Eurem Spott der Unerfahrenheit das abstreiten wollen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, und das wird mich dann verdrießen.
Wir ermunterten ihn, sich uns edel und offen mitzutheilen. Die Rede kam auf den Pudel, und dessen Lob wurde von neuem gesungen. So eröffnete er uns denn endlich, wie er gestern unvermuthet die Entdeckung gemacht habe, daß das gute verständige Vieh seine besten Eigenschaften verberge und verschweige; er habe diesen Tyras nehmlich überrascht, der sich dessen nicht versehen habe, wie er Geschichte hinter seinem Rücken studire und mit großem Eifer lese, so von dem Gegenstande hingerissen, daß er ihn selbst, seinen Herrn, nicht einmal bemerkt habe. Wie er nach zwei Stunden zurückgekommen, sei das Buch wieder an seinen Platz gestellt gewesen, und der bescheidne Student habe wieder, als sei nichts vorgefallen, und als könne er kein Wasser trüben, auf die gewöhnliche Hundeweise unter dem Bette gelegen. Mit ernster Miene hörten wir zu, und erklärten dann, er erzähle uns in dieser Sache nichts Neues, denn wir hätten dergleichen schon längst gemerkt, wie der Hund seine Abwesenheit benutze, um sich, ohne damit zu prahlen, im Stillen mehr auszubilden. Keiner hätte ihm etwas davon sagen wollen, weil er schon so oft klage, daß man ihn necke; man[193] sei aber überzeugt, der Hund werde sich auch nächstens im Schreiben, vielleicht im Malen üben.
Der Alte war entzückt und rief aus: Wenn mein Tyras mich einmal durch ein gelungenes Bild von eigener Erfindung überrascht, oder durch ein gutes Gedicht, so soll er bei mir Zeitlebens die besten Tage haben. Welch ein Hund! Man kann ja von ihm noch das Unwahrscheinliche, ja das Unmögliche erwarten, da er es schon so weit gebracht hat. – So sehr sich meine Spielgenossen über die Albernheit des Alten freuten, so war mir diese seine mehr als kindliche Einfalt eine zu rührende Erscheinung, um es dulden zu können, daß er noch länger ein Spielball der übermüthigen Jugend seyn sollte. Ich ging am folgenden Morgen zu ihm, und eröffnete ihm den ganzen Handel. Er war sehr bestürzt und traurig, nicht darüber, daß man ihn so arg geneckt hatte, sondern daß seinem Hunde nun jene Fähigkeit abgehe, über welche er sich schon so sehr gefreut habe. Es ist doch Jammerschade, sagte er dann, daß so alles Geschaffene sich in Schranken bewegen muß. Man findet doch auch so gar nichts, bei dem nicht das Hohe und Geistige mit dem Nichtigen, dem ganz Armseligen verbunden ist, ja in diesem Dummen, Nichtsnutzigen nur wurzeln und aus ihm erwachsen kann. Unsre schönsten Gemälde stehn da auf Holz, die Farben sind Saft aus Pflanzen, Pulver aus Erde und Metall. Staub, Nässe, Licht, alles arbeitet daran, den Schimmer wieder zu trüben. Der Dichter singt und wird heiser, er vertraut dem Pergament und dem Papier seine hellen Gedanken; sie vergehen und verschrumpfen, und haben nur für wenige, in wenigen Augenblicken geleuchtet. Wie man sich begeistert dünken mag, so fällt man doch, wie sich der Zeiger der Uhr nur etwas weiterbewegt, in Müdigkeit, Hunger und Durst zurück, und was eben noch das Feuer ins Auge trieb, ist[194] jetzt ein kalter, oder unverständlicher, oder selbst widerwärtiger Gedanke. Der Hund versteht mich nicht, und ich nicht den Hund. Von dem Geheimniß der Welt und der Schöpfung weiß ich nun gar nichts, und Ihr, junges Volk, versteht nicht einmal, wie man die Farben reiben muß. Warum Roth roth, und Blau blau ist, weiß kein Mensch; noch weniger, was das Roth ist. Wir gehen eben so gut, wie Tyras, auf vier Beinen; er kann dienen und Schildwacht stehen, aber er muß doch wieder in die Quadratur seiner Füße und Bestimmung zurück. Wir richten auch unsern Geist nach oben, und sind beflügelt, schauen und glauben, und müssen platt wieder zur Erde in den Staub niederfallen. So räsonnirte er viel durcheinander, nahm dann mein Taschentuch und hieß mich gehen. Als ich auf der Straße in einem fernen Theil der Stadt war, rannte mir der weiße Pudel nach, sprang an mich hinauf, zerrte mich am Kleide, und belferte und kläffte in seinen hohen Tönen, mit denen er Freundlichkeit ausdrückte. Ich merkte nun wohl, daß er mich zurückhaben wollte, und ging auch mit ihm wieder nach der Wohnung seines Herrn. – Da seid Ihr wieder, rief mir der Maler lachend entgegen. Seht Ihr nun wohl, daß in seinem Fache der Hund mehr ist als wir alle? – Ich wies ihm nach einer halben Stunde nur Euer Tuch und winkte damit hinaus, er beschnupperte es eifrig, sprang Euch nach und hat Euch durch die Witterung bald ausgefunden. Macht das einmal nach, wenn ich Euch auch deutlich sage, holt mir den Ferdinand, Boppo, den Melzer, oder wer es nur sey. Trefft Ihr sie nicht zu Hause, und erfahrt dort nicht, wohin sie gegangen sind, so steht Ihr ganz dumm und völlig hülflos da; ja Euern besten Freund oder Euer Liebchen könnt Ihr nicht aus der dringendsten Lebensgefahr reißen, wenn Ihr es nicht mit dürren Worten erfahrt, wo und wie sie anzutreffen sind.[195]
Der Dechant nahm nach dieser Erzählung wieder das Wort und sagte: Wenn dieser konfuse Mensch, wie es scheint, einigen Verstand hat, so wäre es wohl seine Pflicht, mit diesem seinen ganz augenscheinlichen Blödsinn auszubessern, damit er zum Menschen würde. Immer habe ich es geglaubt, und diese Schilderung bestärkt mich wieder in meiner Meinung, daß die Dummheit im Menschen meistentheils etwas Freiwilliges sei, das man aber abwerfen, und sich den Verstand aneignen muß. Aber bequem ist es, sich so gehn zu lassen, allen Launen zu folgen, Trägheit, Spaß und Laune die Herrschaft einzuräumen, und das göttliche Ebenbild in uns auszulöschen.
Seid nicht so unbillig, ehrwürdiger Herr, sagte die freundliche Frau Catharina. Die Gaben sind verschieden, die Geister mannigfaltig, und das ist das Erfreulichste der Schöpfung. Wir können uns nicht alle gleich und ähnlich seyn, ja wir sollen es auch gewiß nicht. Dieser faßt in der Schärfe des Geistes die Bedeutung der Dinge in seinem Verstande auf, und weiß von allem Rechenschaft zu geben. Heil ihm, denn er ist wach im Erkennen, und wird weder vom Aberglauben beherrscht werden, noch sich den Täuschungen der Phantasie, oder den blinden Leidenschaften ergeben. Ein solcher Prüfender ist frei und Herrscher im Gebiet der Sinne und des Denkens. Doch der Dichter, der Künstler, der Maler muß jenem Schein, dem der Scharfsinnige entfliehen will, mehr Wesen, dem Schatten mehr Körper, und seinen Träumen mehr Wirklichkeit zugestehen, wenn ihm nicht in seinem Handwerk die Arme ermüdet und ungläubig am Leibe niederfallen sollen. Und unser alter, lieber Labitte nun gar. Er kommt mir vor, wie ein in Menschengestalt verwirklichter Traum, der unter uns herschreitet, um von den seltsamsten Gegenden, die wir niemals besuchen, Kunde zu[196] bringen. Der Glaube an Wunder ist ihm der natürlichste; seine Phantasie umkleidet ihn wie ein Mantel, und es giebt für ihn keine Unmöglichkeit. Kann er durch diese Traumfähigkeit etwas auffassen, so sieht er weiter wie die meisten Menschen, und spricht tiefsinnig und prophetisch; soll er auf dem Wege unsers gewöhnlichen Verstandes etwas begreifen, so erscheint er ganz unfähig und blöde. Sein Wesen, sein Umgang, seine Laune ist deshalb so wundersam, daß jeder, der ihn kennt und versteht, ihn von Herzen liebgewinnen muß; daß er aber auch allen, die ihn so, wie die übrigen Menschen, nehmen und auffassen wollen, nur als unbeholfener und langweiliger Gesellschafter erscheint. Er ist wie ein Spielkamerad von Thieren und verklärten Geistern; das Irdische an ihm ist wie Verkleidung bei einem Maskenzug, und dahinter glänzt ein Elfe: Oberon, der König der Feen.
Genug und übergenug! rief der Dechant aus; der alte Thor muß sich glücklich schätzen, daß er von so schönen Lippen so kräftig vertheidigt wird. Er hat Recht, Wunder und das Wunderbare zu glauben, denn diese Gunst, die ihm selbst widerfährt, ist seltsam und unbegreiflich genug.
Der Zorn des Dechanten stieg noch höher, als jetzt ein aufwartender Knabe die Ankunft des alten Mannes meldete. Man sah diesen auch alsbald, auf seinen Stab gelehnt, durch den Garten schreiten. Der Geistliche stand auf und nahm Abschied von der Dame und der übrigen Gesellschaft, und hörte nicht auf Catharinens Bitte, daß er noch verweilen möge. Als er dem Alten vorbeiging, der ihn freundlich und achtungsvoll begrüßte, dankte er kaum, was der Maler in seiner arglosen Weise nicht bemerkte.
Der junge Friedrich ging dem Alten entgegen und Catharine begrüßte ihn herzlich. Meine theuren, verehrten Freunde, sagte der Alte mit erschöpfter Stimme, erlaubt mir,[197] daß ich mich niedersetze, denn ich bin sehr ermüdet, und die Sachen, die ich da draußen auf dem Markt habe hören müssen und erläutern sollen, haben mir alle Kraft geraubt.
Er ließ sich im Gartensaale lächelnd nieder, und sagte nach einiger Zeit, indem ihn alle neugierig betrachteten: In der Stadt tragen sie sich mit der Nachricht, daß nicht weit von Mecheln vor einigen Tagen in der Nacht ein großer Stein vom Himmel gefallen sei, von einer Materie, die kein Mensch kennt und jemals gesehen hat. Er hat ein tiefes Loch in den Erdboden, auf dem Acker eines guten Landmannes, geschlagen, und man grübelt, deutelt und prophezeit nun, was dieser sonderbare Fall zu bedeuten habe. Einige meinen, es sage uns den Tod unsers guten alten Herzoges an, manche böse Menschen gehen noch weiter, und meinen, unser Philipp würde sterben, und unter seinem Sohne Carl, dem verwegenen Fürsten, das ganze Land zu Grunde gehen.
Am einfachsten, sagte der alte Ritter, ist anzunehmen, daß die ganze Sache erlogen sey, wie es denn viele dergleichen kindische Mährchen giebt, an denen sich das gemeine Volk ergötzt.
Nein! nein! rief der Maler, der Naturfreund Melchior, der so viele Steine sammelt, hatte sich gleich ein Stückchen von dieser Materie senden lassen, und zeigte es den Neugierigen vor.
Und wie sähe es aus? fragte Beaufort.
Halb wie Glas, antwortete Labitte, wie so grobes, grünliches, trübes, dickes Glas in der Masse, halb wie Eisenschlacke, halb wie ganz unförmlich gestaltet, halb wie ein Ding, das man schon sonst gesehen hat, und dann wieder wie etwas, worauf sich keiner besinnen kann. Es ist eben ein kurioses Ding, und verdient wohl eine genauere Betrachtung, denn ich dachte gleich daran, daß sich so was nicht[198] malen ließe, und in einem Bilde eine schlechte Figur machen würde.
Der alte Ritter lachte über die Beschreibung und sagte: Sollte es nicht vielleicht wirklich eine Erzschlacke seyn, die man aus einem Bergwerke gebracht hat?
Nein, sagte Labitte, denn dergleichen unnützes unterirdisches Ungeziefer habe ich wohl oft schon auf meinen Reisen sonst gesehn. Der freundliche Denker und Philosoph, der Küster drüben an unsrer Cathedrale, der Dichter Wundrich, sagte: es sei offenbar ein Stück, welches vom Mond heruntergefallen sei. Er glaubte nehmlich, die Gestirne hätten eben so gut Krankheiten zu überstehen, wie die Menschen und Thiere, und unsre Erde sei auch nicht von solchen Fiebern, Catarrhen, Coliken, Gicht und Schwindsucht frei zu sprechen. Er habe seit lange unsern alten herkömmlichen Mond beobachtet, und nach seinem unpartheiischen Urtheil aussagen müssen, daß er schon seit einigen Jahren an einer bedenklichen Blässe leide. Diese zeige sich um so auffallender, wenn er in der Fülle sein rundes Gesicht aufblasen und uns die runden Backen und seine aufgetriebenen Augen so recht vollständig hinhalte. Neulich, sagte Wundrich, als ich in einer Frühlingsnacht den Kunden beobachtete, erschrak ich fast über die Gesichter, die er plötzlich schnitt, denn es war nicht anders, als wollte er nun eben zu sprechen und zu heulen anfangen. Seht, Männer, fuhr der gelehrte Küster fort, mag es nun seyn, was es will, aber er hat sich etwas zu Gemüthe gezogen, er ist nicht mehr der Alte, jener rüstige, frische, unermüdete Nachtwanderer, mit dem kerngesunden, rothen, feurigen Antlitz, das dem dicken Dorfschulzen gleicht, wenn er Abends aus der Schenke kommt, sondern er pimpelt, blässelt, und wimmelt und wabbelt nur so nächtlich dahin, und so ist es natürlich, daß er abbröckelt, in Nerven- oder[199] Altersschwäche hie und dort ein Stück von seinen Gliedern und Bestandteilen abfallen läßt, die nun uns, seinen nächsten Erben und Nachbarn, zusterben. Drum eben, fuhr der Naturfreund fort, merken wir nichts davon, wenn andre Gestirne, Sirius, Orion, Bär, Löwe oder Morgenstern dergleichen Anwandlungen kriegen, weil sie uns zu entfernt ihr Wesen treiben. Ich selbst aber fürchte fast, wenn unser Küster Recht haben sollte, daß es so in Kurzem um den ganzen lieben Mond gethan seyn möchte, und, wenn alles so beschaffen ist, wie das, was er uns jetzt gesendet hat, so ist es nicht der Mühe werth, auf seinen Sterbefall und sein Vermächtniß Hoffnungen zu gründen, denn der Bauer meint, zu gar nichts sei der Abfall der Mondwelt und diese Probezeichnung des jüngsten Tages zu gebrauchen, sondern es liege nur seinem Acker zur Last und verderbe ihn. Man will also das dumme Ding einer überreifen, ins Holz gewachsenen Schöpfung dort wegnehmen, und zum Angedenken der wunderbaren Begebenheit in der Kirche aufhängen. Fragt sich nur, ob der Mond, wenn die Umstände sich wieder einmal ändern, und er den Rausch ausgeschlafen hat, nicht diesen alten Knopf von seinem Alltags-Wamms, oder was es seyn mag, wieder zurückfordert, um ihn sich von der Jungfrau am Himmel wieder an seine Stelle, wo er hingehört, nähen zu lassen.
Die Sache läßt sich bedenken, sagte der Ritter Beaufort: indessen hat das was für sich, was jener Mann von der Krankheit der Planeten vermuthet und fürchtet. Ein Neffe von mir hatte noch vor zwei Jahren zwei schöne und große Landgüter; er zeigte sich darum auch hier und in Brüssel, als ein Client des Grafen Etampes, in großem Glanz; und seht, diese Theile der Erde sind ihm so rein weggeschwunden, daß er jetzt Schulden halber im Gefängniß sitzt.[200]
Seht Ihr wohl? antwortete der Maler; diese Schwindsucht ist also augenscheinlich und wird auch von andern Leuten bemerkt. Auf der andern Seite aber ist es, als wenn oft eine Wassersucht, ein Anschwellen und Aufquellen die arme Erde befällt und ängstigt. Die Familie Croy war immer schon mächtig und groß, aber wie sind ihre Ländereien seit Menschengedenken aufgequollen! Dasselbe kann der Graf Etampes, der nahe Verwandte unsers Herzoges, an seinen Grundstücken beobachten. Aber noch sonderbarer ist es mit jenem jungen Köstein, den wir alle als einen Lumpen, Taugenichts und Habenichts gekannt haben; der junge blondlockige Bengel kam in die Dienste unsers Herzogs, erst Aufwärter, dann Page, dann Liebling; und wie er nur erst ein ganz kleines Gärtchen, mit einem bescheidenen Häuschen, von seinem zu gnädigen Herrn erhalten hatte, – o Wunder! – so war dieses Fleckchen unserer Burgundischen Erde gerade ein so fruchtbares, schwangeres, quellendes und treibendes, daß es in wenigen Jahren alle benachbarten Aecker, Gärten, Felder und Wälder ganz mit magnetischer Kraft an sich gezogen hat, so daß es fast lächerlich wird, wenn man die erste Grundlage, die kleine Mutter aller dieser großen, ausgereckten Kinder, mit den Riesen-Armen und Beinen, betrachtet. Nun will man, und selbst unser Erbherr, der Carl von Charolais, dies Wunder auf die Schwäche unsers alten Herzogs schieben, und es ist offenbar eine Schwäche unsers Erdballs, und der gute Philipp muß, selbst gegen seinen Willen, dieser Nachgiebigkeit des Bodens nachgeben, weil er mit aller seiner Macht dies Zusammenschießen der Landgüter doch nicht verhindern könnte.
Alter Freund, warnte der Ritter, sprecht Euch nicht in Euern eigenen Schaden hinein; alle, die Ihr da nennt, sind mächtig, und könnten Euch, wenn sie es vernehmen sollten, verletzen.[201]
Nein, werther Freund, antwortete Catharina, statt des Malers; unser guter Fürst ist zu milde, um Tadel, auch wenn er ernst gemeint ist, so zu ahnden, wie wir es nur in Geschichten älterer Zeiten von Tyrannen lesen; um so weniger zürnt er, der selber gerne scherzt, über Scherz, und seine Günstlinge, und selbst sein Sohn, dürften es nicht wagen, über dergleichen zu klagen, oder es mit Strafen verfolgen zu wollen. Das sind die freundlichen, ruhigen Tage, die wir dem Frieden und der hohen Gesinnung des Fürsten zu danken haben. Ist es nicht ebenso mit der Geistlichkeit und ihren frühern Anmaßungen? Sie sind beschränkt, und selbst die Inquisition, die über die Gewissen und die Ketzerei wachen soll, ist kaum zu spüren, und darf nur die gröbsten Vergehen, Abfall von der Kirche, Gottesleugnung und dergleichen vor ihren Gerichtshof ziehen.
Der alte Beaufort warf der Redenden einen ernsten Blick zu, er schwieg eine Weile nachdenkend und sagte dann: Ihr mögt Recht haben, im Wesentlichen, und wir sollen unser Glück mit Dank erkennen. Doch ist mir eigentlich nur wohl, wenn ich mich aller dieser Gedanken entschlage. Vieles vergessen, noch mehr nicht sehen, über das, was man sieht, nicht zu viel denken, unterkriechen, wenn Sturm und Platzregen kommen, lieber kleines Unrecht dulden, als sich im Bewußtsein der gerechten Sache zu männlich widersetzen – das ist, was ich immer befolgt, und wobei ich und mir ähnliche Männer uns wohl befunden haben. Sprechen wir lieber noch von jenem Mondstein.
Recht! sagte Labitte; die Politik und das Räsonniren über Staat und Fürst ist immer verdrüßlich; wir wollen philosophiren. – Und so denke ich denn von jenem Stein eigentlich ganz anders als der gelehrte Küster. Nicht wahr, Ihr alle kennt das Sprichwort, womit alle Menschen so oft[202] die zu weit getriebene Aengstlichkeit abweisen: wenn der Himmel einfällt! – Mancher sagt: dann werden die Lerchen wohlfeil; andre: dann brauchen wir keine Schlafmützen mehr – und dergleichen unnütze Redensarten: – diese Begebenheit zeigt uns aber, daß wohl einmal unter gewissen Umständen der Himmel einfallen könne, und dieser große, ungerathene und unbrauchbare Stein ist eben ein Stück aus dem Himmel und ein scharfes Auge würde droben auch wohl das Loch entdecken können, wo er eigentlich hingehört.
Nun, das wäre mehr als ein Wunder! rief Friedrich.
Junger Mensch, sagte der blasse Alte, der Ihr Euch gar zu gern verwundert, – es giebt gar kein Wunder; alles, was geschieht, geschieht ganz natürlich, einfach, wenn auch nicht alltäglich, nach notwendigen Gesetzen, wenn auch unsern dummen oder verwöhnten Sinnen nicht immer begreiflich. Sollte die Luft nicht das älteste Element seyn? In der Schrift scheint es wenigstens vor dem Licht das Majorat zu haben. Die Erde war im Anbeginn bloß hart, wüst, unbrauchbar, vielleicht wie jener Mondstein, nur im Großen; Licht war nicht, die Luft, die zarte, bewegliche, sich dehnende, ziehende, belebende und tiefathmende, hatte wohl auch damals, vor dem Anfange der Zeiten, den starren Klumpen, im Schreck über die werdende Schöpfung ausgestoßen. Die Wasser bewegten sich, die immer eins und dasselbe Gemüth mit der Luft sind, nur im andern Kleide. Mit dem neuen Spielgenossen, Licht, fing nun erst recht das sonderbare Handthieren an. Da wurde dem starren Erdklumpen so zugeredet, geliebkost, er ward gedrückt, gewiegt, geschüttelt, verkehrt und bekehrt, daß er sich denn gefallen ließ, aus seinem starren Wesen nachgiebig und durch all das wunderliche Wesen gerührt, die Gartenerde in sich zu zerbröckeln, und so den Bäumen, Gräsern, Halmen und Blumen den mütterlichen[203] Boden anzuweisen. Aber die alten Träume und Tücken kamen wieder; aus den Launen brachen von unten aus der Tiefe die Gebirge hervor, und strebten und wuchsen hinauf, um Wald und Wiese zu beschämen und zu verhöhnen; aber die Liebe kletterte nach, und hing ihre grünen Kränze fast bis in die gerunzelte, weiße, verdrüßliche Stirn der Alpen hinein; zurückgeschreckt blieb das Grün in scheuer Entfernung, aber die heitere Luft gab den ernsten, blendenden Schnee, und die muntern, kindischen Quellen, die beredsamen Bäche, die muthigen Ströme tanzten doch oben um den Alten her, der keinen Spaß verstehen und von keiner Liebe was hören wollte. Wer steht uns denn dafür, daß nicht damals auch die Luft, in welcher sich alles gebärt, auch Steine, Berge, Gebirge niedergeworfen hat, um jenen harten Launen und scharfen Einfällen der Erde entgegen zu kommen? Die Luft zieht das Wasser, das als Regen niederfällt; alles Wasser kann Dunst, Wolke, Luft werden; alle Nebel, Wolkenmassen, und auch die klarste, blaueste Luft, kann, angesteckt, angerührt, durch die Umstände persuadirt, zu Wasser werden. Warum denn nicht zu Stein? Nun, hinauf muß es rieseln, herunter muß es grieseln; fügen muß sich's, und dann ist es wenigstens ebenso natürlich und begreiflich, als daß die Pflanze in der Erde aus dem verfaulten Keime wächst. Ja, es kann geschehen, wenn sich der Himmel so verhärtet, daß einmal eine thurmhohe Kruste herunterfällt, und Städte, Wälder, ja ganze Länder zudeckt. Weil die uralten Ungezogenheiten und groben Späße der Elemente und ihrer Geister aufgehört haben, weil das Volk wohlerzogen scheint, muß es darum immer so bleiben? Vielleicht schlummern sie, vielleicht sind sie bei der Mama in der Putzstube in feiner, artiger Gesellschaft, und schneuzen höchstens einmal mit einem kleinen Trompetenton die Nase. Aber sie können wohl wieder einmal[204] ins Bengelhafte gerathen, und nicht darauf achten, ob sie die neuen Manschetten und Halskrausen zerreißen. Die uralten Geister, die auf Pension sitzen, fabeln gewiß, unsre sanfte, geregelte Welt sei der Untergang der Welt, und die Erde nichts besseres als ein Käse, den Millionen Würmer und Maden durchfressen und zermürbt haben. Geht für uns die Welt unter, so munkeln sie wohl, nun finge die wahre Schöpfung erst wieder an, und die alte Ordnung würde wiederhergestellt. Essen wir, trinken wir, solange etwas da ist und wir noch Zähne haben, von denen mir die meisten fehlen; respektiren wir die Luft, wie ich gesagt habe, und bedenken, daß, wenn es nach meinem Glauben Luftgebirge giebt, die Menschen nicht völlig zu verachten sind, die auf Luftschlösser rechnen und sie zu bauen suchen. – Alles jedoch sei mit Vergunst meines großen Meisters gesagt und seiner höhern Einsicht unterworfen. –
Friedrich lachte laut; doch dessen Vater blieb ernsthaft und sagte dann: Meister Labitte, alles, was man von Euch erzählt, so wie das, was ich jetzt von Euch gehört habe, ist höchst sonderbar. Es scheint, daß Ihr das Meiste in der Welt aus einem andern Gesichtspunkt betrachtet, als die übrigen Menschen.
Geehrter Herr, erwiederte Labitte, indem sich sein bleiches Antlitz zu einem übertriebenen Lächeln verzog, das ist meine Art so; wie ich mich etwas krumm halten muß, vor Alter und Schwäche, wie ich übertrieben mager bin, wie mein Bart nur dünn und mein weniges Haupthaar fast ganz ausgefallen ist, wie ich eine beinahe zu lange Nase habe, und meine Lippen beim Sprechen und Schweigen in ihrer Blässe immerdar zittern, so ist es auch mit meinem Geist, meiner Sprache und meiner Art mich auszudrücken, beschaffen.[205] Glaubt mir nur, die menschlichen Gedanken sind wie das Wetter. Oft ist es recht blau und hell in mir, aber wenn ich eben an etwas anderes als an die Gedanken denke, so weiß ich es selber nicht, daß ich nachdenkliche Sachen und weise Sentenzen von mir gebe; erzählen mir nach einigen Tagen meine jungen Freunde davon, so erbaue ich mich selbst an meinen Aussprüchen und lerne viel aus ihnen. Dann kommen dichte Wolken und Hagelschauer und verfinstern meine Seele. Drinnen kochen und gähren dann wieder zukünftige Gedanken, und wenn ich gerade bei Laune bin, sehe ich selber diesem tollen Wesen zu. Ach! Sonnenschein! Freunde! das ist etwas Großes! Wer hat ihn immer? Und könnte ihn immer brauchen, wenn es uns auch vergönnt wäre? –
Ja, dann, in diesen herrlichen Momenten, bin ich wirklich sehr gescheidt, und nicht nur klüger wie die andern Menschen, sondern ich übertreffe mich sogar selbst. Ich habe es oft gesagt, ich hätte es zu etwas Außerordentlichem gebracht, auch in meiner Kunst, wenn es nicht Ein Ding mir unmöglich gemacht hätte, und zwar etwas recht Erbärmliches, was die Menschen eine Kleinigkeit nennen, und die es doch wahrlich nicht ist. Aber blind und verworren bleiben sie freilich immer in ihren Bestrebungen.
Und das ist? fragte lächelnd Catharina. Schade ist es doch immer, daß Ihr nicht so vortrefflich geworden seid, wie es Euch, Euern Aussagen gemäß, so nahe lag.
Spottet nur! rief der Alte, Ihr bleibt doch mein Liebchen, und die holdseligste Creatur, die ich jemals gekannt habe. Um Euch aber die Sache deutlich zu machen, muß ich Euch erzählen, daß ich, wenn mich die Thoren auch oft ketzerisch nennen, eine viel zu große Ehrfurcht vor dem Schöpfer,[206] und eine so innige, liebevolle Anbetung seiner Herrlichkeit habe, daß ich dem Gesellen, der ihm gegenüber arbeitet, nicht die Macht und ungeheure Wirkung und Furchtbarkeit zutrauen kann, die ihm die unwissende Menge, aus abergläubischer Angst vor ihrer eigenen Thorheit, zuschreiben will. Durch kleine Erbärmlichkeiten macht sich dieser Geist Luft, und hindert freilich auch durch diese das Große und Edle. Wenn ich so recht mit meinem Geiste einverstanden bin und ihm zuhöre, in der Sabbathstille meines ausgeklärten Gemüthes immer schönere und feinere Gedanken und Bilder aufsteigen, wenn ich dann mein Sein und Fühlen ausstrecke, weiter, immer weiter, und ich schaue und weiß, jetzt ist das Rechte und Beste unterwegs, und wird gleich in die aufgeräumte Putzstube meiner Seele anlangen – brtsch! ist alles weg, denn ich muß niesen; wenigstens einmal, oft auch in drei Repetitionen. Der Moment nimmt mir das Bewußtsein, ich bin auf einen Augen blick nicht mehr als ein Pfahl oder Stock, – und, wie nüchtern, arm, düster, jammervoll ist es nachher in meinem Innern; alles, was glänzte, liegt wie altes, widerwärtiges Getrödel in einer Polterkammer durcheinander, mit Staub und Spinneweben überzogen, so daß ich keinen der Fetzen, die eben noch Gedanken und Entzückungen waren, aus dem Gerumpel hervorlangen mag, um mir nicht die Hände meines kümmerlichen Bewußtseins zu beschmutzen. Denn meine Dummheit ist wenigstens noch besser als das Denken und Anschauen, was ich jetzt treiben könnte. So ist es mir auch immer beim Malen ergangen. Ich habe mir mehr wie einmal eingebildet, wenn ich vor meiner Tafel saß, ich könnte die Werke meines Freundes Johann, des van Eyck, erreichen; ich war selig in der Arbeit, die Farben wurden immer glänzender, die Mienen immer heller und menschlicher, – nun kommt mit eins[207] jenes verdammte Niesen, aus ist alles, todt; wenn ich die Augen wieder brauchen kann, stehn Fratzen und schmierige Oelflecke auf dem Holze, und alle Anmuth ist in dieses hineingeschlagen; ich sehe im Pinsel, den ich noch eben in Freude fliegen ließ, nur einen Theil des unsaubern Schweines, von dem er genommen ist. Das hat immerdar mein Leben verkümmert. So weiß ich nun schon, streckt einmal der Geist sich in mir so aus, daß ich nahe daran bin, die Bande zu zerreißen, so werde ich augenblicklich niesen, – und oft, wenn ich zerstreut bin und an gar nichts denke, so weiß ich am Niesen, wenn es mich befällt, daß soeben in meinem Innern der Festkuchen gebacken wurde, um dem verlornen Sohn in Procession entgegen zu gehen. Nun fällt Kuchen und Kalb, Sohn und Vater, Sünder und Gerechter zugleich in den Brunnen. Man kann wohl auch fragen, ob es nicht selbst so feine, geistige Wahrnehmungen giebt, die ohne weiteres, wie ein zu scharfes Licht, auf die Nase wirken, und sie zum innerlichen Krämpfe zwingen. Es kommt aber auf dasselbe hinaus, ob ich es physisch, ob geistig betrachte. Diese Gedanken sind mir einmal nicht gegönnt; statt im Gehirne eine höhere Stelle zu suchen, rennen sie abwärts und erlöschen in jenem Kitzel, der in einem Ton ausbricht, welcher aller Musik sich durchaus feindlich entgegengestellt. – Daß der Fliegengott, Beelzebub, dem Denker und Andächtigen oft eine Fliege sendet, um ihn zu stören und zu empören, das haben selbst fromme Theologen eingesehen und ausgesagt.
Guter, lieber Schwätzer, sagte der alte Ritter, indem er ihm die Hand gab, gehe es Euch recht wohl in den letzten Jahren Eures Lebens, und möge diese krause Laune Euch nie verlassen. Was Eure Zunge bei diesen Erzählungen[208] allein verschuldet, wieviel aus Eurem Herzen kommt, das möchte schwer zu unterscheiden seyn.
Er beurlaubte sich von der Wirthin und der übrigen Gesellschaft. Er versteht Dich nicht, sagte Friedrich, der gute Vater. Er meint, alles Denken müsse immer geradeaus gehen. Er ist auch kein Freund der Dichtkunst. Deine Gedichte kennt er gar nicht.
Ja, ja, sagte der Maler, die Menschen sind seltsam. Immer nur geradeaus denken! Nicht singen mögen! Meine Gedichte nicht kennen! Wir haben Schlund, Hals, Gaumen, Lippen, Zähne. Es zeigt sich deutlich der Gebrauch von allem, ob der Erste, Nothwendigste der Beste, wer kann es sagen? Wir sollen schlingen, kauen, essen, und außerdem vernünftig mit allem diesem Handwerkzeuge sprechen. Gut, wir thun es auch alle. Aber, wenn nun Gaum und Zunge den liebevoll geistigen Wein auf die feine wundersüchtige Probierwage legt? Und züngelt, schleckert, lippelt, und der Schlund auch zur Zunge wird? Wenn das schon mit bei der Schöpfung ausbedungen ist, wie ich doch glaube, warum soll Kauen des Brotes und Schlucken des Wassers oder Bieres rechtgläubiger seyn? Die Lippen schon prüfen den Wein, die Nase riecht seine Geister ahndend, und Gefühl, stummes, ist mehr als Auge und Ohr. Statt zu sprechen, singt nun gar das Maul. Es soll nichts Vernünftiges, Nutzbares oder Erbauliches, sondern eben nur Gesang werden, der eben so hoch über das nüchterne Reden steht, wie der heitere Rausch über die Sättigung des Durstes. Und wer unter den Sterblichen hat denn den unnützen, widersinnigen, ganz vernunftwidrigen Kuß erfunden? Da treten die Lippen nun vollends aus Reih und Glied, und das Auge glänzt vor Freude, daß ein Druck mehr ist als Vernunft, Licht, Gesang, Poesie und Philosophie; daß nur durch das Maul das Maulen auf[209] die süßeste Art in sprachlose Freude übergehen kann. Ja, Menschenkinder, es ist Euch viel gegönnt, daß das Lippenwesen so fein über den Zähnen aufgeliebelt ist. Und dann noch das Lächeln als Zugabe. – Seht! seht nur Frau Catharinen an, und die jungen Mädchenkinder dort! Möchte man nicht die ganze Seele zwischen die Mündchen und die Lippenröthe legen, daß sie dort in Liebe gewiegt würde, und als der holdseligste Gedanke aufblühen könnte?
Er stand auf und küßte nach der Reihe Catharinen, die Mädchen und die alten Frauen. Friedrich sah seinem Beginnen so eifrig zu, als wenn er den Wunsch und die Absicht habe, seine Freiheit nachzuahmen; doch ein strenger Blick Catharinens nahm ihm den Muth.
Die Gesellschaft wendete sich wieder zum Gesange und zur Musik. – Nicht wahr, sagte Labitte nach einiger Zeit: Ihr seht doch auch alle die kleinen Geister von allen Farben, roth, weiß, gelb, blau und scheckig, die in der Luft auf den Tönen, wie auf ausgespannten Seilen, tanzen und springen? Und da oben sitzen andre mit ehrbaren Gesichtern und in weiten Gewändern, und nicken gar ernsthaft und schlagen den Takt, um das tolle Unwesen in Ordnung zu halten. So ist es immer. Der Unsinn hat nichts zu bedeuten, und ist weder toll noch erfreulich, wenn nicht Sinn und Vernunft die Aufsicht über ihn führen, und seine Rasereien bedeutsam machen. So herrscht auch in diesem Wirrwarr der Takt, die Töne schwingen in Melodie um: und kein Schmidt, kein Schiffbaumeister kann seine Arbeit fördern, wenn nicht ebenso Takt und Puls das Werk bewachen. Nur der sogenannte Teufel kennt weder Maß, Takt, noch Melodie; er hat das Maul bloß zum Sprechen, darum ist er so unglücklich, und kann, wie er sich auch anstellt, so wenig ausrichten.[210]
Ihr sprecht so vertraut von ihm, sagte Friedrich, als wenn Ihr ihn persönlich kenntet.
Kenne ich den miserablen Knirps denn nicht etwa persönlich? rief der Alte im halben Rausche; so viel, wie man ein solches klägliches Unwesen, das keine Person hat, kann persönlich kennen lernen? Da draußen im Walde hält der Armselige manchmal seinen Sabbath, und da bin ich neulich hinausgelaufen, um ihm meine Aufwartung zu machen und ihm meine ganze Verachtung und Geringschätzung zu zeigen. Er saß auf drei uralten Kröten, das sollte seinen Thron vorstellen, auf dem Kopf hockte als Krone eine Fledermaus, sein Mantel bestand aus Spinnenweben, und eine Scheere eines großen Hummers sollte das Scepter bedeuten. Blähte sich das dumme Vieh nicht, als wenn er Monarch des Erdbodens wäre! Frösche, Unken, Molche, Spinnen, manches Geziefer kniete und kroch vor seinem Throne. Auf Besenstielen, in Backtrögen ritten und fuhren ein Dutzend alte, runzlichte Weiber, um ihn zu verehren, herbei, die Luft verfinsterte sich, indem sie kamen. Die Abgeschmackten konnten die Herrlichkeit der Natur und Schöpfung nicht mehr sehen und fühlen; sie hatten die heilige Anbetung, das süße Grauen vor dem Vater und Schöpfer der Welt auf immer verloren, sie empfanden nichts beim Kirchengesang, beim Ton der Nachtigall, bei Gedicht und Musik, und waren nur für das Abgeschmackte, Aberwitzige begeistert, weil der Mensch irgend etwas verehren muß; ihre Tollheit trug sie durch die Lüfte, um hier anzubeten, und dem Kläglichen ein Harem durch ihre Buhlschaft zu bilden. Der Kerl wurde dann auf seinen Kröten auch immer aufgeblasener, und lächelte die Unholdinnen, in seiner Manier, recht freundlich an. Kleine bucklichte Pygmäen von bösen Geistern schwirrten und tanzten in der Luft, ein Igel spielte auf der Trommel, eine Heuschrecke[211] auf dem Hackebrett, aber alles ohne Takt. Der Mond sah kläglich und mit schiefem, verhöhnendem Gesicht auf das Gesindel, und ich stand in der Ferne unter einem Baum, um die ganze Hofhaltung aufzuzeichnen.
Ganz recht, sagte Friedrich, das ist das berüchtigte Gemälde, welches Ihr schon vor Jahren zu Stande gebracht habt, und das Euch von manchem Kunstfreunde viel bittern Tadel zuzog. Man meinte, der Gegenstand sei häßlich und aberwitzig zugleich, und man begriff nicht, wie derselbe Mann, der die Mutter des Herrn, die gebenedeite Jungfrau, in einem Liede so schön besungen hat, diese Widerwärtigkeit mit so vielem Fleiße und dem Aufwand so vieler Zeit hatte ausführen können.
Der Alte lachte selbstgefällig und sagte: Macht man einmal etwas zu seiner eignen Freude, so will es den Leuten, für die man sich oft geplagt hat, in der Regel nicht gefallen. Ich wollte dem dummen Teufel, oder dem Teufel der Dummheit, der mich oft stört, auch einmal eins versetzen.
Ihr wißt aber, fuhr Friedrich fort, daß der herrliche Maler, Johannes, selbst Euer Bild sehr scharf damals getadelt hat, und gesagt, so etwas dürfe gar nicht dargestellt werden.
Ich weiß es! rief Labitte aus; ist denn das nun etwas andres, als das ganz einfache Nein? Wahrlich, ich sage Euch, es werden nicht viele Tage ins Land gehen, so werden wir einen Ueberfluß von diesen Bildern, von Hexen, Teufeln, Beschwörung und dergleichen haben, und meine Sache ist nur anstößig gewesen, weil sie die erste in dieser Art war. – Jeder Erfinder ist der Märtyrer seiner Originalität. Viel schlechtere Sachen werden nach meinem Tode Aufsehen und Bewunderung erregen, und wenn es geschieht,[212] so wird kein Mensch dann mehr von dem armen Peter Labitte nur reden.
Es war spät geworden, und die Gesellschaft erhob sich. Ist es Euch nicht bange gewesen, sagte die kleine Sophie, als Ihr, mein teurer Herr Labitte, mit dem Satan so ganz allein im Walde waret?
Nein, sagte der Maler, denn ich muß Euch sagen, wen man recht von Herzen verachtet, den fürchtet man nicht. Und doch thut man vielleicht nicht wohl, denn oft, sehr oft ist das, was uns verächtlich scheint, nur eine Maske des Fürchterlichen.
Alle begaben sich zur nahen Stadt, und nur Friedrich blieb zurück, obgleich es den Scheidenden auffiel, um mit der Dame Catharina ein sonderbares Gespräch zu führen. Sie sah es ungern, daß der Jüngling verweilte; indessen meinte sie, da er sich nicht rathen ließ, ihm jetzt im Vertrauen alles sagen zu können, was sie für nöthig hielt.
Wie also Friedrich vom Gartenthore wieder umkehrte, war sie fast erzürnt, denn sie sah, daß die Uebrigen dieses Betragen des Jünglings auffallend fanden. Indessen, da es nicht zu ändern war, nahm sie sich vor, ganz aufrichtig mit ihm zu sprechen, denn sie kannte seinen Sinn und auch den Gegenstand des Gespräches, zu welchem er sich wieder wenden würde.
Sie setzten sich im Gartensaal, indem sich der Himmel schon röthete. Alles verkündet die Nähe des Abends, sagte Catharina, und Ihr wollt nicht zu Eurem Vater kehren, der Euch sehnlich erwartet, und der auf mich zürnen wird, weil er meint, ich halte Euch zurück.
O nein! rief Friedrich aus, durch meine Klagen, durch meinen Verdruß ist er genug davon unterrichtet, wie Ihr es nicht seid, die mich aufmuntert, länger zu verweilen.[213]
Aber, mein lieber junger Freund, sagte die verständige Frau mit heiterer schmeichelnder Rede, warum strebt Ihr denn nun schon seit Monaten, diese Eure Freundschaft, die ich so hoch achte, die zu meinem Lebensglück gehört, mir zu entreißen? Warum wollt Ihr mich überreden, es könne ein anderes Verhältniß zwischen uns stattfinden, welches Ihr ein innigeres nennt?
Ja, rief Friedrich, ich muß noch einmal Euer Ohr mit allen jenen Wünschen, Forderungen und Fragen bestürmen, die Ihr so weit von Euch werft! Jetzt ist es ein Jahr, schöne Frau, daß ich Euch kenne. Ohne Vorurtheil, ohne Leichtsinn bin ich in Euer Haus getreten; ich hörte nicht auf so manches Geschwätz, was der und jener, armselige Menschen, mir hatten mittheilen wollen. Ihr wißt, mein Sinn ist ernst, so thöricht ich wohl manchmal im Haufen meiner Jugendgefährten erscheinen mag; meine Wünsche sind lauter, mein Leben war einfach und rein, so vielfach Basen und Splitterrichter meine jugendliche Heiterkeit und den erlaubten Leichtsinn haben verlästern wollen. So erwachte mein Herz in Eurer Nähe zum erstenmal, und was ich mir sagte, wie ich gegen dieses Gefühl kämpfte, das zur brennenden Leidenschaft wurde, so war alles vergeblich; ja, jeder Einwurf, jedes Hindernis entzündete und verstrickte mich nur mehr. Es ist keine Täuschung, keine Aufwallung unreifer Jugend, nein, feste Ueberzeugung, daß Ihr, nur Ihr das Glück meines Lebens machen könnt. Wenn Ihr, Geliebte, nicht alle Liebe leugnet, so müssen Euch meine Worte, meine Bitten endlich gewinnen.
Catharine betrachtete ihn lange mit den großen, braunen Augen, und sagte dann mit dem Ausdruck des Schmerzes: mein geliebter Freund, es thut mir weh, daß Ihr noch immer beharrt. Glaubt mir, ich kenne Euch besser, als Ihr[214] Euch selbst; die Welt, wie das Leben, sind mir vertrauter, da Ihr noch eben im Frühlinge des Jahres steht, und ich mich dem Herbst und Winter schon nähere. Ihr wißt es ja, mein Freund, daß ich mehr als zehen Jahre Euch voraus bin, Ihr seid kaum fünf und zwanzig und ich bin sechs und dreißig. Schon seit zwölf Jahren bin ich Wittwe, nachdem ich in einem bittern Ehestande die schrecklichsten Erfahrungen und Schmerzen gewonnen habe. Jetzt, das weiß ich, dünkt es Euch, als wenn in meinem Besitz Euer Leben erst anheben würde. Diese Täuschung des Gefühls und der Phantasie ist in der Natur so fest begründet, daß Euch jeder als ein Lästerer erscheint, der Euch das Gegentheil darthun will. Aber mir werdet Ihr das Wort vergönnen, das ich in Eurer und meiner eignen Sache sprechen darf. Durch den Besitz, durch einen kurzen Rausch des Genusses würde Eure Sehnsucht befriedigt, das Unbedingte und Unbeschränkte Eurer Leidenschaft gemäßigt und beschlossen, und das verirrte Gefühl aus der poetischen Täuschung zur Wahrheit und Natur zurückkehren. Nicht daß Eure Neigung erlösche, daß Ihr Euren Entschluß bereuetet, daß Eure Liebe sich in Haß und Widerwillen verkehren könnte! Ihr seid zu edel, Ihr würdet mir Euer Unglück, Eure Enttäuschung verschweigen, durch Zärtlichkeit, Aufopferung und Wohlwollen mich und Euch hintergehen wollen. Aber unglücklich würdet Ihr seyn, und fühlen und sehen, wie Ihr Eure Jugend an eine Einbildung, einen leidenschaftlichen Eigensinn verloren hättet. Die Natur verlangt es, daß in der innigsten Verbindung, auch wenn beide Liebende im Jugendrausche träumen, jene quälende und beseligende Unruhe und Sehnsucht erlischt. Ich aber würde Eurer erwachten Phantasie sehr bald als eine ältere Schwester, vielleicht nach einem Jahre als eine mütterliche Freundin gegenüberstehen. Die Reize, die ich noch etwa[215] aus meinem Schicksale und meiner längst entwichenen Jugend davongetragen habe, müssen binnen Kurzem schwinden: soll ich erwarten, daß Euch mein Alter reize, Schwächen, Blässe, Runzeln? Eine Krankheit kann in wenigen Wochen diesen Nachsommer der Wangen und Augen zerstören, – und für diesen kurzen Besitz einer Schönheit, die in Eurer Umarmung in Asche und Staub zerfällt, wollt Ihr den Hohn Eurer Landsleute, den Zorn Eures Vaters, die Verachtung der Jungfrauen auf Euch laden? Wie manches schöne Auge zielt nach Euch, wie manches junge Herz wünscht im Stillen, Euch zu gewinnen. Ernüchtert wäret Ihr nun an mich, vielleicht auf lange, gekettet. Nicht lösen läßt sich das Band, wie es leicht sich anlegen läßt. Nun hätte ich erst das höchste Elend meines kummervollen Lebens gewonnen. Ich müßte Euch im stillen Gram, in Reue schwinden sehen; ich müßte mir den bittern Vorwurf machen, daß ich Euch nicht rein, nicht wahrhaft genug geliebt habe, indem ich so schwach habe seyn können, Eurem Ungestüm nachzugeben. Und wenn ich es nun erlebte, wie es doch ohne Zweifel geschähe, daß Euer Sinn sich einer edlen Jungfrau näherte, die Euer Gemüth zu würdigen wüßte, so stände ich als die Furie, als ein Gespenst zwischen Eurem Glück, und ich müßte mich verachten und meinen Tod so sehnlich herbeiwünschen, daß Nadel, Messer und Scheere in meinen Händen zu Strafe und Rache gegen mich werden könnten.
Friedrich stand auf und schritt durch den Saal. Sie sah es wohl, wie er ihr die Thränen verbergen wollte, die sich aus seinen heißen Augen drängten. Endlich, nachdem er lange, um sich zu kühlen, in den Garten geblickt hatte, kam er zurück und sagte: Mögt Ihr Recht haben, mag die Vernunft so sprechen: aber ist es gut, ist es, möchte ich sagen, fromm, so verständig zu wägen, und Herz und Leben[216] so in die Dienstbarkeit der anscheinenden Nothwendigkeit herabzuzwingen? Nicht alles, was unvermeidlich ist, kann und soll darum vermieden werden. Das ist kein Schicksal, daß wir uns der Natur und ihren Gesetzen fügen; sondern daß wir, unsrer Kraft vertrauend, auch in den Kampf gehn, um stärker als diese Gesetze zu seyn, uns höher zu stellen, als diese Natur: nun beginnt das wahre Schicksal im Ringen, und wie wir Stand halten oder erliegen, kann erst der Inhalt und die Aufgabe unsers Lebens werden. Und was weiß denn die Liebe von Zeit, Tagen und Jahren? Der Held stürzt in den Feind, und der Augenblick des Sieges, indem der Feind mit allen Panieren flieht, genügt ihm übervoll, und er sieht lächelnd das Blut aus seinen Todeswunden strömen. In wie manchem Gedicht bewundern und beneiden wir den Liebenden, der endlich den Lohn seiner Schmerzen erhält, und beseligt in der Geliebten Armen ruht; dieser Moment ist sein Leben, seine Vergangenheit und Zukunft, wir preisen ihn, wenn der Tod auch schon hinter dem Lager lauert, und beweinen in unsern Thränen nicht ihn, sondern das Räthsel des Daseins selbst, daß eben das Höchste, das Einzige, Innigste, Göttlichste und Edelste, das unnennbare Glück, die Liebe freilich nur in unsrer Einbildung ruht, daß alles dies kein Unterpfand in der Wirklichkeit aufzeigen kann, und daß das Unsterbliche nur am Staube gebunden erscheinen kann. Damit, wenn Ihr diesen Glauben nicht verleugnen könnt, sind auch alle Eure Zweifel und Einwendungen abgewiesen.
Für Euch wohl, erwiederte sie schmerzlich lächelnd, aber nicht für mich; immer bleibt die Frage übrig, da sich einer von uns aufopfern soll, welcher es von beiden sei; Ihr leugnet, daß Ihr es seid, so muß ich also die Geopferte seyn, und wie das Eure Liebe verlangen kann, begreife ich nicht.[217]
Nein, rief Friedrich aus, Ihr sollt ebenso glücklich seyn, als ich mich fühlen werde! Das könnt Ihr, wie ich aus diesen Reden schließen muß, auf keine Weise, und ich bin also elend.
Ich bin unglücklich, erwiederte sie, wenn ich Eure Freundschaft verliere.
O Catharina, rief Friedrich jetzt in der höchsten Leidenschaft: Freundschaft! Was ist sie, was soll dies unverstandne Wort? Wissen die Menschen schon nicht, was sie mit dem Ausdruck »Liebe« meinen, so denken sie bei dem Laute »Freundschaft« noch weniger. So tief kann ich mein Gefühl für Euch nicht hinunterstimmen, so kalt, gewogen, gleichgültig kann ich in Eurer Nähe nicht seyn; ich bin es nicht, wenn ich nur an Euch denke, wenn Euer Bild in mir aufsteigt. Ist das Leben denn einmal wahnsinnig, warum wollen wir uns dem Taumel nicht hingeben? Ist es der Tod, der in allen Leben wirkt, ist es die Verzweiflung, die schon in der Freude schlummert, – fügen wir uns denn und seyn wie Sterbliche, da uns das Ewige, Bleibende nicht gegönnt ist. Im Moment, im Rausch, im Wollen erhaschen wir es, und können dem Vergangenen doch nachrufen: du warst es! du sollst es gewesen seyn!
Laßt uns abbrechen, sagte Catharina, wohl giebt es Freundschaft, die auch glücklich macht. Indem ich Euren Geist und Werth begreife und Ihr meinen Charakter versteht, uns Lieder und Gesänge näher treten, die Behaglichkeit des Daseins, die edle Rührung, und wir uns einer am andern erfreuen, und so alle Güter durch unser Verständniß heller glänzen. Versucht es so mit mir und Ihr sollt zufrieden seyn.
Das ist es ja, rief der Jüngling, was ich nur halb an Euch verstehe und die Welt ganz mißdeutet. Ich muß es Euch sagen, und Ihr wißt es ja wohl zum Theil, wie viel[218] unwürdige Verleumdung man an Euren Namen knüpft, wie man Euch mißversteht, wie man das Beste Euch zum Schlimmen ausdeutet, Eure Liebe zur Kunst Euch zum Verbrechen macht, und selbst Eure Wohlthätigkeit verunglimpft, weil Ihr immer heiter scheint, und jeden Prunk der Religiosität, jedes Prahlen mit Frömmigkeit, alles, wodurch sich die meisten Menschen Ehrfurcht verschaffen, geflissentlich vermeidet.
Was soll ich thun? rief Catharina, nicht ohne einigen Unwillen, aus; mich in ein Kloster sperren? Nur die Gesellschaft langweiliger alter Weiber und mürrischer Priester aufsuchen? Oder mein Leben in Bußübungen, sogenannten guten Werken, als Mitglied einer frommen Schwesterschaft zermartern? Der Musik, der Heiterkeit, dem Lachen und Scherz scheu aus dem Wege treten, als wenn alles nur Bosheit, Laster und Erzeugnis der Hölle sei? Ich kann es nicht, und will es nicht, um das zu werden, was die Knechte tugendhaft nennen. Meine Ehe war Schmerz, das Schicksal erlöste mich von meinem Tyrannen; ich habe alle Hoffnungen meiner Jugend, alle jene goldenen Träume, die den Busen der Jungfrau umgaukelten, mit eignen Händen längst begraben, aber ich habe auch Trauer und Wehmuth überstanden, Schmerz ist mein Leben, hoffnungslos meine Zukunft, und darum kann ich mit der Gegenwart scherzen, darum bin ich froh, weil ich mich selbst nicht mehr verlieren kann, darum sind mir Gedicht und Gesang so lieb und befreundet, Gespräch und Gedanke, edle Menschen, wie Ihr, und Bücher, weil ich kein Irdisches, kein Bedürfniß an sie knüpfe, keine Erwartung einer andern Erfüllung, die noch außerhalb dieser zarten Freude liegt.
Gut also, sagte Friedrich; ist es nun nicht besser, klüger, edler, durch eine neue, glücklichere Ehe jenen Schwätzern unmittelbar die Zunge zu lähmen, um so, auch ohne den[219] mindesten Vorwurf, ohne den kleinsten Verdacht sich diese Güter alle anzueignen? Und glaubt Ihr wirklich, daß nicht Zeiten kommen dürften, wo ein Beschützer, ein Ehemann Euch unentbehrlich wäre? Wo es Euch späterhin gereuen möchte, daß Ihr nicht irgendeinen Gemahl, schon Eurer äußern Lage wegen, gewählt hättet? Beglückt Ihr mich durch Eure Hand, so ist auch dies gewonnen, und mein höchstes Glück zugleich mir obenein in den Kauf gegeben.
Ich verstehe Euch nicht, sagte Catharina; wir genießen eines glücklichen Friedens, unser Fürst beschützt uns, wir alle erfreuen uns seiner; woher soll Hader, Zwietracht oder Krieg uns kommen? Und selbst, wenn auch –
Ihr habt wirklich nicht bemerkt, fuhr Friedrich eifernd fort, daß der Dechant, dieser ehrgeizige, heftige Mann, mehr als Freundschaft und Wohlwollen für Euch empfindet? Seid Ihr wirklich so arglos, und wohnt Euch nicht die Frauenfeinheit bei, dergleichen zu erspähen und zu verstehen? So ist die Liebe, die Eifersucht denn scharfsichtiger. Dieser Dechant bewacht Eure Blicke, er erröthet, wenn Ihr ihm naht, er erblaßt, wenn Ihr vertraulich Eure Hand in die meinige legt. Ist er zugegen, so könnt Ihr kein Wort sprechen, keinen Schritt thun, keine Meinung äußern, keine Höflichkeit einem Gaste erzeigen, die er nicht beobachtet, prüft, und Euch in seiner Seele grollt und hadert. Seine scharfen Blicke geizen, um die Eurigen aufzufangen; mit jedem Jüngling, der Eure Zimmer verläßt, wird sein Busen erleichtert; er seufzt, ohne es zu wissen, wenn ein Fremder eintritt, der jung und schön erscheint. Wie wollt Ihr dieser Leidenschaft ausweichen? Wieviel Unheil kann sie Euch bringen! – Liebt Ihr mich auch nicht, so wie ich Euch, wollt nicht, könnt es vielleicht nicht, o Teuerste meiner Seele, so nehmt mich doch als Wächter, Schutz; kümmert Euch nicht, wie glücklich[220] ich bin, denn ich bin es gewiß, und kann dann auch die Gefahren abkämpfen, die Euch bedrohen.
Catharina lächelte und sagte dann: O, Ihr wollt mich durch Schlauheit und Furcht in Euer Netz ziehen, Ihr Arglistiger! Woher Gefahr? Die Zeit ist so herangewachsen, daß die Geistlichkeit, und selbst Petri Stuhl, nur noch diejenigen schrecken, die sich wollen schrecken lassen. Unsre Obrigkeiten sind eifersüchtig auf ihre Rechte und Gewalt, und lassen niemals Abt und Kloster, selbst nicht den Bischof, einschreiten, wie es wohl ehemals geschah. Spottet man nicht oft und zuviel über Priester, Kirche und Glaubensartikel? Jenen finstern Jahren sind wir auf immer entrückt, das dunkle Gewölbe des Aberglaubens und der Schrecken ist verriegelt und auf ewig verschlossen. Die Welt ist heiter geworden und wird sich immer mehr aufhellen, das wissen die Priester selbst und verkündigen es.
Man geht oft eben so gern zurück, als man vorschreitet, bemerkte Friedrich.
Das ist, antwortete sie, in Sachen des Landes, der Regierung, der Geschichte unmöglich.
Und dieser Dechant ist unerträglich! rief der Jüngling; seht Euch vor mit ihm!
Er ist ein frommer, edler Mann, erwiederte Catharina, der mir wohl will, und freien, hellen Geistes ist. Er kennt die Welt und Menschen, aber sein Gewissen und sein Beruf wird ihm nie erlauben, den Leidenschaften, die ihm Sünde sind, Gehör zu geben. – Weil ich Euch so bekümmert sehe, und weil Ihr mein Vertrauen verdient, so kommt morgen, zwei Stunden etwa vor Sonnenuntergang, zu mir; ich bin dann einsam, wir werden nicht gestört, und ich will Euch einen Theil meiner Geschichte erzählen. Dann, so kenne ich[221] Euch, werdet Ihr mir selber zureden, meinem Entschluß getreu zu bleiben.
Gekränkt, betrübt verließ sie Friedrich, denn sie hatte ihm selbst, wenn auch freundlich lächelnd, einen Abschiedskuß verweigert.
Am folgenden Tage, als Frau Catharina in ihrem Garten bei einer Arbeit saß, meldete ihr die Dienerin den Besuch des Dechanten. Sie ging ihm entgegen, etwas verwundert, daß der geistliche Herr so früh schon zu ihr eintrete. Beide gingen in den Saal, der gegen den Garten offen war, und setzten sich, die frische Kühle des anmuthigen Morgens zu genießen. Einige Dienerinnen gingen ab und zu in Geschäften des Hauses, der Gärtner arbeitete in der Nähe, und der Wirthin war offenbar diese Störung erwünscht, um dadurch den Anschein zu vermeiden, als walte ein Geheimniß zwischen ihr und dem Dechanten ob. Dieser aber schien diese Störung des Gespräches weniger gern zu sehen, denn er war verlegen, und mehr wie einmal stockte die Unterhaltung, indem er Neuigkeiten erzählte, und vom Hofe in Brügge, vom Erben des Reiches, von Rom und manchen andern Gegenständen redete.
Am meisten erging sich sein Witz über den Stellvertreter des Bischofes. Derjenige, der den Stuhl von Arras besaß, war auf einer Gesandtschaft in Rom, und sein Stellvertreter war ein Bischof in partibus, der von Baruth, der nach den Schilderungen des geistreichen Dechanten einer der sonderbarsten Menschen war. Dieser kleine, stets verdrüßliche Mann stand in Arras beim Adel wie beim Bürgerstande nur in geringer Achtung, weil er ohne Anstand beim[222] Gottesdienste war, verständigen Rath nur selten anhörte, und den Gelehrten durch seine Unwissenheit manche Blöße gab.
Catharina war verwundert, daß der Dechant von seinem zeitigen Vorgesetzten so ohne Rückhalt sprechen konnte. Dieser aber, als sie ihm dies bemerkte, antwortete lachend: Schöne Frau, Euch darf ich es doch wohl nicht erst sagen, in welcher merkwürdigen Krisis sich unsre Zeit befindet. Das alte Regiment der Geistlichkeit ist zu Ende, und wenn sie sich nicht der Welt bequemt und nach ganz andern Grundsätzen handelt, so muß ihre Macht in allen Ländern zerbrechen. Die Bücher und Erzählungen des Boccaz, so wie vieler andrer hellen Köpfe, haben allenthalben Eingang gefunden, sogar der Bauer lacht über vieles, vor dem er noch vor dreißig Jahren in scheuer Ehrfurcht kniete. Ein großes Elend für die Christenheit mag es seyn, daß der Türke Constantinopel, wie wir es erlebt haben, eroberte; aber wieviel die Bücher und Wissenschaften, die dadurch nach dem Abendlande mit flüchtigen Griechen herübergekommen sind, wirken werden, läßt sich gar nicht bestimmen, da schon seit wenigen Jahren fast alles eine andre Gestalt gewonnen hat. Und vorzüglich in unsern Ländern, die, ohne uns zu täuschen, durch Friede, Wohlstand und Handlung, in Kunst und Wissenschaft jetzt wohl höher, als alle andern, stehen. Wie gesagt, diese Macht der Clerisei ist geschwächt und gebrochen, wenn es gleich verderblich werden könnte, falls die Welt dahin strebte, sie ganz zu vernichten. Wir also sind ohne Gefahr für die Welt, und derjenige unseres Standes, der noch die verjährten Rechte geltend machen will, kann nur, wie dieser klägliche Bischof, lächerlich werden. Nicht so ist es mit dem Adel. Er mißbraucht seine Stellung und Macht. Alle Thaten verderblicher Willkühr, alle Unterdrückung geht von ihm aus, und der Prinz wird genug zu thun finden, um,[223] vielleicht mit Gefahr seines Lebens, alles das böse Unkraut auszujäten, welches so wild und üppig allenthalben emporgeschossen ist, weil der alte Gärtner viel zu schwach wird, den Wuchs dieses Giftes zu beschränken. Ein Kampf gegen den Adel wird der Zukunft eben so nothwendig seyn, als er es bis jetzt gegen die Mißbräuche der Kirche war.
Und Ihr meint, sagte Catharine, jene schreckliche Finsterniß, der wilde Aberglaube, die Verfolgungen und Martern, wovon wir mit Grausen lesen, wenn wir die alten Chroniken aufschlagen, könnten niemals wiederkehren?
Gewiß nicht, sagte der Dechant; alles, was Irrthum und Wahnsinn der Art hervorbringen konnte, ist zu Ende, diese Krankheit des Gemüthes hat sich erschöpft. Der Krieg hat Greuel genug ausgesäet, diese Wuth, die Engländer und Franzosen damals aneinanderhetzte, und das letzte traurige Opfer des Aberglaubens und der Verfolgung, die arme Johanna von Arc, von der wir in unsrer frühen Jugend so viel haben reden hören, hat die Reihe jener Märtyrer geschlossen.
Wenn Ihr Recht habt, gelehrter Herr, antwortete die Frau, so haben wir auf jeden Fall viel gewonnen.
Gewiß, erwiederte der frohsinnige Geistliche, und darum ist alles, was dieser gute, liebe Bischof, dieser kümmerliche Athanas, thut und will, nur komisch. Der lächerlichste Zug seines Charakters ist der, daß er sich die feinste und umgreifendste Kenntniß der Menschen zutraut. Er sieht nur wenige Leute und studirt gar nicht, so wenig weltliche wie geistliche Schriftsteller, und dennoch hat er eine so hohe Meinung von sich, daß er sich selbst für gelehrter als alle Gelehrte hält. Das Unglück seines Lebens ist es gewesen, daß er vor fast zehn Jahren bei dem großen Jubelfeste in Rom zugegen war, und er damals die Stelle eines Pönitentiarius[224] beim Papste hatte. Dies ist dem schwächlichen Manne so zu Kopfe gestiegen, daß er sich seit dieser Zeit wie ein wahrer Apostel vorkommt. Wie Ihr wißt, hat sich damals eine unzählige Menschenmasse aus ganz Europa in Rom zusammengedrängt. Er fand eine Gelegenheit, die freilich wohl nicht wieder kommt, Spanier, Engländer, Deutsche, Franken, Ungarn, Polen und Nordländer aller Art und von allen Ständen zu sehen. Sein Beruf machte es ihm zur Pflicht, da dieser Menge auch die große Anzahl von Priestern in Rom nicht genügte, mit vielen und den verschiedensten in ein vertrautes Verhältniß zu kommen, und diese tausend und tausend Beichten und Bekanntschaften und Erzählungen der Pilger haben ihm, wie ich die Sache begreife, seinen schwachen Geist geradezu gestört und verdreht, er ist ein verrücktes Haupt, ein dummer Mann geworden, und da manche vom Pöbel ihn und seine Verkehrheit verehren, so spielt er den Begeisterten und Propheten.
Seid Ihr nicht vielleicht unbillig gegen den Mann, fragte die Frau mit Bescheidenheit, der im Ruf der Frömmigkeit steht? Man sagt, Ihr habt oft Streit mit ihm, und, wenn er Euch drückt, so ist es begreiflich und vielleicht verzeihlich, daß Ihr ihn verkennt.
Ihr sollt selbst urtheilen, schöne Freundin, sagte der Geistliche mit lachender Miene. In voriger Nacht ließ er mich eilig zu sich berufen. Ungern kleidete ich mich an und ging hinüber. Er war in seinem Schlafgewande und ganz verstört. Schreiend kam er mir entgegen und klagte, daß er gar nicht mehr schlafen könne, allnächtlich werde er von Gespenstern und bösen Geistern gestört und beunruhigt. Er zeigte nach einem dunkeln Winkel der Stube und rief: Seht! Freund! da steht immer noch das große Vieh, und glotzt[225] mich mit seinen grünen Augen an! Vertreibt ihn, beschwört ihn, damit ich Ruhe gewinne.
Ich wußte nicht, ob ich lachen sollte, ich fing aber an, nach seinem Wunsche zu beten und zu beschwören. Eifriger! schrie der Wahnsinnige, der Kerl ist abgehärtet, aus so einfachem ruhigen Gebete macht er sich nichts, der will schon stärker angegriffen seyn. – Ehrwürdiger Herr, erwiederte ich, nicht ohne Verlegenheit, Ihr seid einsichtiger, frommer, älter, als ich, wenn Ihr ihn selber bannen wolltet, würde er Eurem stärkern Worte gewiß leichter, als dem meinigen, schwachen, gehorchen. – Nicht unwahr, sagte der Bischof; und wenn ich ihn mit meinen Feueraugen so recht starr anschaue, seht, so zittert die ganze Creatur, wie der Nebel im Morgenwinde. Das Gethier hat aber, wie ich schon lange gemerkt, eine sonderbare Sympathie zu mir, es kommt eben so oft freiwillig, als es wieder von einem mächtigem Geiste, um mich zu turbiren und zu entsetzen, abgesendet ist; denn Ihr müßt wissen, daß der verdammten Bestie wohl in meiner Nähe ist, von meiner heiligen Weihe strömt auf ihn etwas über, und mildert auf Augenblicke seinen unseligen Zustand. Seht, darum wird er auch schwächer und ohnmächtiger durch Eure Gegenwart, denn er kann Euch und Euer etwas weltliches Wesen nicht ausstehen, weil seine Qual durch Euer Nahesein verstärkt wird. Der ganze Kerl wird sich, so bärbeißig er thut, gleich davonmachen müssen, denn Gesellschaft, das sehe ich ihm an, kann er durchaus nicht vertragen. – Nach einigen Gebeten war denn auch wirklich, nach der Aussage des Bischofs, das Ungeheuer verschwunden. Er dankte mir für meine Bemühung und fügte hinzu, es sei auch eine nicht zu verachtende Gabe, daß ich so scharfe, grimmige und witzige Höllengeister, wie die, die ihn quälten, durch eine gewisse Mittelmäßigkeit meines Geistes, durch das Unbedeutende,[226] ja fast Langweilige, was mir anklebe, verscheuchen könne; der Arbeiter im Weinberge müßten eben manche und von verschiedenen Tugenden und Qualitäten seyn. Ja, beschloß er, das habe ich schon bemerkt, in Eurer Nähe hält kein Geist aus, weil Ihr das seid und vorstellt, was man geistlos nennt. Dankt dem gütigen Himmel für diese Gabe und wuchert mit Eurem Pfunde.
Catharina lachte laut und sagte dann: Dem guten alten Herrn legt Ihr allerliebste Sachen in den Mund; weil Ihr Scherz liebt und versteht, macht Ihr den lächerlich, der nur ernsthaft seyn kann und mag.
Nein, rief der Dechant, eben in seinem steinharten Ernst hat er mir buchstäblich so diese Worte gesagt. Glaubt mir, theure Freundin, man braucht bei manchen Menschen nichts zu erfinden, wenn man von ihnen wiedererzählt, so fern stehn sie mit ihrem Wesen der hergebrachten Möglichkeit. Nachher führte er mich zu einem Sessel, und ich mußte ihm diesen entzaubern helfen. Er erzählte mir, daß, sooft er in diesem sitze und meditire, steige jedesmal hinter seinem Rücken ein ungeheures, widerliches Fratzengesicht empor, und kucke ihm über die Schultern in sein Buch; er sei oft erschrocken, und habe darüber den Faden seiner Gedanken verloren; manchmal aber habe er lachen müssen, was noch schlimmer sei, denn im Gelächter erlösche alle Frömmigkeit, und das, was die Menschen Lachen nennten, sei eigentlich der bestimmteste Gottesleugner. Seht, werthe Frau, so denkt, handelt und träumt dieser sonderbare Mann, den wir wohl zu den wahnsinnigen rechnen müssen. – Doch, warum soviel von diesem Thoren sprechen? Diesen klaren Augen gegenüber? Wenn der Wahnsinn dort in jener finstern Gegend eines willkührlichen Aberglaubens liegt, so ist in diesem Lächeln und liebevollen Blick Freude, Vernunft und die Wahrheit,[227] um die es sich allein der Mühe lohnt, das Leben noch so weiter zu leben.
Ihr seid sehr artig, Herr Dechant, sagte Catharina nicht ohne Verlegenheit; wie sollte man glauben, daß ein Priester auch wie ein Weltmann so überfeine Schmeicheleien und Unwahrheiten einer alternden Wittwe vorsagen könnte? Möchte ich Euch doch auch fast für einen bösen Geist halten, der mir erschiene, um mich zu thören, so wie jener Euern Bischof irrte, wenngleich Eure Gestalt nicht so abschreckend ist.
Ihr seid witzig und bitter, sagte der Dechant, und das habe ich nicht um Euch verdient. Ihr sprecht das Wort Priester mit einem besondern Ausdruck. Euch, der Verständigen, brauche ich doch wohl nicht zu sagen, daß alles Abschreckende, Beschränkende, Verweisende und Furchtbare, was ehemals in diesem Laut liegen konnte, jetzt seine Bedeutung verloren hat. Ihr kennt und wißt von den Italiänern. Sind sie doch oft genug als Gesandte, Reisende, Geschäftsträger in unserm Lande. Ihr habt so viele Franzosen gesehn, auch von hier sind, wie oft, die vorzüglichsten Männer in Eurem Hause gewesen. Mag der Haufen, der gemeine Mann, der Arme, oder der zünftige Priester, der nichts Höheres kennt als den Zehnten und die Beisteuer, die ihm aus Beichtehören und Messelesen erwächst, am Buchstaben, an der todten Lehre haften, und aus dem Mißverstand den Sinn, aus der kalten Verzweiflung den Trost holen wollen. Wir alle, wir Höherstehenden, wir Begünstigten, wissen, daß das Geheimniß eben ein verriegeltes Thor für jeden ist, der draußen bleibt; daß aber derjenige, welcher den Schlüssel besitzt, in diesen Lehren und Ueberlieferungen, in diesen Gesetzen und Strafen die Erklärung sieht und faßt, die ihn eines freieren und edleren Lebens würdig und fähig macht. Was der Geweihte in allen Zeiten lehren konnte, er, dem[228] die Binde vom Auge fiel, der sich weder durch Buchstaben noch Gespenst schrecken ließ, das versteht derjenige, der ohne Frage und Antwort zum Bunde hinzugelassen ist. Das Göttliche ist nur darum ein Geheimniß, weil es der Haufe nicht versteht und nicht verstehen kann. Wunder ist alles, oder nichts. Der versteht das Wundervolle nur, der im verschlossenen Busen die Erklärung schon hinzubringt. Gesetz und Schranke dient nur, den Pöbel abzuhalten. Der erkennende Geist, der Erhabne, derjenige, welcher lieset, ohne sich mit den Buchstaben zu quälen, erreicht sogleich, ohne auf Staffeln hinauf zu klettern, die höchste, oberste Stufe. Dasjenige, was in unserer Religion das Göttliche, Wahre, Ewige ist, war schon da, bevor die Menschen noch von Christenthum oder Christus wußten. Wir sind nur dadurch Christen, indem wir als Schüler das offenkundig bekennen und aussagen, was ehemals ein Geheimniß war. Das alte Geheimniß, was der Vorzeit unverständlich und ein Gräuel war, ist nun nach außen gekehrt, und dafür das, was in frühern Jahrhunderten allverständlich war, wiederum zum Geheimniß geworden. Denn so erzeugt sich immerdar das Verständniß aus dem Unverständlichen. Derjenige aber, der Beides verbinden kann und mag, nur er allein ist der wahre Mensch der Natur und der Religion; ihm allein sind alle Zeiten erschlossen, und nur er ist der Freiheit fähig, welche die Apostel in räthselhaften Worten den wahren Christen verheißen haben. Die Vision mit den reinen und unreinen Thieren deutet darauf hin; der Spruch: dem Reinen ist alles rein, nicht weniger. Aber nur die Auserwählten haben den Muth, das ganze Leben in allen seinen Kräften zu erfassen, und niemals nach Reue, Vorwurf, und allen den Armseligkeiten zurück zu blicken, durch welche jene schwachen Geister geängstigt werden, die immerdar der Sünde hingegeben sind,[229] indem sie tugendhaft zu seyn wähnen, und nicht wissen, wo sie den ewigen reinen Urquell der Wahrheit suchen sollen.
Ich verstehe Euch und Eure Weisheit nicht, antwortete Catharina; Ihr haltet mich für zu wissend und gelehrt, daß Ihr mir diese Gedanken mittheilt.
Und wandelt doch, sagte der Dechant lebhaft, seit Jahren in unserer Mitte nach dieser Einsicht, befolgt doch in Eurem Dasein und Walten diese Lehren. Ich habe Euch deshalb seit lange bewundert; diese Stärke des Charakters, diese Freiheit der Gesinnung ist es, die Euch mein Herz gewonnen haben. Ja, geliebte Frau, verstehen wir uns ganz, sprechen wir ganz offen mit einander, damit wir uns kennen und uns gegenseitig glücklich machen. Seit lange schon, so wie ich Euch kannte und beobachtete, habt Ihr mein Gemüth entzündet, alle meine Gefühle erregt, und die leidenschaftlichste Liebe hat sich meines ganzen Wesens bemächtigt. Mein Stand, mein Gelübde, alte Satzungen und Vorurtheile, der Aberglaube und die Unvernunft haben mich, wenn ich mich allem diesen fügen will, auf immer elend gemacht und mein Dasein vergiftet. Genuß und Schönheit, Natur und Wahrheit, Kunst und Einsicht werden mir zum Fluch, wenn ich mich diesen Einrichtungen einer längst rasend gewordenen Welt fügen will. Wohin ich blicke, hat sich der denkende Priester, der Papst auf seinem Thron, der Bischof, so wie der einsame Mönch, alle haben sich diesen strengen Satzungen entzogen. Wir selber müssen jene witzigen Geschichten und anstößigen Begebenheiten belachen, welche von Priestern erzählt werden, und deren Wahrheit wir nicht leugnen können. Derjenige, der in der ächten, alt strengen Furcht Gottes, in der Beobachtung jener Gesetze wandelt, die heilige Männer mit verfinsterten Sinnen vorschrieben, bleibt ehrwürdig und groß, wenn er kämpft und siegt; immer ist es[230] erhebend, wenn das Sterbliche dem Unsterblichen (wie die Menschen denn nun einmal diese Trennung gemacht haben) geopfert wird. Alles in der Welt ist wahr, und alles unwahr; der Denkende und der Grübler sind eben diejenigen, die am meisten in die Irre gerathen werden. Schon in den frühesten Zeiten, und bei Aegyptern wie Persern, meinte der Priesterstand, er müsse durch vorgegebene Entfernung von aller Freude, von allem Glück und Genuß, der das Leben der Sterblichen erhöht und ihm Inhalt giebt, das Volk blenden und in Unterwürfigkeit erhalten. Aber auch Vernunft beherrscht die Unvernunft, auch der Schein vertritt die Wirklichkeit, und feiner Anstand, Freundlichkeit und Weltklugheit entwaffnen den rohen Haufen. Man verletze nur nicht den Schein, man fordre das öffentliche Urtheil nur nicht heraus, und man herrscht noch sicherer als jener finstere Ernst, der mit seinen Schrecknissen doch manchmal nicht auslangt. Das ist die Kunst des Lebens, alles mit einander auszugleichen, und diese große Kunst ist es, die ich an Euch immer habe bewundern müssen. Denn eben so, ja schlimmer noch, wird Euer Geschlecht, die Frau so wie das Mädchen, von Vorurtheilen und Aberglauben umgarnt und umstellt. Argwohn, Eifersucht, Lästerung stehen Wache, und senden die Bosheit, wie eine verzehrende Flamme, durch die Welt, um Spott und Schmach, Verfolgung, Schande, ja Einkerkerung und Tod, auf jene herabzuziehen, die die Satzung verletzten und dem Triebe des Herzens oder der Natur folgten, oder die selbst ganz unschuldig sich nur der Heiterkeit, dem Scherz und Lachen auf Stunden hingaben. Wie ist die Welt durch jenen finstern Ernst entstellt, der in allen Wandlungen als Gesetz, Moral, Sitte und Religion auftreten will. Wie hat er die natürlichsten Verhältnisse zerrissen, alle Freuden vernichtet, das Schöne entwürdiget und die Natur selbst in ein[231] Gespenst verwandelt. Das sind in solcher Irrsaal die wahren Menschen, die sich auch beim Pöbel nichts vergeben, und dennoch sich und ihrer wahren, ungefälschten Bestimmung leben; die nicht von blinder Leidenschaft hingerissen, Unglück in Familien verbreiten, gute wahre Ehen verderben, deren es freilich nicht so gar viele giebt, und dadurch, indem sie Elend veranlassen, jenen finstern Gesetzgebern, den wahnsinnigen Asceten und Einsiedlern, wieder in die Hände arbeiten, die uns immerdar predigen, die Freiheit sei das Böse an sich selbst, und der Mensch sei nur um so besser, frommer und tugendhafter, je mehr er eiserne undurchbrechliche Schranken um sich ziehe. Ihr seid ein Muster Eures Geschlechtes, und beweiset uns, daß auch Weiber Philosophen seyn können. Ihr benutzt Eure Stellung, um Euch selbst und das Leben auf die feinste und freieste Art zu entwickeln und zu genießen. Jung und Alt umgiebt Euch, Dichter und Künstler, Mädchen und Frauen entziehen sich Eurem Umgange nicht, der vornehme Ritter, der stille Bürger, der Geistliche achtet Euch, und immer habt Ihr einen Günstling, einen jungen und ältern Mann, der diese Auszeichnung verdient. Ihr verachtet die Lästerung und wißt sie zu zähmen, sie wird nie mals Frechheit und Anklage. Sei Liebe eine himmlische Entzückung, sei die wahre Ehe eine heilige Einrichtung, immer werden sich edle Menschen finden, die von einer einzigen, ewigen Liebe, die von einer Verbindung, die Gesetz und Kirche weiht, nicht befriedigt werden können. Ihr gehört zu diesen Frauen, und Ihr seid mir darum nur noch liebenswürdiger. Und in diesem Sinne wage ich nicht zu viel, da ich weiß, daß Ihr mir nicht unhold seid, Euch meine Liebe und Leidenschaft für Euch zu bekennen. Glaubt nicht, daß mein Gefühl, oder mein Glück, wenn Ihr mir holdselig entgegen kommt, mich roh und unfreundlich machen wird.[232] Wie könnte ich verlangen, daß Ihr für mich allein Augen und Sinn haben solltet? daß Euch nicht andere, Jüngere und Schönere auch gefielen? Noch weniger fällt mir ein, Euer Verhältniß mit Friedrich, das Euch zu beglücken scheint, aufzulösen. Aber auch mir könnt Ihr Freundlichkeit, Gunst und Liebe zuwenden, und mein stilles, unbekanntes Glück soll Euch nichts rauben, und keinen Seufzer um ein verlornes kosten. Aber noch inniger werden wir uns dann verstehn, und durch mein Verhältniß zur Kirche und zur Welt ist Eure Stellung noch sicherer und fester. Gehört Friedrich zu jenen Schwachen, die nur an eine ausschließende Liebe glauben können, die den verehrten Gegenstand wie einen Besitz, wie ein Eigenthum behandeln wollen, so sind wir klug und er fahren genug, ihm unsre Verbindung verhüllen zu können.
Während dieser langen Rede war die überraschte Frau ganz in sich und in die Worte des Dechanten versunken; sie war erschreckt und erschüttert, und gewann erst wieder die Gewalt über sich, als sie sich in den Armen des Dechanten sah, und einen brennenden Kuß seines Mundes auf ihren Lippen fühlte.
Sie stand auf, ganz mit Röthe übergossen, sah sich um, und bemerkte, daß die Dienerinnen sich entfernt hatten. Sie ging durch den Saal, und drückte den Arm des Geistlichen von sich, der sie in vertraulicher Umschlingung begleiten wollte. Ich sehe Euch erschüttert, sagte er endlich, und das ist, was ich am wenigsten erwarten konnte.
Wie? rief Catharina, so wenig habt Ihr mich gekannt? O über die klägliche Bestimmung des Weibes! Sind wir nicht ganz wie alte Basen und Muhmen, ganz eingewickelt in Herkommen und in trübe Langeweile des Hauswesens, so meint jeder, wir sind auch als freie Beute jedem Gelüste Preis gegeben. Daß der Pöbel von mir so denkt, habe ich[233] verachten können; daß aber diejenigen, die sich meine Freunde nennen, mich nicht achten und verstehn, muß mich innigst kränken. Ja, tief schmerzen muß es mich, mich selbst, mein Geschlecht und die Natur muß ich verachten, daß ein Mann, der mir würdig dünkte, den ich mir befreundet wähnte, mir diese Worte sagen, diese Vorschläge einreden darf. Es ist denn doch ein Zeichen, daß in allen, allen Männern eine tiefe unvertilgbare Verachtung der Weiber und ihrer Bestimmung wohnt, die manche nur, wenn sie sich für verliebt ausgeben, leicht mit Phrasen und süßen, eigenliebigen Gefühlen verhüllen. Durch meine Jahre glaubte ich endlich vor aller dieser Mißhandlung, die die Männer immerdar an der Schönheit ausüben, die sie anzubeten wähnen, gesichert zu seyn; ich folgte meinen unschuldigen Launen, ich ergötzte mich am Geiste und an der Reife der Männer; ich hatte mit meinem Leben und allen Hoffnungen abgeschlossen; mein Gefühl und mein Herz wahrte ich und trug meine Leiden nicht zur Schau, um die Heiterkeit der Gesellschaft nicht zu stören, und diese Opfer wie Mittheilungen ziehen es mir zu, daß ich verkannt und erniedrigt werde. Ihr sprecht von der Freiheit, als dem edelsten Besitz des Geistes, und nehmt doch schon ohne Frage an, das Weib könne nur ein Genuß, ein Zeitvertreib seyn, geadelt genug, wenn sie Euren Sinnen Befriedigung gewährt. Daß sie auch in der Liebe selbst ein Opfer bringt, daß sie auch im süßesten Einverständniß fürchten muß, im Herzen, das ihr ganz ergeben, möchte jenes Gefühl der Verachtung erwachen, welches sie und ihr ganzes Geschlecht erniedrigt, daß sie also immerdar, auch angebetet, auch beglückt, immer dar an jenem Abgrund steht, der sie und die Liebe in jedem Augenblick verschlingen kann, das ist Euch in Eurer tyrannischen Männersicherheit noch niemals eingefallen. Ja, jener Fluch, den die erste Mutter des Menschengeschlechts[234] empfing, ist keine bloße Sage, die bittre Wahrheit, die täglich, stündlich jedem fühlenden Herzen in Erfüllung geht. Ich muß glauben, daß auch in der wahren, edlen Liebe des besten Mannes, in seiner Schwärmerei und Begeisterung, diese Verachtung unsers Geschlechtes, diese unbewußte Verhöhnung des Edelsten in uns, einen Theil seiner Schwärmerei ausmachen muß.
Wie Ihr es nun nehmt, deutet und nennt, rief der Dechant sehr bewegt: mit andern Worten, Ihr seid Weiber und wir sind Männer; um dieses klare Geheimniß, um dieses Räthsel, welches keiner Lösung bedarf, dreht sich alles. Das einfache, ungetrübte Naturgefühl weiß von diesem Schmerz und dieser Grübelei nicht, es nimmt selbst den Scherz und alle Empfindungen, die Ihr krankhaft aufgeregt Verachtung nennt, leicht und heiter auf. Sei alles, was Euch schmachvoll dünkt, nun auch Natur-Nothwendigkeit; aber warum Fluch? Alles, was lebt, hat seine Schranken, und lebt nur in diesen; alles, was Ihr ersinnt und denkt, könnt Ihr Euch nur in Bedingung, in Beschränkung denken; das Unbedingte, Schrankenlose ist ein Nichts. In diese Bedingung sich heiter fügen, sogar den Vortheil dieser Schranken verstehn, ist die Aufgabe des Lebens, und die Liebe, wie Ihr auch widerstreiten mögt, gleicht alle diese Widersprüche und Kämpfe am schönsten aus. Wer von den Sinnen und der Sinnlichkeit geringe denken will, der muß auch alle Kunst und Poesie verdammen, und warum soll ihm der Schmuck der Natur und die Farbe der Blumen, der Wohllaut der Musik und alle Schöpfung irgend etwas seyn? Schlimm, verehrte Frau, daß gerade das, was ich an Euch hochschätze mir Euren tiefsten Unwillen zuzieht, indem Ihr es das Verwerfliche, Sündliche nennt.
Wir wollen nicht streiten, sagte sie, denn wir verstehen[235] uns nicht. Aber glaubt mir, ein Verhältniß, wie Ihr es annehmt, hat zwischen mir und Friedrich nie stattgefunden, und kann auch niemals eintreten. Was mir das Leben noch seyn kann, die Freuden, die mir noch blühen, sind nicht aus jenem Garten, in welchem mit Euch zu wandeln Ihr mich zwingen wollt. Friedrich ist mein Freund, eben so, wie Ihr es waret; mein Umgang mit ihm, mein Vertrauen zu ihm war nicht anders, als zu manchem, den ich in meinem Hause gesehen habe, seitdem ich Wittwe bin.
Der Dechant sah die Frau mit scharfen Augen an, indem beide sich still gegenüber standen. Wenn es wahr ist, sagte er dann, wodurch Ihr nicht im mindesten in meiner Achtung steigen würdet, – wozu dann dieser ausgewählte Anzug? Diese Farben, von denen Ihr so genau wißt, wie sie Euch kleiden? Dieser Schmuck um Haupt und Brust? Warum muß diese so reizend, so verrätherisch sich blähen, nur halb verhüllt seyn, um mit dem Elfenbein der blendenden Schultern zu wetteifern? Warum denn dieser feine, goldverzierte Schuh? Dieser blinkende Gürtel, der so schön Euren edlen und vollen Wuchs bezeichnet? Warum wollt Ihr in jedem, der Auge und Sinne hat, diese Trunkenheit erregen, und sie niemals, wie die tödtlichen Sirenen, befriedigen?
Catharina weinte. Was ist Euch? fragte der Dechant erschrocken. – Nun ja, sagte sie, so ziemt es sich, so muß es seyn, daß derjenige, der am Mißverstehen seine Freude hat, alles mißverstehen muß. Wie die Rose sich bei der Sommerwärme entfalten muß, und schön und immer schöner blühen, bis sie am Sonnenstral verblaßt und bald nachher in Staub zerfällt, eben so in Unschuld wird das Weib sich durch Schmuck, Putz, Zier und Sauberkeit verschönen. Sie will freilich gefallen, sie will es, ohne es sich vorzusetzen oder darüber zu denken. Jene Schroffgesinnten, die mit Bedacht[236] der Zier aus dem Wege gehen, und sich in verwilderter Nachlässigkeit selbst verhäßlichen, sind keine Weiber, und ihrer giebt es nur wenige. Euer Wort erinnert mich, wie bald es mir geziemen wird, vielleicht sollte es jetzt schon geschehen, mich in die Gewänder zu verhüllen, die dem Alter wohl anstehen.
Nein! rief der Geistliche, Ihr seid reizend, und wißt es; noch lange wird sich Eure Schönheit erhalten, denn sie ist großartig und edel, nicht den vergänglichen Zufälligkeiten anvertraut. Aber verwerfen sollt Ihr mich darum nicht, weil ich Euch vergöttere, weil ich Euch nicht glaube, denn auch diese süße, Unschuld und Tugend spielende Lüge ist dem Weibe als Mitgift von der ewigen Natur zur Ausstattung mitgegeben. Opfert mich nicht ganz diesem Friedrich, den ich nicht verdrängen will; beglückt ihn und mich. Noch ist Eure Regierung der Schönheit nicht beschlossen, theilt künftig noch andern Eure Gunst mit, wenn dieser, wenn ich Euch Langeweile machen; aber erkennt den Bund an, den ich als einen solchen anbiete, der uns geziemt, der mein Leben verherrlicht, der erst allen jenen freundlichen Worten, die Ihr mir manchmal gesagt habt, Seele, allen holden Blicken Geist einhaucht.
Catharina wandte sich ab, um sich in ihr Gemach zu begeben. Nein, verlaßt mich nicht so, mit dieser Verachtung nicht, denn diese muß ich für Lüge halten; Ihr bildet Euch ein, jenem Jüngling dadurch treu zu bleiben, und vergiftet so die schönste Region Eures Geistes. Haß erfüllt Euch dann statt Liebe, und dieser könnte aus Eurem Herzen, eben weil ich Euch ganz angehöre, in das meinige herüber sprühen. Wahrt Euch, ich bitte, in Eurem Hochmuth, und laßt die Klugheit wenigstens das thun, was Neigung versagt. Mäßigt Euch und schont mich mindestens. Es könnte sich, das fühl' ich, eine Hölle in meinem Herzen erzeugen,[237] so sehr ich alle finstern Leidenschaften, die alle aus der Eigenliebe fließen, immer gehaßt habe. Seht Euch vor, überkluges, tugendsames Kindchen. Ihr wollt mit mir spielen und Eurem Stolze ein Fest geben; aber hütet Euch, ich bin kein Jüngling.
Welche Sprache! rief Frau Catharina aus, indem sie sich umwendete; wie ziemt sie Euch zu mir? Wißt, hört, es ist mir gleichgültig, ob Ihr es glaubt: ich habe mir nichts vorzuwerfen. Gott kennt mein Herz und meinen Wandel.
Gut, sagte der Dechant, indem er sich, um fortzugehen, nach dem Garten wendete, die Welt soll also Unrecht haben, alle Gerüchte sollen lügen, die Frau Denisel könnte sich einem Gottesgericht unterwerfen. Aber auferstehen werden denn doch einmal alle die Sünden, die jetzt im Winkel schlummern und begraben scheinen, die Verführung des jungen Friedrich – – nun? warum seht Ihr mich so zornig an? Den Namen könnt Ihr also hören, und mit Ruhe, – gut, – aber auch, wenn ich Robert ausspreche? –
Er kehrte um, sie aber stürzte blaß in den Sessel und sah nicht, wie er Haus und Garten verließ. – Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, suchte sie sich durch Thränen zu erleichtern.
Am Nachmittag traf Friedrich seine verehrte Freundin noch weinend und in Schmerz aufgelöset. Sie empfing den Jüngling freundlich, mochte ihm aber jetzt noch nicht anvertrauen, wie sehr sie vom Dechanten gekränkt worden sei, weil sie seine Heftigkeit fürchtete. Sie gedachte aber der Warnungen, die Friedrich ihr noch gestern gegeben hatte, und sie erinnerte sich nun mit Schmerz, wie leichtsinnig sie[238] die Entdeckungen seiner Eifersucht abgewiesen. Friedrich war sehr bekümmert. Er suchte die Geliebte zu trösten und zu beruhigen, aber Catharina war so tief betrübt, daß seine Reden nur wenig Eingang fanden.
Nach einer Pause sagte die Frau: Mein theurer, mein wahrer Freund, ich hatte diese Stunde dazu bestimmt, um Euch Etwas von meinen Schicksalen zu erzählen, damit Ihr mich näher kennen lerntet; und so wie ich meinem Gedächtniß das trübe Blatt meines Lebens wieder aufgerollt habe, hat mich ein ungeheurer Schmerz befallen. Ach freilich! sind wir meistentheils nur glücklich, wenn wir in Zerstreuungen, in Nebensachen uns selbst vergessen.
Meine Eltern, die in der Nähe unsrer Stadt Besitzungen hatten, waren reich. Ich ward als das einzige Kind mit aller Liebe und Sorgfalt erzogen. Man kam allen meinen Wünschen zuvor, und meine Mutter, die schwach war und fast verliebt in ihr verzärteltes Kind, verdarb mich und bestärkte mich in meinem kindischen Eigensinn. Mein Vater zeigte mir seine Liebe durch Geschenke; er liebte den Prunk, war aber ein ernster, ja finstrer Mann, den keiner niemals lachen oder lächeln sah. Als ich nun zur Besinnung kam, erfuhr ich und bemerkte es selbst, wie er gänzlich ein Werkzeug der Priester sei, die sich aller seiner Kräfte bemächtigt hatten und ihn unbedingt regierten. Er war in seiner Jugend Soldat gewesen, und erzählte selbst zuweilen von jener Zeit mit Grauen, und klagte sich auf dunkle Weise vieler Vergehungen an. Es schien mir, als ich erst fähig war, nachzudenken und über dergleichen Dinge ein Urtheil zu fassen, daß er in seiner wilden Jugendzeit die Freiheit gemißbraucht hatte, die der Krieg und der Beruf des Soldaten bei so vielen zur Zügellosigkeit steigern.
So hatte er sich nun vorgesetzt, seine früheren Sünden[239] durch Buße und strengen Wandel abzubüßen. In dieser Sinnesart bestärkte ihn vorzüglich sein abergläubiger Beichtvater, der jedes Geschöpf nur wie einen abgefallenen bösen Geist betrachtete, und in jeder unschuldigen Freude eine Gotteslästerung sah. Meine Mutter, deren weltliche Gesinnung diesem Wesen widersprach, fühlte sich in diesem finstern Treiben oft sehr unglücklich, besonders da mein Vater immer verschlossener und trübsinniger wurde; sie äußerte wohl, indem sie sah, daß jedes Jahr ihr mehr und mehr alle jene Feste, Reisen, Gesellschaften und weltliche Freuden raubte, auf welche sie mit Sicherheit gerechnet hatte, daß sie niemals die Verbindung mit meinem Vater eingegangen wäre, wenn er früher schon so streng und unfreundlich gewesen wäre.
So ward meine Jugend, die heiter zu beginnen schien, bald verfinstert, und noch mehr, als mein Vater verlangte, daß ich an seinen Andachtsübungen Theil nehmen sollte. Christenthum und Religion, wie ich sie nun kennen lernte, was diese Priester so nannten, war abschreckend und furchtbar. Der Gott, den sie erkennen konnten, war nur ein grausamer Tyrann, der an Qualen, die er verhängte, an sinnreichen Strafen, die er auf Kind und Kindeskind sendete, seine Freude hatte; das Leben war ein Gefängniß, der Mensch nur geschaffen, um zu büßen. Die Opferung des Sohnes heischte zur Vergeltung Blut; Haß, Verfolgung, Bitterkeit und Verzweifeln war es, woran sich diese Christen als solche erkannten.
Mein jugendlicher Sinn wendete sich mit Abscheu von diesen Vorstellungen. Es geschieht so oft, daß Kindern und jungen Gemüthern auf diese Weise selbst das Edelste und Größte auf immer oder auf lange verleidet wird, und ich bemerkte nicht an mir allein, daß die Mädchen und Jünglinge,[240] die man vorsätzlich zu Frommen und Rechtgläubigen ausbilden wollte, am leichtesten in Unglauben und Widerwillen gegen die Religion verfielen. So war es auch mit mir. Es hatten sich mehr Mädchen meines Alters zusammen gefunden, und wir bildeten gleichsam eine stille Verschwörung gegen die Kirche und ihre Gesetze, wir brachen in unsern Versammlungen die Fasten, und ahmten die Lächerlichkeit der Priester und unserer Beichtväter nach. Als die Sache verrathen ward, entstand, wie leicht zu begreifen, ein ungeheures Geschrei. Wir waren alle verdammt, und es konnten kaum Bußen genug und hinreichende Grausamkeit ersonnen werden, um diesen entsetzlichen Abfall wieder einigermaßen zu vergüten. Ich wurde menschenscheu, gab mich selbst auf, und mein Leben war mir in der Jugend schon verbittert. Jetzt befreundete ich mich mit den Vorstellungen des Todes und der Verwesung, da ich hier keine Freude haben sollte und mir jenseit keine denken konnte, daher war mein Wunsch und meine ganze Sehnsucht nach der Vernichtung gerichtet. Ich glaubte weniger als je, aber um nicht wieder den grausamen Mißhandlungen derer zu verfallen, die für meine Seele sorgten, lernte ich lügen und heucheln, und war in meiner Trostlosigkeit auf dem Wege, ganz schlecht zu werden. Meine Mutter bejammerte meinen Zustand, wußte aber keinen Rath, da man sie so eingeschüchtert hatte, daß sie kein Wort für mich zu sprechen wagte. Auch litt sie an einer Krankheit, die allgemach ihre Kräfte verzehrte, und an der sie wirklich nach einigen Monden starb. Ich hatte sie leiden sehen, und ihre Schmerzen hatten mir oft das Herz zerschnitten. Ich begriff es nicht, daß sie ungern starb, daß sie noch, selbst mit allen diesen Leiden, zu leben wünschte. Ich beneidete sie und wünschte mich an ihre Stelle; gern hätte ich meine Gesundheit und Jugend gegen die Vernichtung[241] ausgetauscht, in welche sie jetzt, nach meiner Ueberzeugung, eingegangen war. In jener Stimmung, in welche ich damals gerathen war, erschien mir nichts so fürchterlich, als zu leben, da zu seyn. Die ganze Schöpfung schien mir die Wirkung eines furchtbaren Fluches, oder der Niederschlag ehemaliger, wahnsinniger Geister, die auch verschwunden waren in das Nichts, und nur das tolle Werk ihrer Raserei zurück gelassen hatten, das sich nun irr und zwecklos fortbewegte und ängstigte, und sich in Verzweiflung dem Tode entgegen quälte. Ich kann nicht Worte finden, meinen damaligen Zustand zu schildern, es ist mir auch nicht möglich, ihn mir deutlich zu vergegenwärtigen. Aber wahr ist, daß ich ganz und unerschütterlich überzeugt war, es sei kein Gott. Wie mir nun Kirche, Priester, Religionsübung erschien, wie mir die Lehren, die Wunder, die Messe und alles Christliche vorkamen und in das Ohr tönte, würde, wenn man es beschreiben wollte, das seltsamste Gemälde einer Verstimmung des Herzens und der Seele geben. Indem ich mich in der Kirche in mein Gebetbuch niederbückte, von meinem Schleier verhüllt, mußte ich oft laut in bitterm Hohn der Verzweiflung lachen, welches meine gläubigen Nachbarn für Thränen der Buße und Erschütterungen der Reue hielten, da meine Gottlosigkeit stadtkundig geworden war.
Ich schwankte an der Gränze des Wahnsinns hin. Schlimmer als jede Entartung ist diese innere Verwesung des Herzens. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht, als ich zur Jungfrau erwachsen war, einen wahrhaft frommen Mann, einen Priester hätte kennen lernen, der von einer Wallfahrt nach Jerusalem zurück kam. Dieser Pater Philipp, der in einem benachbarten Kloster ein Bruder war, löste allgemach meine Seele aus ihren Todesbanden.[242] Daß nur Liebe der Geist der Religion, vorzüglich aber des Christenthums sei, dieses Gefühl, diese Ahndung ging nach und nach in meinem erstorbenen, felsenharten Gemüthe auf. Alles, was ich verhöhnt hatte, erschien mir nun als ein süßes Geheimniß, in welches sich mit allen Kräften unterzutauchen, himmliche Wollust war. Als ich erst als Schülerin in die diese Lehre eingeweiht war, sprang mein Geist auch sogleich von einem zum andern Aeußersten; denn mir genügte nicht Wort, Bild und Wunder, ich glaubte alles noch inniger, in einem höhern Sinne zu verstehen und zu erfassen. Meine Trunkenheit hob mich oft wie über die Erde und alle Bedingungen des zeitlichen Daseins hinweg. Ich schaute, ich war entzückt, und rühmte mich, daß der Geist Gottes in mir sei, Philipp suchte diese Gefühle zu mäßigen und mich von dieser Schwärmerei zu heilen, welche er eben so gottlos als jenen starren Unglauben schalt. Ich verstand ihn damals nicht, und wähnte schon, in einer höhern Weisheit, als mein Lehrer, einheimisch zu seyn. Wahrscheinlich wäre mein Abfall von dieser schwindelnden Höhe noch gefährlicher und heilloser als mein früherer geworden, wenn nicht das Glück oder mein Schicksal, vielleicht der Himmel, vielleicht ein böser schadenfroher Geist, mir einen Mann entgegen geführt hätte, der so in meinem Herzen das Gefühl der irdischen und ewigen Liebe anzündete, daß in diesem Schimmer sich alles sühnte und erquickte, alle jene über die Erde fliegenden Gefühle und Phantasieen sich im nächsten Gefühle milderten und zum Verständniß wurden.
Ja, Friedrich, ich habe einmal geliebt, ich bin geliebt worden, und meine Liebe war kein Irrthum, war es wenigstens in ihrem ersten Frühlingsalter nicht. Ach nein, die Liebe selbst ist niemals ein Mißverständnis, nur stößt oder[243] verwundet sie sich leicht an diesen Mißverständnissen des Lebens und der Wirklichkeit.
Ein Mann, der schon das Jünglingsalter überschritten hatte, Robert, ward durch den Pater Philipp in unser Haus eingeführt. So wie ich ihn nur erblickte, mußte ich Vertrauen zu ihm fassen. Jetzt begann der Frühling meines Lebens, jetzt erst fand ich mich selbst im Abglanz meines Freundes, im Verstehen seines hohen Geistes erwachte meine Seele erst von ihren Träumen.
Ihr seht, mein trauter Friedrich, daß ich ganz wie zu einem geliebten Bruder zu Euch spreche. Mein Bildniß wird nach diesen Geständnissen meines Glückes und Unglückes klarer in Eurer Seele stehn. Dieser Robert hatte viele Länder durchwandert und war in Jerusalem mit dem Bruder Philipp bekannt worden. Seine Seele kam der meinigen entgegen und wir verstanden uns.
Ohne Wunsch, ohne Streben war diese Liebe. Es genügte uns Gespräch, Blick, Verständniß, Beisammensein. Robert war ganz glücklich, und ich war beseligt, daß er nicht mehr begehrte. Ein ganzer, heiterer, höchst beglückter Sommer verfloß uns in dieser kristallreinen Freude. Aber es sollte nicht immer so bleiben. Durch meinen Geliebten erfuhr ich zuerst von einem gewissen gereinigten Christenthum, das sich im Stillen verbreitet, und in vielen Ländern die helleren Geister, die kräftigeren Gemüther zu einem geheimen, unsichtbaren Bunde vereinigt hatte. Dieses Bündniß war gegen die verfolgenden Priester und den tödtenden Buchstaben ihrer rohen Satzungen gerichtet. Schon früher, belehrte mich mein Freund, hatten Waldenser und Albigenser dieselben Erleuchtungen gesucht, doch bei der fast allmächtigen Hierarchie jener Tage waren sie vertilgt worden, weil sie ihre Einsichten zu offenkundig gemacht hatten; das[244] empörte Volk, das den geistigen Sinn nicht fassen konnte, mordete die Priester und zerstörte die Kirchen, und Clerisei wie Regenten vertilgten mit Feuer und Schwerdt diese Rebellen. Seitdem bewachte die geistliche Inquisition und der Dominikaner-Orden die Länder. Man freut sich, daß man heut zu Tage über dergleichen zu vertrauten Freunden, wenn auch noch nicht öffentlich, sprechen darf. Diese Einsichten vermehrten das Glück meiner Liebe, und ich that mir selbst das Gelübde, mich niemals zu vermählen, um in diesem geistigen Bunde meine ganze Befriedigung zu finden, und so am schönsten mein Leben zu erfüllen.
Aber es war mir nicht gegönnt, meinen Vorsatz auszuführen. Die Priester, die sich zwar nicht die Macht der früheren Jahrhunderte anmaßen durften, waren doch in Wuth, als sie hie und da auf die Spuren dieser unsichtbaren Gemeine gekommen waren, und sie zürnten um so mehr, weil alle diejenigen, die sie auf ihrem dunkeln Wege entdeckten, zu den tugendhaftesten und frommsten Christen gehörten, die sie selbst vielfach gelobt und andern als Muster zur Nachahmung aufgestellt hatten. Mein Vater schäumte vor Wuth, und der angeklagte verdächtige Robert durfte unser Haus nicht mehr betreten. Damit nicht zufrieden, suchte mein Vater mir unter seinen geistigen Zunftgenossen einen Gemahl aus, der mich genauer bewachen und vor allen Verirrungen bewahren sollte. Ein ehemaliger Soldat, noch älter als mein Vater, war derjenige, den die Priester auserkoren, um meine Seele zu retten. Sein Wandel war in der Jugend und in jenen Feldzügen so ruchlos gewesen, daß man sprichwörtlich denjenigen, den man als abscheulich bezeichnen wollte, nur »so arg, als Denisel« nannte. Obgleich sich dieser Sünder bekehrt hatte, auf jene Weise nehmlich, auf welche ihn jene abergläubischen Priester hatten bekehren[245] können, so war der Zorn und die Wuth des alten Riesen immer noch furchtbar und ungeheuer. Viele Fehler hatte er nach seiner Meinung abgelegt, aber niemals, wie er selbst bekannte, hatte er sich die geringste Mühe gegeben, sich des Trunkes zu entwöhnen, und selbst sein Beichtvater durfte ihm mit dieser Anmuthung nicht beschwerlich fallen. Dadurch wurde sein Zorn, an den er sich seit früher Jugend gewöhnt hatte, bei jeder Gelegenheit, auch der geringfügigsten, in ihm aufgeregt, er kannte sich selbst nicht, und wußte nicht, was er in dieser thierischen Wuth begann. Sehr oft, und wohl die Folge seiner wilden ausschweifenden Jugend, fiel er dann in Krämpfen nieder, in welchen er schäumte und sich ohne Bewußtsein wälzte. Oft hatte man schon glauben müssen, daß er in solchem Anfalle seinen Geist aufgeben würde. So sehr war das Gemüth meines armen Vaters verfinstert worden, daß er den Einreden seiner geistlichen Freunde nachgab, und mir dieses Ungeheuer zum Gatten bestimmte. Daß jede Einrede von mir vergeblich seyn würde, wußte ich, und ich verlor auch kein Wort gegen meinen Vater, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Aber zu meinem Freunde Philipp flüchtete ich, den ich bei einer Muhme von mir traf. Er tröstete mich; aber welcher Trost konnte fruchten? Einigemal sah ich auch meinen Geliebten heimlich. Er war in Verzweiflung. Wie glücklich ich in Deiner Nähe, im Bewußtsein Deiner Liebe war, rief er aus, davon bist Du Zeuge gewesen; kein Wunsch, keine Begier bestürmte Dich. Vielleicht soll der irdische Mensch nicht so geistig schwärmen und sich seinem Berufe, der Aufgabe des Lebens entziehen, die er freilich auch mit den Niedrigsten theilt. Aber meine Seele duldet es nicht, Dich in den Armen jenes Ungeheuers so völlig entweiht, so bis zum Entsetzlichen geschmäht zu denken. Jetzt ist die Begier, Dich[246] ganz mein zu nennen, daß Du mir als Gattin angehörst, geheiligt worden. Jetzt ist es meine Pflicht, Dich zu diesem Schritt zu überreden, durch meine Liebe Dich zu ihm zu zwingen, wenn Du Dich weigern solltest.
In der Verwirrung aller meiner Lebensgeister folgte ich seinen Einreden nur gar zu gern. Ich ward sein Weib und Philipp segnete unsern Bund.
Wir sahen uns oft bei jener Muhme, einem liebevollen, schwachen Wesen, die durch unsre Noth war gerührt worden. Da aber zu befürchten stand, daß mein Vater alles entdecken würde, so hatten wir die Flucht beschlossen; wir hatten vor, uns nach England zu wenden, wo Robert angesehene Freunde hatte. Doch zu spät. Mein Vater traf mich, indem ich einen Brief an Robert schrieb, aus ihm ersah er, daß er mein Gatte war. Er schäumte und war entsetzlich in seiner Wuth. Ich ward eingesperrt und bewacht. Er wendete sich an Bischof und Clerisei. Philipp ward als Verbrecher angeklagt und mußte entfliehen, ich weiß noch jetzt nicht, wohin. Alle Worte, Bitten und Klagen waren vergeblich. Durch Geld – o was vermag das Geld nicht – brachte man es dahin, daß meine scheinbare Ehe, so nannte man sie, für ungültig erkannt und aufgelöst wurde; ich sei noch nicht mündig gewesen, und habe mich also, vorzüglich ohne Wissen meines Vaters, noch nicht versprechen können; Philipp sei ein Abtrünniger und kein Priester, er habe also das Sakrament nicht verwalten und spenden dürfen, und von jener Sünde des Concubinats ward ich, als Unwissende, Thörichte, von meinem Beichtvater, nachdem ich mancherlei Bußen hatte üben müssen, losgesprochen. Ich war wieder vernichtet und zum zweiten Mal um mein Leben, und um ein verschönertes, veredeltes, betrogen. Ich mußte mich und die Welt und Menschen verachten, um so mehr und schmerzlicher, da der[247] rohe, gefühllose Denisel keinen Anstand nahm, mich nach diesem öffentlichen Schimpf als seine Gattin heimzuführen.
O! es ist entsetzlich, was der Mensch erleben und ertragen kann, und kein Mann kann es fühlen und wissen, um wie viel furchtbarer noch das Schicksal des Weibes ist. Sei er durch Unglück an eine Gattin gekettet, die er hassen oder verachten muß, – so vernachlässigt er sie, findet in Geschäft, Arbeit, Gesellschaft, oder bei andern Weibern, selbst im Laster, Zerstreuung und Trost. Giebt er sich in schwachen Stunden dem aufgedrungenen Weibe hin – er verliert nicht seinen Werth, nicht sich selbst in ihren Armen. – Ja, Freund, wir sind schon in der Geburt, seit dem Beginn der Schöpfung verflucht, und nur wenigen, nur Auserwählten ist es vergönnt, sich dieser Schmach und Verwerfung zu entziehen, und diesen gelingt es doch wohl nur, wenn sie sich der Alltäglichkeit, den kümmerlichen Gewohnheiten des Lebens, der hoffnungslosen Mittelmäßigkeit unbedingt ergeben, und einem Gatten angeschlossen sind, der auch von sich und dem Leben nichts als ein jammervolles Unbedeutendes erwartet. – Gefühl, Liebe, Sehnsucht nach Wahrheit und unsterblichen Gütern überliefert uns immer wieder dem schadenfrohen bösen Feinde.
Was mir am leidlichsten schien, ja was mir eine Art von Trost gewährte, war die Grausamkeit, mit der mich dieser aufgedrungene Gatte mißhandelte. Mein Vater, die Priester und er waren übereingekommen, daß er mich, als Ersatz der Kirchenbuße, wegen meiner Abtrünnigkeit täglich züchtigen und strafen könne, auch ohne alle Veranlassung, ohne daß ich gegen ihn den kleinsten Fehl, nach seiner Meinung, begangen habe. Dies zu tun vergaß mein Peiniger nie. Meine Gesundheit schwand, mir war alles gleichgültig, ich stand in keinem Verhältnis, in keinem Zusammenhange, weder[248] mit Gott noch Menschen. – Ach! mein Freund, ich habe viel gelitten, ich habe viel gefehlt, und auch an der Liebe mich versündiget. Damals wünschte ich kaum noch den Tod, denn Sein und Nichtsein lag in der fürchterlichsten Gleichgültigkeit vor mir. Ich glaube, eine Pflanze hat mehr Stolz.
Unvermuthet lichtete sich mein Dasein wieder aus. Die Liebe macht listig und erfinderisch, und so hatte Robert Mittel gefunden, durch Verkleidung unkenntlich gemacht, wieder in die Stadt zu kommen; er hatte mit meinem Peiniger Bekanntschaft gemacht, und als armer Bittender dessen Gunst so sehr gewonnen, daß dieser ihn in seine Dienste nahm. Wie erstaunte, wie erschrak ich, ja hielt es für ein Wunder, als mein Mann mir meinen Geliebten, meinen Gatten selbst in mein Zimmer führte, und diesem die Aufsicht über mich anvertraute.
Freilich hatte sich mein Leben nun verwandelt. Die Kunst des Robert vermochte viel über den unmenschlichen Denisel, nur konnte er ihn nicht überreden, die Strafen, mit denen er mich täglich heimsuchte, zu unterlassen. In der Abwesenheit des Mannes war Robert mein Gesellschafter. Oft aber, wenn Denisel keine vornehmen Freunde fand, mußte Robert mit ihm trinken und schwärmen; in diesen wilden Stunden erzählte er ihm von den Streichen seiner Jugend, von seiner Rohheit und Mordsucht im Kriege, von den Weibern und Mädchen, die er verführt und elend gemacht hatte, von den Bauern und Bürgern, die er geplündert oder in ihren Häusern verbrannt hatte. Auch jetzt noch, ob er gleich Greis war, hatte er seine Liebschaften mit gemeinen und liederlichen Dirnen. Alles dies erzählte mir Robert, und es war natürlich, daß ich meinen Quäler nur um so mehr verachtete und haßte.[249]
War mein Wesen verwandelt, so war auch Robert nicht mehr, wie ich ihn ehemals gekannt hatte. Sein Sinn war weltlicher, heftiger, ja ich mag es wohl so ausdrücken, roher geworden. Die Gelage, zu welchen er meinen Mann begleiten mußte, waren ihm bald nicht mehr so zuwider, wie anfangs; ich entschuldigte es, wenn ich ihn manchmal berauscht sah, daß er sich der Umgebung und dem Willen seines Herrn fügen müsse. Wollte ich, wenn ich ihn jetzt betrachtete, meine Empfindung für ihn mit jener messen, wie sie noch vor kurzem, wie ein Engel leuchtend, durch meine Seele flog, so schnitt es durch mein Herz; ich konnte mich jenes Himmelsklanges nicht erinnern, und mir war, als sei alles nur Lüge gewesen, welche mir eine Seligkeit erheuchelt hatte.
Warum, Freund, führe ich Euch diese Wanderung durch die furchtbare Wüste meines Gemüthes? Ihr sollt mich kennen lernen, damit Ihr Euch und mich beruhigt. Aber richtet nicht zu strenge, und entzieht mir Eure Achtung und Freundschaft nicht.
Heftiger geworden, in einen Mann verwandelt, der sich viel weltlicher als ehemals zeigte, glaubte Robert sich durch seine ihm von der Kirche gegebenen Rechte ermächtigt, vertraulich mit mir umzugehen, und auf das neu geschlossene Bündniß keine Rücksicht zu nehmen. Alle meine Zweifel wußte er mit seiner Beredsamkeit zu widerlegen, seine Bitten bestürmten mich, die Achtung vor mir selbst hatte ich längst verloren, meinem Quäler glaubte ich keine Pflicht schuldig zu seyn, Religion und Priester hatten sich mir als Feinde, die erkäuflich waren, gegenübergestellt, und so ergab ich mich ihm, in der Ueberzeugung, ihn glücklich zu machen.
Ich fühlte, daß er mich noch liebte, aber jene Heiligkeit war aus seiner Liebe entschwunden; er ehrte mich nicht, er achtete mich nicht mehr; Mitleid, Erbarmen hatte er mit[250] mir, und sich selbst hielt er ebenfalls geringe, und suchte jetzt durch Leidenschaft und Heftigkeit zu ersetzen, was seinen Gefühlen an Innigkeit abging. Und doch waren wir glücklich, so sehr, als es arme Verirrte seyn können, die jede Leuchte in der Nacht verloren haben.
Muthwille, Scherz und Witz sollten unser Dasein erhöhen, wir freuten uns, wenn der gemeine Denisel durch eine neue List betrogen wurde, wenn ein Anschlag gelang, ihn vom Hause fern zu halten, wenn wir, seine Trunkenheit benutzend, in seiner Nähe uns Liebkosungen erlaubten. Robert wurde mit jedem Tage ausgelassener; mit den grellsten Farben schilderte er mir jetzt oft die Ausschweifungen des rohen Gemahls, und ich freute mich dieser Darstellungen und lachte. Doch ward es noch schlimmer. Mein vormaliger Gatte und jetziger Geliebter konnte sich, um seinen Herrn nicht mißtrauisch zu machen, vielleicht schon durch eigenen Leichtsinn dazu bewegt, dem nicht entziehen, hie und da auch eine Liebschaft anzuknüpfen und ein ärgerliches Abentheuer zu bestehen. Wenn er mir diese Geschichten eben so umständlich und anstößig erzählte, so schnitt freilich eine brennende Eifersucht durch meinen Busen, aber ich lachte doch, weil mir das ganze Leben als ein albernes Possenspiel, eine widrige Fratze erschien. Längst schon war durch Robert jene weibliche Heiligkeit meines Wesens verletzt, schon in seinen herzlichsten, liebevollsten Stunden mußte ich ihm vieles vergeben, und um ihn zu entschuldigen redete ich mir vor, er könne nicht anders seyn, denn dies sei die Natur der Männer. Jetzt hatte ich nun entdeckt, daß auch im besseren Weibe, und für ein solches hatte ich mich gehalten, das Unheimliche, Frevle und Freche schlummre, das nur durch Leidenschaft und Selbstvergessen geweckt werden dürfe, um harmlosen[251] Scherz, holdselige Schalkheit und süßen Muthwillen in das Widerwärtige und völlig Unweibliche zu verwandeln.
Ja, ich gestand es mir, ich sei eine Buhlerin, nichts besser als Hunderte, die ich ehemals verachtet und verabscheut hatte. Ich meinte dann, das sei Schicksal und das menschliche Leben. Wir bildeten jetzt in unserm Hause eine Gruppe, wie eine der vielen, die uns Boccaz so witzig und kräftig schildert.
Woher nehme ich den Muth, Euch alles das zu sagen, was die Schwester vielleicht dem Bruder verschwiege? Weil ich Euch ganz vertraue, und weil Ihr mir helfen sollt, wenn Ihr mich ganz und alle meine Verirrungen kennt.
Immer dreister und unbesonnener wurden wir in unserem Taumel. An einem Tage, an welchem wir uns am sichersten glaubten, überraschte uns der grausame Denisel. – Diese Stunde war die furchtbarste, die ich noch erlebt hatte, so entsetzlich auch mein Leben gestaltet war. Kein Mensch vermag die Wuth meines Mannes zu beschreiben. Nicht bloß war er darüber in Verzweiflung, daß ich ihn getäuscht hatte, sondern daß es durch den geschehen sei, den er mir im vollsten Vertrauen zum Wächter gesetzt hatte. In seiner Wuth befiel ihn jener tödtliche Krampf, der ihn so oft leblos niederstreckte.
Er kam wieder zu sich, und statt Ausbrüche neuer Wuth, die wir erwarteten, erhob er sich, setzte sich matt in einen Sessel und weinte laut und heftig. Da er unser Erstaunen sah, sagte er schluchzend, indem er noch ohne Fassung war: Ja, Ihr Schändlichen, Ihr seht etwas, das mir selbst ein Wunder dünkt. Seit meiner Kindheit habe ich keine Thränen vergossen, so viel Elend ich auch sah und erlebte. Wißt denn, schon seit lange hat mich die ruhige Ergebenheit dieses Weibes, ihre Geduld, mit der sie meine Grausamkeit ertrug,[252] tief bewegt. Ich empfand, wie unglücklich sie seyn mußte, und warf einen reuenden Blick in mein Leben. Ich nahm mir fest vor, besser zu werden, und sie fortan gut und freundlich zu behandeln: sie sollte künftig nur Güte in mir finden und sich mit mir versöhnen. Diesem Menschen, den ich liebte, dachte ich eine Summe zu schenken, daß er nicht mehr Diener zu seyn brauche, sondern mein Freund würde. Gemeinsam wollten wir in Liebe und Ruhe leben, ich wollte mich von jenen hassenden Priestern zurückziehen, denn ich schämte mich vor dieser Catharina, die mir wie eine Heilige gegenüber stand. Und nun? Ich sehe, sie ist schlechter als ich, sie verdient nur meine Verachtung.
Jetzt stellte sich Robert ihm gegenüber, gab sich zu erkennen, nannte seinen Namen, erzählte sein Unglück, und wollte ihm deutlich machen, daß er selbst mir früher angehört habe, und daß unsre Verbindung vom Priester geweiht und eine rechtmäßige Ehe gewesen sei, die widerrechtlich sei aufgehoben worden. Als Denisel erfuhr, seit wie lange er schon getäuscht worden, und mit welchen Künsten sein größter Feind sich ihm genähert und seine Freundschaft erworben habe, gerieth er von neuem in Wuth und Raserei. Er stürzte, indem er einen Dolch faßte, auf Robert, um ihn zu ermorden; dieser aber stieß ihn mit solcher Gewalt zurück, daß der Alte rücklings über stürzte, wiederum in seine Krämpfe fiel und sich nicht erhob. Er war gestorben.
Robert fand zuerst Sprache und Besinnung wieder. Was wir in diesen Augenblicken erlebt hatten, war so erschütternd, so allgewaltig in unser Leben gedrungen, daß wir fühlten, eine neue Bahn liege vor uns, wenn wir uns nicht zu Grunde richten sollten. Robert war in Reue und Trostlosigkeit zerflossen. Die herzzerreißendste Anklage seiner selbst floß von seinen Lippen, wie er mich, die er zu lieben und[253] zu verehren gemeint, in den Abgrund gezogen habe, und wie er jetzt sehe und innigst fühle, daß die Liebe selbst das Böse sei; wie er jetzt verstehe, daß im ersten Keime derselben, in der frühesten und unschuldigsten Regung, die ihn wie mit himmlischer Heiligkeit überschüttet habe, schon das Laster geschlummert. Das Leben selbst, so fuhr er fort, sei Sünde, und das Gift in diesem regiere. Er bereue auch jetzt alle seine Irrthümer gegen die Kirche, er widerrufe jene Lehren, die er und Philipp ihren Vertrauten geprediget hätten, und einzelne schlechte Priester könnten niemals die hohe Würde des Standes erniedrigen.
Er war ganz vernichtet, erflehte in Thränengüssen meine Verzeihung, daß er mich zur Sünde verleitet habe, und ging, sich mit der Kirche zu versöhnen. Seitdem, so hat man mir erzählt, lebt er unter strengen Büßungen in einem Walde als Einsiedler.
Es machte kein Aufsehen, daß Denisel gestorben war; er war Greis, es war bekannt, daß die fallende Sucht ihn schon oft dem Tode nahe gebracht hatte. Auch mein Vater verließ bald die Zeitlichkeit, und ich war mir nun, im Besitz eines mäßigen Vermögens, selber überlassen; denn vieles, das wir früher besessen hatten, war durch Denisel und meinen Vater an Klöster und Kirchen vergabt worden. –
Nun wißt Ihr alles, mein vertrauter Freund, und ich hoffe, Ihr helft mir dieses Leben erheitern, welches ich mir erwählt habe, nachdem so viele Stürme mein Gemüth erschütterten.
Liebe Catharina, sagte der junge Mann, Euer Bekenntniß hat Euer ganzes Wesen mir näher gebracht, und doch wieder seid Ihr mir fremder und entfernter als gestern. Ich meine nur, da Ihr schon früher nachgabt, um einen andern[254] zu beglücken, solltet Ihr um so leichter meinen Bitten nachgeben.
Lieber Friedrich, antwortete sie, ich habe in allen diesen Jahren nicht aufgehört, mich als Roberts wahre, vom Priester angetraute Gattin anzusehen. Ich wäre, wenn es seine Reue und seine Zerknirschung zugelassen hätte, wohl mit ihm, da ich nun frei war, nach England gereiset. Ich liebe ihn noch, sein Bild wohnt in meinem Herzen, ich darf ihm die Treue nicht brechen. Ihr verwundert Euch vielleicht, wenn ich Euch sage, daß ich selbst jene Umwandlung seines Wesens so wenig verstand, wie billigte. Gewiß hatten wir uns schwer versündiget, und viele Augenblicke der Schaam und Reue hatten mich zu dem Vorsatz geführt, besser zu werden. Meine unsterbliche Seele bedurfte es, aus dem Zustande der Erniedrigung wieder erhoben zu werden. Aber nicht durch Untreue gegen mich und das Edelste, was ich geschaut und erlebt hatte, durfte die Besserung anheben. Sein Bild, jenes Frühlingsgefühl, welches den Winter meines Herzens damals durch Duft, Glanz und Blüthe vertrieben hatte, war mir noch heilig, muß es mir in Ewigkeit bleiben. Ich kann nicht jenen Glauben aufgeben, alle jene Ansichten, die ich damals durch Robert und Philipp gewann; denn sie läuterten und erhoben alle meine Seelenkräfte. Und so bin ich seitdem allgemach und sicher zu meiner frühern Lebensweise zurück gekehrt, in Schaam und Vergessenheit sind jene unseligen Verirrungen begraben, mit jedem Tage ward ich sicherer, fester und im Herzen glückseliger. Werdet Ihr mich verstehen, wenn ich Euch sage, daß ich es nicht fasse, wie jene wilde, verzweifelnde Reue, Buße und Trostlosigkeit, Selbstqual und Selbstverachtung uns dem Ewigen näher bringen soll? Im Anschauen des Schönen und Edlen, im Glauben an meine Liebe, im Genuß von Kunst und Poesie, im Umgang mit[255] Freunden und edlen Menschen habe ich die Verklärung meiner Seele gesucht und gefunden. Die Süßigkeiten des Glaubens und der Religion sind mir näher gekommen und eindringlicher geworden, und alles Unedle ist mir fremd, nicht unverständlich, da ich es erlebte, aber weit entrückt. So bleibt Ihr nun auch ferner mein Freund, Theuerster, und mißversteht mich niemals.
Friedrich war in tiefes Nachsinnen verloren, er fuhr aus diesem auf, als wenn er seine Gedanken wie mit Gewalt von sich verscheuchen wollte, betrachtete seine Freundin dann, und eine Thräne der Rührung floß aus seinem Auge. In dieser Stunde, sagte sie, da Ihr so bewegt seid, hört noch einige Worte von mir geduldig an, geduldig und ohne Zorn.
Friedrich setzte sich wieder, Catharine nahm seine Hand und sagte mit den lieblichsten Tönen: Euer Vater war bei mir, er ist ein guter, lieber Mann, der zärtlich um Euer Wohl besorgt ist. Die Hoffnung Eurer Familie beruht auf Euch. Sammelt Euer Gemüth, edler Freund, faßt den Entschluß, der Euch, von so wackern Eltern stammend, geziemt. Jetzt müßt Ihr unbezweifelt einsehn, daß keine Verbindung unter uns möglich ist, da selbst die Gesetze der Kirche wie des Staates, wenn auch sonst keine Hindernisse wären, sie unmöglich machen. Das liebliche Mädchen, Sophie, welches Ihr neulich hier saht, die, von edlen Eltern stammend, Euch Reichthum, Schönheit und alles Wünschenswerhte bringt –, macht diese glücklich; denn man sieht, daß sie Euch verehrt. Je früher Ihr diesen Entschluß fassen könnt, um so früher erfreut Ihr Euren Vater, dessen Alter schon so vorgerückt ist, daß er Euch vielleicht bald kann entrissen werden. Dann sind wir alle froh und zufrieden, und jenes Glück, das wir uns wünschen, ist uns freundlich gesichert.[256]
Friedrich sprang auf, faßte Catharinens Hand, sah ihr scharf ins Auge, und sagte dann: Also daher Eure Weisheit? Ihr verschmäht es nicht, Euch zur Unterhändlerin mißbrauchen zu lassen, um die Absichten eines alten Mannes durchzusetzen, der nur auf Geld und Besitz sieht, und diesen eigensinnigen Wünschen das Wohl seines einzigen Sohnes opfern will? Und doch wollt Ihr meine Freundin seyn? Nein, elend, verachtet, verstoßen lieber als eine solche Verbindung! Muß ich denn gerade in eine Ehe treten, wenn Ihr meinen Wunsch so bestimmt und mit aller Kälte zurück weiset? Und Ihr fühlt nicht, daß nur die Einsamkeit noch mein Glück seyn kann, die Flucht vor solcher vernünftig berechneten Ehe? Ihr habt ja den Fluch dieser tyrannischen Verkuppelung an Euch selbst erfahren, und solltet mindestens diejenigen nicht in das Joch zwingen wollen, die Ihr Eure Freunde nennt.
So ist dies denn, sagte Catharina trauernd, die Frucht meines Vertrauens? Ihr wollt mich lieben, und könnt mich so ganz mißverstehen? Ihr sagt, daß Ihr mich achtet, und traut mir doch eine geringe Gesinnung zu?
Ich weiß nicht mehr, was ich bin, was ich denke! rief der heftige Jüngling; Ihr seid es selbst, die mich irre macht in allen meinen Erkenntnissen; kann ich denn noch sagen, was ich wünsche? Ob ich liebe? In wie fern ich Euch verstehe? Ihr wollt es ja selbst, daß eine unermeßliche Kluft zwischen unsern Herzen seyn soll. Warum zürnt Ihr mir nun, wenn ich den Riß noch größer mache? Eure Erzählung, Euer Gefühl kann es mir nicht deutlich machen, wie ich Euch entsagen müsse; ist denn nun nicht besser, wir nehmen an, dies unergründliche Mißverstehen beruhe schon auf innerm Hader, auf einer unsichtbaren Feindschaft, die ausbrechen muß? Ja, könnte man die Liebe auflösen, sei es auch durch lange Geduld, wie einen künstlich verschlungenen[257] Knoten; der aber liebt nicht, der sagen kann: Ich will von der Zeit und Zukunft meine Genesung erwarten, denn im gegenwärtigen Augenblick ist und strebt die ganze Kraft der Liebe und weiß von keinem Morgen und Uebermorgen! Gut denn; wir gehen nun auf verschiedenen Bahnen, und ich weiß in Zukunft, daß, wenn Ihr mich freundlich anblickt, Ihr nur darauf sinnt, mir wieder eine andre Ehehälfte annehmlich zu machen. Das sagt wenigstens meinem Vater, daß Ihr redlich seinen Auftrag ausgerichtet, aber keinen Dank dafür geerntet habt.
Er stand auf und ging, ohne der Trauernden noch einen Blick zu gönnen. In der Gartenthür stand er still, schaute um, und sah das sehnsüchtige Auge der Gekränkten. Vergebt mir, rief er, indem er zurückkehrte: der tiefe Schmerz hat auch sein Recht, und ich fühle wohl, aus räthselhaftem Gelüst kränkt man nur den recht schmerzlich und vorsätzlich, den man auf das innigste liebt. Diese Schmerzen, die ich so roh und wild Euch gebe, sind ja nur eine andre Art von Liebeserklärung, und ich muß mich bewachen und mir in die Zügel fallen, um mich nicht noch mehr zu erniedrigen. Schändlich könnte ich in diesen Augenblicken werden, und innerlich bin ich es schon, aber ich will Euch den Anblick ersparen. Vergebt mir denn, wie Ihr könnt. Aber Ihr könnt nicht, da das Wort einmal gesprochen ist. Wenn ich mich bis daher für gut hielt, so bin ich jetzt zu der Ueberzeugung gekommen, daß ich ganz schlecht bin und werden kann.
Er entfernte sich, und Catharina blieb in tiefer Trauer zurück. So müssen sich also, klagte sie, die Menschen, die sich verstehn und lieben, am schlimmsten verletzen? So führt gerade die Einigung der Seelen zur feindlichsten Entfernung? Ja, wenn sich nicht Leidenschaft in Freundschaft und Liebe mischte, so wären sie himmlische Güter. – Und was[258] wäre Freundschaft und Liebe ohne Leidenschaft? Würde ich gekränkt seyn, wenn nicht diese süße Leidenschaft, dies selige Einssein und immer Näherverwachsen der Empfindung und des Verständnisses mich an ihn mit ewigen Banden gekettet hätte? Und liebe ich ihn denn vielleicht? – Ja und Nein. Nicht wie Robert, nicht als Gatten, – und doch kann ich ihn nicht entbehren, und doch hat er mein Herz zerrissen. – Ja wohl besteht unser Leben nur darin, daß wir immer und immer wieder alle Güter, allen Besitz aufopfern müssen. Unser Dasein ist wie der Sturm auf der See; mehr und mehr werfen wir über Bord, um uns selbst nur zu retten, und gehn doch wohl noch unter; oder, wenn wir endlich landen und uns geborgen nennen, so sind wir Bettler, und es verlohnt sich nicht, das nackte Leben fortzuleben.
Nacht und Schlaf unterbrachen endlich diese Klagen.
In einem Winkel der Vorstadt lebte in einer unbemerkten Hütte eine alte, sonderbare Frau, ganz von der Welt zurückgezogen, die bei den Nachbarn, vielen Priestern und denen, die nicht bloß weltlich gesinnt, und sich um die Einsamen bekümmerten, in dem Ruf der Heiligkeit stand. Sie war so arm, daß sie bettelte und nur von Almosen und Wohlthaten lebte. Für sich selbst bedurfte sie fast nichts, sie lebte von Brot und Wasser, und versagte sich jede Erquickung, denn das Gebet und der fleißige Besuch der Kirche war ihre höchste Labsal. Aber verarmte, elternlose Kinder unterstützte sie, brachte sie in den Häusern armer, gutwilliger Handwerker unter, und sprach darum die Wohlthätigkeit Gutgesinnter an, um die Pflegeeltern der Waisen zu unterstützen. Für diejenigen, die schwer krank lagen, die keine Hülfe hatten, bettelte sie unermüdet bei den Vornehmen, und zürnte nie,[259] oder klagte, wenn sie auch wieder und immer wieder, oft mit harten Worten, abgewiesen wurde, nicht selten von den übermüthigen Dienstboten oder von solchen Reichen, die noch niemals von ihr vernommen hatten, gemißhandelt wurde.
So wie sie aus ihrer finstern Hütte auf die Straße trat, fiel sie allen am Licht des Tages als ein sonderbares Schauspiel auf. Sie war mit Lumpen bedeckt, in Holzschuhen ging ihr nackter Fuß, die greisen Haare strebten reich und lang aus einer schwarzen, kleinen Tuchmütze hervor, die sich eng dem Kopfe anschloß. Ihre weißen, struppigen und langen Augenbraunen verschatteten die dunkeln großen Augen. Ihr Antlitz war kreideweiß, am meisten die lange vorstehende Nase. So erschien sie allen, vorzüglich der Jugend, wie ein Leichnam, oder wie ein Gespenst. Die Buben auf den Straßen nannten sie nur die alte verrückte Gertrude, und liefen ihr schreiend und sie verhöhnend nach; die schlimmsten warfen sie dann mit Steinen, und würden sie verwundet, wohl gar getödtet haben, wenn die ältern Leute die Frechen nicht gehemmt und bestraft hätten. Sie selbst aber blieb immer ruhig und freundlich, erwiederte niemals ein böses Wort, beklagte sich auch nicht, sondern wandelte fort, ohne sich nur nach den Scheltenden und Höhnenden umzusehen.
Der Küster Wundrich, ein kleines, stets heiteres Männchen, wandelte jetzt nach der stillen, einsamen Gasse, in welcher die Hütte der Alten lag. Er kannte sie und brachte ihr das, was ihm von weichherzigen Menschen war mitgetheilt worden, damit sie es an die verarmten Kinder und nothleidenden Kranken vertheilen könne.
Indem Wundrich sich der Hütte näherte, überlegte er noch einmal, wie er am besten seinen Auftrag ausrichten könne; denn so freundlich, ruhig und demüthig die Alte war, so hatte er doch schon die Erfahrung gemacht, daß es nicht[260] immer leicht sei, sie zu einer Sache zu bereden, die ihrer Gemüthsweise entgegen war.
Leise öffnete er die kleine Thür, und indem er die innere öffnen wollte, sprang ihm eine Ziege so heftig entgegen, daß sie ihn bald umgerannt hätte. Sieh da! sieh da! rief der kleine Mann aus, was schafft sich denn unsre alte Wahrsagerin für gehörnte Freunde an, die den Fremden so ungestüm begrüßen? Stille, stille, Kind! Du mußt bei unsrer feinsprechenden Gertrud um eine bessere Erziehung bitten.
Er machte die Thüre auf, und vor ihm drängte sich die Ziege in die kleine, finstre Stube. Nur wenig Licht fiel durch die runden, verfinsterten Scheiben, am grellsten hob sich ein hölzerner Christus am Kreuz hervor, der lebensgroß die eine ganze Wand bedeckte, mit Farben bemalt. Der vermagerte Leichnam, mit den stark hervorgetriebenen Rippen in der hochgewölbten Brust, dünnen Beinen und Armen war einer jener widerwärtigen, mit denen viele Kirchen und Kapellen verunziert waren.
Die Alte kauerte im Winkel, so klein zusammengezogen, daß sie fast unsichtbar war. Wundrich entdeckte sie an der Ziege, die sich vor sie stellte, um von der Alten gemelkt zu werden. Bei diesem Geschäft kehrte das Thier sein kluges Gesicht mit den starren großen und gespaltnen Augen zu dem Küster wie höhnisch herum, als wenn es ihm deutlich machen wolle, wie viel Recht es habe, in der Kammer zu seyn.
Die Alte begrüßte ihren Bekannten mit einer kleinen Bewegung des Hauptes, indem sie ungestört, und ohne ein Wort zu sagen, ihr Geschäft verrichtete. So habt Ihr Euch ja eine Gesellschafterin zugelegt, sagte Wundrich; die Einsamkeit ist Euch doch wohl zu lästig geworden. Der Springinsfeld ist aber für Eure Haushaltung etwas zu munter,[261] wenn Ihr ihn nicht als Thürhüter anstellen wollt, der mit Hörnerstößen die Fremdlinge von Eurem Pallaste abweist.
Die Alte ging jetzt, ohne nur aufzusehen, mit der Schale, in welcher sie die Milch gefaßt hatte, still schweigend in eine finstre Kammer. Nach einiger Zeit kam sie zurück, öffnete stumm die große Thür und ließ die Ziege heraus, die nach dem Hofe sprang, auf welchem sich ein schmaler Grasplatz befand.
So, sagte Wundrich, nun sind wir allein und kein Mensch kann unser geheimes Gespräch behorchen und verrathen. Nicht wahr? Nun, so redet doch, alte gute Meisterin, die Ihr hier abseits wie eine Hexe oder Zauberin wohnt. Kocht Ihr brav Liebestränke? Beschwört Ihr Euch wohl selbst ein Liebchen daher? Kommen viele Kunden zu Euren Sprüchen? Warum redet Ihr denn heute so gar nichts?
Wenn Ihr vernünftig anfangt, sagte die Alte, so giebt es vielleicht etwas zu antworten.
Hier, sagte der Küster, nehmt, was mir eingekommen.
Ohne das Paket anzusehen, legte es die Alte in einen Kasten.
Es ist Gold dabei, sagte Wundrich, verzettelt es nicht; ich bringe Euch diesmal viel.
Viel oder wenig, sagte Frau Gertrud; es ist da und wird morgen nicht mehr da seyn; die Noth wächst immer, wie die Saat auf dem Felde, und das Almosen will immer nicht zur Sichel werden, es zu schneiden. – Setzt Euch.
Wohin? sagte Wundrich; altes Kind, ich werde mich, wie die Ziege vorher, da auf vier Beine hinstellen, und Euch so in das blasse Angesicht schauen.
Da, antwortete sie, ist der kleine Schemel unter dem Kreuz; lehnt Euch an das.[262]
Und so dem Heiland den Rücken kehren? fragte der Geistliche.
Das thut Ihr ja doch immer, erwiederte sie; wenn er Euch einmal anblickte, würdet Ihr Euch die unnützen Reden abgewöhnen. Ihr seid gut, aber Ihr könntet noch viel besser werden.
Der Küster setzte sich auf den niedern Schemel und lehnte sich an das Bild; die Alte aber kauerte wieder in ihren Winkel und nahm einen Rosenkranz in die dürren Hände.
Wie geht's Euch sonst? fragte Wundrich.
Wie immer, antwortete sie, gut; ich kann meinem Schöpfer und Heiland nicht dankbar genug seyn, wie ich hier schon im irdischen Leben so überschwenglich glücklich bin.
Es ist erbaulich, sagte er, daß Ihr Euch so begnügt. Aber neulich, als Euch die Buben ein Loch in den Kopf geworfen hatten, das Euch viele Schmerzen machte, wie war es da?
Ach! erwiederte sie fast lachend, ich habe durch meine Sünden viel Schlimmeres verdient.
Ihr sündigt nicht, Alte! rief Wundrich gerührt, schweigt still, Sybille, und lästert Euch nicht selber, gutes, liebes Weib.
Ihr kennt mich nicht, sagte sie gelassen, ich bin so sündig, wie irgend ein Mensch, und der Herr ist so gütig und freundlich gegen mich, daß er nicht mit mir ins Gericht hat gehen wollen. Die Wunde ist ganz geheilt, und ich kann den Kopf besser brauchen als jemals. O die Gnade, die mir der Herr erwiesen hat! Ich könnte krank seyn, und bin gesund; ich könnte weit weg im Heidenlande leben, und bin hier als Christin geboren, von frommen Eltern, in der Nähe schöner Kirchen und ehrwürdiger Priester; ich könnte gottlos[263] und verstockt seyn, und der Herr hat durch seine Gnade mein Herz schon vor vielen Jahren angerührt; ich könnte blind und taub seyn, aber ich vernehme die heiligen Glocken, ich höre den Gesang der Kirche, sein Wort dringt durch mein Ohr in meine Seele; ich sehe seine Sonne und seine Gestirne, ja schon früh fällt und schleicht ein Strahl durch die matten Scheiben und vergüldet das todte Antlitz meines Heilandes dort, der dann wie mit Stimmen zu mir spricht, und wie mit Liebesblicken in mein Herz hinein leuchtet.
Liebe alte Segensprecherin, fing Wundrich wieder an, der Dechant Marck ist ein verständiger Mann und meint es gut mit Euch. Ihr sollt Euch im Spital selbst eine Zelle aussuchen, da wird man Euch verpflegen; Ihr seid der Kirche näher, Ihr braucht nicht mehr Almosen zu heischen, und Euer hülfloses Alter ist ganz ruhig und ohne Sorgen. Der Herr schätzt Euch hoch, er hat von Eurem Wandel gehört; er wünscht, daß Eure Tugend belohnt werde, und daß Ihr doch endlich die guten Tage kennen lernt.
Küster, sagte Gertrud verdrüßlich, schwatzt nicht so albern; wo wäre Tugend an mir zu finden? Wenn ich für meine Kinderchen bettele, so gehe ich nur meinem Vergnügen nach, und kein Mensch soll mir diese Freude nehmen. Dann sehe ich die Kleinen selbst, wie sie gedeihen, ob sie die rechte Pflege haben; tröste die Kranken, gebe den armen Pflegeeltern, und bin so froh in meiner Seele, daß ich laut dem Geber aller Güter danken muß. Was geht mir hier ab? Die alte Stube verlasse ich einmal nicht. Was kümmert mich der Herr Dechant, so sehr ich ihn verehre? Er soll mich in Ruhe lassen, so wie ich ihn nicht störe. Giebt er mir Almosen, um so besser für meine Kinderchen; kann und will er nicht, so werde ich auch nicht über ihn klagen.
Der Bischof von Baruth, fuhr der Küster fort, möchte[264] Euch in seiner Nähe haben, er nennt Euch eine heilige Frau und ein Muster für die Christenheit. Geht es nach ihm, so bleibt Ihr nicht arm, sondern stellt Euch in der Stadt an die Spitze einer frommen Schwesterschaft, verwaltet das Almosen und seid selbst der Noth enthoben, genießt noch Ehre und Achtung, und gebt so Veranlassung, daß sich die christliche Gemeine an Euch erbaue.
Küster! Küster! rief die Alte, wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, Ihr seid ein Schalk! Ihr wollt mir da von einem frommen Bischofe etwas aufbinden, das ihm keine Ehre macht, wenn er es gesagt haben sollte. So selten sollte es um einfältige Christen stehn, daß man sie bei mir, hier in der Hütte, aufsuchen müßte? Ein Bischof, ein Gesalbter des Herrn sollte so gottlose, trostlose Reden führen? Ein armes Bettelweib bin ich, das so, wie andre an Tanz und Mahl, ihre Lust am Betteln hat; ich ließe es gewiß, wenn es mir nicht Spaß machte. Und hört, Küstermann, ich will weder den Herrn Dechanten, noch den Herrn Bischof sehen; ich will nichts verhandeln und thun, was mir noch in meinen alten Tagen meinen oft zerschlagenen Kopf verrücken könnte. Ja, ich habe viel erlebt, und denke und meine über vieles hinweg zu seyn. Aber man lernt die Welt und sich niemals zu Ende kennen, denn der Mensch bleibt dumm und voll bösen Trachtens, wenn er auch Methusalems Jahre erreichen sollte. Das fehlte noch, daß sie mir die Schüssel des geistlichen Hochmuthes so nahe rückten, daß der betäubende kräftige Geruch mir in die Nase stiege, und ich mich doch hinsetzte, um davon zu naschen und zu speisen. Jeder Mensch muß sich das aus dem Wege stellen, was seinen Glauben irrt. Vermögen, Ansehn, Ehre, Aufsehn machen, das alles könnte mich weit, weit weg führen. Für mich ist die Armuth, der Hohn der Knaben, der Uebermuth der Großen,[265] der Ekel, mit dem die Reichen auf mich herab sehen: diese Demüthigung ist mir werth, denn mein Herz war böse und eitel, und erst, da mir der Herr so gnädig war, mich so zu führen, wie jetzt, bin ich glücklich geworden.
Der Küster ward still und dachte über die wunderbare Gemüthsart der Alten. Er merkte, daß alles, was ihm aufgetragen war, bei ihrem festen Sinne nicht durchzusetzen sei. Er wollte ihr deutlich machen, daß sie entweder als Vorsteherin einer Schwesterschaft mehr Gelegenheit finde, wohlthätig zu seyn, oder, selbst Haus, Geld und Eigenthum besitzend, mit weit mehr Sicherheit ihrem schönen Gefühle folgen könne. Im Großen, beschloß er, könnt Ihr, gute Frau, dann das thun und ausüben, was Euch jetzt schon glücklich macht. Dieses Glück wird Euch aber doch durch eignen Mangel, durch die Hartherzigkeit der Menschen und durch so manches Hinderniß verkümmert, welches Euch nachher nicht mehr quälen würde.
Freund, sagte sie immer noch verdrüßlich, laßt ab von mir, denn Ihr werdet mich doch nicht überreden. Daß ich ganz arm, und bettelarm bin, das ist meine Freude und meine Andacht. Mein Heiland hatte auch nicht, wo er sein Haupt hinlegte. Wenn Ihr meinen Sinn nicht versteht, so laßt mir wenigstens Ruhe. Fast alle Menschen glauben, sie fingen erst an zu leben, wenn sie Eigenthum erwerben. Ich habe alles verloren und vergeudet, und seitdem ist mir erst wohl. Der heilige Vater Franciscus und mancher andre, auch Sankt Rochus, Alexius, dachten eben so. Es ist eine Seligkeit schon hier auf Erden, ganz arm zu seyn und nichts zu besitzen. Nun weine ich nicht mehr über die Bettler, Hülflosen und Kranken; nun gehöre ich selbst zu dieser Gilde, und kann erst glauben, daß alle meine Brüder sind. Wie andre Menschen sich nach Freuden, Musik und Tanz und[266] großen Festen sehnen, so ging meine Sehnsucht auf diese Armuth hin. Jeder muß wissen, wie er in seinem Glauben treu seyn und verbleiben kann.
Sagt mir, alte Verwunderliche, fragte der Küster, ist denn das nicht auch vielleicht eine Eitelkeit, daß Ihr so das Erstaunen Eurer Freunde, der Nachbarn und des Volkes erregen wollt?
Ihr seid ein Versucher! rief sie aus; darüber werde ich im Stillen meinen Heiland befragen und Euch nächstens Antwort sagen. Ach! Ihr Weltlichen, Ihr wißt nicht, wie vieles Ihr aufgebt, um nur Menschenkinder zu seyn, um Euch mit Weisheit, Glück, Reichthum zu blähen und den andern überzuragen. Unten, im Staube liegen, von allen verachtet seyn, von den Stolzen mit Füßen getreten zu werden, o, das ist das liebe Wohlbehagen, die süße Einsamkeit des Herzens und der Liebe. Wer noch Sorgen hat um Vermögen, Haus und Kind, der kann den Heiland nicht aus vollem, überwallenden Herzen lieben. Und wer noch etwas vorstellen will und irdische Ehre genießen, der ist nicht ruhig, der fließt und fluthet noch in Drangsalen hin und her.
Nun, wie Ihr wollt, sagte Wundrich; sagt ja doch das Sprichwort: des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
Ja wohl, antwortete die Alte, die jetzt redselig geworden war; nur muß der Mensch auch einen wahren Willen haben, der ihm die rechte Stelle in seiner Welt anweist. Ich bin todt und lebe nur noch der Gnade. Der Kirchengesang, die Messe, – ach! lieber Freund und Herr – wenn ich das Haus Gottes betrete, und der feierliche hohe Dom umfängt mich so liebreich und ehrwürdig: da fällt doch gleich jeder Zweifel, jede irdische Angst zu Boden. Der Duft des Räucherwerkes, die Stimme des Priesters vom Altar weckt, so wie ich mich nun niederwerfe, eine sehnende Inbrunst in[267] meinem Herzen auf. Die brennenden Kerzen erinnern mich mit ihrer stillen Flamme an das Geheimniß der Welt und Schöpfung, und ein süßes Grauen wandelt in meinem Wesen auf und ab, was sie bedeuten könnten. Ich sinne und bete, und der Schöpfer und der Heiland rühren mit inwendigem, unausgesprochenem Wort meine Seele an. Da ist in mir eine Liebe über alle Liebe, eine Seligkeit und Wonne, ein himmlisches Athmen; und nun klingt die Glocke und die Wandlung ist geschehen, da geht der Schauer durch alle Adern und das Mark der Gebeine, und ich weiß, daß ich eine Christin bin und der nahe, verkörperte Heiland mich liebt.
Die Augen der Alten leuchteten, und Wundrich betrachtete sie mit Erstaunen. So komme ich denn, fuhr sie fort, neu gestärkt nach Hause. Warum soll ich mich in meinem Wesen und Beruf stören lassen? Wozu Geld, Weltlichkeit, bessere Speise? Ihr wißt es auch nicht, der Ihr Euch in den Häusern der Reichen umtreibt, welche Kraft, Herrlichkeit und Wohlgeschmack im klaren, frischen Wasser webt und kühlt. Der Brunnen drüben, aus welchem ich schöpfe, ist mir fast wie meine irdische Kirche. Er giebt mir die Genüge und Fülle.
Bücher sehe ich auch, sagte der Küster.
Nur wenige, antwortete sie. Ach! die süßen Gesänge auf die heilige Jungfrau, die ich alle auswendig weiß, und mir so hersage und in ihnen bete, wenn ich mir eine rechte Freude einmal machen will.
Hast du, Seele, nicht für Wunden
Süßen Balsam aufgefunden,
Wenn in Glanz und Abendröthen
Geht die Herrin der Natur,
Wonnesang auf ihrer Spur,
Trost und Heilung allen Nöthen?
[268]
Wie im Frühlingsabend Haine
Von dem Nacht'gallton durchklingen,
So ertönt, wenn ich ihr weine,
Der Holdsel'gen süßes Singen;
Ach, die Königin, die reine,
Will sich gern hernieder schwingen,
Sag' ich, was ich lieb' und meine,
Wird sie Englein mit sich bringen,
Kinder, lachende Gestalten,
Die in klaren Händen halten
Blumen duftend, weiße Blüthen,
Himmels-Rosen, Trost und Segen,
Die mir alle Noth vergüten,
Lind sich um die Seele legen.
Blüthen hüllen wie Gewande
Weiß den liebekranken Geist,
Zitternd sprengt er seine Bande,
Und die Erdenhülle reißt.
Flügel werden Blüth' und Kranz,
Leicht entsteigt er auf zum Licht,
Und nun sieht er noch im Glanz
Ach! Mariens Angesicht.
Wo sie hinblickt, sprosset Glauben,
Lieb' und Sehnsucht in der Welt
Fliegen wie die weißen Tauben
Durch das lichte Himmelszelt.
Aus dem Lächeln tropft Versühnen
Wie Rubinen
Hoffnung strahlend in das Herz
Starrer Sünder, und es schmelzen
Aller Gottesleugnung Felsen,
Und in wundersüßem Schmerz
Kommt der Bereuende
Sich selig Befreiende,
Wie ihn die weihende[269]
Mutterhand der Liebe rührt
Und zum Heiland zärtlich führt.
Zürnen kannst du nicht, nur klagen,
Dir der Heiland nicht versagen,
Wenn dein Mund die Bitten spricht,
Wollen Sohn und Vater schelten,
Wirst du selber für den Frechen,
Der dich höhnt, noch freundlich sprechen,
Nicht darf er die Sünd' entgelten,
Dein Schutz fehlt uns nimmer nicht.
Dies ist, sagte der Küster Wundrich, aus einem Gedicht meines Freundes Labitte, des alten Malers.
So? antwortete die Alte, des Mannes, den sie den Einfaltspinsel oder den dummen Abt nennen, um ihn zu verspotten? Ich habe es schon vor vielen Jahren singen hören.
Nun so lebt wohl, gute Freundin, sagte Wundrich, indem er sich erhob. In diesem Augenblick ertönte aus der kleinen Kammer ein lautes Geschrei, und die Alte rannte schnell hinein. In der Eile vergaß sie die Thüre zuzuschließen, und der Küster, welcher neugierig geworden war, näherte sich leise und schaute durch die Spalte. Ein schwer Verwundeter, der den Ausdruck eines Sterbenden hatte, lag auf dem schlechten Lager. Es schien, daß sich im Schlummer ein Verband gelöst hatte, denn die Alte stillte das Blut und legte frische Leinwand um, nachdem sie eine Salbe aufgestrichen hatte. Wundrich war erstaunt und erschrocken, denn er glaubte den Verwundeten zu erkennen. Nachdem die Alte den Kranken getröstet hatte, und er wieder beruhigt war, reichte sie ihm eine Schale Milch, die er mit Begier ausleerte. Sie machte ihm sein Lager wieder zurecht, betete über ihm, segnete ihn ein und ging dann in ihre dunkle Stube zurück.[270] Sie schien zu erschrecken, als sie die Thür offen sah, und verschloß sie mit dem Ausdruck des Unwillens.
Gute alte Mutter, fing Wundrich wieder an, Ihr thut immer noch mehr Gutes, als man schon von Euch weiß, oder Euch zutraut. Wird es Euch denn nicht zu viel in Eurem hohen Alter?
Ach was! sagte sie mit zögernder Stimme, warum zu viel? Der Herr schenkt mir ja zu solchem Dienste Gesundheit und Leibeskräfte. Er hat mir vor drei Wochen diesen Leidenden vor meine Schwelle gelegt, und ich nahm in der Nacht, als er mir schon wie ein Sterbender vorkam, diesen Armen in mein kleines Haus. Es war eine furchtbare Schlägerei gewesen, ein Paar Menschen blieben todt, diesen hätten sie auch so liegen lassen. Als ich nach Mitternacht heraustrat, ächzte er schwer. Ich legte ihn dort in das Bett und verband seine Wunden, die sehr schlimm und tief waren. Er murmelte allerhand unverständliches Zeug, und wollte mir viel erzählen. Ich verlangte aber nichts zu wissen, denn diese Welthändel gingen mich nichts an. Als er am andern Tage etwas mehr bei sich war, bat er mich, keinem Menschen etwas davon zu sagen, daß er bei mir sei. So habe ich ihn gepflegt, und seine schlimmen Wunden, die erst immer weiter um sich fraßen, fangen nun endlich an, einen bessern Anschein zu gewinnen. Der Arme ist mir seitdem sehr lieb geworden, und ich möchte ihn schon nicht entbehren. Ich bin kein schlechter Wundarzt, und ich verpflege ihn besser, wie es im Spital geschehen würde. Zu seinem Besten habe ich auch die Ziege angeschafft, deren Milch ihm gut bekommt und seine scharfen Säfte mildert. Ich tröste ihn, und der arme Mensch wendet sich durch meine schwache Bemühung seinem Heilande mehr zu, als er früher gethan haben mag. Da der Elende nicht zur Kirche gehen kann,[271] so lese ich ihm Gebete vor, er hört dazu das Läuten von ferne, ich sperre diese Thüre auf, und er sieht von seinem Lager den gekreuzigten Heiland hier an der Wand. So leben wir mit einander, und er ist froh, daß er mein Gast geworden ist; ich fühle mich glücklich, diesen unverhofften Besuch in meinem kleinen Haushalt bekommen zu haben. Wenn Ihr mich aber lieb habt, Küster, so erzählt keinem Menschen, daß Ihr den armen Unglücklichen in meinem Hause gefunden habt. Er will es auch nicht, daß irgend ein Mensch darum wisse.
Ich glaube das gern, antwortete Wundrich; Ihr aber, Alte, müßt ja doch erfahren, wen Ihr beherbergt, denn es ist ja kein andrer, als der Mörder Denis, den unser Herzog, und noch mehr der Prinz Carl, schon seit einigen Monaten so eifrig suchen lassen. Er hat einen Freund des Herzogs heimtückisch erschlagen, einen Jüngling, der mit dem Liebling des Herzogs, dem reichen, hochmüthigen Köstein, nahe verwandt ist. Der Strauß von neulich, hier in der Vorstadt, ist gewiß entstanden, weil ihn die Herzoglichen, oder Freunde der Grafen Croys haben greifen oder aus dem Wege räumen wollen. Frau, Frau, welche Verantwortung zieht Ihr Euch zu, wenn Ihr solchen Sünder bei Euch versteckt haltet.
Seht Ihr, wie Ihr nun seid, sagte die Alte bittend, Ihr Leute nehmlich, die Ihr noch immer in der Welt leben wollt! Sünder, Mörder, alle die Worte und Schimpfreden fließen Euch so leicht von der Zunge, als wenn sie nichts zu bedeuten hätten. Er hat mir ja vielleicht alles selbst gebeichtet. Wir sind zumal alle arme Sünder vor dem Herrn. Er war sterbend, blutend, zerschlagen und mein Bruder. Was gehen mich Eure Händel und Verschwörungen und Verfolgungen an, wo fast immer einer so frevelhaft verschuldet[272] ist wie der andere? Ihr solltet, als ein Geistlicher, besser denken. Darum sagt auch kein Wort, weder dem Bischof, noch Diaconus, noch irgendeinem Menschen, von meinem lieben Gast. Wollt Ihr mir das versprechen?
Der Küster stand nachdenklich. Ich kann ihn ja jetzt noch nicht aus dem Hause werfen! rief die Alte ungeduldig; er kann noch nicht gehen und stehen, er kann sich nicht regen, so schlimm haben sie den Armen zugerichtet.
Ich kann es Euch nicht so unbedingt versprechen, antwortete Wundrich; denn wenn die Sache entdeckt wird, so würde ich auch meines Schweigens halb verantwortlich. Der junge Herr ist gar so argwöhnisch, der alte Herr schwach, die Croys grausam und leichtsinnig und der großthuende Köstein ein schadenfroher Narr. So kommt man, mag man fast nur auf ihren Schatten treten, in Verwicklung und Elend, aus dem man sich nicht wieder herausstricken kann.
Küster, rief die Alte beängstigt, nur acht Tage haltet Euer gewissenhaftes, politisches Maulwerk. Es wird Euch ja kein Mensch darum befragen. Was wären denn meine Liebesdienste, wenn sie den Hülflosen mir von meinem armseligen Bette wegrissen, um ihn zu quälen, zu foltern, oder hinzurichten? So hätte ich ihn ja nur eingefangen, um ihn tückisch der Marter zu überliefern. Da müßte ich es ja verwünschen, daß ich Euch nur je gekannt, daß ich nur je die kleinste Gabe von Euch angenommen hätte. Immer, immer noch bin ich mit der Welt zu sehr verwickelt. Im Walde sollte ich leben, und auch keinem Geistlichen trauen, und keinen mit Augen sehen, und besser noch, sterben! – Laßt mir meinen armen Freund ungestört, den armen Verbluteten. Ihm wäre ja sonst besser gewesen, ich hätte ihn an der kalten Nachtluft liegen und hinfahren lassen. – O du mein Heiland! ich glaubte nun so ruhig seyn zu können, so[273] von allem Wirrwar des verächtlichen Lebens erlöst, und nun muß wieder ein einziger Augenblick, ein dummer Leichtsinn, eine Vergeßlichkeit, daß ich die Thür nicht zuschließe, die Jämmerlichkeit muß mich wieder allen Sorgen und Qualen überliefern, als wenn ich noch jung und rathlos wäre, wie damals. Küster, Ihr könnt nicht so ruchlos seyn, mir meinen armen Schelm und Schächer verrathen zu wollen.
Gebt Euch zufrieden, sagte der Küster gerührt, ich verspreche Euch, nichts zu sagen. Es war ja auch möglich, daß ich ihn nicht sah, daß ich ihn nicht erkannte; ich habe mich auch wohl geirrt, und der Leidende ist ein ganz andrer. Es ist finster bei Euch, meine Augen sind nicht die besten.
Recht! rief die Alte, wir wollen uns beide recht tüchtig etwas vorlügen, um nur gute, milde Christen zu bleiben, um uns durch die Wahrheit nicht zu Henkersknechten zu machen. Ihr seid besser, Herr Wundrich, als ich geglaubt habe. Haltet Euch wacker, und ich werde es Euch immer danken.
Jetzt nahm der Küster von der Alten, die mehr beruhigt schien, Abschied. Die Alte begleitete ihn, und als sie auf den Gang kamen, lief die Ziege vom Hofe zu ihnen und drängte sich schmeichelnd an Gertrud. Diese machte die Hausthür auf, um den Besuch zu entlassen; aber obgleich die Alte ihre Ziege bei den Hörnern fest hielt, so sprang diese doch vor dem Küster vorbei und auf die Straße hinaus. Die alte Frau lief ihrer Ziege nach, rief und lockte, nannte sie mit den zärtlichsten Namen, und der Küster half, so gut er konnte. Das Haus ward verschlossen, aber die Ziege war schon in die nächste Gasse gerathen, und die Alte winkte dem Geistlichen, ihr zu folgen und den Flüchtling einfangen zu helfen.
Der Küster wurde immer verlegener. Er wollte der[274] Alten, die ihm als eine fromme, fast heilige Frau erschien, nicht seinen Dienst versagen, und doch fürchtete er, in dieser Treibjagd lächerlich zu erscheinen, da sich schon einige junge Buben aus den Häusern versammelten, um der Alten und ihrer Ziege nachzulaufen. Seine Gutmüthigkeit siegte dennoch über seine Aengstlichkeit, und er rannte in die andre Gasse, um die Ziege der schreienden Alten entgegen zu scheuchen. Die kluge Ziege aber, als wenn sie diesen Kriegsplan begriffe, rannte wieder in eine andre Nebengasse, um diese Absicht zu vereiteln. Da ein Halloh in diesem abgelegenen Viertel der Stadt ertönte, sammelten sich immer mehr der müßigen Jungen, die theils der Alten, theils der Ziege nachliefen. Am schlimmsten aber wurde es, als eine ganze Schule aus einem finstern Hause brach und den Tumult zur Reife brachte. Einige der größern Jungen kannten die alte Gertrud und schrieen: Hexe! Hexe! Andere riefen: ihr Kobold, die Ziege, ist ihr weggelaufen! Halloh! halloh! – Andre riefen dazwischen: der Beschwörer, der Hexenmann ist auch gekommen! Auf sie drein! auf die Sünder! – Der Küster wollte sich in Autorität setzen und rief: Still! ungezogene Bengel! Ich bin der Küster von der Cathedrale! Die fromme Gertrud ist eine stille, wohlthätige, heilige Frau! Ich werde Euch, boshaftes Gesindel, der Strafe überliefern!
Das Getümmel aber war schon so laut geworden, daß seine Ermahnung wie sein zürnendes Wort erfolglos verhallte. Einer von den Buben warf mit Obst nach der alten Frau; der Apfel flog tösend an ihren Rücken, und ein allgemeines Gelächter jubelte. Hierauf griffen einige zu Steinen, und Wundrich wie Gertrud wurden von größeren und kleineren getroffen. Schon fiel die Alte wehklagend nieder, und es würde wahrscheinlich auch dem Küster schlimm ergangen[275] seyn, wenn jetzt nicht eine Anzahl von Männern, die durch die Straße gingen, dem Unfug gesteuert hätten. Am schnellsten aber stiftete der Dechant Friede, der mit einigen Dienern von seinem Garten herein kam und vom Geschrei und Toben nach dieser einsamen Gasse war gezogen worden. Ein angesehener Canonicus, Melchior, welcher sein Gast gewesen war, begleitete ihn. Beim Anblick dieser vornehmen Geistlichen floh die ungezogene Jugend, und der Dechant stellte den verwundeten und übel zugerichteten Küster zur Rede, wie er ein solches Aergerniß veranlassen, und sich mit den Jungen auf der Gasse schlagen könne.
Wundrich vertheidigte sein Betragen, wie er nur die fromme Gertrud habe retten wollen, jene tugendhafte Alte, die von allen Verständigen hoch geehrt werde, und nun dort schwer verwundet liege, von den bösen Buben verletzt, wie ihr schon, wegen ihres sonderbaren Aeußern, öfters geschehen sei.
Wie? sagte der Canonicus, jene Bettlerin, die dort liegt, ist die Gertrud, die man wohl eine Heilige nennen möchte? – Der Dechant rief ebenfalls mit Erstaunen aus: Himmel! noch niemals habe ich diese ehrwürdige Frau gesehn, die wir alle nicht genug achten können; und so schmählich ist sie behandelt worden!
Die Männer eilten mit ihren Dienern nach der Stelle, wo die Alte fast ohne Bewußtsein lag. So wie sich das Getümmel verlaufen hatte, war die Ziege auch zurückgekommen und stand jetzt ruhig neben Gertruden, und sah sie aufmerksam an, als wenn sie sie trösten wolle. Die Diener nahmen die Alte auf, welche stark blutete, und die nur langsam, auf die Männer gestützt, gehen und sich bewegen konnte. So ward sie nach ihrer Hütte geführt, indem der Dechant und der Canonicus sie aufmunternd und tröstend begleiteten.[276] Auch der Küster folgte in einiger Entfernung, und erwartete, daß jene Geistlichen an der Thür umkehren, und die Verwundete ihm übergeben würden. Sie schloß zitternd auf, und Alle gingen mit ihr, indem die Diener sie in einen kleinen Sessel legten. Jetzt wurde diesen aufgetragen, nach einem Wundarzt zu gehn, und der Canonicus zeigte sich vorzüglich teilnehmend. Herr Dechant, sagte er zu seinem Freunde gewendet, dieser Tag ist mir ein Freuden- und Trauer-Tag, den ich nicht leicht vergessen werde. Freudig ist er mir, da ich Eure edle Gesellschaft genossen habe, und dann noch zur Bekanntschaft eines Wesens gelangte, das ich, nach meiner Einsicht, heilig nennen muß, wenn man irgendeinen Sterblichen also nennen darf. Höchst traurig ist dieser Tag, da wir den Hohn und die Schmach gesehn, mit welchem der Pöbel immerdar das Göttliche verfolgt.
Ach Gott! ach Gott! rief die Alte jetzt, soll man so hohe Herren in meiner Hütte sehen? Ich bitte, bitte, entfernt Euch, Hochwürdige, damit ich mich wieder besinnen kann, denn Ihr paßt nicht für diese Wände.
Was ist Euch, was ist Euch, Mutter Gertrud? tönte jetzt aus der kleinen Kammer eine matte Stimme. – Der Küster wurde blaß und Gertrud rang die Hände, als sie sah, daß sich der Canonicus erhob. Bleibt! bleibt! schrie sie ängstlich; laßt die Thüre zu, um Gotteswillen! Erlaubt mir, daß ich in meinem Hause auch etwas zu befehlen habe, ich bitte demüthig.
Der Canonicus aber hatte die Thür schon geöffnet, sah hinein, und fuhr mit dem Ausdruck zurück: Wie? der Mörder Denis hier? der meinen Neffen umgebracht hat? der Mensch, den die Fürsten so emsig suchen lassen? – Den beherbergt Ihr? – O wundersamer Tag und höchst wunderbare Entdeckung![277]
Die Diener kamen mit dem Wundarzt, welcher die Wunden der Alten, die jetzt wieder ohne Bewußtsein war, untersuchte und verband. Der Canonicus sandte die Diener sogleich wieder nach einer Tragbahre, um den Kranken nach dem Spital zu bringen, der sich erschreckt in seine Kissen verhüllt hatte.
Jetzt kamen die Träger mit der Bahre, und man nahm den Kranken vorsichtig aus dem Bette. Er schloß die Augen, indem er durch das Zimmer getragen wurde; die Alte aber erhob sich weinend und klagend: so wird mir, rief sie aus, mein theuerstes Kleinod so grausam entrissen und geraubt, und von Männern, welche behaupten wollen, daß sie mich achten und lieben! Ach! der Arme! Nun soll er reden, Antwort geben und vielerlei treiben, und kaum hält noch Leib und Seele zusammen. Meine Erquickung und Erbauung, mein Trost geht mit dem Elenden aus meinem Hause, und ich weiß nicht mehr, weshalb ich noch leben soll.
Der Canonicus trat zu ihr und sagte: ich gehe jetzt mit jenem Denis, um selber zu sehen, daß er gut behandelt und so verpflegt werde, wie sein Zustand es erfordert. Ihm soll, liebe, fromme Frau, kein Unrecht geschehen, und ich will, wenn es nöthig ist, selber sein Vertheidiger werden, obgleich er mich am schmerzlichsten gekränkt hat.
Er ging mit den Trägern und Dienern fort; der Wundarzt, welcher jetzt mit dem Verbande fertig war, entfernte sich ebenfalls, mit der Erklärung, daß er am Abend wiederkommen wolle.
Der Dechant setzte sich jetzt zu der Kranken, faßte ihre zitternde Hand und sagte: Ich irre mich nicht, gute Frau Gertrud, dieser Schreck und diese Wunde haben Euch so erschüttert, daß Ihr aufgereizt und in krankhaftem Zustande Euch befindet. Sammelt Euch wieder, daß Ihr gesund werdet,[278] beruhigt Euch und faßt darin einen Trost, daß viele rechtschaffene Männer der Stadt, viele Geistliche und fromme Menschen Eure Aufopferung und Tugend anerkennen. Lebt in der Stadt, in unserer Nähe, so seid ihr auf immer den Mißhandlungen eines rohen Pöbels entzogen.
Nein! nein! rief sie aus, Ihr könnt mich nicht beschwatzen, lieber vornehmer Herr Dechant. Ich bin jung gewesen und habe in der Welt gelebt; auch war ich nicht immer so arm, wie Ihr mich jetzt seht. Kein Vertrauen auf die Vornehmen, keine Freundschaft mit den Reichen! – Die Liebe Gottes kennen sie nicht, Mitleid und Erbarmen sind Ihnen fremd; Eigennutz ist ihr Kopfkissen, Grausamkeit ist ihr Bett. Was soll ich unter diesen? Ich habe nicht vor dreißig Jahren schon diesen Zustand gewählt, habe nicht damals alles fortgegeben, und befinde mich seit so langer Zeit wohl und glücklich, um unter Eure billigen, klugen, verständigen Menschen wieder zurück zu gehn, die für jede Schande und jede Mißhandlung eine scheinbare Ausrede haben. Seit ich die Bettler kenne, kenne ich die Herzen, welche mein Heiland angerührt hat. – Aber wahr ist es, ich bin tief, tief erschüttert. Seit mein Kleinod aus der Hütte fortgeschleppt ist, sehe ich keinen Trost für mich. Und die Jungen auf der Straße haben darin Recht, daß diese Ziege gewiß ein böser Geist oder ein Kobold ist, der den Armen verrathen und mir das Unglück zugezogen hat. – Küster, lieber Freund, laßt das böse Thier gleich nachher abholen, denn ich kann es nicht mehr vor Augen sehen.
Ihr glaubt nicht, fuhr der Dechant fort, daß Euer Zustand mich rührt, daß ich Euch meine Liebe beweisen möchte. Ihr seid zu eigensinnig und halsstarrig, und Euer Sinn weist meine Freundschaft zurück! Ist das fromm und christlich? Ist es recht?[279]
Herr Dechant, sagte die Alte, Eure Zunge ist weich und Eure Stimme sanft. Mein Geist treibt mich an, ich möchte und sollte Vertrauen zu Euch fassen, aber dann stößt es mich wieder von Euch zurück, Eure Miene, Eure Augen – das Herz zieht sich zusammen, und ich möchte weinen und verzweifeln.
Ihr seid im Fieber, sagte der Dechant, und Arznei muß Euch vorerst helfen.
Ja! ja! rief sie mit verzerrtem Antlitz und fast lachend, Krankheit, Wahnsinn ist Euch Menschen alles, was nicht mit Euren feinen Rechnungen stimmt. Seit ich mich mit meinem ganzen Herzen zum Heiland gewendet habe, wollte ich mit dieser gepriesenen Vernunft nichts mehr zu schaffen haben. Beten, Mitleid bedürfen und Mitleid üben, hungern und den Hungernden trösten ist seitdem mein Handwerk gewesen; Ihr, Hochverständiger, macht so viele Ausnahmen, Ihr findet stündlich, der und jener habe sein Unglück verdient, als wenn Ihr selbst schon der Richter wäret der Lebendigen und der Todten. – Ja! ja! Ihr habt recht das Antlitz, Herr Dechant, als möchtet Ihr gern Menschen zu Qualen verdammen! O weh! Euer feuriges, kluges Auge schneidet mir durch die Seele! – Ach! Ihr werdet mich und andre quälen! Nein, Ihr liebt mich nicht! Es steht ein dunkler, scharfer Geist hinter Euch, der es nicht leidet, daß Ihr Euer Herz zu einem so armen, alten, häßlichen Weibsbilde wendet. Ja, ja, wie ich sagte, Ihr auch seid grausam, Ihr habt Freude an der Qual, und die Liebe Gottes ist nicht in Euch! Weh dem Tage und der Stunde, da so vornehme Besuche in meine Hütte gekommen sind!
Der Dechant sah den Küster mit einem ungewissen, fragenden Blicke an, und dieser, welcher sich zurückgezogen hatte und am Fenster stand, sagte: Sie ist krank, ehrwürdiger[280] Herr, wie Ihr selber bemerkt habt, sie weiß eigentlich nicht mehr, was sie spricht, und darum könnt Ihr auch der Armen nichts zum Uebeln deuten.
Daß sie meine Freundin ist, werde ich ihr beweisen, antwortete der Dechant, so wenig sie auch geneigt scheint, meinen Worten Glauben beizumessen.
Er gab der Alten die Hand und entfernte sich nachdenkend, indem er in der Thür noch sagte: Freund Wundrich, vergeßt es nicht, heut Abend noch zu mir zu kommen.
Die Alte sah dem Scheidenden mit einem scharfen Blicke lange nach und sagte dann, indem sie sich wieder aufrichtete: Ich bin ganz gesund, der Dechant versteht sich auf Krankheit nicht besser wie auf Christenthum. Ja, ja, er mag sich nur vorsehen, daß er mit seinem anscheinend guten Willen nicht mein Uebelthäter wird. Sein Verstand ist auch nicht einer der hellsten und dauerhaftesten; weltlich ja, aber nach dem Ueberirdischen reicht sein brauner, feuriger Blick nicht, den hat er zu tief in die Gluth der Leidenschaft getaucht. Wenn man ihm recht ins Auge schaut, so versteht man wohl, was die Geister zu bedeuten haben, die die Gestalten der Engel des Lichtes annehmen können. Das ist nun schon Dechant und des Bischofs rechte Hand, das denkt natürlich darauf, auch Bischof zu werden. Das Unglück von diesem, das Leiden von jenem, der Sturz eines Dritten, die Zurücksetzung eines Vierten, das Wohlgefallen der Vorgesetzten, Schmeichelei dem Mächtigen, nicht widersprechen dem Herrscher, dem Fürsten sich gefällig machen, den Bürger freundlich grüßen, bei den Brüdern für gelehrt und weise gelten: das sind die Staffeln der Leiter, auf welcher diese Menschlein hoch und höher steigen. So war aber die Leiter nicht, von welcher Jakob im Traum die Engel hernieder steigen sah. Jene Staffeln waren Demuth, Geduld, Liebe, Freundschaft und[281] Dienstbarkeit. Wehe dem, der noch mit der Welt sich will zu schaffen machen, und doch Christo angehören. Niemand kann zweien Herren dienen. Ja wohl!
Wundrich sagte: Alte, liebe Freundin, ich kenne Euch gar nicht wieder. Wo ist die Geduld von ehemals, die stille, einfache Demuth, jene Einfalt, mit der Ihr Euch von allen heftigen Gedanken und Leidenschaften abwendetet? Thut nicht andern Unrecht, damit Ihr nicht das größte Unrecht gegen Euch selbst verübt.
Ihr habt Recht, guter Küster, erwiederte sie heftig, ich fühl' es, ich bin bezaubert, und die böse Ziege hat es mir angethan, die Ihr mir auch gleich, das Zauber-Unthier, aus dem Hause schaffen müßt. Ich sehe nichts als Elend und Qual. Wohin ich die Augen meiner Seele richte, nur Unruh und Verwirrung, und die ganze Stadt im Aufruhr. Das Böse wächst und wächst, bis es alle guten Kräfte überschattet, und Wahnwitz sitzt am Steuerruder, um in Tod und Verderben hinein zu fahren. Das Auge der Vorsehung ist verschwunden, und dunkelschwarze Wolken ziehn sich vor des Himmels freundliche Güte. Ich bin nicht mehr, die ich bin, und der Dechant weicht und wankt nicht, mir selbst mein eignes Wesen abzustreiten. Ihr, Küster, seid auch nicht mehr, wie Ihr wart, oder meine Seele erkennt Euch nicht mehr. Alles steht schief und krumm, und wie ich einfältig war, so wächst der Stolz der Jugend meiner christlichen Demuth wieder über den Kopf.
Alte, liebe Freundin, sagte Wundrich, ergebt Euch nur nicht diesem Schwärmen. Es scheint wirklich, daß Euch die Sinnen aus den Fugen gerathen sind, denn Ihr sprecht nicht ausbündig klug. Indessen erholt sich auch die Vernunft bei mir manchmal, und macht ein solches Wurstgemengsel von verschiedenen Gedanken, das, wenn nur der Pfeffer nicht[282] darin gespart ist, sich immer noch ohne Nachtheil genießen läßt, denn die einfache Kost des alltäglichen Verstandes mundet nachher um so besser. Die Ziege, den ungezogenen Schüler, will ich abholen lassen, denn wenn Ihr der Creatur die Freundschaft aufgesagt habt, so ist unter Euch doch kein rechtschaffener Umgang mehr möglich. Lebt wohl und besinnt Euch, altes liebes Wesen, denn Ihr seid verständig, wenn Ihr nur wollt, so sehr Ihr auch heut auf den Kopf gefallen seid.
Lebt wohl, rief sie ihm nach; werdet Ihr mich denn auch wohl in meiner neuen Wohnung besuchen?
Wo wollt Ihr denn hin, fragte der Küster, indem er schon in der Thüre still stand.
Ich sehe sie nur, faselte sie, weiß aber nicht, wo sie liegt, sie ist aber noch finsterer als diese, noch unfreundlicher, aber viel Elende sind in der Nähe, auch hoffärthige, wandelnde, frech umschauende Leichen. Ja, wir sind alle zu einer seltsamen Hochzeit eingeladen, und die Kerzen und Fackeln brennen hell, das giebt ein Jauchzen und ein Zetergeschrei, und keiner kennt den andern.
Wundrich schüttelte sein greises Haupt, und entfernte sich mit dem Vorsatze, den Arzt zu senden, und sonst auf Hülfe für die Arme zu denken, die er seit so manchem Jahre gekannt und geliebt hatte.
Indem die Frau Catharina Denisel die Erfahrungen überdachte, welche sie seit kurzem gemacht hatte, überschlich sie das Gefühl, daß sie an sich selbst und an denen, die sie am innigsten sich verwandt wähnte, von neuem irre wurde. Die Ruhe des Herzens, die sie errungen hatte, war ihr wieder verloren gegangen, und es war ihr peinlich, alle die[283] Gedanken und Gefühle wieder durchkämpfen zu müssen, mit welchen sie glaubte schon seit lange Frieden geschlossen zu haben.
Als sich daher wieder eine zahlreiche Gesellschaft in ihrem Garten versammelt hatte, konnte sie die Heiterkeit nicht finden, die man sonst an ihr gewohnt war. Der Dechant war zugegen und Friedrich, die Muhmen waren heiter und sangen. Während der Musik benutzte der Dechant einen Augenblick, als Catharina aufgestanden war, um mit ihr in den Raum eines Fensters zu treten. Ihr habt mir, schöne Frau, begann er, nicht erlaubt, Euch früher zu sehen und allein zu sprechen, ich muß daher jetzt diese Gelegenheit ergreifen, in welcher wir weniger beobachtet werden. Könnt Ihr nicht vergessen und vergeben, was ich Euch neulich im Vertrauen gesagt habe, so kann ich eben sowenig meine Leidenschaft aufgeben. Aber warum sollen wir miteinander grollen und schmollen? Wozu den Leuten ein Schauspiel geben und unnütz Geschwätz veranlassen? Bezwingt Euer Herz, und stellt Euch mir wieder so unbefangen, wie ehemals, gegenüber.
Es sei, antwortete sie nicht ohne Verlegenheit, ich will streben, meine vormalige Heiterkeit wieder zu finden. Und wenn Ihr mich nicht unnöthig quält, so erwächst auch wohl das alte Vertrauen wieder unter uns.
Nur, fuhr er fort, seid nicht so zurückstoßend, vermeidet mein Gespräch nicht so auffallend. Euer Wesen selbst ist ja Freundlichkeit, das Opfer kann Euch ja so viel nicht kosten.
Catharina wendete sich wieder zur Gesellschaft, zu welcher der Küster Wundrich getreten war. Dieser ging dem Dechanten entgegen, und erzählte ihm, wie die alte Gertrud immer noch phantasire und das Fieber nicht weichen wolle. Die Krankheit der alten Frau hatte Aufsehn in der Stadt[284] gemacht, und alle erkundigten sich nach dem Zustande der Frommen. Es ist seltsam, berichtete der Küster, wie im Phantasiren alle ihre Begriffe sich verwirren. Bald hält sie sich für verzaubert und klagt die bösen Menschen an, die ihr die Bosheit angethan haben, dann verwechselt sie sich mit jenen, und erzählt, sie selbst sei diese Zauberin, und der böse Geist habe sich ihr einverleibt, um den ehemaligen guten aus ihr zu vertreiben. So sucht und verliert sie sich abwechselnd und ich fürchte, sie hat ihren Verstand auf immer verloren.
Es ist zu fürchten, sagte der Dechant, doch sind freilich die Beispiele seit neuerdings nicht selten, daß durch die Imagination, bösen strengen Willen, und durch seltsame Künste das Gemüth eines andern bezwungen werden kann.
Wie? Herr Dechant! rief Friedrich aus, mit dergleichen unbegreiflichen Vorstellungen kann sich Euer Verstand vertragen? Das sind ja eben die verwirrten, gottlosen Begriffe, gegen welche der erleuchtete Geistliche kämpfen müßte, um sie gänzlich und auf immer auszurotten.
Junger Mann, erwiderte der Dechant mit einiger Hoheit, so lange die Kirche, die Conzilien, und alle Kirchenväter nebst dem Papste und dem Collegio der Cardinäle die Möglichkeit der Bezauberung, der Einwirkung böser Geister zugeben und als Lehrsatz aufstellen, solange dieser nicht von jenen aufgehoben und vernichtet wird, sind wir beide wohl zu schwach und ungelehrt, ihn für Unsinn erklären zu dürfen.
Catharina sah ihren Verehrer verwundert mit großen Augen an, und Friedrich rief unwillig aus: Nun wahrlich, wenn wir dahin zurückkehren sollen, so ist es besser, Denken und Sinnen aufzugeben, um nur im finstern Joch des Aberglaubens wieder zu wandeln. Und von Euch, geehrter Mann,[285] hätte ich, wie wir Euren Scharfsinn zu kennen glaubten, diesen Ausspruch wohl am wenigsten erwartet, denn wir schienen uns über diese Punkte zu verstehn.
Was Zweifel und vertrauliche Mittheilung sich erlauben, sagte der Dechant, sollte von den Klugen auch immer nur als ein Pfand der Freundschaft angesehen und geachtet werden. Ein andrer bin ich als ein armer, irrender Mensch, der Scherz versteht und befördert, und der sich auch wohl Zweifel, Einwürfe und Grillen erlauben darf; und ganz ein andrer bin ich als Priester oder Bürger des Staates, oder Theilnehmer am großen christlichen Bunde. Wie ich mich den Befehlen meines Herzoges, den Gesetzen der Obrigkeit unterwerfen muß, so muß ich auch jenen Satzungen Folge leisten, die mir die Kirche hinstellt, wenn meine armen hinfälligen Sinne sie auch vielleicht nicht begreifen können.
Catharina war verwirrt, Friedrich aber in Zorn. Das ist es ja, rief er entrüstet, worüber seit Jahrhunderten der Streit der Geister hinüber und herüber geht. Wenn die Besseren und Klügeren nicht mehr zusammen halten wollen, so werden von dem erst neu aufgeführten Gebäude die Stützen hinweg geschlagen, und woran sollen sich die Vernünftigen in Zukunft anders erkennen, als an der Vernunft?
Wir wollen nicht streiten, sagte der Dechant, am wenigsten mit Heftigkeit, denn umstoßen werden wir die Stellen der geheiligten Offenbarung niemals, in denen von Bezauberten und bösen Geistern die Rede ist, die Erklärungen dieser hochwichtigen Worte und Erzählungen sind auch schon lange von den ehrwürdigsten Männern, nicht ohne Inspiration, festgestellt. Lernen sollen wir, nicht meistern. Aber auch in so fern wir uns außer der Kirche, als zweifelnde, irrende Wesen befinden, können wir doch wohl manches begreifen, was auch jener Offenbarung auf natürlichem Wege[286] entgegen kommt. Wer vermag denn die wunderbare Kraft des Willens zu leugnen? Was erfinden, erstreben, gewinnen wir nicht durch diesen, wenn wir ihn zur höchsten Kraft und Energie hinaufspannen? Soll unsre Herzensliebe auf Freunde, Verwandte und Kinder keinen Einfluß haben? Soll unser Gebet, wenn die ganze Inbrunst des Herzens fleht, die Geister der Verstorbenen nicht erreichen, oder in unsre Nähe ziehn? Der Liebende zählt ja wie oft, daß er die Gedanken und Gefühle seiner Verlobten aus weiter Ferne ahndet. – Und wie? Dem bösen, giftigen Willen, der sich ganz in seiner herben Bosheit zusammenzieht, ihm sollte alle Kraft des Wirkens mangeln? Vielleicht ist dieser noch stärker als jener, da sich unsre verderbte Natur mehr zum Haß als zur Liebe neigt. Stechend und widerwärtig ist uns schon der Blick manches Menschen, verletzend sein Ton, schwache Naturen können schon durch diese der Krankheit nahe kommen. Also ist es auch nicht ganz vernunftwidrig anzunehmen, daß der feste Vorsatz verdorbener, lasterhafter Menschen auf die reine Natur verderblich wirken könne, vorzüglich wenn diese sich nicht dagegen wahrt und dem Feinde keine Vorsicht entgegen setzt. Will der Rechtgläubige diese Wirkung, die eine unsichtbare ist, durch Geister geschehen lassen, so kann der Zweifler auch gegen diesen Ausdruck, der dann für Willenskraft steht, nicht viel einzuwenden haben. Das Geheimniß ist aber, daß wir wohl beständig von Geistern und Engeln umgeben sind, die uns schützen und bewahren, die sich, wenn wir tugendhaft wandeln und heilig denken, in unsrer Nähe wohl befinden, und uns selbst durch ihre Lieblichkeit läutern und verklären. Die Schrift lehrt uns, daß Engel, und die mächtigsten, glänzendsten, gefallen sind; ihr Bestreben kann nur Gott und seinen Kräften sich entgegen richten, ihnen kann nur wohl seyn, wenn der Mensch, das Ebenbild Gottes[287] sich verfinstert, denn der geschaffene freie Mensch kämpft alsdann dem Licht und dem Himmel entgegen; und diese gefallenen Engel sollten sich nicht mit dem bösen, gottlosen Gemüthe vereinigen können, und das schon gesättigte Herz mit Bosheit übersättigen? dem Sterblichen scheinbar zu Diensten seyn, um ihn zu beherrschen? Wer das Bessere glauben kann, muß nicht mit bloßem Zweifel und eigensinniger Willkühr das Schlimmere leugnen wollen. Uns ist Flöte und Schallmei Organ für unsere Melodie und Musik, und wir Menschen sind auf ähnliche Art Organe für die Geisterwelt.
Mit dem Küster entfernte sich jetzt der Dechant Marck, und beide wollten für die alte Gertrud Sorge tragen. Die Gesellschaft begab sich nun in die Kühle des Gartens, und Friedrich benutzte die Gelegenheit, um seiner Freundin Catharina in einen Seitengang zu folgen, der sie von der übrigen Gesellschaft etwas absonderte. Ihr seht nicht wohl aus, mein junger Freund, begann die Frau; Ihr warfet mir vorher so zornige Blicke zu, daß ich vor ihnen erschrecken mußte.
Ich bin Euch gefolgt, sagte Friedrich, um Abschied von Euch zu nehmen. Ihr hättet mir ja, da Ihr mir schon so viel vertrautet, auch das hauptsächlichste Geheimniß enthüllen können, und Euer Wesen, das mir so unverständlich erscheint, wäre mir dann wohl klar geworden.
Ich verstehe Euch nicht, sagte Catharina; könnt Ihr Euch nicht deutlicher machen?
Nun gut, versetzte Friedrich bitter, ich will es versuchen. Warum habt Ihr es mir verschwiegen, daß Ihr mit dem Dechanten in einer geheimen vertrauten Verbindung lebt? Meine Warnung, die ich Euch neulich so gutmüthig geben wollte, erscheint mir jetzt lächerlich, und wie müßt Ihr in Eurem Herzen meine kindische Einfalt verhöhnt haben. Das[288] also ist die kurze Lösung des Räthsels, warum Ihr mein Herz und meine Hand verschmäht. Die Ehe dünkt Euch zu fesselnd und grausam, und Ihr findet ein Glück in einer leichter zu lösenden Verbindung mit diesem gewandten und zweideutigen Geistlichen.
Catharina ließ sich ermüdet auf einem Rasensitz nieder und sagte mit matter Stimme: Friedrich, seit ich Euch neulich mein Herz ganz eröffnet habe, geht Ihr recht geflissentlich damit um, mich zu zerreißen und zu zerstören. Ich könnte fragen: wer giebt Euch das Recht, so mit mir zu sprechen? Das will ich nicht, ich frage nur: was berechtigt Euch zu diesem ganz unwürdigen Verdacht?
Friedrich blickte sie scharf an und sagte: Die auffallende Art, mit welcher Ihr Euch vorhin aus der Gesellschaft mit ihm ins Fenster zurück zoget, dort das eifrige, leidenschaftliche Gespräch, Eure brennenden Blicke, seine Röthe, das Zittern Eurer Hand, welches ich wohl bemerkte, alles dieses muß ja jeden Zweifel in meiner Brust zerstören, wenn ich auch gern noch zweifeln wollte.
Catharina trocknete ihre Thränen und sagte: So müßt Ihr denn erfahren, was ich Euch verschweigen wollte, um Euer aufgeregtes Gemüth nicht noch mehr zu reizen. Euer Argwohn gegen den Dechanten Marck war nur zu gegründet, er hat mir frech, mit vielen Worten, vor kurzer Zeit eine unwürdige Leidenschaft bekannt, und wir trennten uns in Zorn. Ich war sichtlich verstimmt, daß er es heut von neuem wagte, unsre Gesellschaft zu besuchen; ich konnte meinen Widerwillen gegen diesen Mann zu wenig verhehlen. Er führte mich beiseite um mich um Mäßigung zu bitten. – Sie erzählte dem Freunde alles und schloß mit den Worten: So hängt alles zusammen, und das war die Ursache meiner[289] Verlegenheit, meiner Leidenschaft und meines Zitterns. Euer unwürdiger Argwohn hat alles falsch ausgelegt.
Friedrich neigte sich auf die weiße schöne Hand, drückte einen heftigen Kuß darauf und sagte: Es ist nun einmal Euer Schicksal, mir immerdar zu vergeben, und meine rohe Ungeduld wird sich noch oft an Euch versündigen. Aber wohl und leicht ist mir wieder nach Eurer Erklärung, und daß ich jenen Pharisäer und Gleißner nicht so zu hassen brauche, wie ich ihm schon ergrimmt war, da Ihr nicht seine Beute geworden seid. Laßt uns nun wieder fröhlich seyn und des schönen Tages genießen.
Kommt zur Gesellschaft, antwortete sie, damit wir nicht ein zweites Aufsehen erregen, das mißgedeutet werden könnte. Ich will versuchen, ob ich fröhlich seyn kann; aber eine düstre Ahndung liegt auf meiner Seele und drückt alle meine Kräfte zu Boden. Ich kann, so sehr ich mich bestrebe, alle meine früheren Gefühle nicht wiederfinden.
Sie gingen, und ein lautes Gelächter schallte ihnen aus dem Baumgange entgegen. Der alte Maler Labitte war zur Gesellschaft gekommen, und die Mädchen und jungen Männer ergötzten sich an seinen Erzählungen und Scherzen.
Ihr kommt gerade recht, rief er Friedrich entgegen, um an unsern Späßen und Anordnungen Theil zu nehmen. Ihr, Frau Denisel, seid eine schöne, mächtige Zauberin, wir alle stehn in Euren Diensten und müssen Euren Hof ausmachen, so poetisch, scherzend, herrlich, wie uns die Dichter von der herrlichen Göttin der Liebe und dem wundersamen Venusberge vorgesungen haben. Setzt Euch, Frau Catharina, auf diesen Hügel, und wir alle theilen uns in die Geschäfte des Hofdienstes. Ich will den Ceremonien-Meister machen, der Euch die verschiedenen Gestalten vorführt. So alt, bleich, mager und gebrechlich ich auch seyn[290] mag, so will ich doch vor Euch, großmächtige und Leuchtende, meinem Amte Genüge leisten. Ich könnte mich auch, meiner moralischen Schwächlichkeit wegen, für den getreuen Eckart ausgeben; da es dieses alten Helden Art aber ist, alle Fremdlinge warnend vom Venus-Hofhalt zurückzuweisen, so bleibe ich lieber meiner ersten Bestimmung getreu. –
Catharina saß auf dem Hügel, und Labitte faßte Friedrichs Hand und sagte: Seht hier, Königin, der getreue, liebeschmachtende Tristan, der sich, in Sehn sucht aufgelöst, Eurem Schutze empfehlen will. – Friedrich mußte sein Knie beugen und wurde dann zum Handkusse gelassen. – Der alte Beaufort, der auch erst kürzlich in den Garten getreten war, mußte als König Artus figurieren, Sophie ward als Isalde vorgeführt, ein junger Mann als Parcival, ein anderer als Gawan, und Wundrich, der mit Günther, einem Befreundeten, zurückgekehrt war, mußten als Marschall Kay und Iwein sich vorstellen lassen. – Hierauf wurden von den jungen Leuten Tänze im Garten angeordnet, denen sich aber Catharina entzog. Labitte und Friedrich folgten ihr in den Saal, und nachdem Beaufort der Musik und dem Springen einige Zeit zugesehen hatte, entfernte er sich wieder. Günther und Wundrich gingen durch den Garten, um sich verschiedene Dinge mitzutheilen.
War es nicht eine schöne Zeit, sagte Labitte, nachdem man sich im Saale niedergelassen hatte, in jenem dreizehnten Jahrhundert, als der Kaiser Friedrich selber sich mit Freuden Dichter nannte, als in jener bewegten Welt die süßen und tiefsinnigen Gedichte von Lancelot, Tristan, Parcival, Titurel, Iwein und Erek allgemein gekannt, gelesen und gesungen wurden? Liebe, Frühling und Wunder war der Inhalt aller Lieder und die Freude der Welt, so wild sich auch Helden, Städte und Kirchen gegen einander feindlich[291] bewegen mochten. Unser Zeitalter, wie verfinstert ist es gegen jenes! Die Welt war heiter und freundlich, denn die Phantasie jener Menschen war wie in Frühlingswärme ausgelichtet. Der Zauber, welcher Chateau Marveil band, war nicht finster und grausig; selbst das, was die Menschen die bösen Kräfte nannten, war nicht in wilden, verzerrten Figuren vorgestellt. Im Titurel und der schönen Sage vom heiligen Graal ist selbst kein Widerwille gegen die Heidenschaft ausgesprochen, und die Gestalten der Saracenen treten in Heldengröße auf. Die Religion und ihre Geheimnisse, die Kirche, das Ceremoniell, die Heiligkeit des Priesters, der Glaube an den Heiland, alles ist so süß und freundlich gemalt, so aus dem Schatten alles Hasses herausgerückt, daß ich nur die lieblichsten und blühendsten Gemälde unsers herrlichen Johannes van Eyck damit vergleichen könnte. Neben den Geheimnissen der Sage, der Zauberei, der Religion und Liebe webt sich auch noch das Wunder der Feen hinein, die Göttinnen genannt werden, und auch in Liebe mit diesem oder jenem Helden verbunden sind. Diese Artusgedichte sind die ausgeblumte Frühlingspracht der Welt und Poesie, und nichts, nichts darf sich mit ihnen vergleichen.
Wie schön waren jene Tage, sagte Frau Catharina mit anmuthiger Trauer, als Ihr mir damals die schönen Sachen vorlaset und erklärtet. Man konnte so ganz die jetzige rohe Welt vergessen, ihre Kriege und Zerstörungssucht, die Frechheit des Soldatenstandes und den Verrath der Großen.
Ach! rief Labitte aus, in der Wirklichkeit sah es auch nicht immer artig aus, in jener Zeit, wo diese Gedichte galten; denn wo ein Ezzelin regierte, wo ein Carl von Anjou geizte und grausamte, waren vom Baume der Zeit eben keine lieblichen Früchte zu brechen. Aber was die Menschen Gedicht, Sage, Phantasie nannten, das war von Himmelsheiterkeit[292] durchwebt. Wie lustig und schalkhaft sind die vielen Zauberpossen, die selbst in den großen, würdigen Gedichten erzählt werden! Da ist so ganz die Bosheit des Teufels, das Satanische der Höllengeister vergessen, daß auch das Schlimme sich nur wie eine seltsame, wunderliche Gestalt in den bunten Reigen der edlen Tanzenden springend mitbewegt. Die Menschenart war eine edlere, das Jahrhundert ein geläutertes, es bedurfte nicht des Grausens, der Gespenster und Qualen, des Widerwärtigen und Abscheulichen, um die Phantasie in Thätigkeit zu setzen. Auch der Untergang des Artus und seiner Helden, der Tod Tristans und seiner Geliebten, der Wahnsinn Iweins, das Leid der Sigune, alles ist groß, gelinde, und die Noth des Lebens noch lieblich und reizend.
Ich glaube wohl, sagte Friedrich, daß der edle Ton und die lichte Farbe dieser Gedichte jenes Zeitalter charakterisirt; der Mensch war innerlich aufgehellt, und seine Würde zeigte sich wohl darin, daß er sich keine Scheusale hinstellte, um sich selbst davor zu entsetzen; dies Gelüste, was immer eine kranke Welt bezeichnet, war ihm auch nicht so nahe getreten, weil die Ketzergerichte der Dominikaner, die Vertilgung der Albigenser, und so manches, was jeder in der Nähe erlebte, Schrecken und Grausen genug in der Wirklichkeit darstellten.
Ihr habt wohl Recht, antwortete der Alte; wer Fische im eignen Teiche hat, braucht sie nicht auf dem Markte zu suchen. – Sollte, könnte aber nicht auf ähnliche Art, wie jene Dichtungen dazumal die Gemüther der Menschen erhellten, die vieldeutige, bildungsreiche Religion des Christenthums die Sehnsucht, Hoffnung, die Trauer und Freude der Menschen beleben und in Thätigkeit setzen? Was ängstigen uns die Priester immerdar mit Buße, den Martern der Hölle, dem Zorn ihres Gottes, wie sie ihn sich denken? Ihre[293] Kirchenceremonien, ihre Gebete und Kniebeugungen, alles soll nur abzielen, den furchtbaren Unbekannten guter Laune zu machen, damit er das Elend des Lebens, Armuth, Krankheit, und was den dürftigen Menschen immer quält, nur nicht noch mehr anhäufe. Von den Martern und dem schmerzlichen Tode des Erlösers und seiner früheren Bekenner sprechen sie am liebsten, und so machen sie aus einer süßen Trunkenheit, aus einem Rausch der Liebe eine Gespenster- und Todes-Angst. Freilich liegen alle Wunder, und folglich auch die des Grausens, auch die Lust an der Verwesung, in unserm Innern; aber wir sollen uns bestreben, das Lichte, Edle, Himmlische, Liebevolle und Beseligende aus diesen unergründlichen Tiefen hervorzurufen, und von dem Bösen, Trüglichen zu entbinden, was es in seinen dunkeln Fesseln hält, um uns als Menschen, als Berufene zu erkennen, und so im Glanz der ächten Religion unsern eigenen Triumph zu feiern.
Die ächte Religion! sagte Catharina; das ist eben der Streit! keiner glaubt, an der unächten sich verloren zu haben.
So ist es, sagte Labitte; die Leidenschaft des Menschen kann keine Unterschiede machen. Nur vom Menschen geht das Böse aus, indem er seine Kräfte, die ursprünglich gut sind, willkührlich in das Nichtige wirft, die Lüge erweckt, und den Tod in das Leben ruft. Nun sind jene Gespenster, die erst nur lächerliche Phantome und nichtige Schemen waren, durch seine Bosheit und Wuth gepanzert, nun ziehen sie mit fast undurchdringlichem Harnisch dahin und vernichten die Welt, und richten sich dann auch gegen ihren Lügenmeister, der ihnen erst den Geist hassend eingeblasen hat.
Gut sind die Kräfte des Menschen ursprünglich? fragte Friedrich; da scheint Ihr doch zu sehr vom Sinn und dem Ausspruch der Offenbarung abzuweichen.[294]
Erlaßt mir, junger Freund, sagte der Maler mit Wehmuth, nähere Erklärungen. Wo das Wort sich Bahn machen will und einschneidet, da wird immer Geist und Sinn zertreten und untergewühlt, um das Wort nachher für Sinn ausgeben zu können. Ward nach der alten Sage der Mensch frei erschaffen, sollte er als ein Unsterblicher da stehen, und in Gott, als seinem Boden, wurzeln, so ist, menschlich zu reden, das Verbot, nicht das Gute und Böse erkennen zu dürfen, unbegreiflich. Denn erst dadurch wird er Mensch und sich seiner Freiheit bewußt. In wie ferne ihn die Schlange belogen hat, daß er Gott noch ähnlicher werde, ist eine verwickelte und bedenkliche Untersuchung. Die Tiefe des Abgrundes hat sich dadurch in ihm aufgethan, die ihm vorhin verschlossen war; aber er kann nun erst, indem er in diese Tiefe schaut, mit freier Liebe den Gott der Liebe anbeten und sich ihm widmen und opfern, wenn er früher fast nur als beseelte Pflanze wie unwillkührlich sein bewußtloses Herz zu seinem Vater erhob, dem Zuge der Natur so nachgebend, wie die Rose aufblüht und ihre Düfte ausstreut. Mag er durch diesen Abfall auch erst den seltsamen Bedingungen seines irdischen Daseins verfallen seyn, so hat er ja dadurch auch die Schaam und die Einsicht von Edel und Unedel gewonnen, und wie ihn diese Schaam in seiner Erniedrigung unter das harmlose Thier stellt, so erhöht sie ihn auch, und giebt ihm einen Maaßstab für die Unendlichkeit seiner Kräfte, mildert seinen Stolz, sänftigt seinen Hochmuth, und macht selbst seine Liebe und den Rausch des Genusses demüthig. Er hat, sagen sie, auf diesem Wege auch den Tod gefunden. Mag seyn; aber war denn sein erster Zustand etwas anders, als ein verhüllter Tod? Könnten wir in Wahrheit uns in jene linde, unbewußte Ruhe zurück wünschen, so sehr sie immer als Ziel unserer Wünsche, als[295] Lohn unserer Kämpfe und Unruhe in unsrer Phantasie lockend dasteht? Was ist Tod? Was ist Leben? Wenn ich das Wort im Innersten verstehen will, so verschwindet wohl der Unterschied, und ich sehe, daß jedes nur eine andre Offenbarung des Lebens sei. Sage denn gegen Sage, so erklärt mir ein Bild wohl ein andres, und in diesen Gegenden kommen wir niemals weiter. Wir können hier, was wir Offenbarung nennen, nicht beim Wort nehmen, denn hier ist der Buchstabe nichts und der Geist alles. So schwärme ich denn, wie andre es schon gethan haben. – Alles dies sei mit Erlaubniß meines hohen Meisters gesagt. – Der Alte nahm bei diesen Worten sein Baret mit einer ehrerbietigen Geberde vom Kopfe.
Erlaubt, fiel ihm Friedrich ein; diese Redensart, wenn Ihr etwas erklärtet, so sprachet, wie jetzt, oder auch Scherze vortruget, habe ich Euch schon oft brauchen hören; uns allen muß das auffallen: könnt oder wollt Ihr mir eine Erklärung darüber geben?
Der Alte war erst sehr ernsthaft, lachte dann gutmüthig, und formte dann wieder sein Gesicht zur Ehrbarkeit, indem er sagte: Nun, Jüngling, glaubt Ihr mir denn, wenn ich Euch sagen oder vorlügen möchte, daß ich ein Eingeweihter in Geheimnissen sei, derentwegen vielleicht die alten Templer gestürzt wurden? Daß ich ein Vertrauter und Lieblingsschüler eines großen Meisters bin, den ich nicht nennen darf? Daß unsersgleichen, so wie die Eingeweihten der Griechen, in den Mysterien, das ächte, ungefälschte Christenthum besitzen und bekennen? Alles könnte ja Wind seyn und ist es auch. Es ist eine Sache, die ich mir so angewöhnt habe, und wobei ich mir etwas nicht eben Unvernünftiges denke.
Catharina sann tief nach, denn so manche Gespräche Roberts so wie Philipps, wachten wieder lebendig in ihrem[296] Geiste auf. Labitte fuhr fort: Ich könnte ja auch meinen lieben, alten, längst verstorbenen Meister in der Malerei, den herrlichen, wahrhaft frommen und gottseligen Hubert van Eyck meinen, von dem ich so vieles Sinnige vernommen habe, als ich fast noch ein Kind war. Der Mann Gottes war ein Auserwählter, ein fertiger Mensch, so wie es auch unser Johannes ist. Diese Erdgebornen haben die Schlacken abgelegt und triumphiren in Liebe und Freude, wenn Jo hannes auch das jüngste Gericht auf die herkömmliche Weise hat malen müssen. Diese Meister richten aber und verdammen keinen; die Erde verdient es nicht, daß es ihr geschieht, und der Geist verträgt es nicht, denn er kehrt doch irgend einmal zur Wahrheit zurück.
Fahrt fort, sagte Friedrich; ich bin erfreut, Euch so bei Laune zu sehen. Euer Gespräch ist mir immer fruchtbar gewesen, und ich merke wohl, daß, wenn ich Euch nicht ganz verstand, oder mir manches Thorheit schien, ich nur den Zusammenhang Eurer Gedanken nicht begriff. In Eurer Seele, Meister, muß es wunderbar aussehen; sie ist die Werkstatt der buntesten, seltsamsten und verschiedenartigsten Bildungen. Eure Laune ist so, daß sie mir schon oft Schwindel erregt hat; dann sprecht Ihr wieder so tiefsinnig, daß ich lange über ein hingeworfenes Wort von Euch sinnen kann. Ich möchte wohl in dem lichten Blumengarten mit meiner Seele wohnen, in welchem die Eure einheimisch zu seyn scheint. Ach! lieber Freund, was müßt Ihr in Eurer Jugend für ein liebenswürdiger Mensch gewesen seyn!
Der Alte schmunzelte, lachte dann und sagte mit seiner seltsamen Miene im gespitzten Gesicht: Ach nein! ich habe davon niemals viel rühmen können. Man ist nun einmal da, so wie man da ist, so schlimm und gut, so häßlich und verzeichnet, wie es Natur und Zufall nun einmal bestimmten.[297] Was die Seele selbst an ihrer Hütte baut, ist schwer auszumitteln, und nicht alle Seelen sind gerade in der Architektur Kenner und Meister. Mancher Schönheitssinn ist wohl zur lustigen Strafe in einen häßlichen Körper eingesperrt. Andre, wie unser Johannes, haben darum das Malen und Bilden so leicht, weil Geist und Körper schön sind. Seht nur unsre Frau Catharina an, da haben alle Geister mitgewirkt, sie recht schön und wohlgefällig auszubauen. Wißt Ihr noch, schöne liebe Freundin, wie Ihr mir damals als Modell zur heiligen Catharina saßet? Ein andermal formte ich selbst die Mutter des Heilandes, die glorreiche Maria nach Euch ab. Am meisten aber gelang die Magdalena, und alle Welt wollte das hübsche Bild haben, so daß ich es auch mehrmals kopieren mußte. Damals lebten wir auch recht fröhlich mit einander. Die Zeiten wechseln freilich, und nichts ist beständig, als der Unbestand. Um nun nicht meine Rede zu vergessen, von der ich eigentlich ausgegangen war, so kann es wohl seyn, daß ich auch einen ganz andern mit meinem Handwerksgruß meine. Ich sagte also, Bild könne ein Bild und Sage die Sage erklären, weil uns der eigentliche Urtext doch verloren gegangen ist, und wir uns nur mit den Auslegungen behelfen müssen. Ist also, wie eine alte Kunde es von sich giebt, ein Theil der geschaffenen Engel abgefallen, und waren es eben, wie auch verlauten will, die kräftigsten und glänzendsten, so kann dieser Abfall doch auch nur so verstanden werden, daß sie eine andre Bahn suchten, ein andres Wirken, Schaffen und Beleben als jene orthodoxen, oder mehr passiven Geister, die in der Region blieben, die ihnen angewiesen war, und von ihrer Freiheit, die ihnen ebenfalls gegeben war, keinen Gebrauch machten. So entstand also durch ihren Sturz in die Tiefe wohl das, was wir die Wirklichkeit nennen. Sie ist nichts als eine Ueberhebung[298] über das Geistige, wodurch sich dieses mit dem Nichts, dem Vergänglichen auf das innigste verbindet und mit ihm durchdringt, wodurch es die Materie, die Zeit und das körperliche, sichtbare Wesen erschafft. So ist der Tod in das Leben gerufen, und das Leben ist mit dem Tode vermählt worden: beide eins und unzertrennlich. Und was ist nun Lucifer? Was schon so viele Alte gelehrt haben, die Kraft, die die Welt, die Bewegung, das Leben der Natur, Geist und Strömung der Materie in Bewegung setzt, und durch scheinbare Vernichtung schafft, und durch scheinbare Schöpfung vernichtet. So gebaren die Elohim die Welt. Als nun die Menschen vom Herrn als Mittelgeister hingestellt waren, ergaben sich diese, in Begeistrung, um die Natur und ihre Tiefen zu ergründen, ebenfalls dem Wirken dieses hohen, kräftigen Geistes, und wurden erst wahrhaft, natürlich und kreatürlich, als sie sich entzückt in den Tod gestürzt hatten, um das Leben zu finden. Doch immer wieder werden sie durch Sehnsucht und Liebe, Hingebung und Demuth zum ewigen Anfang, der ohne Anfang ist, hingetrieben, und in dieser Andacht steigt der Vater selbst in die brünstige, entzündete Seele, und löscht alles Irdische, Trostlose durch seine Gegenwart auf Augenblicke im zagenden Geiste des Menschen aus. Diese Liebe zum Unsichtbaren, diese Wollust im opfernden Hingeben hat uns der Sohn gelehrt, und so ist die Religion Christi die Religion der Liebe. Diejenigen, die sich ganz dieser süßen Vernichtung weihen, streben den Zauber der Kraft zu zerbrechen, und sich wieder in das Reich des Unsichtbaren, des Unwirklichen zu begeben. Wer aber im Wechsel bald seinen Geist mit allem Leben jener Wirklichkeit zukehrt, und sich dann wendet, um auch aus dem Quell der heiligen, wesenlosen Liebe zu trinken, der ist der vollkommene wahre Mensch. Das Versinken in die Ruhe, in den Tod[299] wird ihm neue Stärke geben, um die wirkende Unruhe, das sich verwandelnde, stets forttreibende Irdische zu genießen und zu verstehen, und die Sättigung im Leben und Schaffen wird ihn erst genug läutern, um jener Ruhe und des in sich selbst Versinken, um in Gott unterzugehen, fähig zu werden. Was ist uns Mittler, um uns dem Allerhöchsten, dem Unbegreiflichen zu nahen? Christ soll es seyn, in seiner Menschen- und Kindergestalt, in seinem Lehren und Leiden, in unsrer anbetenden Liebe und schmerzlichem Mitleid. Aber auch die Geschichte, die Natur, die Kunst, Poesie und Musik, so wie der Gedanke und die Philosophie können und sollen uns Vermittler seyn. In allen diesen wirkt und herrscht jener hohe Feuergeist, jener kräftige Engel, der sich vom Unsichtlichen trennte, und sich des Scheines, des Nichts, des Vergänglichen erbarmte, um auch dieses zum Triumph zu führen, und jenen Allmächtigen, Unaussprechlichen im sogenannten Irdischen zu verklären. Dieser Lichtträger, oder Lucifer, ist es, der im Helden, Denker, Begeisterten, Dichter und Künstler regiert und webt. Was dieser hohe Geist hervorbringt, ist freilich vor dem Auge des ganz in die Unsichtbarkeit versenkten Religiösen ein Nichts, ein Atom, ein Moment; aber in diesem Moment erhebt sich die ganze Ewigkeit. Ihr werdet es oft erlebt haben, mein Freund, daß im Beschauen eines schönen Gemäldes, in der Musik, oder wenn ein edles Gedicht Euch wahrhaft entzückt hat, Ihr im höchsten, innigsten Verständniß auf einen Augenblick ganz in das Kunstwerk übergegangen, und für diesen Moment Euch selber todt seid. Das ist der Augenblick der Weihe und der Seligkeit. Und gleich darauf, wenn Ihr zu Euch und zur Besinnung zurückkehrt – was blickt Euch in der Erinnerung des Entzückens und Verständnisses für ein Auge an? Der Ewige, Unaussprechliche selbst, der in Eure edelsten Kräfte hineingestiegen[300] war, Ihr habt Ihn erlebt und gefühlt, und in dem innersten Heiligthum der Kunst oder Natur, welches dieser Kunstgeist Lucifer Euch schuf und öffnete, ist doch nur wieder Er. Dieser erinnernde Rückblick, in welchem Ihr Ihn erkennt, ist der fruchtreichste, ergiebigste Eures Lebens, denn in ihm erzeugen sich tausend neue Gedanken und Gefühle zu künftigen großen Verständnissen. In solchem Moment weiß der Denker, so wie der begeisterte Freund der Kunst, daß er Ihn geschaut hat, und die Idee, wie es Platon nennt, ist ihm entgegen gekommen. Aus dem augenblicklichen Tode ist das höchste Leben erwachsen, und nur im Rückblick der Besinnung wird Er dann erkannt, indem er sich uns schon wieder entzieht, so wie Telemach im Entweichen erst Pallas erkennt, oder Jakob nach dem Kampfe, mit wem er gerungen hat, die Jünger den erstandnen Heiland, nachdem er in Emaus entschwunden ist. Ja, Freund, so sehen wir in dem Urgrund zuweilen ihn selbst, und der Heiland führt uns in milder Gestalt der Liebe zum Ewigen, vor dem wir nur zittern könnten, enthüllte er sich uns in ganzer Macht; so sind die Engel und Geister Vermittler, alle die Heiligen, Wunderthäter und Märtyrer, der Anblick des Kreuzes, der Kirche, der Lichter und Sacramente: aber nicht weniger jene kräftigen Geister der Erde, vor denen sich der Unverständige mit Scheu zurückwendet; diese Kräfte der Natur, der Kunst, des Forschens, der Geist der Schönheit, des Scherzes und des Witzes sind uns ebenfalls Vermittler, und geben uns den gemilderten Anblick des Ewigen, und unser Herz ist in Liebe gesättigt und jauchzt, von den Wogen der Liebe getragen und gehoben; denn diese, wohin ich nur blicke, kommt mir in tausend wechselnden Gestalten entgegen. Der Heerführer und hochkräftige Fürst dieser ist der geschmähte Lichtbringer, Lucifer, der Erreger des irdischen Glanzes, der[301] Freude, der Kunst und aller Poesie. Und diesen geheimnißreichen Meister, dem wir alle das Schönste zu danken haben, begrüße ich in allen Stunden, wie eben jetzt wieder, und wünsche, daß ich nichts gesprochen haben möge, was ihm entgegen ist.
Es sei Euch Dank gesagt, antwortete Friedrich, tief nachdenkend, daß Ihr die Erde, das Irdische und die Wirklichkeit, sowie den Schein und die schnell vorübergehende Entzückung aller Kunst, so hoch habt würdigen wollen; das Leben selbst erscheint so, wenn man Euren Grillen oder Einbildungen folgt, in einem weit schöneren und würdigeren Lichte; aber hütet Euch, daß Euch jene Kurzsichtigen nicht irgend einmal vernehmen, die alles nur nach dem Winkelmaaße messen, und das Geistige mit den gestempelten Gewichten wiegen wollen; diese könnten Euch böse Ausdeutungen Eurer Poesie machen.
Es hat nichts zu bedeuten, sagte der Maler; denn sie sind schwach, körperlich sowohl als geistig. Sie verstehen mich auch nicht, wenn ich nicht, um sie zu ärgern, dürre und grob alles sagte; und warum sollte ich sie angreifen? Bin ich doch im Wesentlichen mit diesen Priestern und allen Frommen einverstanden. Aber ich deute mir die Lehre; ich fable, wo Grund und Boden ausgeht. Alle Maler und Dichter haben es von je so gemacht, wenn man es gleich vielen, und vor allen dem großen Dante, sehr verdacht hat.
Catharina sagte: Eure Reden und schwärmende Phantasieen, lieber Alter, haben mich wehmüthig gestimmt. Wenn ich Euren Dichtungen folgen möchte, so schwindelt mir auch und der Boden versinkt mir unter den Füßen. Ist es nicht besser, sich dem Leben und der Poesie unwissend und bescheiden hinzugeben, als, wenn auch im Bilde, den Grund des Verständnisses finden zu wollen?[302]
Auch so ist es gut, antwortete Labitte; wer Ruhe dabei findet, ist im Recht. Jeder mag seinen eignen Weg gehn, nur ohne Hochmuth oder verdummenden Eigensinn, so wird jede Seele sich auch wahrhaft selbst antreffen. Ach! liebste Freundin, darum ist meiner Seele die Verehrung und Anbetung der Maria auch so nothwendig und unentbehrlich. In dieser Gestaltung der vergötterten weiblichen Natur hat sich die innige Poesie des Christenthums erst beschlossen. Die Liebe selbst, das stille Entzücken, die Verehrung der Ruhe, der himmlischen Ergebung, alles Süße, wovon das Kind schon still befriedigt wird und wonach der Greis sich noch sehnt, was der roheste Bösewicht und der wildeste Heide, der Gottesleugner und der Freche, der an Unschuld und Jungfrauen frevelt, was alle diese nie ganz in sich vertilgen können, ist in diesem Glauben, in diesem Bilde uns sichtbar und überzeugend nahe gekommen. Diese schöne Demüthige, diese kindliche Jungfrau, welche niemals zürnen kann, deren Fürbitte und Liebe sich nie erschöpft, die nie ermüdet, sich dem Flehenden zu nahen, die immerdar vergiebt und der Reue freundlich entgegen tritt, alle diese himmlischen Tugenden des ächten Weibes, welche nie glänzen, der Menge und dem stürmischen Gemüthe nie sichtbar werden, auch diese mußten vergöttert und in die Lehre einer wahren allgemeinen Kirche aufgenommen werden. Der schlichteste Sinn, dem alle Geheimnisse verschlossen bleiben, kann in dieser Anbetung seine Fülle und Genüge finden und den Durst seines Herzens löschen.
Und wie? erwiederte Catharina, wenn ich Euch auch ganz in diesem letzten Gefühl folge und verstehe, fallt Ihr dennoch nicht in eine Art von Heidenthum? Ja Ihr dürftet vielleicht dessen abgöttische Bilder nach Eurer Denkweise nicht so ganz aus Eurem Pantheon fortweisen, da Ihr schon mit Entzücken von den Feen und Geistern sprecht, die, nach[303] dem Glauben mancher, die Natur bewohnen und beleben sollen.
Der Dichter, sagte Labitte, muß auch nichts so unbedingt abweisen. Lassen wir jene Götterbilder immer als natürliche Kinder meines Lucifer gelten, womit auch der strenge Priester nach seinem Alfabet einverstanden seyn wird. Die Dialekte gehen wundersam durch einander; wenn die Maurergesellen, indem sie vom Thurme steigen und mit unverstandenen Worten an einander stoßen, nur nicht in Schlägerei verfallen, so ist die Sache an sich auch gut, daß jener unnütze Thurm nicht ausgebaut wurde. Wir wären gewiß niemals einig, wenn nicht jeder etwas anderes wollte und fände. Ihr erwähnt wieder jener Feen aus den Gedichten und der freundlichen Liebes-Ansicht jener Tage. Wie abscheulich, was uns seitdem so oft vom Satan, von der Hölle, den Martern, der Scheußlichkeit der Magie und der Zauberei ist gelehrt worden! Wohin hat sich dieselbe menschliche Phantasie verirrt, wenn wir von dem abgeschmackten Unsinn des Hexen-Sabbaths vernehmen; Wahnsinn und Dummheit, welchen selbst Männer, die sich verständig dünken, hie und da ihr Ohr leihen.
Ich habe noch wenig oder nichts davon vernommen, sagte Catharina, ich kenne nur durch Euer seltsames Bild einiges von diesem tollen Aberglauben. Ich meinte aber, alles sei nur ein wilder Scherz, und kein Mensch könne glauben, daß etwas Wahres zum Grunde liege.
Nein! nein! rief der Maler lachend; sie erzählen, wie alte Weiber wirklich durch eine Hexensalbe, die sie natürlich der Teufel bereiten lehrt, auf einem Besenstiel, wenn sie diesen beschmieren, meilenweit durch die Lüfte fliegen können. Auch verwandeln sie sich in Wölfe, Bären und andre Gestalten. Dem Satan, welcher bei dem Feste als Bock, Affe[304] oder Schwein präsidirt, wird dann ewige Treue geschworen. Man schmauset und tanzt nachher, und Unsitte und Unzucht wird ausgeübt, wie sie die beschmutzteste und verdorbenste Seele nur ersinnen kann. Wir brüsten uns mit Weisheit und Gelehrsamkeit, unsere Malerei und Baukunst ist ohne Zweifel herrlich geworden; aber kann dies, zusammt den weltberühmten, kostbaren Festen unsers burgundischen Hofes unsre Zeit als eine treffliche rechtfertigen, wenn dieser mehr als thierische Aberwitz in diese fröhliche Musik so widerwärtig hineinschreit? –
Das Gespräch ward jetzt ein allgemeines und heiteres, weil die Mädchen, so wie die älteren Frauen, ebenfalls in den Saal traten. Man genoß die dargereichten Erfrischungen, und aller Augen wurden jetzt nach der Thür des Gartens gerichtet, durch welche die hohe schöne Gestalt eines Jünglings eintrat, welchem einige geschmückte Diener folgten. Er war in himmelblauen Sammt gekleidet, und sein Mantel war von hellrothem, geflammten Atlas. Sein edler Wuchs wurde noch durch seine stolze Haltung erhöht, denn er erhob übermüthig den langen Hals, der glänzend aus einer einfachen Krause hervorstieg. Sein blaues Barett war mit Edelsteinen und einer kostbaren Reiherfeder geschmückt, und indem er durch den Garten schritt, glaubten alle, in dieser Erscheinung einen der vornehmsten jungen Herren des Landes zu erkennen. Er kam in den Gartensaal, ging auf die Wirthin stolz aber freundlich zu, verneigte sich vor ihr, indem er den Hut abnahm, und sagte dann mit feinem Ton: Ihr kennt mich wohl nicht mehr, schöne Frau?
Frau Denisel erhob sich, ging dem vornehmen Fremden mit Ehrerbietung entgegen und sagte: Nein, mein verehrter Herr, ich weiß nicht, wen mein armes Haus in Euch beherbergt.[305]
Es sind freilich nun schon zwölf Jahre her, sagte der Fremde, daß ich als ein Knabe in diesem Garten spielte. Damals war ich der arme Köstein, der Eurer Güte so manches zu danken hatte.
Ist es möglich? sagte die Frau verwundert, daß man sich so verwandeln kann? Nein, niemals, gnädiger Herr, hätte ich Euch wieder erkannt, so völlig, so durchaus habt Ihr Euch verändert. Und wie dankbar muß ich seyn, daß Ihr Euch in Eurem jetzigen Zustande meiner noch erinnert.
Man setzte sich, und der schlanke Köstein nahm seinen Platz neben der Frau des Hauses, welche er mit der größten Freundlichkeit behandelte. Mein Schicksal, sagte er, ist ein außerordentliches zu nennen. Arm, ohne Eltern und Verwandte, lebte ich hier in dieser Stadt. Die Geistlichkeit war freundlich gegen mich und nahm sich meiner Erziehung an; ein reicher, gut denkender Bürger, Schakepeh, eröffnete mir sein Haus und behandelte mich wie sein Kind. Von ihm wurde ich nach Gent geschickt, wo ich in das Haus des hohen Prinzen, des Grafen Etampes, aufgenommen wurde. Der Graf war freundlich gegen mich, und stellte mich unserm Herzoge, dem guten Philipp, vor. Der liebe, herrliche Fürst nahm mich wie seinen Sohn auf, er schenkte mir Haus und Gut, er erlaubte mir, daß ich immer um ihn seyn durfte, ja seine Gunst nahm so zu, daß er fast nicht mehr ohne mein Gespräch und Umgang seyn mochte. Er hat mich zum Ritter und reich gemacht, und ich darf mich rühmen, daß er auf mein Wort und meinen Rath achtet; und freilich, da die Zeit sich so gefährlich gestaltet, so thut er Recht, seine wahren Freunde von den falschen zu unterscheiden, damit, wenn es die Noth erfordert, er nicht ganz ohne Hülfe sei.
Friedrich, der diesen Köstein, den Günstling des Herzoges,[306] von dem das ganze Land sprach, noch niemals gesehen hatte, verwunderte sich über diese Reden, die der junge Ritter so leicht von seinen Lippen fallen ließ.
Jetzt, fing dieser wieder an, habe ich eines sonderbaren Vorfalles wegen die Reise hieher gemacht. Mein Vetter, der Canonicus Melchior, meldet mir, daß jener böse Denis, der einen fernen Verwandten von uns heimtückisch ermordet hat, zufällig sei entdeckt worden und krank im Spital liege. Dieser boshafte Mensch, den ich ehemals wohl gekannt habe, muß uns erklären, was er gegen uns und die Herren von Croys und den Grafen Etampes im Schilde führt, und mit wem er noch verbunden seyn mag.
Er erhob sich jetzt und rief aus: Ei! ist das nicht unser Vater Labitte? – Ei, lieber Alter, Ihr lebt also noch? – Er umarmte den Maler mit vieler Herzlichkeit und schüttelte ihm freundlich die Hand. – Ihr habt wohl, sagte er dann, alle die losen Streiche vergessen, die ich Euch damals, in Gesellschaft von andern Buben, spielte?
Freilich, freilich, sagte der Alte, denn es sind doch einige Jahre seitdem verflossen. Jetzt seid Ihr ein Staatsmann und von großem Einfluß. Viel Ehre, daß Ihr Euch noch eines armen alten Mannes erinnert. Hütet Euch nur, daß Euer Muthwille jetzt nicht unsern alten Herzog beschädigt, der freilich der Freunde bedarf.
Immer noch wie sonst! sagte Köstein lachend, es ist recht, daß Ihr mich ganz wie Euren ehemaligen Zögling behandelt. Unser alter Herr aber kennt seine Leute und weiß sie zu wählen. Seine bösgesinnten Feinde stehn leider auf der Seite seines Sohnes und Erben. Der Prinz, der seine männlichen Jahre erreicht hat, wird nur gar zu leicht von böswilligen Menschen und Verleumdern gelenkt. Wir haben[307] hinlänglich gegen diese zu kämpfen und müssen stets ein wachsames Auge auf alle Bewegungen unsrer Feinde haben.
Friedrich zog sich von diesem Gespräch scheu zurück. Er begriff nicht, wie ein Mann, der am Hofe und im vertraulichen Umgange der Großen lebte, mit diesem leichtsinnigen Stolze von seinen Verhältnissen reden konnte. Er schloß daraus, daß das Alter den Herzog noch schwächer und nachgiebiger gemacht habe, als man gewöhnlich glaubte, wenn er einem solchen unbesonnenen Jünglinge, wie dieser Köstein war, sein unumschränktes Vertrauen schenken könne. Frau Catharina, die dem jungen Freunde mit ihren Blicken folgte, schien seine Meinung zu errathen. Der Maler machte sich im Gegentheil mit dem jungen Ritter immer mehr zu tun und wurde noch vertraulicher und freundlicher. So seht Ihr, fragte er, den Dauphin von Frankreich auch wohl zuweilen?
Fast täglich, antwortete Köstein, und er ist immer sehr gnädig gegen mich, indem er mich vor vielen andern auszeichnet. In diesem verständigen Herrn er kennt man niemals, seinem Aeußern und Betragen nach, den Fürsten und den künftigen Regenten der großen Monarchie. Er ist leutselig, gesprächig, redet gern selbst mit den allergeringsten Leuten, trägt sich in seinen Kleidern fast immer bürgerlich, und ist am heitersten, wenn er seinen Rang und seine Bestimmung vergessen kann. Ja, mein alter Freund, wie hätte ich mir das vor zwölf Jahren einbilden können, daß ich jetzt nur mit großen Herren und Regenten umgehen würde, und mit ihnen allen auf dem vertrautesten Fuß? Denn ich muß sagen, unser großer mächtiger Herzog liebt mich so sehr, daß er mir nicht leicht eine Bitte versagt, beträfe sie auch einen noch so wichtigen Gegenstand.
Könnte man nicht, sagte der Maler, auf diesem Wege unsern zu eifrigen stellvertretenden Bischof von Baruth entfernen?[308] den kleinen Bernhard? Der Mann macht sich lächerlich und kann dem geistlichen Stande keine Ehrfurcht erwerben.
Mit der Geistlichkeit, antwortete Köstein, lassen wir uns nicht ein; das ist der einzige Punkt, wo mein wackrer, edler Herzog immer eine Art von Scheu und Furcht zeigt. Er setzt seinen Stolz mit darin, für einen rechtgläubigen Christen und einen Vertheidiger der heiligen Kirche zu gelten. Er hat auch keinen Einspruch sich erlaubt bei der sonderbaren Begebenheit, die sich jetzt in Langres zugetragen hat. Ich bin über diesen Ort auf meiner jetzigen Reise gekommen, weil ich dort eine bedeutend große Summe einzunehmen hatte. Sie waren eben dabei, einen Gottlosen oder Ketzer zu verbrennen, wegen, ich weiß nicht welcher Lehren, die sie ihm zur Last legten.
Wie? rief Frau Catharina mit Entsetzen aus; wiederum hört man von dergleichen Abscheulichkeiten? Wo ist die Hoffnung, ja die Ueberzeugung geblieben, die wir schon gefaßt hatten, daß von diesen Grausamkeiten niemals mehr die Rede seyn solle?
Friedrich hatte sich im Unwillen erhoben, Labitte sah schwermüthig aus, aber Köstein sagte ganz gleichgültig: Lieben Leute, was soll denn mit Menschen geschehen, die auf keine Vermahnung, weder weltliche noch geistliche, etwas geben wollen? Immer besser, man verbrennt sie, oder schafft sie auf andre Art aus der Welt, als daß sie noch viele mit ihrem bösen Beispiel und Wandel anstecken.
Da es spät war, trennte man sich. Köstein ging wieder zum Canonicus, um mit diesem Abrede wegen seines Prozesses zu treffen, und Friedrich begab sich mit Labitte zu Wundrich, um über diesen Vorfall, weshalb der junge Köstein nach Arras gekommen war, so wie wegen der alten Gertrud nähere Erkundigung einzuziehen.
[309]
Einer der reichsten Bürger von Arras gab alljährlich ein großes Fest, zu welchem er die meisten seiner Bekannten einlud. Da der heitere Mann ein ganz außerordentliches Vermögen gesammelt hatte, durch Holzhandel und seine Verbindungen mit dem Auslande, da er in Antwerpen, noch mehr aber in Brügge, große Geschäfte machte und sein Vermögen mit jedem Jahre zunahm, so war diese Versammlung in seinem großen Hause für die ganze Stadt Arras gewissermaßen ein Fest zu nennen. Schakepeh war gegen jedermann wohlwollend, gegen die Armuth sehr wohlthätig, mit niemand verfeindet, lebte ohne Neid und Mißgunst, und unterstützte Handwerker und ärmere Kaufleute auf alle Weise; darum vergaben ihm auch die Vornehmeren sein bürgerliches Wesen, seine etwas rauhe Zutraulichkeit und den spaßhaften Ton, den er sich oft gegen jedermann erlaubte. Am schönen Sommertage strömte eine große Schaar von Gästen nach seinem weit ausgedehnten, glänzend aufgeschmückten Hause, das in der Hauptstraße einen großen Raum einnahm und viele andre Häuser überragte, ob es gleich nur von Holz gebaut war. In der Mitte sprang die Wand mit Fenstern vor, und bildete gleichsam einen Thurm, aus welchem man rechts und links die Straße weit hinunter übersehen konnte. An beiden Enden des Gebäudes waren ähnliche Thürme angebracht, das Dach bestand aus fünf geschmückten Giebeln, und allenthalben lief ein künstliches Schnitzwerk um Fenster und Thüren, wodurch das Haus ein seltsames und abentheuerliches Ansehn gewann, aber trotz dieser Alterthümlichkeit nicht unangenehm dem Blick erschien. Schakepeh hatte das Gebäude ganz nach seiner Laune ausgeführt, und keinen Rath und Einwand eines Bauverständigen anhören wollen.
Auf das Fest, welches jetzt gefeiert wurde, war die[310] Stadt und die Masse der geladenen Gäste diesmal begieriger als je, weil der Günstling des Herzoges, der junge Köstein, heute als der Vornehmste der Versammlung hier glänzte, wo er ehemals als Knabe, der von Wohlthaten erzogen wurde, von denselben, die ihm heut ihre Ehrfurcht bezeigen mußten, vor zwölf Jahren kaum war beachtet, oft bemitleidet, zuweilen verspottet worden. Alle waren neugierig darauf gespannt, wie sich dieser Emporkömmling, von seinen hohen Beschützern entfernt, benehmen würde.
Er war früher gekommen, und wandelte Arm in Arm mit dem alten Schakepeh durch die aufgeputzten Räume, und erinnerte sich, halb gerührt, halb mit Lachen, wie er in früher Jugend in diesen Zimmern und Sälen oft mit Angst sich umgetrieben habe, wenn sein alter Wohlthäter etwa nicht bei guter Laune gewesen sei. Der alte Holzhändler erfreute sich an dem heitern, einfachen Wesen seines ehemaligen Schützlings, dem es wohl that, einmal den Zwang des Hofes zu vergessen, und sich in Erinnerungen seiner Kindheit zu er gehn. Als beide alles betrachtet hatten, stellte sich Köstein in den vorspringenden Altan oder Thurm des mittlern Zimmers, um an der Seite seines Wirthes in die Straße hineinzusehn. Alle Fenster waren hinaufgezogen, und der junge schöne Mann stand halb an die Säulen und halb an den alten Bürger gelehnt, wie ein Fürst in seinem ritterlichen Schmucke da, so daß alle Vorübergehenden mit Ehrfurcht zu dem Söller hinauf schauten, und die gemeinen Bürger, die von Kösteins Ankunft noch nichts erfahren hatten, sich über den Holzhändler verwunderten, der einen so glänzenden Prinzen am Arme halte.
Jetzt kam Friedrich mit seinem Vater, dem Ritter Beaufort, und beide grüßten hinauf. Lebt der mürrische Beaufort noch? sagte Köstein; den Sohn habe ich schon[311] draußen bei der Frau Denisel gesehn. Die beiden wurden von Dienern empfangen, und an der Treppe, im großen Vorsaal, wurden sie von der schönen Sophie, der Tochter des Hauses, begrüßt. – Jetzt schritt die schlanke, große und schön gekleidete Frau Catharina über die Straße, von ihrem alten Freunde, dem Maler Labitte, geführt. – Was die große, mächtige Frau so schön bleibt und jugendlich! rief Köstein; schreitet sie nicht an der Hand des alten Narren wie eine Fürstin einher! – Mit höflichem Gruß traten die beiden in den kühlen Flur des Hauses. – Jetzt kam der Dechant über die Straße gegangen, vor dem sich alle Bürger in Ehrfurcht neigten, indessen er sie mit einem vertraulichen Lächeln grüßte. Köstein sagte: Der Marck, dieser Dechant ist ein würdiger und verständiger Mann; mich wundert nur, daß er nicht zugleich mit dem Canonicus, meinem Vetter, kommt. – Indem eilte der Canonicus Melchior aus der Nebengasse und holte den Dechanten noch ein, bevor dieser die Schwelle des Hauses betreten hatte.
Männer vom Magistrat kamen mit ihren Frauen und Töchtern, noch einige der vornehmsten Bürger, die zugleich Schöffen der Stadt waren, einige Edelleute mit ihren Gemahlinnen oder Töchtern, und nach einiger Zeit hörte man auch von schmetternden Trompeten das Zeichen, daß es Zeit sei, sich an die Tafel zu setzen. In der Mitte saß Köstein; ihm zunächst eine Edeldame, und auf der andern Seite die Tochter des Hauses, neben welcher Friedrich hatte Platz nehmen müssen. Ihnen gegenüber hatte der Dechant seinen Platz, neben Rittern und Magistratspersonen; in ihrer Nähe saß zwischen Frauen und Mädchen der alte Ritter Beaufort; in eine Ecke, um behaglich zu seyn, hatte sich der fröhliche Wirth zurückgezogen, und neben sich die Frau Catharina, die er gern sah und hörte, Platz nehmen lassen, so wie den[312] alten Maler, den er herzlich liebte. Bei der Tafel ertönte eine anmuthige Musik, die auf einer kleinen Gallerie im hohen Saale gestellt war. Diener warteten auf, mit reinlich gekleideten Mägden wechselnd, und man sah im Saal nur heitre Gesichter und Lachen und hörte nur fröhliches Schwatzen. Guter Wein und treffliche Speisen erfreuten alle Herzen, und abwechselnd wurden des Wirthes, der Gäste, der Damen, mehrmals Kösteins, dann wieder des Herzogs Gesundheit nach der Sitte des Landes ausgebracht, und jedesmal beantwortete die Musik das Lebehoch.
Indem das Gespräch allgemein und immer lauter wurde, konnte man die Rede des Einzelnen nicht mehr vernehmen. Bei eingetretener Stille sagte der Wirt: Es thut mir leid, daß der alte, gute Wundrich, einer meiner liebsten Freunde, nicht hat herkommen können oder wollen: er hatte aber so viel mit seiner kranken Gertrud zu thun, daß er es mir diesmal, das erstemal in meinem Leben, geradezu abgeschlagen hat, an diesem feierlichen Tage mein Gast zu seyn. Der gute Alte fehlt mir außerordentlich, und sein leerer Platz da thut meinen Augen weh.
Er erscheint vielleicht etwas später, sagte der Canonicus, denn er will keinem andern, als sich selbst die Kranke anvertrauen; er giebt ihr die Medikamente ein und sucht sie zu erheitern. Auch ist sie mehr melankolisch als krank. Er fürchtet, daß sie wahnsinnig bleibt.
Schade! sagte Schakepeh; so wäre uns eine Fromme, oder wohl gar Heilige so aus Reih und Glied gelaufen, um im Narrenthurm zu endigen. Warum gränzt nur die Unklugheit immer so nahe an das Allerbeste im Menschen?
Der Dechant erwiederte: Doch wohl, weil das Beste und Edelste immer ganz geistiger Natur ist und ganz mit der Liebe eins. Wir erleben es ja aber auch oft, wie leicht[313] sich und wie schnell die heftigste innigste Liebe in fürchterlichen und grausamen Haß umsetzen kann.
Davon sind freilich alle Geschichten und Gedichte voll, sagte Flamand, ein junger Advokat, der sich in alle hübsche Mädchen verliebte, und deshalb die Fabel der Stadt geworden war. Frau Catharina hatte zum Dechanten bei seinen Worten hingesehn und ein stechender Blick des Geistlichen begegnete ihr, der sie so ängstete, daß sie verlegen es lange nicht wagte, wieder empor zu schauen.
Wir bedürfen der Gedichte nicht, sprach der Dechant, um diese Wahrheit einzusehn. Alle Aeußersten berühren sich. Die wildesten Ketzer waren diejenigen, die vorher im Ruf der Frömmigkeit gestanden hatten. Wir lesen, daß oft brünstige Seelen, die wahrhaft den Herrn in der Jugend liebten, im Alter so herbe abfielen und sich dem Schöpfer abwandten, daß sie Gott verfolgten und das Heilige im Grimme zu vernichten strebten.
Kann seyn! rief Schakepeh, aber laßt uns nicht bei Tisch so ganz unerbauliche Gespräche führen. Bringt lieber was Thörichtes auf das Tapet, und wenn der ehrwürdige Herr Dechant der Aufgabe nicht gewachsen seyn sollte, so übernimmt mein alter Labitte, oder mein junger Flamand, oder eins von den schönen lachenden Mädchen die Mühe, die ja alle aus der Thorheit herausblühen, wie die Rose aus ihrer Knospe. Lacht, Menschenkinder, und sprecht thörichtes Zeug! –
Ja wohl, sagte Flamand, wäre es besser, nur das Heitre, oder Seltsame vorzutragen. Drei Meilen von hier liegt ein Dorf, in welchem der verständige Schulze vier alte Weiber hat einziehen und kriminell verklagen lassen. Und warum? Sie sollen Hexen seyn und alle Woche oder monatlich den Hexen-Sabbath einmal besuchen. Das ganze[314] Dorf ist über diese verständige Sache in Allarm, denn jedes Weib und jeder Mann steht in Gefahr, von der Weisheit dieses Schulzen ebenfalls in das Gefängniß geworfen zu werden. Er hört nehmlich die Wahnwitzigen an, und sie dürfen diese und jene nennen, welche sie ebenfalls auf dem Hexen-Sabbath wollen gesehen haben, und da dieser Traum, oder die Einbildung bei dem Richter für Wahrheit gilt, so ist es nicht unmöglich, daß er sein ganzes Dorf nach und nach, so wie die Bauern der benachbarten Oerter in die Gefängnisse steckt.
Viele lachten, und da der Dechant ganz ernsthaft blieb, sagte der Ritter Beaufort: Wie kommt es, geistlicher Herr, daß der Bischof, oder der Priesterorden und die Herrn Canonici nicht diesem Unfug steuern?
Der Dechant sah ihn mit einem sonderbaren Lächeln an, und erwiederte: Es ist wunderbar, wie die Geistlichkeit alles Auffallende, Thörichte oder auch nur Unbegreifliche richten und schlichten soll, und wie uns dieselben, die dergleichen erwarten, auch immer wieder vorwerfen, daß wir uns in alles mischen, was uns nicht kümmern sollte. Geschieht etwas Ruchloses, Gottloses, so heißt es: das hätten die Priester verhindern können und sollen, und durch ihre Säumniß sind sie gewissermaßen des Verbrechens mitschuldig! Erkennen wir geistliche und weltliche Strafen für nothwendig, um dem Uebel, das immer mehr um sich greift, zu steuern, so fordert man Langmuth, Vergebung, Lammsgeduld von uns, und meint, die Kirche sei nur da, um zu segnen.
Warum wollt Ihr mich so mißverstehen, trefflicher Herr? sagte Beaufort: Euer Stand ist so nothwendig, wie jeder andre, und ohne Kirche ist kein christlicher Staat möglich. Was die unwissende Unzufriedenheit der Schwätzer tadelt,[315] kümmert mich nicht; aber einem Wahnwitzigen, der sein Amt mißbraucht, dürft Ihr und müßt Ihr keck und mit schlichtem Wort entgegen treten. Auch dürfte, wenn einer tadeln wollte, dieser wohl fragen: Wie kommt der finstre Aberglaube, die ser Unsinn unter jene Landbewohner, die in einfacher Arbeit der Natur und Wahrheit so viel näher stehen? Wie ist es möglich, daß der Schultheiß, ein Mann, der als der Klügere, von der Gemeine gewählt wird, auf diesen Unsinn als Richter hört? Ein Unzufriedener würde dann wohl bemerken dürfen, ohne sich von der Wahrheit zu sehr zu entfernen, daß jene Priester auf dem Lande, so wie die Lehrer in den Dorfschulen zu unwissend sind, weder Vernunft noch Religion kennen, und jene Stellen ihnen nur anvertraut werden, weil sie zu keinem andern Geschäfte brauchbar sind, indeß die gebildeten, gelehrten Geistlichen nur nach Einkünften und hohen Plätzen streben, mit gleichgültigem Sinn die kirchlichen Ceremonien üben, und den Bürger und das Volk sich selber überlassen.
Mein Herr Ritter, sagte der Dechant, dieser Tadel ist schlimmer und ungegründeter als jener, den Ihr eben erst als unnützes Geschwätz wolltet abgewiesen wissen. Diese Gesinnung ist es eben, welche den Einfluß der Kirche und der frommen Priester schwächt, ja fast vernichtet. Wen sollen wir erziehen, wenn sich jeder klüger als die Kirchendiener, als die Lehrer des göttlichen Wortes wähnt?
Ihr seid zu scharf, geistlicher Herr, rief Köstein von seinem Sitze gleichgültig hinüber: jeder Stand hat seine Plagen und findet seine Verleumder, alle haben aber auch ihre Freude, und wie sehr die geistlichen Herrn nur auf ihren Vortheil sehen, das ist eine Sache, über die schon in alten Zeiten ist geklagt worden.
Als Schakepeh sah, daß man verstimmt war, rief er:[316] Bei Tische geht alles drauf und drein, man kann und soll nicht jedes Wort abwägen; Freunde sind wir alle, sonst wären wir nicht hier versammelt, und kein Wohlwollender wird ein hastiges Wort übel auslegen wollen.
Die Mahlzeit war geendet, und alle standen auf, mehr verstimmt als erheitert. Man begab sich in einen andern Saal, um eingemachte Früchte, Zucker, Obst und süßen Wein als Nachtisch zu genießen. Catharina war nachdenkend, und hörte nicht auf die Scherze ihres Wirthes, Friedrich blieb mit seinem Vater, Köstein und einigen Rathsherrn im Zimmer, weil sich unter ihnen ein lebhaftes Gespräch angesponnen hatte. Labitte ging träumend hin und her, da er, wie fast jeder, ziemlich viel des starken Weins genossen hatte.
In einem Bogenfenster, welches mit Blumenranken umhängt war, hatte sich Catharina zurückgezogen. Sie hörte nicht auf die Gespräche der andern, die von den Früchten, oder dem Zuckerwerk nahmen, sondern sie sah starr vor sich nieder, weil ihr Gemüth, ohne Gegenstand zwar, tief bewegt war. Sie sann nach, warum sie traure, und ein zagendes Zittern sie durchbebe, als sie die Augen erhob und über den Dechanten erschrak, der sich still an ihre Seite gesetzt hatte. Was ist Euch? fragte der Geistliche teilnehmend. –Weiß ich es selbst? antwortete sie; ich betrat mit Heiterkeit dieses Haus und werde es nun tief betrübt verlassen, ohne daß mir etwas begegnet sei, das ich traurig, oder nur unangenehm nennen könnte. Es scheint oft in der Luft eine Schwermuth zu regieren, die sich den Menschen unmittelbar einsenkt, denn alle waren heut, so schön das Wetter ist, verstimmt und zu Verdruß und Händeln aufgelegt.
Es ist wohl oft, sagte der Dechant, das Vorgefühl unsers künftigen Schicksals, welches der inwendige Geist schon[317] voraussieht, ohne Bild und Gestalt. Das mag wohl jene unnennbare Angst seyn, die zuweilen alle unsre Kräfte zusammendrückt. Die Erfüllung des Vortraums kommt oft erst nach Jahren. Auch mich quält oft solche Angst, von der wir nicht wissen, ob wir sie eine geistige oder körperliche nennen sollen. – Freundestrost ist in dieser Verstimmung das höchste Glück, aber Ihr habt Euch mir entzogen und wollt Euch immer mehr entfremden, ja es gefällt Euch, mich zu Euern Feinden zu zählen. Seht aber ein, schöne Freundin, daß zwei Menschen, die Verstand haben, sich einigen sollten, sich nützen, sich gegenseitig beruhigen, einer dem andern helfen. Jeder kann schaden und nützen. Und wenn es wahr ist, wie ich es denn nur zu gern glaube, daß Ihr mit Friedrich nicht in jener Verbindung steht, die ich argwöhnte, so solltet Ihr, Holdselige, nicht länger mein Gesuch und mein Bündniß abweisen.
Catharina ermuthigte sich und sah ihn mit ihren großen Augen durchdringend an: Es kann nicht seyn, sagte sie dann ruhig, ich erkläre es Euch fest und bestimmt.
Ihr werdet es einmal bereuen, fuhr der Dechant dringend fort, auch ist es unmöglich, daß eine so wahre Leidenschaft, wie es die meinige ist, keine Erwiederung finden sollte. Erinnert Ihr Euch wohl einer alten Armgart, die aus Euerm Hause sich mit einem Bauern verheirathete?
O ja, antwortete sie, sehr gut, sie war schon lange Wittwe gewesen und beging die Thorheit, nachdem sie einige Jahre die Aufsicht meines Hauses geführt hatte, sich mit einem jüngern Manne zu verbinden, der sie des kleinen Vermögens wegen nahm. Sie ist unglücklich, ich habe sie schon mehrmals unterstützen müssen; der Mann ist ein Trinker, und sie ist krank und gebrechlich geworden.
Ihr Elend, sagte der Dechant, hat sie bis zur Verzweiflung[318] getrieben, nachdem ihr Verstand schon gelitten hatte. Jetzt sitzt sie draußen im Gefängniß und wird morgen zur Stadt gebracht werden.
Und was hat sie begangen? fragte Catharina in großer Spannung.
Ein Verbrechen, an welches Ihr nicht zu glauben vorgebt, das aber unser Bischof und manche von der Clerisei als das größte und ungeheuerste ansehen.
Wie? rief Catharina, mit krampfhaftem Lachen, welches sie unterdrückte: eine Hexe ist sie wohl gar?
Sie hat sich selbst als solche angegeben, erwiederte der Dechant, indem er scharf in das Auge der Frau Denisel blickte, die ihn mit durchdringlicher Frage anschaute. Er hielt ihren starren Blick aus, ohne sich zu verwirren, und sagte nach einer langen Pause: worüber dieses Wundern?
Ueber Euern unerschütterlichen Ernst, sagte sie, selber sehr ernst.
Die Sache wird untersucht werden, antwortete er leichthin, in den Formen, nach Herkommen und Gesetz. Das geistliche Gericht wird sondern, was Wahnsinn, Krankheit, Einbildung und Wahrheit ist.
Wahrheit! rief sie fast kreischend aus, war halb aufgestanden und sank in den Sessel zurück; sagtet Ihr, nanntet Ihr Wahrheit? sprach sie dann, wie mit erschöpfter Stimme.
Wohl, Wahrheit, fuhr der Dechant milde fort; wie anders? Unser Bischof ist, wenn auch beschränkt, doch fromm, wenn nicht der Gelehrteste, doch von christlicher Liebe durchdrungen. Seine Beisitzer, die Kanonici, wir und die andern Priester werden ihm helfen und seine Meinung erläutern. Die Sache wird sich, so hoffe ich zuversichtlich, bald zum[319] Guten wenden. – Aber Ihr wechselt, bald mit Gluth, bald mit Leichenblässe. Ihr seid nicht wohl, schöne Frau.
Doch, sagte sie, nur für den Augenblick ein weniges verrückt. So, so könnt Ihr sprechen? Ihr, von dessen Lippen ich noch vor wenigen Tagen ganz andere Gedanken und Worte vernahm?
Wie ich gegen die vertrautesten Freunde, zu den Geliebten meiner Seele rede, sagte der Priester, ist ganz ein anderes, denn ich spreche dann nur mit mir selber. Zu diesen wollt Ihr aber nicht gehören, Ihr kündigt mir im Gegentheil Euern Haß an. Ihr seid, als leidenschaftliche Frau, zu voreilig, mit dem abzuschließen, was Ihr Wahrheit nennt. Wie neulich ein Mondstein herunter gefallen ist, was ich auch nie geglaubt hätte, wenn ich die große, schwere, fremdartige Masse nicht selbst gesehn hätte, so kann ich auch noch, und eben so Ihr, vieles, vieles lernen und erfahren, von dem sich in unsrer gewöhnlichen Stimmung unser Glaube mit Widerwillen abwendet. Diese Hexen haben sich selbst angegeben, sie schwören, daß sie jenen Sabbath besucht haben, den sie eben so lächerlich als entsetzlich beschreiben. Sie haben andre Männer und Frauen, Bekannte wie Unbekannte dort angetroffen, sie nennen Namen, sie bezeichnen die Gestalten, sie erzählen wieder, was diese gesprochen haben, sie wissen um Geheimnisse der Familien, die sie auf dem natürlichen Wege nicht haben erfahren können. Da der Prozeß schon eingeleitet ist, so kann es nicht fehlen, daß dieser und jener, der es sich jetzt noch nicht träumen läßt, mit in die Untersuchung gezogen wird. Verdrüßlich ist es, wenn Kranke oder Melankolische ihre Einbildungen oder Träume, oder selbst nur das Gelüst, diesem und jenem einen Schreck zu machen, mit der Wahrheit und ihrer wirklichen Ueberzeugung[320] verwechseln. Darum ist es jetzt mehr noth, als je, Freunde zu suchen, verkehrt ist, sie von sich zu stoßen.
Er faßte die Hand der Frau, und sah sie mit zärtlichem Blicke an. Catharina zog ihre Hand gelinde zurück, und sagte mit ruhigem, kalten Ton: Nun? Diese Armgart, die mich mehr kennt, wie irgend wer in der Stadt, die mich mehrmals besucht, die seit zwei Jahren von meinen Wohlthaten lebt: nicht wahr, sie hat vielleicht schon ausgesagt, daß sie mich auch auf ihrem Hexen-Sabbath angetroffen hat?
Nicht anders, geliebte Catharina, sagte der Dechant mit sanfter, gleitender Stimme, Ihr seid die allererste, die sie genannt hat.
Jetzt stand die Frau auf, erhob sich in ihrer ganzen Größe und sah stolz auf den Dechanten hinab. Ihr dauert mich unendlich, sagte sie, aber es schneidet mir durch das Herz, daß ich Euch so tief, so tief verachten muß. – Sie fiel wieder in ein krampfhaftes Lachen, welches ihren Körper heftig erschütterte, dann machte sie dem Schluchzen durch einen Strom von Thränen Luft, indem sie sagte: Ich glaubte die Menschen zu kennen, aber sie waren mir fremd, ich glaubte viel, auch großen Schmerz erlebt zu haben, aber die wahre hohe Schule fange ich jetzt erst an zu besuchen. Dechant, ärmster aller Menschen, jene verrückten alten Weiber, die Dummheiten faseln und den Namen Gottes mißbrauchen, sind doch weit edler, besser und selbst klüger, als Ihr. Also dafür, daß Ihr mich gegen diese Reden, Aussagen vertretet, Dinge, für die ich keinen Namen habe, dafür, daß Ihr Euch nicht auch aberwitzig anstellt, und die niederträchtigste Heuchelei als Diener des ewigen Gottes treibt, dafür soll ich Euch meine Gunst verkaufen, und Ihr redet dann wohl ein mildes, kluges Wort für Eure Buhlerin; mit dieser lacht Ihr dann wohl über die mehr als aberwitzige Verblendung jener[321] elenden Vetteln und Eures Bischofs. Nein, das wird nie, nie geschehn!
Gewiß nicht, sagte der Dechant, Ihr nehmt diese Sachen, die eigentlich wahre Kindereien sind, viel zu wichtig. Wie könnte man Euch, was könnte Euch gefährden? Es thut mir weh, daß ich Euch diesen Schrecken gemacht habe, habe machen müssen. Wie soll ich das wieder vergüten?
Daß Ihr mich nie wieder seht, sagte Catharina, indem sie sich wieder erhob, daß Ihr es vergeßt, wie wir uns je gekannt haben, daß Ihr meinen Namen nicht mehr nennt.
Gut, sagte der Dechant, es mag sich wohl so treffen; aber wodurch habe ich denn nur das, was Ihr doch für eine Strafe, und zwar eine recht empfindliche nehmt, verschuldet?
Wodurch? rief sie mit schneidendem Ton; dadurch, daß Ihr Euch nicht gleich den schändlichen Dummheiten widersetztet, daß Ihr nur mit einem ernsthaften Gesicht ihrer erwähnen konntet, daß Ihr von mir so geringe dachtet, geringer als von einem Thiere, daß diese Abgeschmacktheiten mich schrecken würden, daß Ihr Euch also dieser Fratzen bemächtigt, um Eure niederträchtige, sündliche Lüsternheit zu büßen, und mich auf so wohlfeile Art zu Eurer Sklavin zu machen.
Sie wollte sich mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung entfernen, aber der Dechant, tief erschüttert, hielt sie gewaltsam beim Kleide fest, und setzte sie wider ihren Willen in den Sessel zurück. So ist es nicht, sagte er dann, indem er den Blick erhob, bei Gott, ganz so ist es nicht, nicht so schlimm habe ich es mit Euch gemeint, so sehr Ihr mich gekränkt und beleidigt habt. Man ist schlimm, aber doch nicht ganz so verworfen, wie Ihr glaubt.
Was wollt Ihr mit mir? sagte sie, den Dechanten abwehrend. Ich kenne Euch nicht mehr. Soll ich Hülfe rufen? Soll ich Euch, wie einen Hund, mit Füßen von mir stoßen?[322]
Ihr sprecht ja, sagte der Dechant wieder bitter und mit einem grinsenden Lächeln, wie eine Fürstin der Tugend und Ehre. Wehrt Euch! wehrt Euch, wenn auch nicht gegen die Aussagen der blödsinnigen Armgart, doch gegen den Ernst, der Euch von einer andern Seite bedroht. Ja, es wird Ernst, so wenig Eure Hochfahrenheit auch dem warnenden Freunde glauben, und seine Liebe und Hülfe annehmen will. In Langre ist ein frommer Einsiedler, der seit Jahren dort im nahen Walde lebte, eingezogen worden. Das geistliche Gericht hat ihm den Prozeß gemacht. Aus Briefen, Papieren, die man bei ihm fand, aus seinen Geständnissen, die er theils frei, theils auf der Folter ablegte, ist hervorgegangen, daß er ein verruchter Ketzer, ein Rebell gegen die Kirche, ein Waldenser war, der Lehre zugethan, wodurch diese Frevler schon früh die Kirche stürzen wollten. Vor drei Tagen ist er verbrannt worden. Man hat auch Blätter von Eurer Hand gefunden. Der verbrannte Missethäter ist niemand anders als Euer geliebter Robert.
Catharina stieß einen lauten, durchdringenden Schrei aus und lag todtenblaß und regungslos wie eine Leiche im Sessel.
Alles lief herbei. Ein Theil der Gesellschaft, die um das Bankett, oder den Nachtisch, saß und stand, hatte schon mit Verwundern dem lebhaften Gespräche aus der Ferne zugesehn, welches der Dechant mit Frau Catharina führte. Der Wirth war um die Frau, die er immer geehrt hatte, sehr besorgt. Er ließ eine Sänfte holen, und die Kranke, als sie wieder zur Besinnung gelangt war, nach ihrem Hause führen, von seinen Dienern begleitet. Der Dechant, den man befragen wollte, was vorgefallen sei, war, ohne daß man es bemerkt hatte, schon fortgegangen. Was kann geschehen seyn? sagte Schakepeh, ich meinte immer, unser Herr[323] Dechant sei mit der Frau Denisel gut Freund. Es war ja, als wenn sie lebhaft stritten, und er ihr zuletzt etwas Entsetzliches sagte.
Die Frauen und Mädchen waren sehr besorgt, und Schakepeh, verdrüßlich geworden, rief aus: An diesen Schmaus werde ich gedenken! Ist es nicht, als wenn heute böse Geister in meinem Hause ihr Spiel trieben? Noch nie sind alle meine Gäste so verstimmt und ärgerlich gewesen, und kein Mensch weiß, wo das Unheil herkommt, oder wer es erregt. Sollte man nicht an Zauberei und Hexen glauben, von denen die Pöbelleute jetzt wieder fabeln wollen?
Indem vernahm er wieder im benachbarten Zimmer ein lautes Gezänk. Erschrocken sprang er hinein, und diejenigen von seinen Gästen, welche noch geblieben waren, folgten ihm nach. Köstein war es, der trunken und vom Zorne heiß, gegen Friedrich den Degen gezogen hatte. Einige ältere Männer hielten den wüthenden Jüngling fest, und suchten ihm die Waffe aus der Hand zu ringen. Köstein hatte noch einige Kelchgläser Wein auf das Wohlsein des Herzogs Philipp, seines großen Beschützers getrunken; der Ritter Beaufort hatte ihm Bescheid gethan, und dann die Gesundheit des Prinzen Carl, des Grafen von Charolais ausgebracht, welche der schon trunkne Köstein in seinem Uebermuthe verweigerte. Beaufort und sein Sohn Friedrich hatten dies übel empfunden, sie wollten ihn zwingen, ihnen Bescheid zu thun, und Köstein, anstatt sich zu besinnen, hatte sich in heftige Schmähungen gegen den Prinzen ergossen. Bösewichter! rief eben der erhitzte Jüngling, als Schakepeh mit seinen Gästen in den größern Saal trat, ich will Euch lehren, den alten Herrn, meinen Fürsten respektiren! Auf den Knieen sollt Ihr, Rebellen, seine Gesundheit trinken, und den Boden dazu küssen. Was soll uns dieser Prinz?[324] Dieser Händelmacher? Dieser Unfähige? Er der alle Welt haßt, und von allen gehaßt wird!
Schakepeh trat näher und sagte: Kind! schreit nicht so alberne Reden heraus! Her mit dem Degen, den Ihr so wenig, wie die Zunge, zu regieren wißt.
Er gesellte sich zu den Rathsherren, die den wüthenden Köstein fest hielten, und nahm diesem das Schwerdt aus der Hand, welches der Trunkne jetzt nicht zu bemerken schien, denn er nahm plötzlich, ganz freundlich den alten Schakepeh beim Kopf, warf sich in seine Arme, küßte ihn herzlich und sagte: Ihr seid doch noch ein verständiger Mann, der weiß, was sich geziemt, und wie man sich gegen ausgezeichnete Gäste, die am Hofe vielen Einfluß haben, zu betragen hat. Kauderwelsche Menschen aber, wie der alte Ritter dort, haben in dem kleinen Nest hier keine Lebensart, keine Rittersitte gelernt, sie wissen keine Unterschiede zu machen. Aber wartet nur, Ihr tückischen Kleinbürger! Der Prinz, mein Graf Etampes, ja der Herzog selbst soll es erfahren, wie schlecht Ihr von ihm gesprochen habt, und wir wollen alsdann doch sehn, ob wir nicht Euern rebellischen Nacken beugen können.
Herr Schakepeh, sagte der alte Beaufort, der auch vom Wein und Zorn erhitzt war, ich brauche Euch wohl nicht erst zu sagen, daß der trunkne junge Mann etwas Inhaltsloses daher faselt, Ihr kennt mich lange genug, sowie ich auch meine Denkungsart niemals verschwiegen habe. Ich verehre den Fürsten, den guten Philipp, aber wir müssen auch dessen einzigen Erben hochachten und lieben, wenn wir Patrioten seyn wollen.
Friedrich sagte, selbst zornig: Zürnt nicht, mein Vater, es ist der Mühe nicht werth. Der junge Mann hat nicht Erfahrung und Ueberlegung genug, er kann Euch nicht beleidigen.[325]
Köstein ward hierüber von neuem wüthend. Ich kann Euch und jedermann beleidigen! rief er aus; das Vorrecht wird und soll mir bleiben! Ich habe schon manchen beleidigt, in Brügge, Gent und Brüssel, und die kleinen Bürgersleute haben's hinnehmen müssen, ohne nur das Maul aufzuthun! Ich war gegen hundert Menschen völlig im Unrecht, und doch haben sie sich nicht verantworten dürfen. Das fehlte noch, daß man mir oder einem Prinzen von Geblüt, oder den Herrn von Croys noch viel widerspräche, wenn wir im Unrecht sind! Das wäre ja eine ganz neue Haushaltung!
Gevattersmann, sagte jetzt Schakepeh, setze Dich vors erste da nieder, und trink einen Becher kühlen Brunnenwassers, das wird Deinem vornehmen Eifer gut thun. Wir müssen alle als gute Freunde und Nachbarn leben. Du hast die Gabe, den Leuten Unrecht zu thun, und sie ohne Noth zu beleidigen, das sehn wir ja alle; aber Herr Beaufort und wir haben auch die Gabe, Dir zu vergeben und einzusehen, daß Du ein junger leichtsinniger Thor bist, dem die Hofgunst in den Kopf gestiegen ist, und der nun in seinem Wirrwarr alle zusammenwettern möchte, wenn wir es litten. Nicht wahr, so verhält sich die Sache, wenn wir es beim Lichte besehn?
Köstein lachte wieder und umarmte von neuem seinen Wirt. So ist es, sagte er fröhlich, Du hast es getroffen, und Dir als meinem zweiten Vater, als dem Verständigsten hier, als dem musterhaften Bürger, der so vortreffliche Weine in seinem Keller hat, übergebe ich nun mein Schwerdt und nenne mich Deinen Gefangenen, bis ich mich von Dir ranzioniert habe.
Er faßte nach dem Degen und war sehr verwundert, nur die Scheide anzutreffen. Wer sprach von Zauber? rief[326] er aus; ja wohl, ich sehe es, wir sind alle behext! Das starke Schwerdt ist verschwunden, und wenn Stahl und Eisen nachgeben muß, so soll mein Herz nicht mehr als der Degen verhärtet seyn. Ich nehme es gnädig und wohlwollend an, daß der Ritter Beaufort und sein Sohn mich um Verzeihung bitten, und vergebe den lieben guten Leuten, die freilich niemals am Hofe gelebt haben. – Er umarmte mit vornehmer Herablassung den alten Ritter und Friedrich, die ungewiß schienen, ob sie auf diese Worte nicht von neuem etwas erwiedern müßten. Schakepeh hinderte aber einen neuen Ausbruch des Zornes, indem er alle nach der Reihe umarmte und sie dann nach dem Bankett führte, indem er sagte: Versüßt hier im Confekt und Zucker die Bitterkeit Eurer Geister. Nichts besser, als so ein Niederschlag von süßen Sachen, so daß der kräftige Geist sich einer gewissen sanften Schwermuth und Sehnsucht ergiebt, die ihm recht schwärmerisch aus diesen Dingen da erwächst, so daß, wenn der Mensch etwas zuviel genießt, aus diesen lauen und flauen Empfindungen einer geläuterten Moral der fleißige Näscher sich bis zur wahren körperlichen Uebelkeit und einem wohlthuenden Ekel empor schwingen kann.
Sie setzten sich beruhigt nieder, und Köstein, welcher neben der schönen Sophie Platz gefunden hatte, war gegen diese besonders freundlich. Der Ritter Beaufort schämte sich jetzt seiner Hitze, und sprach mit Friedrich, dessen jugendliche Wangen noch glühten, wie man niemals und unter keinen Umständen seinem Zorne Raum geben müsse.
So war die Ruhe des Hauses wieder hergestellt, und Labitte, welcher, selber halb trunken, für seinen Freund, den jungen Friedrich, lebhaft Parthei genommen hatte, setzte sich auch zu Schakepeh nieder, um von den gezuckerten Früchten zu genießen. Ihr seid der ächte Friedensstifter, Freund,[327] sagte er zum Alten, denn Euer Wein, der erst den Zwist erregt, besänftigt ihn auch wieder. Wenn es wirklich schadenfrohe Geister giebt, so haben sie heute ihren Fastnachts-Aufzug in diesen Sälen gehalten. Mir deucht, meinem verklärten Auge sind sie auch sichtbar gewesen. Das gaukelte von allen Seiten, an den Fenstern, über der Tafel, und die Geisterkerle, die lange rothe Nasen hatten, hielten diese immer über den Kelchgläsern, noch ehe die Gäste daraus tranken. Hatten sie nun den Duft eingezogen, so glinzten und gläserten die grünen, widerwärtigen Augen noch grüner. Und bei dieser Gelegen heit habe ich die naturhistorische Bemerkung gemacht, daß die Arten des Weines verschiedne Arten von Geistern anziehen und sichtbar machen. Denn ich, der ich ein Fürst und kommandirender Feldherr über alle diese Arten von Kobolden bin, und jedem gleich an der Nase ansehen kann, wohin er zielt, oder was er meint, hielt alle diese geflügelten, schwebenden, Duft einschlürfenden Vagabunden durch meinen Blick in einer gewissen Ordnung, denn sonst hätten sich wohl heut ganz andre Prügeleien in Euren hübschen Sälen kund gethan. Ich brachte es aber dahin, daß sie den Anstand doch einigermaßen beobachteten. Ach! Ihr glaubt nicht, wackrer Schakepeh, als die hübschen Mägde den süßen, lieben Wein aus Languedoc hereinbrachten, der in den Kristallgläsern so zart schwebte und bebte, was sich da schöne, rosenroth durchsichtige Sylphiden mit den brennenden Lippen an den Rand drängten, um von der zauberischen Fluth zu nippen. Darauf schlugen sie die himmelblauen Augen so entzückt auf, daß es von dem klaren Schimmer selbst im Saale leuchtete: die eine, die etwas zu viel getrunken haben mochte, schwebte nach dem Fenster und setzte sich dort in den großen Blumenkranz, steckte ihr krauses Köpfchen in die kühle, eben aufgeblätterte Rose und schlief[328] nun so süß und entzückend ein, daß ich mich in das Feenkind mit meinem ganzen Herzen verliebt habe. Wenn sich der blanke Busen im Schlummer hob und senkte, so wallten die Rosenblätter gelinde, und das Aurikelchen daneben bebte vor Wonne. Dem groben Blick schien es, als spiele nur die Sommerluft manierlich in den bunten Blätterchen. Ei, Alter, es verlohnte sich schon deswegen der Mühe, einmal zu sterben, um diese Kinderchen mehr in der Nähe kennen zu lernen, und ihnen die Liebeserklärung zu machen. Nachher kam eine Fliege durch das Fenster geflogen, stieß in ihrer groben Ungeschicklichkeit an die Rose, und mein Liebchen wachte wieder auf. Nun setzte sie sich aufrecht, legte die Beinchen ruhend über einander, und sah alles aufmerksam an, was die wilden, thörichten Sterblichen im Saale vornahmen. Glaubt Ihr wohl, edler Mann, daß einer von den rothnasigen Kerlen jetzt mit dem Kindgeiste ein dummes Gespräch anfangen wollte? Der Stümper war auf gemeine menschliche Art so simpel hin betrunken, und verstand nicht den edlen Rausch meiner Sylphe. Sie winkte ihm aber mit den weißen Fingern, gegen die die Lilienblume noch schmutzig ist, so majestätisch und doch so freundlich ernst, daß er nicht den Muth hatte, seine Dummheiten oder Liebeserklärungen anzubringen. Nun glaubte ich gewonnen Spiel zu haben, und lächelte sie mit so vieler Holdseligkeit an, als ich nur zu Stande zu bringen wußte; da schlug sie aber ein so lautes und possirliches Gelächter auf, daß ich beschämt von meinem Traum erwachte. Ich saß gerade dem Spiegel gegenüber, und erschrak vor der grinsenden Fratze, die ich mir selbst entgegen hielt.
Der verstimmte Schakepeh hörte nur halb auf das Geschwätz des alten Malers hin, denn ihm war, als wenn eine trübe Ahndung ihm sagte, daß neue Unruhe oder neuer Zwist[329] diesen Tag wiederum verstören würden. Auch schwebte ihm immer noch das Bild der ohnmächtigen, leichenblassen Frau Catharina vor den Augen. Er mochte den heiter faselnden Labitte nicht durch die Nachricht von der plötzlichen Krankheit der Frau überraschen, weil er wußte, wie sehr der Maler ihr Freund war. Dieser hatte den sonderbaren Vorfall nicht bemerkt, weil seine Aufmerksamkeit indessen im andern Saale war beschäftigt gewesen. Es war dem Wirthe daher lieb, daß Labitte noch weiter dichtete, und einige der jüngeren Leute der Laune des Alten gern zuhörten. Noch mehr war er erfreut, als Köstein sich jetzt erhob, um Abschied zu nehmen; dasselbe that der Ritter Beaufort und Friedrich, dessen Augen vergeblich die Frau Denisel gesucht hatten. Köstein, ganz ernüchtert, wie es schien, ging ohne Nachweisung selbst zu dem Tische, auf welchem sein Degen lag, steckte ihn ruhig an und sagte dann, indem er dem Ritter die Hand reichte: So sind wir denn also wieder Freunde, und bleiben solche.
Beaufort gab ihm nachlässig die Hand und sagte leichthin: Warum nicht? Was man im Trunke spricht, vergißt sich am leichtesten.
Kann seyn, erwiederte Köstein, indem er stolz das Haupt aufrichtete und mit wichtiger Miene sein kostbares Barett aufsetzte. Aber wir Hofleute, fuhr er lächelnd fort, sind tückisch, wir haben unsre Freude an der Bosheit, und nichts geht über die Lust, als den Gegner, den man sicher gemacht hat, so recht plötzlich, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, zu beschädigen und ihm recht empfindlich wehe zu thun. Von dergleichen Feinheiten des Lebens wißt Ihr hier herum nun freilich nichts, Ihr Holzhändler, Tapetenweber oder Rittersleute aus dem vorigen Jahrhundert. Wer aber mit Grafen und Herren umgeht, mit den Croys, den Etampes, den Herzogen, der lernt auch diesen hohen Geschmack unter den[330] Gerichten der Lebensmahlzeit am meisten schätzen und genießen.
Friedrich wollte etwas antworten, hielt aber auf einen ernsten Wink des Vaters seine Rede zurück, und Schakepeh, der den jungen übermüthigen Ritter noch begleitete, kam ganz heiter die breite Treppe wieder herauf und trat gesprächig zur Gesellschaft, um in dieser noch eine frohe Stunde zu genießen, da sich der Unruhestifter endlich friedfertig entfernt hatte, als eine neue Erscheinung ihn und alle, die noch zugegen waren, heftig erschreckte und ihre Gemüther mit Grauen erfüllte.
Der Küster Wundrich stürzte blaß, entstellt, mit aufgesträubtem Haar und allen Zeichen des Entsetzens herein. Seine Kleidung war unordentlich, die Krause seines Halses verschoben, und so wie er eintrat, fiel er, bevor er noch jemand begrüßt hatte, matt in einen Sessel nieder. Die Brust klopfte ihm, er suchte nach Athem und Stimme, aber das Wort versagte ihm. Ihm folgte ein starker, fest gebauter und untersetzter Mann, ein alter Freund des Schakepeh, Peter Carrieux, der reichste Tapetenwirker der Stadt Arras. Auch dieser schien aufgebracht und erschrocken, hatte aber doch mehr Fassung behalten als der Küster.
Alles drängte sich um den wohlgekannten Wundrich, und Labitte zeigte sich am meisten besorgt. Der Wirth des Hauses reichte dem Erschöpften selbst einen Becher Wein, damit dieser sich erholen und seine Kräfte wiederfinden möge. Carrieux ging indessen im Saale auf und ab und stampfte heftig mit den Füßen.
Endlich hatte sich Wundrich etwas gefaßt und sagte nun mit matter Stimme zu Schakepeh und den Umstehenden: Verzeiht, daß ich Euch durch meinen Eintritt diesen Schrecken verursacht habe, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich zu Euch[331] gekommen bin. Ich erinnerte mich plötzlich, daß ich Euch versprochen hatte, Euer großes Fest mit feiern zu helfen. Die Zeit war schon vorüber, und ich komme jetzt her, zu einem alten Freunde, bei dem ich Trost suche, oder dem ich meine Klagen sagen darf.
Ihr wißt, daß unsre alte Gertrud seit einiger Zeit krank und das ist, was man unklug nennen muß. Ich habe sie gesehn und getröstet, und sie schien wieder auf dem Wege der Besserung. Geistlichkeit und viele vom Adel und Bürgerstand halten das liebe alte Weib für eine Heilige, die auch seit Jahren mit schmerzlicher Aufopferung sich so milde, wohlthätig und demüthig erzeigt hat, daß sie für das Muster einer wahren und ungefälschten Christin gelten konnte.
Ihr habt von dem Geschwätz vernommen, wie einige dumme alte Weiber in einer Art Wahnsinn sich selbst, nachdem die Bauern sie lange schon so gescholten, für Hexen angegeben haben. Wir glaubten über diesen Unsinn lachen zu können. Eine alte Magd, die der Alten zuweilen etwas hilft, ihr auch vom Dorfe Kohl oder sonst ein Gemüse bringt, erzählt unsrer Gertrud von diesen Albernheiten. Als ich zu ihr komme, finde ich sie sehr matt und schwach, und sie bittet und forscht, ob es nicht möglich sei, daß der Bischof zu ihr kommen oder sie zum Bischof gehen könne. Ich begriff die Bitte nicht, da sie niemals mit den Herren aus der Geistlichkeit, mit den Prälaten sich hat einlassen wollen. Ich suchte ihr die Grille auszureden, aber sie beharrte fest, weil sie etwas Wichtiges entdecken wolle und müsse. So trug ich denn dem Herrn Bischof von Baruth die Sache vor, und er ging mit mir zum alten, wunderbaren Weibe hinaus. Die Vorstadt und die Nachbarschaft verwunderte sich, daß der hohe Prälat in eigner Person die Hütte besuche.
Wie wir hineintraten, fand ich die Alte wie verwandelt.[332] Sie erhob sich hastig, sie bewegte sich schnell, ihre Augen glänzten auf unnatürliche Art, und sie hatte fast das Wesen einer Trunkenen. Ich entsetzte mich vor dem Anblick, sie aber, die mein Erstaunen sah, lachte mir höhnisch ins Gesicht. Der Bischof breitete die Arme aus, indem er sie segnete, und sagte: Fromme, heilige Frau, sei mir gegrüßt, nach deren Anblick mein Auge sich schon lange gesehnt.
Sie sah ihn an und lachte wieder, beugte sich dann und fiel zu seinen Füßen nieder. Ihr irrt, gnädiger Herr, rief sie, ich wollte Euch eröffnen, daß ich die größte, die allerschlimmste Sünderin auf der ganzen Welt bin. Seit Jahren bin ich verworfen und heuchle in Bosheit Christenthum, Demuth, Wohlthun und Frömmigkeit. Ja, hoher Bischof, seit vielen Jahren habe ich mich mit meinem eignen Blute dem Satan und allen Teufeln verschrieben, habe Gott und Christum auf ewig verleugnet, meinem Antheil an der Seligkeit abgesagt, und bin nichts als eine versuchte Hexe und Zauberin, die den Scheiterhaufen verdient. Seit manchem Jahre habe ich mit vielen andern fast alles Unglück, welches unsre Stadt betroffen hat, herbei gezaubert, die Dürre, den Mißwachs, die Feuersbrünste, den Tod so mancher guten Menschen, Alte wie Junge. Immer höher ist meine Bosheit gestiegen, und ich war nun dabei, die Brunnen zu vergiften und alles zu verderben, so weit mein Wunsch und Wille nur reichen mochte. Das versprach mir auch mein Geist, der in Gestalt einer Ziege seit einem Monat mit mir hauste. Nehmt nun mein Bekenntniß an, glorreichster Herr, gebt mir meine Strafe, so kann meine arme, so tief verschuldete Seele vielleicht noch gerettet werden.
Der Prälat stand da, in Staunen aufgelöst; ich entsetzte mich vor diesem Wahnsinn der Armen und näherte[333] mich demüthig dem Bischofe, um den Unsinn der Alten zu entschuldigen.
Der Küster hielt inne, um sich wieder zu erholen. – Und der Bischof? fragte Schakepeh. – Und wie ward es? riefen viele Stimmen durcheinander.
Hier nun, hier, so schrie Carrieux mit donnernder Stimme, hier fängt es nun an, Freunde, wo uns allen das Blut in den Adern stocken muß. Hört ihn nur, unsern wackern Küster, laßt ihn nur zu Ende erzählen!
Wundrich stand auf und sah sich in der Versammlung um. Ja, lieben Freunde und verehrte Männer, sagte er mit feierlicher Stimme, berathet euch, sinnt, denkt, wie uns Hülfe werde. Denn der Bischof, ohne auf meine Mahnung zu achten, wies mich strenge zurück und hieß mich schweigen. Seit lange, rief er, habe ich eine solche Entdeckung, wenn auch nicht aus Euerm Munde, Frau Gertrud, erwartet. Man wird gewiß Rücksicht darauf nehmen, daß Ihr Euch freiwillig, obgleich Ihr im Geruch der Heiligkeit standet, angegeben habt.
Ich fuhr zurück, denn diese Rede hatte ich nicht erwartet. Er aber rief seine Diener, die auf der Gasse seiner warteten, und hieß sie die Häscher holen. Es geschah. Der Pöbel hatte sich schon versammelt. Die Häscher kamen mit einer Trage, auf welcher man die Verbrecher, wenn sie nicht mehr gehen können, zur Folter schleppt. Der Bischof trat heraus. Wir haben, rief er, hier eine schreckliche Zauberin und furchtbare Hexe entdeckt! – Ja! ja! rief Gertrud mit gellender Stimme, ich bin eine Hexe! ich bin mit dem Satan vermählt! – Sie hatte in der Eile ihre schwarze Kappe verloren und die greisen Haare flatterten im Winde, indem sie auf der Tragbahre saß. – Ein Zetergeschrei verfolgte sie. Sie ist im Gefängniß, unterirdisch verschlossen, mit[334] Ketten und Eisen belegt, an die Wand geheftet, denn man hat Furcht, es könne ihre Aussage sie gereuen, und sie sich in der Nacht, durch Hülfe ihrer Geister, wieder in Freiheit setzen.
Alle waren vor Schrecken blaß. Jeder schwieg, keiner wagte laut Athem zu holen. Ist es möglich? sagte endlich Schakepeh, als er die Sprache wiedergefunden hatte, kann es einen Geistlichen, einen verständigen Menschen, ja einen Thoren hier in der Stadt oder irgend wo in der Welt geben, der nicht den baaren klaren Aberwitz der Alten erkennt? Daß sie krank ist? Daß sie faselt? Und der Oberste, der Vorsteher des Ketzergerichtes, der Bischof, macht Ernst?
Das ist es, schrie Carrieux, was wir eben nicht dulden müssen! Er, der arme, kleine, verdrückte und schwachköpfige Bischof ist ja zehnmal dummer und aberwitziger als diese alten Weiber. Die vom Dorfe hat er auch schon herein holen und in die Inquisition bringen lassen. Indessen Ihr hier schmauset und guter Dinge seid, geht an der andern Ecke der Stadt Vernunft und Menschenverstand zu Grunde. Wir müssen gegen diesen Bischof protestiren, der Herzog muß uns helfen. Keiner von uns ist sicher, daß die Verrückten ihn nicht in Bosheit und Dummheit angeben. Nicht ist es nöthig, daß einem ein Verbrechen bewiesen wird, oder eine falsche Lehre, eine Ketzerei, oder daß er verbotene Bücher besitze, welches alles, wenn von neuem die Welt durch dergleichen Verbote, Haussuchungen und Fragen belästigt wird, schon schlimm genug ist; sondern, so hat der Bischof es schon in unsrer Gegenwart ausgesprochen, wen diese Hexen (Gott verzeihe mir, daß ich sie auch so nenne!) auf ihrem Hexen-Sabbath (der nur in ihrer verrückten Einbildung ist) gesehen haben wollen, auf wen sie aussagen, der wird auch unmittelbar vor das Gericht gezogen. Da hilft denn natürlich kein Leugnen,[335] und Vernunft und Verstand genug haben, diesen ruchlosen Aberwitz Aberwitz zu schelten, ist dann natürlich schon Verbrechen und hinreichende Gottlosigkeit. Um aber diese Geistlichen zu schrecken und es möglich zu machen, daß der alte Herzog die Sache wichtig genug nimmt, sollten wir Bürger uns alle zusammenthun, mit Waffen und Fahnen vor die Inquisition und die Wohnung des Bischofes ziehen, den Thörichten zwingen, sein Amt, dem er nicht gewachsen ist, aufzugeben und alles ruhen zu lassen, bis unser wahrer Bischof, der verständige Mann, von Rom zurückkehrt.
Keine Uebereilung! sagte Schakepeh, mäßigt Euch, lieber, heftiger Mann. Die Sache, wie sie jetzt liegt, ist klar, und es ist Hoffnung, daß noch so viel Vernunft im Lande wächst, um diesen Aberwitz unschädlich zu machen. Könnten aber viele vom hohen Adel bei dieser Gelegenheit von Rebellion sprechen, so würde unser Herzog gewiß sich ganz auf die Seite der Geistlichen stellen. Man würde beides verwechseln, und wir Bürger müßten dann das Bad bezahlen, was bis jetzt nur von gutgemeinter Einfalt einigen alten Weibern zugedacht ist.
Dieser Meinung waren auch die Männer vom Magistrat und einige Schöffen. Man wollte gleich am folgenden Tage etliche aus ihrer Mitte nach Brügge zum Herzoge senden, um diesem Unwesen Einhalt zu thun. So war man wieder einigermaßen beruhigt, als der junge Advokat Flamand das Wort nahm: Ihr überseht nur eins, lieben Männer, daß der Herzog hierbei keine Stimme hat, oder nur wenigen Einfluß ausüben kann. Das Ketzergericht ist da, seit länger als zwei Jahrhunderten in seiner Einrichtung bestehend. Dieser stellvertretende Bischof ist der Präsident desselben; ihm liegt es ob, es zu verwalten und zu regieren. Nun haben wir in unserm glücklichen Lande seit lange von keinem[336] entdeckten und bestraften Ketzer etwas vernommen, eben so wenig von Zauberern und Hexen; in Paris, Brüssel, und in manchen großen Orten, selbst in Rom und Florenz, schreibt man Bücher und Erzählungen, die den Glauben an Zauberei verspotten. Viele meinen, daß, so wie die Wissenschaft, die Kenntniß der Natur und selbst künstliche Erfindung zunehmen, jener Glaube, den sie Aberglaube nennen wollen, immer mehr abnehmen und endlich ganz verschwinden werde. Aber – giebt es wirklich keine Ketzerei mehr? Wandeln keine Geister mehr um, die die Kirche und den Papst stürzen, die geheiligten Lehrsätze unserer Religion entkräften möchten? – Das wird keiner zu behaupten wagen. In Langres ist erst vor wenigen Tagen ein großer Ketzer, der Eremit Robert, verbrannt worden. Nach der Meinung der rechtgläubigen Christen hat er seinen Tod verdient, eben so wie die Kirche vor zwei Jahrhunderten gegen die Waldenser und Albigenser mit Feuer und Schwert wüthen mußte, um die Religion und das Christenthum aufrecht zu erhalten. – Wir haben seit lange nichts von Zauberern vernommen. Sind sie deshalb nie gewesen? Ist alles, was die Schrift, die Väter, die Geschichte von ihnen erzählt, darum Lüge? Neu ist es gewissermaßen, und in so fern es Fratze ist, auch fast lächerlich, was von diesem Hexen-Sabbath, den Ceremonieen, dem Tanzen dort, dem Schmaus erzählt wird; indessen, warum soll sich die Wirkung der bösen Geister, wenn diese denn doch einmal nicht zu leugnen sind, nach den verschiedenen Jahrhunderten und Zeitläuften nicht auf verschiedene Art äußern? Der Böse gewinnt eben die Wahnsinnigen nur durch Wahnsinn, und wie er früher in Macht triumphierte und durch Glanz blendete, so besticht er jetzt das Thierische und Verworfene im Menschen durch Abscheulichkeit und kindische Gaukelei.[337]
Und so kann nur ein Schuft sprechen! schrie der wüthende Peter Carrieux, indem seine gewaltige Faust zugleich den jungen Mann beim Halse ergriff. Der starke Mann machte Miene, den nach Hülfe Rufenden aus dem Fenster zu schleudern. Der Wirth aber widersetzte sich aller Gewalttätigkeit, und brachte mit ernsten und freundlichen Worten alles wieder zur Ruhe. Flamand war todtenblaß geworden und verließ mit kurzem Abschiede das Haus.
Alle beurlaubten sich jetzt, verstimmt, erschreckt, betrübt, voll Sorge, was sich aus dieser Begebenheit entwickeln möchte. Labitte blieb zuletzt, und zu diesem sagte halb scherzhaft der wohlwollende Schakepeh: Freund Poet und Maler, Euch sollten diese wilden Bürgersmänner eigentlich ein wenig auf die Finger klopfen, denn Ihr habt durch Eure Gemälde vom Hexen-Sabbath die Menschen vielleicht zuerst wieder auf diese Fratzen und Abentheuer gebracht.
Nun, nun, sagte Labitte; die Dummheit war schon da, schon als Spaß im goldnen Esel. Aber freilich, ich hätte mit meinen Farben bessere Gestalten anstreichen können. Unser Verstand ist ein schwaches Werkzeug, da die alte Gertrud so hat unsinnig werden können. Wir sollen uns alle hüten.
Die Stadt Arras war nach diesen Vorfällen in großer Aufregung. Keiner hatte geahndet, daß dergleichen Unerhörtes plötzlich geschehen könne. Die Reichern, die Verständigen, die Bürger und die Jugend sahen, daß plötzlich etwas als Ernst behandelt wurde, worüber sie wohl nur als über einen Gegenstand des Lachens gesprochen hatten. Viele unter dem Pöbel, manche aus den ärmeren Classen hatten ihrer Schadenfreude keine Hehl, daß etwas geschehen war, welches[338] die Klügeren niemals hatten glauben wollen. Viele Priester gaben sich ein geheimnißvolles Ansehn, und beantworteten die mancherlei Fragen nur mit bedenklicher Miene, die von den Zudringlichen an sie gerichtet wurden.
Die Schöffen und die Bürgerschaft, mit einigen der Adeligen verbunden, sendeten einige ehrbare Männer an den Herzog, um ihre Beschwerden vorzutragen.
Der Bischof von Baruth hatte am folgenden Tage die vornehmsten Geistlichen, unter welchen sich auch der Dechant und der Canonicus Melchior befanden, zu einer Synode berufen. Er trug ihnen vor, was sie schon wußten, und da keiner antwortete, forderte er sie auf, ihm ihre Meinung frei und unverhohlen mitzutheilen. Der Dechant schwieg, aber Melchior machte ihn auf die Unwahrscheinlichkeit und das Thörichte dieser Vorfälle, Schilderungen und Anklagen aufmerksam, er wünschte, daß man diese Frauen als Kranke behandle, sie freigebe und alles unterdrücke.
Die kleine Gestalt des Bischofs erhob sich im heftigen Zorn. Er ging dem Sprechenden ganz nahe und sahe diesem scharf in die Augen. Nein, sagte er dann, aus Euch spricht nur Einfalt und Gutmüthigkeit, und Ihr seid kein Mitglied dieses höllischen Ordens.
Wie meint Ihr das, Herr Bischof? fragte Melchior erstaunt.
Ihr wißt, sagte der Bischof, daß ich im Jahr 1450 in Rom war, und dort das große Jubiläum mit gefeiert und erlebt habe. Dort hatte ich Gelegenheit, die Welt kennen zu lernen. Rom, die große Stadt, war so mit Fremden und Pilgrimmen aus allen Ländern Europens überdrängt, daß sie kaum Platz fanden und sich täglich die sonderbarsten und bedenklichsten Vorfälle ereigneten. Auch fand ich Gelegenheit, mich bei den frommsten und gelehrtesten Priestern[339] zu unterrichten. Schon damals vernahm ich von Zaubereien und unerlaubten Künsten, die man seit Jahrhunderten, im Norden wie im Süden, getrieben hatte. Diese Schulen der Zauberei, von denen wir schon in sehr alten Chroniken lesen, sind niemals untergegangen. Und immer ist dieses Verbrechen mit der Gottlosigkeit der Ketzerei verbunden gewesen. Alle früheren Manichäer, Donatisten, Arianer, nachher die Waldenser und Albigenser, zu Zeiten die Juden, sind Zauberer gewesen, und haben durch ihr Verbündniß mit dem Satan es wie oft möglich gemacht, mit einem Schein von Tugend, Weisheit und Frömmigkeit zu glänzen, und arme Unwissende zu blenden und zu verführen. Immer wieder wird die Bosheit auf eine Zeit verschwiegen und unterdrückt, sie tritt von neuem hervor, und wieder muß die rechtgläubige Kirche dagegen kämpfen. Es ist Bosheit und Unglaube, zu sagen, diese Abscheulichkeiten seien nicht wirklich und nur Erzeugnisse einer kranken Einbildung. Jeder, der dies dreist behauptet, macht sich selber der Zauberei und eines Bündnisses mit bösen Geistern verdächtig, wenn er nicht bald von seiner Unwissenheit zurückkommt. Aber ich bin damals in Rom erschrocken, wie viel Menschen, die unter dem Vorwande, als Christen das Jubeljahr zu feiern, nach Rom kamen, sich dem Teufel, der Ketzerei und Zauberei ergeben haben. Viele Tausende sind von Christo abgefallen und seine Feinde geworden, Millionen dieser Bösewichter sind in allen christlichen Ländern verbreitet. Von den höchsten Theologen belehrt, sah und erfuhr ich, daß Cardinäle, Bischöfe und Prälaten, der Weltgeistlichen und Mönche zu geschweigen, diesem gottlosen, ungeheuern Bunde angehören; Soldaten, Bürger, Ritter, Studirte, Kaufleute und Bauern in allen Ländern. So ist es nahe daran, daß sich die Kirche auflöst und unsere heilige Religion gestürzt wird. Was fehlt[340] noch, als daß sich irgendwo ein mächtiger, unternehmender Fürst an die Spitze dieser Abtrünnigen stellt, und er kann Papst und Clerisei, Rom und die Gesetze Gottes umwerfen, und ein neues Reich beginnen, in welchem Christus von seinem Stuhle gestoßen wird. Den Ausbruch dieser furchtbaren Begebenheit können wir jeden Augenblick erwarten. Wer weiß, wo jetzt schon der Fürst oder König lebt, der sich zum Heerführer dieser Bande machen möchte. Darum müssen wir von der Geistlichkeit dagegen kämpfen mit allen unsern Kräften, mit Lebensgefahr, um diesen großen, furchtbaren Augenblick zu verhindern oder zu verzögern, durch Schreck und Furcht die widerspenstigen Gemüther in die Bahn des Glaubens zurück zu treiben. Mögen die Ueberweisen unser Werk und unsern Eifer verlachen und verspotten; auch die Apostel wurden verhöhnt, auch der Heiland verachtet.
Noch muß ich zweier Dinge erwähnen, die meinen Brüdern vielleicht wunderbar, manchen unglaublich scheinen mögen.
Alle Welt weiß, daß damals in Rom die Brücke über den Tiberstrom zerbrach und Hunderte in den Fluthen ihren Tod fanden, viele auf immer verstümmelt waren und krank und elend blieben. Das aber wußten ich nur und die Freunde, die mit mir in die Geheimnisse drangen, daß die Zauberer dieses Unglück herbeiführten, denn alle, die dort umkamen, waren Fromme und Rechtgläubige.
Das zweite Wunder ist, daß ich von meinem ehrwürdigen, frommen, heiligen Lehrer die Gabe erhielt, jedem Ketzer, Hexenmeister, jeder Hexe es an den Augen ansehen zu können, ob sie zu der verworfenen Zunft gehören. Mich kann daher kein Mensch trügen. Mein ist das Amt, die Untersuchung, die Verantwortlichkeit vor Gott und Menschen mein,[341] und so weit ich wirken und helfen kann, soll zum Besten der Mensch heit und dieser armen Seelen selbst, keine von diesen Angeklagten anders als auf dem Wege des Scheiterhaufens zur Buße und Versöhnung gelangen.
Alle erschraken. Die Canonici sahen sich schweigend an und der Dechant fragte endlich: Auch die alte Gertrud?
Wie anders? erwiederte der Bischof. Sie hat mit Umständen, mit überzeugenden, sich selbst angegeben. Sie muß nun, freiwillig oder auf der Folter, andre Mitschuldige anzeigen, nicht minder jene Armgart und die andern Weiber, damit wir unsre Stadt und Gegend säubern können.
Man ging wieder auseinander. Die Einrede der Geistlichen hatte nichts gefruchtet, da der Bischof sich auf frühere Proceduren und vorgeschriebene Formen berief, da alle seinen Wahnsinn fürchten mußten, der keinen Anstand nahm, jeden Widerspruch mit dem Namen Ketzerei zu bezeichnen.
Der Dechant blieb zurück. Im Vertrauen auf sein früheres Verhältniß mit dem Bischofe wollte er ihm deutlich machen, wie viel er wage, wenn er sich bei der Bürgerschaft zu sehr verhaßt mache; wie vielleicht der Herzog, ja der Papst selbst, diese Strenge nicht billigen möchten. Er suchte seinen Stolz in Bewegung zu setzen, daß sein Ruhm bei diesem sonderbaren Unternehmen leiden könne.
Schweigt! rief der Bischof im höchsten Zorne, ich kenne Euch ganz. Es fehlt nur um wenige Zoll, so steht Ihr selbst unter den Ketzern. Weiß ich nicht, wie vertraut Ihr mit der verruchten Hexe Denisel umgegangen seid? Eine Freundschaft mit dem verworfenen, gottlosen und lasterhaften Weibe, die allen Ehrbaren ein Anstoß und Aergerniß war! Seid Ihr nicht freiwillig zur alten Hexe Gertrud hingelaufen? Eure Zweifelsucht, Eure Lust am Witz und grübelnder[342] Untersuchung sind schon die Vorschwelle zur Zauberei und Gottesverleugnung.
Wie könnt Ihr, sagte der Dechant, meinen Umgang mit einer Frau, die Ritter und Kaufleute besuchen, so ärgerlich auslegen? Als wir die Schriften von Langres und die Bekenntnisse des hingerichteten Robert erhielten, war ich es, der Euch, selbst unerbrochen, alle jene Briefschaften und Papiere übergab. Nachher, als Ihr mir sie zur Untersuchung gabt, konnte ich die Blätter, welche die Denisel betrafen, zurück behalten. Daß ich aber so offen verfuhr, muß Euch beweisen, wie wenig ich mir vorzuwerfen habe, und wie mein Verhältniß zu dieser Frau ein ganz untadeliges muß gewesen seyn.
Ihr hättet mir die Blätter zurückhalten können? rief der Bischof erboßt; Ihr irrt! Thatet Ihr es, so wart Ihr selbst verloren, armer Mensch. Ihr selbst hattet mir in vertraulichen Stunden schon zu vieles von dieser Denisel vorgeschwatzt; ich hörte Euch zu und antwortete nicht; aber ich habe mir alles gemerkt und eingeprägt. Und haben denn nicht Hunderte die gottlosen Worte dieser Denisel und des alten verruchten Labitte gehört? Alles soll bei Euresgleichen für Scherz und Witz, oder Poesie und artige Phantasiebilder gelten, worin aber das ganze Gift der Hölle verborgen liegt. Nein, Mann, noch bin ich Euer Freund; noch, ich sehe es Euch an, seid Ihr nicht ausdrücklich von Gott abgefallen. Darum wahrt, so lange es noch Zeit ist, Eure Seele und Eure Ehre als Priester. Morgen werde ich ernster mit Euch sprechen. Euer Liebchen wird heut noch in Gewahrsam genommen; sie und der alte Maler, den das Volk nur den dummen Abt nennt, sollen uns wohl, sie mögen wollen oder nicht, die eigentlichen Obern ihrer höllischen Rotte verrathen.[343]
Herr Bischof, rief der Dechant, Ihr könntet so weit gehen, und diese Armen, Unschuldigen –
Noch ein solches Wort! sagte der Bischof, indem er den Bestürzten mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung ansah – und Ihr sitzt gefesselt im dunkeln Gefängnis. Ich muß wissen, was ich zu thun, was ich zu lassen habe. – Kommt jetzt mit mir zur alten Gertrud, um ein vorläufiges Verhör mit ihr anzustellen.
Sie verließen den Pallast, um sich nach dem Gebäude der Inquisition zu begeben. Auf der Straße hatte sich das Volk zusammengerottet und sprach und erzählte von diesen neusten Begebenheiten. Der Andrang war groß, und man bemerkte erst die kleine Figur des Bischofes nicht. Viele schalten, andre spotteten, und zwei freche, gemeine Dirnen, die sich aus einer kleinen, finstern Gasse an das Licht gewagt hatten, sagten zu einem englischen Soldaten: Freund Engelbert, habt Ihr auch schon die dummen Geschichten gehört? Die andre rief: Hexen! Hexen! das ist doch einmal etwas neues vom Jahr; unser Bischof sorgt dafür, daß wir Spaß haben, der einfältige kleine Knirps.
Der Bischof stand hinter ihnen, winkte den Häschern und rief: Nehmt diese beiden Dirnen fest, belegt sie mit Ketten, sie sind selbst Hexen, bringt sie in den Gewahrsam, der Scheiterhaufen wartet ihrer.
Wir Hexen? schrieen die Dirnen mit Entsetzen, – woher? warum?
Die Häscher ergriffen sie gewaltsam. Sie kreischten, riefen um Hülfe, und das Getümmel ward so groß, der Andrang der Neugierigen so gewaltsam, daß der Bischof verhindert wurde, seinen Weg fortzusetzen. Die Häscher waren mit ihrer Beute auch in den schreienden und fragenden Volkshaufen eingeklemmt, und immer mehr Menschen[344] strömten aus den Gassen herbei, um zu erfahren, was sich begeben habe. Der Dechant wollte sprechen, um die tobende Menge zu beruhigen, aber seine Stimme ward in dem lauten Geschrei, selbst von den Nächsten, nicht vernommen.
Jetzt näherte sich ein ehrbarer Mann, der nicht mehr jung war und in der Stadt eines großen Ansehns genoß. Er, als Schöffe, hatte das Recht, sich um die Ursach des Tumultes zu erkundigen; auch machte seine Gegenwart das Volk scheu, denn diejenigen, die ihn bemerkten, wurden jetzt still und traten auseinander. Er fragte und hörte, und da er vernahm, daß der Bischof mit dem Scheiterhaufen gedroht hatte, so machte er sich Platz bis zu dem kleinen Manne, begrüßte ihn höflich und sagte dann: Verehrter Herr, es thut mir leid, Euch hier so zwischen dem schreienden Volke zu finden, und das aus Ursach jener beiden unzüchtigen Dirnen; diese, da sie sich ungebührlich gegen Euch betragen haben, sollen alsbald aus der Stadt gewiesen werden, der sie nur Aergerniß geben. Habt daher die Güte, den Dienern und Häschern zu befehlen, sie einstweilen frei zu lassen, damit das Volk sich wieder beruhige.
Herr Taket, erwiederte der Bischof trotzig, wer giebt Euch das Recht, Euch in meine Amtsgeschäfte zu drängen? Diese jungen Hexen sind der Inquisition verfallen und sollen von der und mir gerichtet werden. Die Verweisung aus der Stadt wäre für ihre Bosheit nur eine geringe Strafe.
Taket sah den Geistlichen aufmerksam an, betrachtete wieder die weinenden Dirnen, die sich den beiden Männern zu Füßen geworfen hatten und die Hände rangen, und erwiederte mit einigem Unwillen und scharfem Tone: Herr Bischof, ich darf Eure Rechte bezweifeln, daß Ihr also verfahren mögt. Ihr mochtet vorerst uns Schöffen von diesen Vergehungen Nachricht ertheilen, und so gelangte Eure Klage,[345] wenn sie gegründet ist, an die Obrigkeit unsrer Stadt. Ich zweifle, daß das geistliche Gericht also willkührlich verfahren darf, und obenein in einer so höchst seltsamen Sache, von der wir fast nie gehört haben, oder wo das vorgegebene unbegreifliche Verbrechen jedesmal von denen, die nicht vom Wahne hingerissen waren, bezweifelt wurde. Woher wißt Ihr, daß sie Hexen sind, diese Unglücklichen? Was nennt Ihr überhaupt mit diesem Namen?
Herr, rief der Bischof, der schon die Fassung verloren hatte, Ihr sprecht, als wenn Ihr mich hier öffentlich verhören wolltet! Von der alten Hexe Elsbeth, die vom Dorfe hereingebracht worden ist, sind diese ebenfalls angegeben, weil die Alte mit ihnen gemeinsam den verruchten Hexen-Sabbath gefeiert hat.
Der Schöffe Taket lächelte. Dieses alte Weibsbild, sagte er, ist mir nicht unbekannt, denn sie ist die Frau meines Gärtners draußen. Laßt Euch aber dienen, Herr; diese Alte, die von jeher confuse war, hat sich ihre Armuth so zu Gemüthe gezogen, denn sie war immer hoffärthig, daß sie seit kurzem verrückt geworden ist. Ich habe den Leuten immer geholfen, aber die Wirthschaft wurde zu schlecht verwaltet, und jetzt wollte ich schon, dem Manne das Leben zu erleichtern, die Unkluge in den Narrenthurm schaffen.
Wolltet Ihr? rief der Bischof; ei, wie fein! Sie in den Narrenthurm schaffen! Nicht wahr, dahin würdet Ihr mich auch gern abliefern wollen, wenn es Euch gestattet würde? Freilich, wenn sich das Gewissen rührt, wenn man aus solchen Augen schaut, so kann man nicht wünschen, daß die Kirche hergestellt und erhalten werde. Glaubt Ihr etwa, daß ich Euch nicht kenne? Denkt Ihr mir zu entgehn? Das Gericht ist offen, und wird wissentlich keinen Schuldigen entschlüpfen lassen.[346]
Der Schöffe Taket war so erstaunt, daß er anfangs keine Worte finden konnte. Endlich fuhr er auf und sagte: Ich verstehe Euch nicht, geistlicher Herr, und mag Euch nicht verstehn, denn Eure Rede ist ohne Sinn. Trotz sei dem geboten, der mich eines Verbrechens bezüchtigen kann. Ihr werdet aber vorerst diese beiden Dirnen der Obrigkeit der Stadt und mir übergeben, bis sie verhört sind, und hier nicht Kläger und Richter zugleich in einer Person spielen wollen, denn es ist doch unerhört, auf Angabe von Unklugen unschuldige Menschen einer tollen Bosheit zu bezüchtigen und sie ohne Untersuchung strafen zu wollen.
Da das Volk diese Rede des Schöffen vernahm, der von allen hochgeachtet wurde, so erhob sich von neuem ein Geschrei, Steine flogen, man machte die Dirnen von den Häschern frei, und diese bemühten sich, fliehend das Gewühl der Menschen zu durchbrechen. Da erhob sich der Bischof auf die Schwelle eines Hauses, vor welchem er stand, und rief: Wer sich an den Dienern der Obrigkeit vergreift, ist im Bann der Kirche, und ein solcher, wenn er nicht augenblicks vom bösen Werke absteht, sei verflucht. – Alles war still geworden, und die Häscher kehrten zurück und bemächtigten sich der Dirnen von neuem. – Die Diener der Obrigkeit, welche dem Schöffen gefolgt waren, standen regungslos. Der Bischof winkte wieder und fuhr mit erhobner Stimme fort: Zugleich befehle ich, daß die Häscher diesen argen Ketzer und Hexenmeister greifen, diesen verruchten Johann Taket, der hier einen Aufruhr hat erregen wollen, denn jene Zauberin Elsbeth hat auch ihn als einen Mitgenossen ihres satanischen Bundes freiwillig angegeben.
Alle standen stumm und blaß. Der Schöffe sah nach den Dienern der Gerechtigkeit, welche sich zitternd zurückzogen, ohne nur nach dem Angeklagten umzuschauen. Ihr[347] Bürger und Ihr übrigen wackern Leute hier, rief Taket ganz außer sich, könnt Ihr es dulden, daß ein Mann, den Ihr als unbescholten alle kennt, hier von einem Wahnsinnigen gemißhandelt werde? Daß auf die Anklage einer verrückten Bettlerin, die von meinen Wohlthaten gelebt hat, ich für einen Zauberer und Verbündeten des Satans gelten soll? – Er blickte umher, aber alle waren scheu von ihm zurückgewichen, alle entfernten sich, von stummer Angst gefesselt, und die Häscher führten ihn, der nun ruhig wurde, als er sah, daß jeder Widerstand vergeblich sei, nach der Inquisition.
Hierauf ging der Bischof weiter, das Volk zerstreute sich, erschreckt und betäubt, und der Dechant folgte seinem Vorgesetzten in tiefen Gedanken. Ich weiß, sagte der Bischof zum Dechanten, daß Ihr mich stets für einen schwachen Mann angesehen habt, weil ich Euren gelehrten Floskeln nicht habe Rede stehn können und mögen, Ihr seht jetzt meine Kraft und Macht. Die Menschen und ihre Satzungen sind mir gleichgültig, und ich lasse jedem gern die Ehre, gelehrter zu seyn als ich; aber wo es das Reich Gottes gilt, da sollt Ihr erfahren, daß ich standhafter und kräftiger bin als irgendwer. Ihr wart der Erste, der mich auf diesen und jenen Unfug in der Stadt aufmerksam machte, Ihr dachtet vielleicht, mit dem Feuer zu spielen und mich nur zu necken! Ihr seht aber, daß Euer philosophischer Spaß zur lichten Flamme ausschlägt, die Euch und alle verzehren kann.
Beide gingen in das große Gebäude der Inquisition, um die Schuldigen noch einmal zu hören, bevor die Folter angewendet wurde, der sie vielleicht entgehen konnten, wenn sie eine recht große Zahl von Mitschuldigen angaben.
Nachdem sich das Volk wieder zerstreut hatte, sah man den Canonicus Melchior mit seinem Vetter, dem jungen Ritter Köstein, über den Platz wandeln. Sie erwarteten den[348] jungen Flamand, den Advokaten, um den verwundeten Denis wieder zu besuchen, und seine Aussage, wegen des Mordes, aufzuschreiben. Der Canonicus war sehr verstimmt und aufgeregt, weil es ihn verdroß und erschreckte, daß ein Prälat, den alle bis dahin nur gering geschätzt, ja wohl verachtet hatten, plötzlich eine so drückende Tyrannei über sie alle ausübte. Die letzte Begebenheit, von der er Zeuge gewesen war, hatte ihn erschreckt und um alle Fassung gebracht. Jetzt, sagte er zu dem Jüngling, kann es kaum einer mehr wagen, ihm zu widersprechen, wenn er nicht sogleich Gefahr laufen will, auch als Zauberer dem Gefängniß überliefert zu werden. Das gräßlichste Unheil schwebt uns allen über den Häuptern; denn da er keinen Anstand genommen hat, den wackern Taket, welchen die ganze Stadt ehrt und liebt, unter diesem Vorwand gefangen zu nehmen, so wird er nicht zaudern, auch den Vornehmsten und Frömmsten zu bezüchtigen. Es ist furchtbar und entsetzlich, daß aus einem so unscheinbaren Funken sich so plötzlich diese Flamme hat entzünden können.
Er kämpft für seinen Stand und für Euch, sagte Köstein; und wenn der Mann nicht so ausgemacht dumm wäre, so könnte man ihn für einen der allerlistigsten Priester halten, die nur jemals die Welt regiert und betrogen haben. Aber er ist so gewissenhaft dumm, daß er gewiß Zeit seines Lebens noch niemals eine List begriffen, noch weniger eingefädelt hat.
Wie meint Ihr das? fragte Melchior.
Ihr seht ja, antwortete der Ritter, daß es von je her einen Kampf zwischen den Geistlichen und Weltlichen gab. Diese Kriege, welche sie mit einander führen, erscheinen in verschiedenen Gestalten, und bald ist das Recht auf dieser, bald auf jener Seite, oft haben beide Partheien gleich viel Recht und Unrecht. Seit lange scheint mir die Sache schon[349] so verwickelt, die vielfältigen Fäden so verschlungen, die eigentliche Religion aber so tief in den Knoten hineingeknüpft, daß sie keiner mehr sehen und unterscheiden kann, wobei es doch noch eine Frage bleibt, ob durch einen künftigen Alexander, wenn er das Gestricke mit dem Schwerte durchhaut, die Welt was Erkleckliches gewinnen möchte.
Junger Mann, sagte Melchior, Ihr sprecht heut, gegen Eure Gewohnheit, so vielsinnig, daß ich Eure Meinung kaum errathen kann.
Und doch habt Ihr die Historien studirt, antwortete Köstein, und die Geschichte Eurer Kirche und ihrer Ausbreitung, so wie Eurer Händel mit tausend Ketzern und vielen Sekten, mit den Deutschen Kaisern und den Tempelherren und Frankreich. Mir scheint, die Kirche ist dadurch so mächtig, und zu Zeiten so allmächtig geworden, daß ihre Satzungen, Lehren, Wunder, Heilige und Feste sich immer vermehrt, und das erste unscheinbare Bild zu einem gewaltigen Coloß ausgearbeitet haben. So folgt jeder neuen Lehre und Erscheinung, jeder Offenbarung, eine neue Auslegung, ein neues Fest, ein neuer Kirchendienst. Die Menge wird durch die sinnliche Erscheinung, durch den Aberglauben, durch Beichte und Ablaß gefesselt und regiert. Die Vorbitten der Heiligen, die Wallfahrten, das Jubiläum, die Orden und Bettelmönche, die neuen Wunder, alles dient nur, die Kirche und ihren Vorsteher, den Papst, mächtiger zu machen, indem die Menschen immer darauf hingewiesen werden, an dem Buchstaben zu halten, den sie durch Glauben, Freude, Trauer, Büßung und Geißelung, durch Glanz und Kirchenfeste, Rührung und Putz so viel beleben dürfen, als sie nur wollen. Und ist es nicht ein schönes Leben und Weben in diesem fortwährenden Traum? Aber der Geist ist ihnen untersagt; diesen suchen, oder gar finden, ist die größte, die unverzeihlichste[350] Sünde; denn in ihm und durch ihn genügt der Mensch sich selbst, und findet alle jene noch so großen und glänzenden Anstalten überflüssig. Religion und Glaube werden nun seine nächsten Hausgenossen, er braucht den Heiland nicht in Gebäuden und Schränken, nicht in fernen Ländern und Legenden der Dichter zu suchen, denn er fühlt ihn, als sein eigenstes Herz, als den ersten Pulsschlag seines Wesens.
Steh' still, Vetter, sagte der Canonicus, und laß Dich einen Augenblick betrachten. Woher kommt Dir diese Weisheit, die Dich auch auf den Scheiterhaufen führen kann, wenn unser begeisterter Bischof etwas von ihr vernimmt?
Die Sorge wäre lächerlich, sagte Köstein; wer so fest steht, wie ich, wer dem Herzoge alles sagen darf, was er nur will, der kann bei diesem alten schwachen Herrn wohl andre stürzen, selbst aber niemals gestürzt werden. Ich sage Dir, Vetter, ich bin dem herrlichen Fürsten unentbehrlich, und kann von ihm verlangen, was ich nur will; aber freilich darf ich ihn diese Gesinnungen auch nicht merken lassen, weil er mich nicht verstehen würde, er auch die Kirche so achtet, und die Geistlichen aufzuregen und zu bekämpfen so sehr fürchtet, daß er in seinem hohen Alter niemals auf etwas eingehen würde, was ihre Macht zu brechen drohte.
Sei also vorsichtig, sagte der Canonicus.
Diese Vorsicht, erwiederte der Vetter, lernt sich wohl am Hofe. Ich will Dir nur, dem verständigen Priester, deutlich machen, wie mir alle die Erscheinungen vorkommen, die sich hervorgethan haben, seit die Kirche mächtig und mächtiger geworden ist. Sie ist das Gefäß geworden, in welchem einzig und allein Glaube, Christentum, Heiland und Gott schweben, und nur aus diesem den durstigen Seelen mitgetheilt werden können. Außerhalb dieses Gefäßes ist die Wüste, der Tod, das Heidenthum, das Böse, der Satan.[351] Schon immer haben Denker, Fürsten und Völker sich diesem nicht fügen wollen, weil selbst der Fromme sieht, daß dort alles einem willkürlichen Aberglauben anheim fallen kann. Kluge Fürsten sahen früh ein, daß unter diesem Vorwand Papst und Clerisei die Herrschaft der Welt an sich reißen könnten. So entstanden die Kämpfe in verschiedenen Gestalten, und die Lehre der Arianer ward als Ketzerei ausgerottet, obgleich sie eine Zeitlang herrschend war. Fromme, ächte Geistliche und große Päpste sahen aber auch in andern Zeiten ein, daß freche und kluge Fürsten den Vorwand, sich von der Tyrannei der Kirche und Clerisei loszureißen, nur benutzten, um sich selbst zu Tyrannen zu machen, und die Völker, zusammt der Kirche, in den Staub zu treten. Und so waren denn die geschmähten Priester wieder oft die Vertreter der Freiheit und der Tugend. Wenn einmal Krieg und Kampf seyn muß, so hat dieses Ringen wenigstens eine edlere Gestalt als das Balgen und niederträchtige Raufen, welches unsre Vorfahren erlebt haben, und das unsern Nachkommen vielleicht bevorsteht. Als die Frömmigkeit in den Waldensern sich nun offenkundig als Kampf und Verfolgung gegen die Priester aussprach, und die Vernichtung dieser forderte, da war die Sache wieder so einfach und klar geworden, daß die Kirche, wenn sie nicht gestürzt seyn wollte, wohl zu jenen abscheulichen Mitteln ihre Zuflucht nehmen mußte, durch welche jene armen, erleuchteten Menschen auf die gräßlichste Weise vernichtet wurden. Aber seit dem, dünkt mir, ist auch die Lehre dieser Ketzer, in tausendfachen Gestalten und Umbildungen, immer allgemeiner geworden. Gedichte, Scherze, Gelehrte, Kaufleute, Zünfte, viele von den Geistlichen, Fürsten, alles rennt, mancher selbst unbewußt, gegen die alte Kirche an, die schon vieles von ihrem Glanz und ihrer Untrüglichkeit verloren hat. Der ächte Priester,[352] der ganz von seiner Bestimmung durchdrungen ist, muß jetzt auf Tod und Leben kämpfen. Heut ist es aber viel schwerer, der mehr ungläubigen und schon zweifelnden Welt deutlich zu machen, was Ketzerei sei, oder sie gegen diese zu entflammen. Da ist es nun recht willkommen und passend, daß sich ein Grausal aufthut, eine ganz nahe und persönliche Gegenwart des Teufels, angemalt und ausgebildet, wie ihn der gemeinste Pöbel faßt und gerne hat. Was hilft es, wenn der Verständige diesen Popanz verlacht? Die Autorität der Kirche, der Aberglaube, die Gewalt der Menge und des gemeinen Volkes werden es schon durchsetzen und die Feineren dürfen sich nicht Preis geben. Ja, es ist fast zu erwarten, daß dieser tolle Aberglaube, wie Pest, die Welt durchrasen wird, und unzählige Opfer dahin raffen, und daß die sogenannten Denker und Gelehrten eben so viel Argumente für ihn ersinnen werden, wie sie für jeden andern Unsinn erfunden haben. Und am Ende, ob die schuldlosen Opfer dem Hexen-Sabbath, oder dem Streit um das Pallium, oder dem Arianismus, oder dem Glauben der Waldenser fallen, oder der Lehre des Huß, kommt das nicht alles auf eins hinaus? Auch dem Götzen der Freiheit, auch dem Handelsvortheil, auch dem Eigensinn und der Habsucht des Adels sind schon viele geschlachtet worden. Man muß lachen, wenn viele glauben, daß die Menschen vernünftiger und besser werden, und daß die Welt sich immer mehr in Zukunft ausrichten soll. Das ist auch wieder Aberglauben, und vielleicht, wenn die Kirche einmal gestürzt ist, fordert er auch seine Opfer. Jetzt aber wird Schreck, Angst und Furcht in allen Familien und Ständen sich erzeugen, und das Ansehn der Geistlichen ist auf eine Weile wohl wieder gerettet. Darum hütet Euch, einsichtsvoller Vetter, zu stark und kräftig gegen diesen Unsinn zu reden, denn Ihr bekämpft dadurch[353] Euch selbst und Euren Beruf; tragt aber auch nicht ohne Noth Brände hinzu, denn an denen wird es nicht fehlen.
Melchior stand wieder still, und sah den jungen un klugen und überklugen Propheten mit Erstaunen an. Jetzt glaube ich wirklich, sagte er dann, daß zuweilen ein Geist von den Lippen der Unmündigen weissagen kann. Ich vermuthe fast, Du verstehst Deine eignen Worte nicht ganz, wenn ich Deinen Leichtsinn, Dein umfahriges, unstätes Wesen, Deinen kindischen Dünkel und Deine Naseweisheit bedenke.
Köstein sah den Oheim freundlich an und lachte laut und herzlich. Geht es denn, sagte er dann, mit Deinem Bischof etwa in einer andern Melodie? Ihn hat auch ein fremder, hocherleuchteter Geist der Weissagung befallen. Denn der klügste, geriebenste und durchtriebenste Pfaffe hätte doch nichts besseres thun können, als für Geld und gute Worte ein Paar alte Weiber zu gewinnen, daß sie diese Albernheit von ihrem Hexen-Sabbath aussagen mußten, um in dieser ganz neuen Form die Sünder und Abtrünnigen anzugeben. Offenbar benutzt ein Satan, oder Beelzebub, oder sonst ein schadenfroher Geist diesen Kopf, in dem er leicht Quartier finden konnte, weil er so leer ist, und also jedem Gaste offen steht, um ihm diese Dummheiten einzublasen. Dieser fromme Bischof glaubt sie nun wirklich, und handelt bloß nach seinem Gewissen. Lächerlich und tröstlich ist es nur, daß, wenn die Kirche wirklich von Gott ist, wie doch so viele sagen, der böse Geist der Lüge also nun selbst dazu wirken muß, diese zu stärken, und so manchen Baustein, der heruntergefallen war, wieder mit vieler Mühe und Sorgfalt einzufugen.
Komm, mein Freund, sagte Melchior: diese Art, die Dinge der Welt anzusehn, will mir nicht zusagen. Auch ist unser Geschäft so ernst, daß es wohl geziemlich ist, unsern Geist dazu zu sammeln.[354]
So heiter und leichtsinnig Köstein zu seinem verwundeten Feinde ging, so ernst und verstimmt kam er von diesem zurück, weil er vernahm, daß er sich jedem vorläufigen Verhöre weigere und sich jeder Untersuchung entziehe. Der Sachwalter des Gefangenen erklärte nehmlich, dieser Denis, der jene Ermordung eines Verwandten Melchiors und Kösteins nicht leugnen wolle und könne, habe sich auf den Erbprinzen des Burgundischen Hauses, auf Carl, Grafen von Charolais, berufen, indem er sich nur in seiner Gegenwart, und zwar ihm allein, erklären könne, weshalb er jene That unternommen habe; er wolle dem Prinzen zugleich so hochwichtige Geheimnisse entdecken, daß er seiner Gnade und Verzeihung fast versichert sei.
Als Melchior seinen Vetter so nachdenkend sah, sagte er: Ich fürchte, Du hast auf die Gnade des Herzoges zu viel gebaut, und Dich in Complotte und Schlechtigkeiten mit diesen Croys, dem Grafen Etampes und ihren großen und kleinen Helfershelfern verstrickt. Es ist ja bekannt genug, wie aufsässig sie alle dem Erben des Herzogthumes sind. Der Dauphin Ludwig, so sehr er hier Schutz und Liebe bei unserm Philipp gefunden hat, schürt doch immer das geheime Feuer. Alle sind gegen den Erben und lauern schon auf den Tod unsers alten Fürsten; die meisten mehr oder minder mit Frankreich im Einverständniß.
Jetzt siehst Du zu weit, lieber Vetter, sagte Köstein, der sich wieder zu seinem gewöhnlichen Leichtsinn zwang. – Fühlst Du Dich nicht rein, sagte der Canonicus, so benutze die Zeit, die Dir noch gegönnt ist, und mache Dich über die Gränze.
Das wäre eine treffliche Auskunft! rief Köstein; und meine Gemahlin, meine Landgüter, meine Schätze, mein[355] jährliches großes Gehalt, alles dahinten lassen, um einem nichtigen Gespenst zu entfliehn!
Das vielleicht, sagte Melchior, nicht so wesenlos ist, als diese Hexen und ihr Sabbath.
Sie trennten sich, und Köstein verschloß sich auf seinem Zimmer, um seiner Lage nachzudenken und wie er sich benehmen solle.
Die Stadt war in ein stumpfes Erstaunen, in Betäubung und Schreck versenkt, denn alles, was geschah, war so plötzlich und ohne Vorbereitung eingedrungen, war dem gewohnten sichern Lebensgange so entgegen gesetzt, daß keiner sich fassen und sammeln konnte, sondern alle wie in einem ängstigenden Traume festgehalten, ohne Heiterkeit, Kraft und Entschluß fortlebten, völlig ohne Rath und Hülfe. Peter Carrieux schien der Einzige, der entschlossen war, diese eindringende unerhörte Gewalt durch Gewalt zu vertreiben; er rieth, die Bürger zu bewaffnen, die Gefangenen mit Gewalt zu befreien, und den Bischof, als unfähig, sein Amt zu verwalten, vorläufig als krank zu behandeln, bis er vom Papste seiner Würde entsetzt sei; er war überzeugt, daß der Herzog und der Adel diesen gewaltsamen Schritt, wenn sie erführen, was ihn veranlaßt, billigen, sich ihm wenigstens nicht widersetzen würden. Er, einer der reichsten Männer des Landes, erbot sich, die vielen Arbeiter seiner Fabriken zu bewaffnen und der Bürgerschaft zu Hülfe zu senden. Aber Schakepeh und die meisten Schöffen erschraken vor dieser Maßregel, weil sie zum Bürgerkriege führen könne, welcher vielleicht gar den Untergang ihrer Stadt herbeiführen möchte.
Wenn wir uns nicht einigen können, sagte Carrieux, so sind wir freilich nur schwach. Sieht aber der Fürst unsern[356] Ernst, und daß dieser Aufstand kein Vorwand ist, um ihm seine Rechte zu verkürzen, so wird er unsre Gesinnung achten. Könnt Ihr es denn dulden, daß auf offnem Platz der wahnwitzige Priester unsern würdigen Schöffen von den Häschern hat ergreifen und als des Scheiterhaufens würdig in das Gefängniß werfen lassen? Die Sache spricht, ohne unsre Worte, für sich selbst. Taket soll ein Hexenmeister seyn, sich dem Satan verschrieben und einen Gast beim Hexen-Sabbath abgegeben haben? Seit unsre Stadt gebaut ist, ist noch unter keinem so dummen Vorwande ein Bürger in den Kerker geführt worden.
Gebt Euch Geduld, Zornesmann, sagte Schakepeh; daß das nicht kann geduldet werden, sehen wir alle ein, nur verderben wir nicht durch Uebereilung und Zorn unsre gute Sache. Erwartet die Boten von unserm gütigen Herzoge zurück, er wird uns Recht sprechen, und seine Bürger, die er liebt, durch welche er reich und mächtig ist, nicht unter so nichtigem Vorwande verderben lassen. – Man ging wieder auseinander, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben. Der reiche Peter Carrieux wollte über diese Schwachheit verzweifeln. Jachzornig, wie er war, hatte er unbesonnen einige Worte gegen seine Arbeiter fallen lassen, und indem er jetzt nach dem großen Hause ging, wo die Tapetenwirker für ihn arbeiteten, sah er in seinem Hofe ein großes Getümmel. Die meisten seiner Arbeiter waren dort versammelt, und Guntram, der älteste unter ihnen, ein riesengroßer Mann von wilder Natur, theilte ihnen Waffen aus. Was ist das? rief Peter. –Wir wollen Eure Stadt vertheidigen, sagte Guntram; alle diese guten Gesellen sind frohen Muthes, und wollen mit uns leben und sterben.
Peter Carrieux befahl ihnen, die Waffen nieder zu legen und wieder an ihre Arbeit zu gehen; dem großen heftigen[357] Mann aber winkte er zu bleiben, und ging mit ihm in seinen Garten, in welchem sie nicht gehört werden konnten. Warum übereilt Ihr Euch so? sagte der Herr zu seinem Gesellen. Die Bürger würden nicht zu uns stehn, die Schöffen sind unentschlossen und voll Angst, der Adel zöge vielleicht gegen uns. Dann wären wir verloren, wenn der Herzog nachher noch seine Reisigen gegen uns schickte. Ja, wären wir einig und dächten alle so wie ich, so wollten wir diesem kleinen verrückten Bischof bald sein Spiel verderben.
Wie Ihr wollt, Herr, sagte Guntram; aber Ihr seid in diesen Dingen nicht so erfahren wie ich. Ich habe den großen Aufstand in Gent mitgemacht, früher war ich Soldat; wo es Lärmen und Scharmützel gab, da wurde ich von meinem Gemüthe hingezogen. Es liegt oft nur an einer Kleinigkeit, daß eine ganze Stadt und Landschaft in den hellen Aufruhr hinausbricht. Sitzt alles still und läßt sich alles Unheil auf Ohren und Rücken regnen, so ergiebt sich freilich nichts. Aber oft bedarf es nur einer Handvoll Menschen, die steif und fest auf ihrem Willen bestehen, so befeuert das die andern; der Schläfrigste wirft seine Mütze ab und setzt fluchend den Sturmhut auf; der Spektakel ergreift alles; in jeder Gasse rühren sich die Menschen und besinnen sich darauf, daß sie etwas zu verfechten haben. Wie ein Fieberhitziger steckt einer den andern an, und sie trotzen, schreien und toben, und wissen oft selbst nicht, was sie wollen. Manchmal haben sie keine Sache zu verfechten, die finden sie dann aber im Tumult. O, ich weiß mit den Geschichten Bescheid und kenne das Gemüth meiner Landsleute. Einer, dann etliche, dann mehr müssen nur voran. Jeder denkt dann, die haben Hinterhalt, so laufen sie mit und begeistern sich und andre. Die Masse wächst, wie ein[358] gerollter Schneeballen, und indem sich jeder auf den andern verläßt, wird er selber muthig. Und Ihr nun gar! Ihr habt ja die allerbeste Sache von der Welt zu verfechten. Jetzt sind es gerade dreißig Jahr, als ich dabei stand, wie das gute Mädchen von Orleans verbrannt wurde. Das tapfere Kind, das damals den jetzigen Franzen-König aus seinem Elend errettete, sollte nun auch eine Hexe seyn. Das, dachten wir alle, wäre nun gewiß die letzte Hexe, die sie auf den Scheiterhaufen setzten, denn die schändliche Lüge sprang allen in die Augen. Die Menschen weinten und ächzten, als sie das geduldige, schönlockige Schlachtopfer in seinen qualvollen Tod hineingehen sahen. Ich versichere Euch, hätten sich nur vierzig Menschen einen ächten Muth fassen können, so wäre wohl das ganze Volk, trotz den Englischen Soldaten, zur Meuterei erwacht. Laßt uns gewähren, Herr, und Ihr sollt Wunder sehen.
Ich verbiete Dir jedes Unternehmen, sagte Carrieux, wenn Du nicht willst, daß ich Dich, so nützlich Du mir bist, fortschicken soll.
Meinethalb, sagte Guntram verdrüßlich; aber ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr es noch bereuen werdet, so unsern guten Willen verkannt zu haben.
Köstein, von der Forderung und Appellation des verwundeten und kranken Denis erschreckt, nahm unvermuthet von seinen Freunden, Bekannten und dem Canonicus Melchior Abschied, um schnell zum Herzog zu reiten, damit ihm die Berufung auf dessen Sohn keinen Schaden bringen möge. Er war überzeugt, daß es nur weniger Worte beim alten Fürsten bedürfe, um alles niederzuschlagen, was irgend Wahres oder Unwahres gegen ihn vorgebracht werden könnte. Melchior war um seinen Vetter besorgt; dieser aber verlachte[359] in seinem jugendlichen Uebermuth nur die Furcht des älteren Mannes.
Friedrich war eben bei der tief betrübten Frau Catharina, um sie zu trösten, als sie durch einen Boten, den sie nicht kannte, und der sich schnell wieder entfernte, folgendes Blatt erhielt. Die Schrift war verstellt, und der Schreiber nicht mit Sicherheit zu errathen.
»Entflieht! Noch heut, wo möglich noch in dieser Stunde. Am sichersten nach Frankreich, England oder Deutschland. Zaudert nicht. Wählt das Land, das Ihr am ersten erreichen könnt. Nehmt Juwelen und Geld mit, so viel Ihr könnt. Morgen ist alles zu spät. Laßt auch das Beste zurück, um Euch nur selbst zu retten.«
Sie sahen sich an und auch Friedrich war erblaßt. Ich fliehe, sagte sie, denn ich errathe, von wem dieses Blatt kommt; es ist eine That der Reue, denn der Dechant hat erst diesen Unsinn des Bischofs befördert, den er jetzt vielleicht gern zur Vernunft bringen möchte. Es scheint also, die Sache wird ernster, als selbst unsre böseste Furcht ahnden konnte.
Wie kann ich Euch nützen, arme Freundin? fragte Friedrich; soll ich Euch begleiten? Braucht Ihr mehr Diener?
Nichts von alle dem, sagte sie, was nur Aufsehn machen würde. Ich gehe in einer Stunde mit meinem Reisewagen fort, als wenn ich Jemand auf dem Lande besuchen wollte, und suche die Küste zu erreichen, um von da nach England zu gehen. Ich habe am Hofe dort einige Jugendfreundinnen, die mich aufnehmen werden. Zwar ist mir nach dem entsetzlichen Schicksale meines geliebten Robert das Leben verhaßt, aber ich will nicht so sterben, unter Martern, als Scheusal, ein Opfer des Aberwitzes.[360]
Friedrich nahm mit einer herzlichen Umarmung Abschied von der schönen Frau. Er konnte nicht weinen, aber sein Herz war unendlich beschwert, und als er aus der Thür trat, versagten es die Kniee, ihn aufrecht zu erhalten. Er kehrte noch einmal um, sich etwas mehr zu sammeln, und sagte erschöpft: Daß ich Euch so verlieren soll, die ich niemals mein nennen durfte, konnte uns wohl keiner vorhersagen.
Vielleicht sehen wir uns wieder, und bald, antwortete sie; dieser Traum der Thorheit, dieser Schwindel muß ja doch bald vorüber gehn. Wahrt Eurer Gesundheit, geliebter Freund, gedenkt Eures alten Vaters.
Noch einmal drückte der Jüngling die schöne Gestalt an sein Herz, dann eilte er schnell aus dem Hause, um einen Vorsatz auszuführen, der ihm im letzten Augenblicke wieder Kraft und Hoffnung gegeben hatte. Er eilte nehmlich nach der Residenz des Bischofes, und ließ sich bei diesem melden und um eine Unterredung bitten. Ein Priester führte ihn durch die Gemächer in das Zimmer des Bischofes, den er in Gesellschaft des Dechanten traf. Der kleine Mann saß und hielt das feurige Auge starr auf ein Blatt geheftet, welches er las und dann unterschrieb. Der dienende Priester nahm es dann aus seiner Hand und entfernte sich stumm und mit einer tiefen Verneigung. Noch blieb der Bischof in seiner nachdenkenden Stellung, der Dechant stand verlegen, und es schien, als wage er es nicht, sein Auge zum Jüngling zu erheben. Endlich stand der Prälat auf, als wenn er aus tiefem Sinnen erwachte, ging auf Friedrich zu, trat ihm ganz nahe vor das Antlitz, und sah ihm scharf und brennend in seine Augen, mit einem so langen und unermüdlichen Blicke, daß Friedrich die Augen niederschlug und wie in Beschämung erröthete. – Es ist richtig! sagte der Bischof dann, wie ich es vermuthet habe, und trat wieder zurück: ich habe Euch[361] lange nicht gesehn, junger Mann, und Ihr habt Euch wunderbar verändert.
Ihr wart lange nicht in unserm Hause, verehrter Herr, antwortete Friedrich, und kein Geschäft führte mich in das Eurige; so ist mein Antlitz Euch fremd geworden, und Ihr findet es verändert, weil vielleicht früher Kummer seine Kennzeichen hineinschrieb.
So? antwortete der Bischof trocken; und heute führt Euch ein Geschäft zu mir?
So ist es, antwortete Friedrich; aber es wird mir schwer, den Anfang meiner Bitte, oder Vorstellung, oder wie soll ich es nennen, zu finden; aber ich möchte Euch manches im Namen unsrer ganzen Stadt an das Herz legen, was Ihr nicht von Euch weisen solltet.
Also seid Ihr ein Abgesandter von der Stadt? fragte der Bischof, und sprecht in ihrem Namen?
Nichts weniger als das, sagte Friedrich; nur mein eigner Entschluß hat mich hierher getrieben.
Die Stadt, antwortete der Prälat kurz, hätte freilich wohl auch einen Aeltern und Verständigern senden mögen. Also aus eignem Antrieb beliebt es Euch, mir manches zu eröffnen; so redet denn.
Ich beschwöre Euch, sagte Friedrich, verachtet meine Jugend und mein gutmeinendes Wort nicht, damit Ihr Euch nicht den Fluch Eurer Mitbürger, der Geistlichkeit und der Zukunft durch rasches und leidenschaftliches Thun herbeiziehn möget. Es ist nicht anders möglich, Euer Gemüth muß erwachen, Eure Vernunft muß sich überzeugen, daß Ihr jetzt ein Werk begonnen und unternommen habt, welches nur mißverstandner geistlicher Eifer, falsche Frömmigkeit und eine Sucht, das Abentheuerliche zu glauben und leere Phantasieen für Wahrheit zu nehmen, hat hervorbringen[362] können. Auf diese schwindelnde Spitze setzt Ihr Euren Ruf, Eure Würde, Euer Verhältniß zur Clerisei und zum Papst. Kehrt um, guter schwacher Mann, so lange es noch Zeit ist, und gesteht als Christ Eure Uebereilung ein.
Ohne Zweifel, sagte der Bischof mit Hohn; und was treibt Euch dazu, Euch in Dinge zu mengen, die Euch gar nicht berühren, und weit über Eure Begriffe und Fähigkeiten liegen?
Wie? rief Friedrich mit Unwillen; es soll mich nicht, nicht jeden berühren und mit Schmerz und Pein durchdringen, wenn ein würdiger Mann, wie unser Schöffe Taket, uns grausam geraubt und als Verbrecher dem Pöbel Preis gegeben wird?
Er ist also kein Zauberer und Hexenmeister? fragte der Prälat.
Gewiß nicht, erwiederte Friedrich; sowenig als ich es bin.
Der Bischof lachte laut auf, und der Jüngling, von diesem kalten Hohn noch mehr auf gereizt, verlor seine Fassung ganz und sagte mit zornglühenden Augen: Laßt ihn frei, den würdigen Schöffen, so wie die andern armen Opfer eines irren Verstandes. Kann es Euch denn wirklich darum zu thun sein, mit Wahnsinnigen einen Prozeß auf Leben und Tod zu führen? Ist es erhört, daß man auf die Aussagen von Verrückten andre Unbescholtene einkerkert und ihr Leben in Gefahr setzen will?
Diese Unbescholtenen, fing der Prälat wieder an, liegen Euch also sehr am Herzen? Unbescholten sind die beiden Dirnen wohl auch, die vom Laster ihren Unterhalt gezogen haben? Wollt Ihr nicht für diese auch als Ritter auftreten?
Das ist etwas ganz anderes, antwortete Friedrich; die[363] Dirnen sind verwerflich, und die Stadt kann ihnen verboten werden.
Sie sind aber wenigstens eben so gut, sagte der Bischof höhnend, als Euer Liebchen, die Frau Catharina Denisel, die doch auch ein eben so schändliches Gewerbe getrieben hat.
Plötzlich ward Friedrich leichenblaß vor Zorn, er verlor auf einen Augenblick das Bewußtsein und stürzte auf den Prälaten los. Als er wieder zur Besinnung kam, stand der Dechant vor ihm, der zwischen beide getreten war. Laßt ihn nur, rief der Bischof, er muß ja seine Tugendheldin, die Hexe, in Schutz nehmen, er, der, wie ich ihm gleich beim Eintritt auch aus seinen Augen las, selbst ein Hexenmeister ist!
Höre ich wirklich diese unsinnigen Worte? rief Friedrich in der höchsten Bewegung aus, oder ist alles nur ein aberwitziger Traum? Und Ihr, Herr Dechant, könnt, ohne ein Wort zu sprechen, diese Lästerungen eines Rasenden so ruhig anhören?
Schimpft nur, sagte der Bischof; dem Verbrecher, der seinen Untergang vor Augen sieht, muß man es erlauben. Ihr wollt es wohl leugnen, daß Ihr noch kürzlich im Garten dieser Denisel einen Hexen-Sabbath gefeiert habt, bei welchem der verruchte Labitte den Ceremonien-Meister und Marschall des Satans gemacht hat? Daß die Hexe sich dort, als Stellvertreterin des Teufels, als Frau Venus mit ihrem ganzen Hofhalt gezeigt hat? Daß Ihr dabei auch ein dienender Satansbruder wart, und der Hexe demüthig huldigtet? Müßt Ihr nicht aller dieser Dinge geständig seyn? O, meine Spione sind gut, und auch Busch und Strauch hat manchmal Ohren.
Jetzt erst kenne ich Euch, sagte Friedrich mit kalter Verachtung, und es ist unter der Würde eines jeden Menschen,[364] der noch eines Gedankens fähig ist, auf den Aberwitz eines Narren zu antworten.
Friedrich wollte ohne Gruß und ohne irgend ein Zeichen von Hochachtung sich entfernen, aber der Bischof rief: Bleibt! Antworten werdet Ihr ganz gewiß, entweder im Guten und freiwillig, und dann kann, wie sehr Ihr mich auch lästern mögt, die Kirche noch mit Mitleid Eurer Jugend gedenken, die dem Irrthum und der Verführung, besonders durch schöne Weiber, ausgesetzt ist; oder Ihr gesteht gezwungen, durch das Mittel, welches für verstockte Sünder da ist, durch die Folter.
Die Thüre öffnete sich, und Häscher traten herein, die den betäubten Friedrich in Empfang nahmen, um ihn in den Kerker zu schleppen. Auf der Straße begegnete ihm ein Zug, vom Geschrei des Pöbels und lautem Lachen und Jubel begleitet. Als er näher kam, sah er, daß es Frau Catharina war, die, so wie er, in den Kerker geführt wurde. Wir sehn uns früher wieder, als wir dachten, sagte sie mit mildem Ausdruck, indessen Friedrich, von blinder Wuth betäubt, nicht fähig war zu sprechen. Die Schadenfreude des Pöbels, die über das Unglück und die Schande der schönen, reichen Frau gefrohlockt hatte, ward dadurch gestört, daß Friedrich, der Sohn des geliebten Ritters, den alle ehrten, ebenfalls derselben Schmach war Preis gegeben worden. Der Vater vernahm mit Entsetzen, was seinem Sohne begegnet sei, und berieth sich mit seinen Freunden, welche Mittel man ergreifen müsse.
Es war ein betrübender Anblick für alle Freunde des Alten, wie Labitte trostlos durch die Stadt irrte, als er erfahren, daß Friedrich und Catharina gefangen seien. Allenthalben suchten seine Klagen Hülfe, er war in der Furcht, daß man auch ihn anklagen würde, und so geschah es auch,[365] indem er eben weinend im Hause des Schakepeh Mitleid erflehte. Der Geis war ganz ohne Fassung; er rief, als er über die Straße geführt wurde, den Küster Wundrich sich zu Hülfe, der aber mit trostlosem Kopfschütteln und bleichem Antlitz sich von ihm entfernte.
Man hoffte jede Stunde auf die Boten, die vom Herzoge zurückkommen sollten. Sie erschienen freudig nach einigen Tagen, und verkündigten, daß der Erfolg ihrer Sendung über Erwarten glücklich sei, und daß die Noth und der Schimpf, welche ihre Stadt bedrohten, binnen kurzem abgewendet würden.
Alle reichen Bürger und Schöffen, so wie Ritter Beaufort, eilten nach dem großen Gasthause des reichen Josset, denn dieser war es gewesen, der als Sprecher der Bürgerschaft sich dem Herzoge Philipp vorgestellt hatte.
Josset, ein wohlbeleibter, fröhlicher Mann, der auch Schöffe war, und von allen Menschen wegen seines Wohlwollens und heitern Sinnes geliebt wurde, erzählte, wie freundlich er von dem alten Fürsten sei aufgenommen worden, wie gern man ihn angehört und alle Umstände habe vortragen lassen. Gewiß, so sagte der Herr, ist diese Sache denkwürdig und höchst seltsam; ich will nicht, daß meine geliebten Unterthanen, einen Aberglauben zum Vorwand nehmend, gemißhandelt werden. Der Bischof darf nicht über seinen Bezirk hinausgreifen. Die Sache ist so seltsam, daß sie genau untersucht werden muß, und wer im Unrecht ist, soll der Strafe nicht entgehn. Der Geistliche soll durch Ermahnung strafen, durch Tugend ermuntern und mit Liebe den Fehlenden aufrichten, aber nicht Henker und Beil zu Hülfe rufen. Wir haben gesehen, welcher Mißbrauch mit Worten getrieben wurde, als das arme Mädchen von Orleans, jene Pucelle, hingerichtet wurde.[366]
Der liebe, edle Herr! rief Schakepeh aus. Wußte ich es doch, daß er dieser verächtlichen Tyrannei steuern würde.
Am folgenden Morgen, fuhr Josset fort, ließ uns der erhabne Mann wieder in seinen Pallast fordern. Er war noch milder und gütiger als am vorigen Tage. Eure Erzählung, sagte der freundliche Fürst, hat mich in der ganzen Nacht beschäftigt; sie ist so sonderbar, daß ich viel darüber habe denken müssen. Menschen, denen man nichts Wirkliches, keine That beweisen kann, diese werden als Verbrecher ergriffen, weil andre, die vielleicht im Gemüthe krank sind, sie bei einer Versammlung böser Geister wollen gesehn haben, zu welcher diese Ankläger selbst durch die Luft auf Gabeln, Besen, Trögen und Böcken auf unbegreifliche Art hingefahren sind. Ist es nicht, als wollte ich meine Räthe und Freunde des Mordes und Hochverrathes anklagen, weil ich oder einer meiner Diener sie im Traume hat ein Verbrechen begehen sehen? Und weil ich zeigen will, wie sehr ich meine gute Stadt Arras und ihre Bürger liebe, habe ich, auch den Rath von Freunden anhörend, beschlossen, meinen Vetter, mein nahverwandtes Blut, den Grafen von Etampes, mit unbeschränkter Vollmacht nach Arras zu senden, um in meinem Namen, und so weit meine Macht und Gerichtsbarkeit reicht, zu handeln.
Daran erkenne ich den großen Fürsten! rief der alte Beaufort höchst erfreut aus; das giebt uns Trost und Kraft. Vor dem Grafen, diesem mächtigen Herrn, wird der feige Bischof sich in seine Zelle zurück flüchten müssen. Der edle Graf muß empört seyn, daß man den Adel und dessen Vorrechte so mit Füßen tritt. Er wird mir sogleich meinen Sohn zurück geben, und diesen Geistlichen, die unter den verächtlichsten Vorwänden die Tyrannen spielen wollen, zeigen,[367] wie man einen so alten adligen Stamm, wie den meinigen, nicht verletzen darf.
Ja, rief der zornige Carrieux aus, der kräftige Graf muß uns aber nicht bloß beistehn, er muß auch diesen frechen Priester und andre seines Gelichters bestrafen. Er muß ein starkes Beispiel geben, damit es keiner wieder wagt, jemals einen solchen Unsinn aufzurühren.
Freilich, rief Josset, der Gastwirt. Wir leben ja jetzt wie in einem Narrenhause, und müssen uns Fratzen erzählen lassen, die wir schon als Kinder abgeschmackt fanden. Und die blödsinnigen Erzähler schneiden dabei so ernsthafte Gesichter, als wenn sie uns die heilige Schrift erklärten.
Alle waren froh und drückten sich freudig die Hände; als sich aber Beaufort zu Schakepeh wendete, um auch diesen zu umarmen, wich der Kaufmann zurück, und setzte sich schweigend und verdrüßlich in einen Winkel. – Was ist Euch? fragte Beaufort; wollt Ihr an unserer Freude nicht theilnehmen?
O wir Armen! sagte Schakepeh, und nahm den Kopf zwischen beide Hände; ich fürchte jetzt, ja ich bin davon überzeugt, unsre Sache ist verloren, und schlimmer, als wenn sie ganz allein in den Händen des Bischofs geblieben wäre.
Er spricht wieder einmal Unsinn! rief Carrieux; alles will er besser wissen, der launenhafte Mann, der mit jedem Tage seine tiefsinnige Weisheit wechselt.
Aber laßt ihn reden, sagte Beaufort, daß er uns deutlich machen kann, wie er es meine; denn ich begreife seine Betrübniß durchaus nicht.
Herr Ritter, sagte Schakepeh, indem er dem alten Beaufort die Hand reichte, Ihr wißt es, ohne daß ich Euch jetzt zu schmeicheln brauche, wie wir Bürger Euch achten und lieben. Ich hasse den Adel nicht, so vielfachen Verlust ich[368] auch durch Edelleute und ihre Wortbrüchigkeit erlitten habe. Oft hat uns der Adel geschützt, und mehr wie einmal im Kriege gerettet; – aber diese Großen, diese höchsten und prinzlichen Edelleute, die unserm Fürsten am nächsten stehn, diese Croys, die Etampes, Nivernois, zu diesen können und sollen wir kein Vertrauen fassen. Diese Geldgierigen, die die Liebe unsers Fürsten, das Glück des Landes, Krieg, Elend und Theurung, Bündniß mit Fremden und alle Umstände immer nur benutzt haben, sich zu bereichern, diese sind weder Adlige noch Bürger des Landes. Sie kennen kein Vaterland, sie wollen und lieben nur sich. Immer verschwendend, scheinbar großmüthig, und immer wieder knickernd, wuchernd, wie der Jude, und lieblos ihre Vorrechte und Stellung zum Lande nur zu Erpressungen benutzend, sind sie die, welche die Kräfte unsers Herzogthums eigennützig wegsaugen. Denkt an mich, wenn dieser gemüthlose vornehme Herr uns erst völlig unglücklich macht.
Wie kann er es? sagte Beaufort; wer würde ihm darin beistehen?
Ich verlasse mich sonst auch auf die Vornehmen nicht, sagte Peter Carrieux; aber bei dieser Gelegenheit kann er doch nur seinen Vortheil finden, sich dem Bischof zu widersetzen.
Ihr sprecht auch, Freund Schakepeh, fiel Josset ein, als wenn die großen Herren gar kein Gewissen hätten, keinen Gott glaubten und keine Strafe fürchteten.
Sie haben ihr eignes abgerichtetes Gewissen, sagte Schakepeh, das auf jeden Fall ganz anders als unser bürgerliches aussieht. Es hat ein Wesen wie das Chamäleon, und spiegelt alle Farben. Ihr Gewissen ist, ihren Stamm groß und reich zu machen, ihr Blut für eine ganz andere Brühe zu halten, als die in den Adern der übrigen Menschen gährt, ihre Ehre über alles zu schätzen, und sie aufrecht zu halten,[369] sich auch vor keiner Niederträchtigkeit zu fürchten; am meisten hilft es aber dazu, Geld und immer nur wieder Geld zu sammeln, auf allen Wegen und durch alle Mittel. Da unser Herr aber, so weise er ist, zu Zeiten ein Verschwender ist, so sind sie es auch, machen Schulden, und treiben wieder, wo sie nur können, ihre Verluste ein, und denken weder an Gewissen, Gott, Strafe noch Religion.
Er ist ein Menschenfeind geworden, sagte Josset, und heut hat er wieder die Laune des Widerspruchs. Beaufort aber war nachdenklich geworden, und die überwallende Freude Carrieux's war auch verstummt.
Ein junger Mensch, Caspar, ein Verwandter des Gastwirthes Josset, trat jetzt herein und sagte: Denkt Euch, meine Herren, die seltsame Geschichte! In seinem Gefängnisse hat sich der alte Maler Labitte mit einem Federmesser die Zunge abgeschnitten. Es ist ihm zwar nicht ganz gelungen, aber er ist doch so verwundet, daß er kein Wort sprechen kann.
Alle waren betrübt, und in seinem Mitleid sagte Carrieux auf seine zornige Weise: Im Glück und Unglück bleibt der Labitte ein alter Esel. Mit Recht nennen sie ihn den blödsinnigen Abt. Einfältiges Menschenkind! Er bildet sich nun ein, er kann und braucht in den Verhören nichts zu beantworten, er kann nun nichts gestehn, weder von sich noch von andern. So sehr hat ihm die Angst alle Besinnung genommen, daß er vergißt, wie er doch schreiben kann, und wie sie ihn dazu schon anhalten werden.
Freund Carrieux, sagte Schakepeh mit einem so weichen Ton, daß es schien, er müsse gewaltsam seine Thränen zurückhalten, Ihr seid selbst heut am Tage ein wenig einfältig. Der gute Alte, einer meiner liebsten Freunde, einer der edelsten Menschen, die ich je gekannt habe, in seiner Todesangst[370] hat er nicht so ganz den Verstand verloren, wie Ihr es glaubt. Er hat sich die Sprache geraubt, um den Elenden nicht auf der Folter antworten zu dürfen; mit dieser müssen sie ihn doch mindestens verschonen, wenn er ihnen schriftlich Antwort geben soll. O der kläglichen Zeit, wenn unbescholtene, tugendhafte Bürger auf dergleichen List und Auskunft verfallen müssen, um nur ihre Glieder zu retten, daß sie ihnen nicht unter unduldbaren Qualen zerrissen werden.
Beaufort, der plötzlich an seinen Sohn denken mußte, hielt die stürzenden Thränen nicht zurück. Er umarmte den alten Schakepeh heftig und eilte nach Hause, um sich ungestört seinem Schmerz zu überlassen.
Schakepeh nahm von den Bürgern Abschied, indem er sagte: vielleicht habt Ihr Recht, und alles fügt sich zum Guten. Daß wir aber dergleichen hoffen, daß wir es ein Glück nennen müssen, von solchem Unsinn erlöst zu werden, ist schon Elend genug. Mein armer, liebevoller Labitte! Dieser Freund, so ganz Kindertraum, Wohlwollen, Spiel und Tiefsinn. O, er lernt im Greisenalter das Leben noch von einer schlimmen Seite kennen. Und wer schützt uns, die wir uns alle seine Freunde nannten? – Hofft Ihr auf den Grafen Etampes und sein verständiges Wirken; es gehe Euch wohl. Ich denke dessen wohl entübrigt zu seyn, wenn ich gleich bei meinem Entschlusse viel einbüßen sollte.
Was habt Ihr vor? fragte Josset.
Nichts Besonderes, erwiederte Schakepeh, Ihr werdet es schon erfahren. Mit diesen Worten verließ er die Freunde.
Als er in sein großes, schönes Haus trat, sah er die Säulen, Thürme, den Altan, die breite Treppe und die großen Zimmer, allen kostbaren Hausrath und seine Kleinodien eins nach dem andern genau an, schüttelte bedenklich[371] den Kopf und warf sich dann gewaltsam in eine heitere Laune, die ihm sonst so natürlich war. Bei Tische erzählte er fröhliche Dinge, um seine Tochter, die schöne Sophie, zu zerstreuen, die um Friedrich, Labitte und Frau Catharina viel am Morgen geweint hatte. – Nach Tische nahm er ihre Hand und sagte: Ja, Kindchen, das war mein Lieblings-Projekt, wie ich es auch niemals verschwiegen habe, Dich mit diesem Friedrich Beaufort zu verehlichen. Sein Vater schien auch damit einverstanden, und es fehlte nur noch an dem jungen Menschen, der keiner Neigung zu einem hübschen Mädchen fähig schien. Sieh, mein kleiner Engel, Dich hat er freilich bezaubert, das hast Du Dir auch merken lassen, und ich habe es längst bemerkt. Dafür haben sie ihn nun auch zur Strafe als Hexenmeister festgesetzt. Dort, im Gefängnisse, wird er in sich gehn, seine schwarze Kunst ablegen, und Du kannst unterdeß ein wenig zaubern lernen. Lassen sie ihn dann wieder aus seinem Loche an das Tageslicht, so übst Du Deine kleinen Künste an ihm aus, und es wird zu meiner Freude doch wohl noch ein Paar aus Euch. Weil aber hier bei uns in Arras das Zaubern, wie Du siehst, so strenge verboten ist: wie wär's, wenn Du Dich zu Deiner Muhme nach Paris aufmachtest, die Du schon so lange hast besuchen wollen? Grüße sie von mir, und laß Dich dort im Hexen unterrichten, Du kleiner, zarter Engel.
Er küßte sie gerührt, und das erstaunte Mädchen sagte: Wie Ihr es befehlt, mein Vater, obgleich ich auf diese Reise gar nicht vorbereitet bin. Wann reise ich?
Jetzt gleich, sagte Schakepeh; ich habe den Wagen schon einrichten lassen, die Pferde sind auch schon vorgespannt, sichre Leute und Diener werden Dich begleiten.
Mein Vater, sagte Sophie bestürzt, gleich jetzt? Wie ist das möglich?[372]
Ich folge Dir bald nach, sagte der Vater; in wenigen Tagen siehst Du mich auch dort in Paris, so bald ich nur meine notwendigsten Geschäfte geordnet habe.
Also keine Trennung? sagte Sophie. – Nein, mein Kind, erwiederte der Vater, indem er seine Thränen nicht mehr zurückhalten konnte; lange möchte ich Dich nicht aus meinen Armen lassen.
Sie stiegen die Treppe hinab, und das Kind verwunderte sich, den Reisewagen, unter dessen aufgespannter Leinwand sie sitzen sollte, mit so vielen Sachen bepackt zu sehen. Sie erfuhr, daß alle ihre Kleider und Wäsche, vorzüglich aber alle ihre Kleinodien, goldnes Geschirr und eine große Summe in Gold und Silber sich in den Kisten befand, die dem Wagen aufgeladen waren. Alles dies, sagte der Vater, giebst Du in Paris in die treuen Hände Deines Oheims, meines lieben, verständigen Bruders, der Dir so Deine Mitgift bewahren wird. Ich hoffe noch in wenigen Tagen eine große Summe mit mir zu bringen. Nun, Herzchen, sieh Dir noch einmal Haus, Zimmer, die Schränke und Spiegel an, falls dies das letztenmal wäre, daß sie Dir als Dein Eigenthum vor Augen ständen.
Lieber Vater, sagte sie zitternd, Ihr sprecht so räthselhaft. Wollt Ihr alles verkaufen? Wollt Ihr von hier wegziehen? Wollt Ihr in Paris Euren Handel fortsetzen?
Kann seyn, kann nicht seyn, antwortete der Vater; es ist ja auch möglich, daß man mir das Haus und alles drin und draußen abkaufen will, ohne es mir zu bezahlen. Kann nicht ein Erdbeben alles verschlingen? Ein Brand? Man muß sich für alle Fälle vorsehen.
Weinend fiel die geängstete Sophie dem Vater um den Hals. Er tröstete und beruhigte sie, rief die bewaffneten Diener herbei und sagte ihnen nochmals, wie die Reise gehen[373] und wo sie Halt machen, die Nacht ausruhen und nirgend länger verweilen sollten, als es, um die Pferde ruhen zu lassen, nothwendig sei. Für jede Stadt gab er ihnen Briefe mit, an Handelsfreunde, und so fanden sie auch bei diesen an jedem Tage frische Pferde. So wie sie auf das Gebiet Frankreichs kämen, durften sie verweilen, und die dem Hause verbündeten Kaufleute sicherten ihnen, wie Schakepeh wußte, einen ruhigen und sichern Aufenthalt. Mit Freuden sah der Alte seine Tochter wegfahren, denn mit ihrer Entfernung war ihm die größte Angst vom Herzen gewälzt. Ruhiger wollte er in sein Haus zurückgehen, als ihn ein sonderbarer Anblick noch auf der Straße festhielt.
Es ritten bewaffnete Wächter daher, die den jungen Köstein in ihrer Mitte führten. Er saß auf einem schlechten Pferde, das ohne allen Schmuck war, er selbst trug nur geringe Kleidung, sein Antlitz war traurig und seine Haltung ohne Stolz. Schakepeh sah wohl aus diesen Anzeichen, daß er als Gefangener zurückkam, und die Gunst seines großen Herzogs ihn vor dieser Demüthigung nicht hatte schützen können.
Der Bürger näherte sich dem Gefangenen, der sein Pferd anhielt, und sagte: Freund, Ihr kommt schneller wieder, als wir denken konnten. Was ist Euch begegnet?
Meine Feinde, sagte Köstein, haben für einen Augenblick den Sieg davongetragen. Aber in wenigen Tagen wird meine Ehre von neuem glänzen; mein großer Beschützer und Freund, der Graf Etampes, ist unterwegs und wird mir die vollkommenste Rechtfertigung verschaffen.
Ich wünsche Euch das beste Glück, sagte Schakepeh, indem er ihm die Hand reichte. Köstein ritt weiter, nach dem Hause, das ihm vorläufig war angewiesen worden, um dort bewacht zu werden. Schakepeh wendete sich an den letzten[374] Wächter mit der Frage, warum der Ritter so behandelt werde. Ich verstehe die Sache nicht weiter, antwortete dieser, aber ernsthaft ist sie; denn auf Veranlassung des kranken Denis ist der Prinz, der Graf Charolais, selbst als Kläger gegen den Ritter aufgetreten, und beschuldigt ihn des Hochverraths. Der Erbprinz wird auch, sagt man, hieher kommen, vielleicht sogar der Herzog.
O weh! sagte Schakepeh, Du armer Köstein! Deine Laufbahn scheint mir schon geendigt. Gegen so hohe Klagen wirst Du Dich schwerlich rechtfertigen können. Der Prinz selbst Dein Gegner? dem Dich der Herzog schon Preis gegeben hat? Wer wird sich nun noch Deiner annehmen wollen?
Er ging zum Canonicus Melchior, um ihm diese Nachricht mitzutheilen. Der Canonicus hatte die Sache schon erfahren und war in Angst. Hätten wir doch, rief er aus, diesen unglückseligen Denis bei der alten Gertrud gelassen, wo er vielleicht stillschweigend gestorben wäre, oder wenigstens nicht diese ungeheure Anklage gegen meinen Vetter erhoben hätte. Denn er thut es, um sich zu retten und seinen Mord zu rechtfertigen. So bricht denn Elend von allen Seiten herein. Und ich muß fürchten, daß meine Verwandtschaft mit Köstein mich auch in die unglückselige Sache verwickelt.
Labitte hatte indessen in seinem Gefängnisse, in trostloser Verzweiflung und alles Rathes entblößt, folgendes seltsame Bekenntniß aufgeschrieben, welches die Verwirrung seiner Sinne für den Verständigen am deutlichsten bekundete.
So soll ich denn, Ihr geistlichen Väter, schriftlich meine Bosheiten gestehen, weil ich nicht sprechen kann, und mir durch eigne Schuld das Maul gestopft ist. Die Zunge, durchschnitten und eines Theiles beraubt, ist doch so groß und aufgeschwollen, daß sie mich fast am Athmen, noch mehr aber[375] am Trinken und Essen hindert. Gewiß zur Strafe für alles Thörichte, was sie getrieben und geredet hat. Soll das Gehirn, weil es unkluge Dinge beherbergte, eben so anwachsen, so muß mein Kopf, so hart er auch seyn mag, zerbersten.
So habt Ihr denn also, liebwerthe Herren, meinen weißen Pudel schon, zusammt der Ziege der Frau Gertrud, als böse Zaubergeister verbrennen lassen. Es war dem Tyras nicht an der Wiege gesungen, daß er so wie Hercules zum Olymp steigen sollte, und Feuer nöthig sei, die Kapsel zerspringen zu machen, die seinen Geist zum Blühen brächte. Ob er sich gewundert hat? Er war nur daran gewöhnt, aus dem Wasser zu apportiren, im Feuer ist er gewiß stecken geblieben. Da hat er sich selbst nur herausholen können und zum Schöpfer sagen: da bin ich wieder! Ich hielt den weißen klugen Schelm nur für einen ganz gewöhnlichen Hund, nebenher Pudel. Aber freilich: was ist ein Hund? Weiß mir das einer der hochwürdigen Herren zu sagen? Aus seinem Blaffen und Bellen habe ich es nie heraushören können. Er wußte es wohl selbst nicht, und verfiel darum jedesmal in dieses Stottern und Stammern, wenn er von sich Kunde geben sollte. Ein Geist war er wohl. Ihr sagt, ein gefallener. Kann auch seyn. Vielleicht sind die Geister für uns hier auf Erden nur dann da, wenn sie gefallene sind, das heißt, geschaffene. In so fern sie aus dem ewigen Urquell des höchsten Gottes frei gemacht, und dem Dasein anvertraut worden, ist das schon ein Abfall vom Ewigen, Unaussprechlichen zu nennen. Kann Tyras ein abgefallener Geist seyn, so mußte er wohl durch seine pudelnärrische Hundenatur, wie in einer der untersten Klipp- und Pfennig-Schulen, hindurch, um in eine höhere Classe zu kommen. So mag auch das Feuer-Examen für den Candidaten in seiner nicht ganz rein weißen Zottel-Toga ein recht menschliches[376] Beförderungsmittel gewesen seyn, ihn auf eine bessere Bank hinaufzupractiziren, auf welcher er aber vielleicht wieder als Ultimus sitzt, und als Pennal von allen andern Mitschülern gehänselt und torquirt wird. Ihr meint es aber eigentlich nicht so, sondern behauptet, da Ihr den Teufel und Satan nicht bloß vom Hörensagen kennt, das lustige Vieh sei aus der sogenannten Hölle desertirt, und habe sich bei mir für einen Hund ausgegeben. Nun könnte ich zwar einwenden, daß mir des Tyras Vater und Mutter schon als augenscheinliche, unzweifelbare Hunde bekannt gewesen, aber die Aussage, daß er ächte Hunde-Ahnen habe aufweisen können, würde bei Euch wenig fruchten, da Ihr von der Mesalliance innigst überzeugt seid, durch die ein hoher Höllenfürst sich erniedrigt hat, um als mein Tyras auf vier Beinen sich umzutreiben. Dieser schwarze Prinz hat mich dann auch beherrscht, oder ich erst scheinbar ihn: wir haben uns einander einverleibt und dies höllische Pactum hat mich zum Zauberer und Ketzer gemacht.
Es ist wahr, vernünftige Seelenhirten: wenn eine Gans in ihrer Ruhe einhertritt, so läßt sie sich schwerlich beikommen, daß auf ihr schon jene schicksalsschwangere Feder wachse, mit welcher ein Gottesleugner die Bücher schreiben wird, welche an der Kirche den Eckstein und Stützpfeiler einwerfen können. Eben so lesen wir ja auch schon im goldnen Esel, daß es Zaubersalben gegeben, die Menschen verwandeln. Hat eine Feder die Kraft, tingirt vom schlimmen Geist des Schreibenden: was widerspricht dem, daß ich die Salbe, aus Kräutern, Schwämmen, Moosen und Hexensegen präparirt, an einen guten, fähigen Besenstiel schmiere, der nur einiges Ingenium verräth, um mit ihm durch die Lüfte zu fahren? Konnte die Gans die Apostel widerlegen, mein Tyras ein Hexengeist seyn, so sehe ich keine Ursach, wenn man nur[377] halbweg Ovidii Metamorphosen gelesen hat, warum ein so unterrichteter, angestrichener und aufgezäumter Besenstiel nicht ein Pferd sollte seyn können. Alles kommt nur auf die Uebung an. Ein solcher eingerittener Besen, und vollends, wenn es viel wären, oder man die besten zusammenhielten und sie Kinder zeugen ließe, könnte unserem Herzoge von größerem Nutzen seyn, als viele seiner Grafen und Herren, Ritter und Stallmeister, die umgekehrt, manchmal, wenn sie reiten und streiten sollen, sich in Besenstiele verwandeln und zu Hause hocken, so daß keine Hexensalbe, von Ehre, Nachruhm, Dienstpflicht und Schande zusammengerührt, sie aus ihrem Winkel treiben kann.
Freilich bin ich einer der obersten Hexenmeister, der große Marschall und Turniervogt, der die Ceremonien bewacht, daß auf unserm Sabbath nichts Ungeziemliches vorfalle. Ich führe die jungen, schüchternen Hexen ein, mache ihnen Muth, lehre ihnen die Verbeugungen etcetera. Ihr habt wohl selbst vor Jahren über mein Gemälde dieses Hexen-Sabbathes gelacht. Ja, damals, Erleuchtete, wart Ihr noch nicht erleuchtet und freutet Euch über den Spaß, den ich von allen Malern zuerst erfunden hatte. Nun seht Ihr aber beim Licht der Scheiterhaufen heller und wißt alles auszudeuten, und daß unsereins, Tyras und ich und Ziege, den Teufeln so müssen geopfert werden, wie die Helden den Göttern ihre Opfer brachten. Vielleicht legt Ihr es auch auf Hekatomben an, wenn gerade der Geburtstag des Beelzebub seyn sollte.
Als Erfinder dieses After-Sabbaths sitze ich nun hier zum Dank, fast eben so, wie Miltiades, Themistokles und Aristides verbannt wurden. Aber warum habe ich denn auch die Schönheit und den Reiz immerdar verehrt, und in der Person der Catharina Denisel angebetet? So alt ich war,[378] war ich närrisch von ihr verzaubert. Sie sagten mir nach, und es träumte mir oft, ich sei in sie verliebt. Kann das, frage ich Euch selbst, mit natürlichen Dingen zugehn? Warum ist denn keine schöne Jungfrau oder züchtige Matrone in unsern kleinen garstigen Bischof verliebt? Weil er sich von Gott, als ein wahrer frommer Christ, die Gnade erbeten hat, so häßlich zu seyn, daß viele, besonders hübsche Menschen einen Abscheu vor ihm empfinden. Er wird niemand reizen, und so ziemt es dem Frommen. Freilich dienen so Dichter und Maler dem Morgenstern, dem Lucifer, dem Fürsten der Schönheit. Ist Schönheit da, wenn sie nicht begeistert und entzückt? Armes Volk, das nicht, wie vom Blitz, davon getroffen wird.
So verdrehen sie mir aber das Wort im Munde, was mir, wegen der zu großen Zunge, einigermaßen lästig wird. Dieser Lucifer soll der ältere Bruder des Heiland seyn, der Majoratsherr, dem die Herrschaft gebührt, der verstoßen ist. Aber er hat ja alles, was er sich wünscht. Kein Kampf des Eteokles und Polynikes. Das heißt ja meinen Glauben ganz entstellen. Keiner wird mit dem andern tauschen wollen. Der Geist, der uns und alles beseelt, kann sich nur offenbaren, wenn er im Blut, Sehnen, Adern und Fibern und Nerven regiert. Ist nun alles Sichtbare, Körperliche an mir Hölle und Teufel, Tod und Verderben, so muß der Geist, der sich in diese Röhren des Todes präcipitirt, wohl auch ganz Hölle werden, weil er immerdar in diesen Gelenken spielt, und in diesem Giftqualm plätschert und sich drinne gefällt, wie das Vögelchen, das im Springquell badet und springt.
Ja, meine Herren, die Magie ist nicht zu leugnen. Indem ich diese schwarzen Worte schreibe, lache ich über die krausen und eckigen Zeichen, und weiß, daß Ihr die frommen[379] Augen darüberlaufen lasset und die Schnörkel zu verstehen glaubet, glaubt Gedanke, Ueberzeugung, Geistiges aus diesen Tintenflecken Euch formiren zu können. O, wenn es so ist, welche Zauberer seid Ihr! Lehrt doch andern die Kunst. Und wenn Ihr sie nicht versteht? Der Fall ist möglich. Muß ich doch, trotz meiner Schmerzen, über die Gesichter lachen, die Ihr schneidet, indem Ihr die Köpfe schüttelt.
Nun sagen sie, der Satan lasse sich, wenn ihm gehuldigt werde, nicht auf dem Gesicht, sondern auf dem entgegengesetzten Theile huldigen, dem wir, menschlich gewöhnt, nicht gern eine solche Auszeichnung zukommen lassen. Ich sage aber, ländlich, sittlich. Ueber diesen heterodoxen Kuß denke jeder, wie er will. Er sitzt drum gern als Affe oben auf seinem Thron. Nun wißt Ihr, gelehrte Männer, am Affen ist, nach unsern Weltbegriffen, das Angesicht auch nicht sehr holdselig. Wir haben einmal die Angewöhnung, dieses Verstutzte, Wackelnde, Aeugelnde und Verzwickte dieser Physiognomie häßlich zu finden. Purpur-Roth und Azur-Blau gelten aber bei allen Menschen für schöne, herrliche Farben, und ich als Maler bin vorzüglich dieser Gesinnung. So denken auch Fürsten und Herren, von Salomon an, und kleiden sich prachtvoll. Eine Sorte von Affen ist nun von der Mutter Natur so angemalt, daß Striche, wie vom schönsten Ultra-Marin, Zinnober und Carmin, ihm über die Nase und Wangen laufen, wie ein fein illuminirtes Wappen. Dem Heraldiker muß ein solcher Affe erwünscht, wenn nicht verehrungswürdig seyn. Wie aber noch mehr jener, der dieselben Streifen, vornehmer als der römische Senator, als Lehnbrief und schön gefärbtes Wappen besitzt, von der verhätschelnden Natur ihm auf den Theil gemalt, auf welchem er sitzt. Ihr habt gewiß, Ehrwürdige, auch von diesen Affen[380] mit Erstaunen gesehn. Küssen Abergläubige diese Farben, an jener Stelle, die in allen Schilden von Spanien, Frankreich, England, Burgund und Deutschland leuchten, und am Arme oder auf dem Rücken so manches Wappen-Heroldes Ehrfurcht gebieten, so kann man jene, die die Vasallenpflicht noch weiter treiben, nur vielleicht bemitleiden, gewiß aber nicht verdammen. Doch alles sei Eurem Ermessen, noch mehr aber meinem großen Meister anheimgestellt.
Das ist der Geist dieser Welt, der mich zum höchsten Schöpfer und dessen Sohn auf eine mir verständliche und eigne Art führt. Soll und muß es durch Feuer geschehen, so zittre ich davor, als Mensch, weil es schmerzhaft seyn mag; aber jener wird mich vielleicht, wenn ich so hinaufgesendet werde, mit sanftem Wort kühlen und trösten. Springt mir Tyras auch entgegen, lerne ich ebenfalls von diesem etwas, wie es schon hier geschah.
Uebrigens bitte ich um Gnade, und versichere, ich bin ein rechtgläubiger Christ. Aber wie es beweisen? Daß ich verdamme alles, was ich je gedacht? Ja, auch. Daß ich alles bekenne, was man verlangt? Kann auch geschehen.
Nach einigen Tagen ritt der Graf Etampes mit seinem Zuge feierlich in Arras ein. Die Stadt und das Rathhaus waren geschmückt, und die Schöffen, ein Theil der Bürgerschaft, so wie viele vom Adel, empfingen ihn und gingen ihm entgegen. Der Graf, ein ansehnlicher Mann in seinen besten Jahren, hochgewachsen und schön, gewann durch seine Freundlichkeit und seinen edlen Anstand sogleich das Vertrauen aller, die mit ihm sprachen. Er war mittheilend und ohne alle Zurückhaltung; er hörte die Beschwerden, die ihm vorgetragen wurden, mit Theilnahme, und sagte endlich,[381] als ihm die Schöffen die willkührliche Handlung des Bischofs erzählten, und wie er den unbescholtenen, wackern Taket auf offener Straße selbst verhaftet habe: Faßt Euch in Geduld, meine wackern Herren; gewiß soll sich die Geistlichkeit nichts anmaßen dürfen, was ihr, ihren Rechten nach, nicht zusteht. Ich werde Eure Gerechtsame bewahren, da Ihr Euch keine Eingriffe in die der Kirche gestattet. Ich handle hier im Namen und in der Person des großen Herzoges, meines Vetters, der Euch alle wie seine Kinder liebt. Eine Kleinigkeit kann leicht eine Stadt verwirren und in Unglück bringen. Es ist zu loben, daß Ihr so ruhig geblieben seid und alles der Weisheit des Fürsten anheim gestellt habt. Ich gebe Euch mein fürstlich Wort, daß Ihr mit mir zufrieden seyn werdet. Gottlosigkeit, Ketzerei, offenbaren Abfall vom Christenthum, oder Empörung gegen die Kirche werdet Ihr nicht vertreten wollen, und so könnt Ihr darauf vertrauen, daß jeder Eurer billigen Wünsche bei mir ein geneigtes Gehör finden wird.
Alle beurlaubten sich, der Graf stieg vor seiner Wohnung ab, und bat den Ritter Beaufort, mit ihm in sein Gemach hinauf zu steigen.
Ihr seid am schlimmsten verletzt, sagte der Graf, als sie sich im Saale befanden und allein waren; man hat Euch Euren hoffnungsvollen Sohn unter einem nichtigen Vorwande geraubt. Allein Euch soll vollkommene Genugthuung werden.
Ein betrübter Vater, erwiederte der Ritter, wird sich Euch ewig dankbar erkennen. Wir stehen hier alle in der Stadt erstarrt und ohne Fassung, als wenn vor jedem ein Blitz niedergeschlagen wäre. Wir wissen nicht, ob der Bischof wahnwitzig ist, oder ob er aus Bosheit so handelt; ob irgend eine andre Absicht hinter diesem Beginnen lauert,[382] welches kindisch wäre, wenn es nicht so viele an Ehre und ihren guten Namen kränkte, und wohl in jeder gut geordneten Stadt bis jetzt unerhört gewesen ist.
Ihr wolltet mich vor einiger Zeit in Gent besuchen, fuhr der Graf freundlich fort, indem er den Ritter nöthigte, sich neben ihm in einen Sessel zu setzen.
Euer Gnaden Briefe selbst, die ich am folgenden Tage erhielt, bewogen mich, meine Reise, zu welcher ich mich schon eingerichtet hatte, wieder einzustellen, antwortete Beaufort.
Ich weiß, antwortete der Graf, denn ein plötzlicher Auftrag des Herzoges zwang mich, Gent schnell zu verlassen. So kann ich denn mündlich meine Verabredungen mit Euch treffen, der Ihr meine Aufträge immer freundlich und mit großer Pünktlichkeit besorgt habt.
Nur diesmal, antwortete Beaufort, werde ich Euch nicht mit der geforderten Summe, die allzugroß ist, dienen können. Sie übersteigt meinen Credit; ich habe neuerdings Capitale verloren, meine Güter haben nur wenig Ertrag geliefert, und alles, was ich draußen habe bauen müssen, hat schon die Einkünfte von manchem Jahr im voraus verzehrt. Selbst wenn ich das Aeußerste und meinen eignen Ruin wagen wollte, so würden mir doch die bürgerlichen Kaufleute oder die großen Fabrikherren für Euch nichts vorschießen können oder wollen.
Ich weiß, sagte der Graf verstimmt, diese Menschen haben immer tausend Ausflüchte. Sie berufen sich auf die Kriegssteuer, auf die außerordentlichen Gaben, die der Herzog zu verschiedenen Malen gefordert hat, auf die zunehmende Theurung und tausend andre Dinge; und doch sind sie alle reich, besitzen große Häuser, und prunken wie Ritter und Graf.
Sie sind freilich wohl reich, erwiederte der Ritter, aber[383] wie viele baare Auslagen muß ein solcher Teppichwirker machen, wie große Summen muß er täglich seinen Arbeitern und Untergebenen auszahlen. Hier darf er niemals im Rückstande seyn, und eine einzige versäumte Woche würde ihn verderben. So ist es mit dem Holzhändler und Tuchwirker ebenfalls. Wagten sie es, ein solches großes Kapital auf einmal ihrem Geschäfte zu entziehen, so würden sie plötzlich allen Credit verlieren, wenn die andern Bürger es erführen. Darum ist ihr Reichthum nur scheinbar so groß, da immerdar große Summen ausströmen, und sie auch für den Fall sorgen müssen, wenn auswärtige Zahlungen nicht eintreffen, oder Kaufleute, von denen sie zu fordern haben, bankrott machen. Dazu kommt noch, mein gnädiger Herr, daß alle diese Menschen Euch, was ihnen nicht zu verargen ist, weniger als andern vertrauen, eben weil Ihr so reich, mächtig und groß, und gewissermaßen der Erste nach unserm Fürsten seid. Sie haben keine Mittel in Händen, das Ihrige wieder zu erhalten, wenn es Euch durch die Umstände unmöglich fällt, ihnen nach Bequemlichkeit zurück zu zahlen.
Der Graf lachte und sagte: Ich verstehe Euch, Beaufort, und Ihr denkt natürlich eben so, und ich darf es Euch ebenfalls nicht verargen. So seid Ihr nun, Ihr zu treuherziger Ritter, dem ich wahrlich Dank schuldig bin; Ihr denkt so arg von uns, und noch mehr Eure Bürgersleute und Zunftmeister. Freilich kann das Darlehn oft nicht zurückgegeben werden. Ist es darum verloren? Kann ich Euch nicht Gunst gewähren, Privilegien? Euch dahin weisen und stellen, wo Ihr vierfach das von andern gewinnt, was Ihr vielleicht an mir verlieren müßt? Ich spreche so aufrichtig, weil ich Euch kenne und achte.
Hoher Graf, sprach Beaufort etwas verlegen, Ihr habt es selbst schon gesagt, daß für uns dergleichen nicht paßt.[384] In welche weite und ungewisse Distrikte würde uns ein solches Treibjagen führen! Wie viel Freundschaften müßten wir erwerben, um nur sicher zu werden, wie viele heimliche Feindschaften würden uns zu untergraben suchen.
Ich wäre nicht in dieser Verlegenheit, sagte der Graf, wenn die Vermählung meiner Schwester mich nicht ganz ausgeplündert hätte. Baare Summen, die ich zahlen, prächtige Feste, die ich geben mußte, und durch welche Tausend sich reich gemacht haben. Was helfen mir für den Augenblick meine großen, unermeßlichen Güter und Schlösser? Diejenigen, die für vorgeschossene Summen sich auf zwei Jahr meiner Einkünfte bemächtiget haben, darf ich, meiner eignen Ehre wegen, nicht verdrängen, sie genießen ebenfalls des höchsten Schutzes. So verwickelt eins das andre, und Ihr, die Ihr uns vielleicht aus der Ferne beneidet, wißt nicht, wie viel Drangsal und Verdruß aller Art uns zur Last fällt. Auch kann ich die Gnade des Herzogs nicht immer in Anspruch nehmen, zu welchem schon alle Augen gierig hingerichtet sind.
Freilich hat jeder Stand seine Beschwerden, sagte Beaufort; aber einem erlauchten Fürsten muß es immer leichter fallen, als einem gewöhnlichen Privatmanne, diese Hindernisse zu besiegen. Ich sehe also wohl, Gnädigster, ich muß auch in diesem Jahr die schrecklichen Wucherzinsen für Euch zahlen, die mir schwer fallen werden, da Ihr, nach Euren Aeußerungen, meine Bürgschaft jetzt noch nicht auslösen könnt.
Guter Beaufort, sagte der Graf, es ist das Wenigste, was Ihr für mich thun könnt, da Ihr mir jene größere Summe nicht schafft, auf die ich gerechnet hatte. Gehabt Euch wohl, Freund, und speiset morgen mit mir; ich werde auch einige andere von Eurem Adel einladen lassen.[385]
Beaufort entfernte sich, froh, daß er nicht einen härtern Stand, den er gefürchtet, gehabt hatte. Er begab sich noch zu der Gesellschaft der Bürger, die sich beim reichen Josset, im großen Gasthause, versammelt hatte, nachdem sie der Graf Etampes beurlaubt hatte. Man stritt eben mit dem heftigen Carrieux, der mit der Rede und Verheißung des Grafen sehr unzufrieden war, weil er sie zu unbedeutend fand. So machen es diese Herren, rief er jetzt, sie wollen es mit niemand verderben, und wer dieser Weise folgt, muß immer den Besseren schädlich werden. Er wird sich nun so hin und her winden, daß er gar nichts thut, und bei dieser scheinbaren Klugheit und Unparteilichkeit müssen die listigen Pfaffen gewinnen. Und Schakepeh! – hat er sich wohl im Zuge sehen lassen? – Ist er wohl hergekommen, wie wir ihn doch luden? – Wenn die Bürger selbst so gleichgültig gegen die Verletzung ihrer Rechte sind, so arbeiten sie ja ihren Feinden in die Hände, und wir dürfen uns nicht verwundern, wenn der Adel uns ganz fallen läßt.
Schakepeh, sagte der Gastwirth Josset, muß etwas Großes im Schilde führen. Er hat so viel Geld in der Eile eincassirt, als er nur immer konnte; er hat einigen Schuldnern ein Drittheil ganz erlassen, um nur das Uebrige zu bekommen. Mir hat er sogar sein großes schönes Haus angeboten, und zwar, wenn ich ihn baar bezahlen wolle, um einen ganz schwachen Preis; ich gewänne die Hälfte, wenn ich es brauchen könnte, oder die Summe baar hätte. In allen diesen Dingen verfährt der Mann, der sonst die Ordnung selbst ist, so hastig, daß ich fürchten muß, er macht bankrott und will nur eilig, mit großen Verlusten, Geld zusammentreiben, um noch etwas zu retten.
Das kann unmöglich seyn, sagte Beaufort ruhig, denn er hat mir nur heut, lange vor dem Termine, eine bedeutende[386] Summe gezahlt, die ihm, wenn er in Gefahr stände, zu wichtig seyn muß. Ich vermuthe, er will Arras ganz verlassen, um anderswo, vielleicht in einem fremden Lande, sich mit seinen Reichthümern niederzulassen.
Carrieux schrie laut auf. Das wäre entsetzlich! sagte er dann; wäre es wirklich schon so weit gekommen, daß der Bürger hier im Lande keine Sicherheit mehr fände?
Melchior hatte sich indessen auf die Bitte des jungen Köstein zum Grafen begeben, den er mit dem Ritter Conrad beim Schachspiel fand. Er sagte dem Grafen in aller Demuth, daß der bedrängte Köstein, von allen verlassen, seinen Schutz und sein Wohlwollen anriefe, das er ihm so oft bewiesen habe; er erinnerte an jenes gnädige, fast freundschaftliche Vertrauen, mit dem er dem Verfolgten so oft entgegengekommen, ja er ließ von den Diensten, die Köstein dem hohen Grafen beim Herzoge geleistet, auf kluge und bescheidene Weise einiges einfließen, um seinen Bitten mehr Gewicht zu geben. Der Graf sagte aber kalt: Lieber geistlicher Herr, in dieser Sache kann ich durchaus gar nichts thun, da ich zu ganz andern Untersuchungen, wie Ihr es selbst wohl wißt, hieher gesendet bin. Kann sich der junge Köstein gegen die schwere Anklage rechtfertigen, so wird er meine Freundschaft wie sonst genießen; kann er es nicht, so wäre es wohl ungeziemend, dem Herzoge und Thronerben hier mit Herrschsucht oder unziemender Protection entgegentreten zu wollen.
Der Gefangene, sagte Melchior, wünscht nur, daß Ihr ihm ein unschuldiges Zeichen Eurer bestehenden Gunst zukommen laßt, damit seine Feinde nicht zu frech gegen ihn auftreten, und die Richter, wenn sie ihn völlig ohne Schutz sehn, sich partheiisch auf die Seite seiner Gegner wenden.
So müßte ich ihn wohl gar, entgegnete der Graf schneidend,[387] indem er aufstand, in seinem Gefängniß besuchen? Herr Canonicus, es handelt sich hier um die Beschuldigung des Hochverrates. Eine so hochwichtige Anklage, die bewiesen werden muß, oder schwer auf das Haupt des Klägers zurückfällt, kann man nicht mit Protection, mit Gunstbezeugung oder Einschüchterung zum Schweigen bringen. Ihm wird ein unpartheiisches Gericht werden, dessen kann er versichert seyn.
Melchior entfernte sich, und der Graf setzte sich zum Spiel wieder nieder. Da ihn der Herzog, mein Vetter, hat fallen lassen, sagte er, der wie kindisch in den Laffen verliebt war, so muß unser Graf Charolais schon Beweise seiner Anklage vorgelegt haben. Was der Kindische sich dabei denkt, zu mir zu schicken! Als wenn ich mich selbst verdächtig machen würde, um diesen Glückspilz, dem zornigen Thronerben gegenüber, zu retten. Mag er es haben und nun sehn, wohin Frechheit und Uebermuth führen. Er, der mit uns in der Pracht wetteiferte, der sein Weib so herausstaffirte, daß am Hofe meines Vetters sich meine Gemahlin einmal schämen mußte, weniger und nicht so kostbaren Schmuck an sich zu sehn, als in welchem das sonst so arme Fräulein glänzte. Der Fall dieses Aufschößlings mag eine Lehre und Warnung für alle ähnlichen Glücksritter werden.
Melchior kam ohne Trost zu seinem bekümmerten Vetter, dem er in milden Ausdrücken erzählte, wie er so gar nichts beim Grafen, auf welchen Köstein sehr gerechnet, hatte ausrichten können. Der rathlose Jüngling warf sich verzweifelnd in den Sessel und weinte und schluchzte laut. So sind sie, sagte er dann, diese Großen! Wie oft hat er mich gebraucht, ihm bei meinem Herzoge dieses und jenes auszumachen, so manches durchzusetzen, was gegen alles Recht war. Er wußte, daß der alte Herr mehr auf meine Scherze hörte, und ihm[388] meine Freundlichkeit mehr gefiel, als wenn der Graf oder andre Verwandte etwas durchtreiben wollten. Nun zittern sie alle vor diesem Thronerben, und alle hassen ihn, und wünschen, daß er unterginge. Aber sie werden auch einst ihre Strafe finden. Ich dachte so sicher zu stehn, da ich mich bloß zu den Feinden des Prinzen Carl gesellte; es schien, als wenn alle die von der andern Parthei mich gar nicht entbehren könnten, solch ein unbedingtes Vertrauen bewiesen sie mir alle. Allen habe ich geholfen, und keiner dankt es mir. Noch jetzt, ganz neulich gab ich diesem Etampes einen klugen Rath, wie er zu großen Summen gelangen könne, die er einzunehmen wünscht. Seine Hoffarth, und die noch größere seiner Schwester, hat ihn das Unermeßliche gekostet. – Komme ich nur aus dieser Lage, sollen sie aber auch sehn, was sie an mir verloren haben.
Melchior verließ den Jüngling, tief betrübt, daß sein Unglück ihm den Verstand, den er noch kürzlich bewundern müssen, so völlig geraubt hatte.
Mit einigen seiner Edelleute begab sich der Graf Etampes in die Wohnung des Bischofes. Dieser war von Priestern umgeben, unter denen sich der Dechant und der Canonicus Melchior befanden. Der Graf setzte sich dem Sitze des Bischofes gegenüber, und erklärte ihm die Absicht, aus welcher der Regent des Landes ihn nach Arras gesendet habe. Daß der gnädige Fürst wünsche, daß nicht ohne die äußerste Noth etwas Grausames und Hartscheinendes geschehen möge; wie sehr es der Graf bedaure, daß schon der angesehenste Theil des Bürgerstandes sich in der Verhaftung seines Schöffen gekränkt fühle, und wie er nicht zugeben könne, daß das Gericht der Clerisei sich in die Gerichtsbarkeit des Magistrats und der Schöffen und Vorstände des Bürgerwesens dränge.
Der Bischof antwortete: Von dem allen, geehrter Fürst[389] und Herr, ist von unsrer Seite nichts geschehen. Die Herren des Adelstandes und des Bürgerwesens kennen nur zu wenig, wie weit die geistlichen Rechte sich erstrecken, und haben die sehr ausgedehnte Gerichtsbarkeit der Inquisition vergessen, weil seit lange kein Verbrechen sich zutrug, welches sie zu richten, oder vielmehr weil sie in ihrer christlichen Aufmerksamkeit nachgelassen hatte. Daß ich selbst, aus eigner Vollmacht, den Schöffen Taket verhaftete, getraue ich mir vor jedem geistlichen und vernünftigen weltlichen Gerichte zu verantworten, denn mehr als ein Zeuge seines Verbrechens ist gegen ihn aufgetreten. Ich kann es aber, als Präsident des Gerichtes der Inquisition, als stellvertretender Bischof und geistliches Oberhaupt dieser Stadt, niemals zugeben, daß sich weltliche Richter oder Männer vom Adel meine Rechte und die Rechte der Kirche anmaßen, und so kann Eure Sendung von unserm gnädigsten Herzog unmöglich gemeint seyn, da es weltbekannt ist, wie hoch er die Heiligen verehrt; sondern seine edle Absicht ist gewiß, daß er einen allgemein verehrten Fürsten seines Hauses sendet, um Pöbel wie Bürger, Adel wie Geistlichkeit durch die Autorität dahin zu vermögen, daß alles auf dem Wege des Rechtes, der Sitte und der Billigkeit geschehe; und so treten wir von der Geistlichkeit Euch mit demselben herzlichen Vertrauen entgegen, welches Euch der edle Bürgerstand schon bewiesen hat.
So ist es allerdings gemeint, antwortete der Graf, und Ihr habt die Absichten unsers gnädigsten Landesherrn ganz richtig ausgedeutet.
Nehmt gütig, erwiederte der Bischof, diese Acten, die die Anklagen, Zeugenverhöre und Beweise enthalten, alles, was wir bis jetzt auf dem freundlichen Wege haben entdecken können. Der Herzog hat uns auch einige Doctoren der Rechte wie der Theologie von Löwen gesendet, und, so viel[390] ich weiß, sind alle mit meinem Verfahren, das ich bis jetzt beobachtet habe, einverstanden.
Der Graf blätterte in den Acten, gab sie den Rittern, die mit ihm gekommen waren, zur Ansicht und sagte dann: Geehrter Herr, die Sache an sich scheint für sich zu sprechen, so wenig ich mir ein Urtheil in diesen verwickelten geistlichen Angelegenheiten und in diesen sonderbaren Begebenheiten erlauben darf. Denn höchst wunderlich sind diese Bekenntnisse und Aussagen. Aber warum haben die hiesigen Einwohner ein solches Aufhebens von diesen fratzenhaften Geschichten gemacht, daß sie sogar die Autorität des Fürsten selbst zu Hülfe gerufen? Zwei liederliche Dirnen, eine alte Bettlerin, drei jammervolle Weiber vom Lande, und eine Frau von zweideutigem Ruf in der Stadt, nebst einem blödsinnigen Gemäldepfuscher, sind hauptsächlichst und zuerst angeklagt, und deren Schuld scheint, eigenen Geständnissen nach, so ziemlich erwiesen; denn das Verbrechen des Taket, und noch mehr des jungen Beaufort, ist noch dunkel. Steht es aber so, so ist der Handel, meines Ermessens, nicht so hochwichtig, jene Sünder mögen verdammt oder freigesprochen werden.
Hier kommt mein gnädigster Herr, rief der Bischof neu belebt, auf den Punkt, welcher, wie ich immer sagte, und wie meine geistlichen Mitbrüder schon von mir gehört haben, der wichtigste ist. Diese armen Seelen, die jetzt in unsern Gefängnissen sitzen, haben aus blödem Sinn, gewissermaßen in einem Anfall von Lebensüberdruß, sich selbst und ihr höllisches Bündniß verrathen; der Maler, so wie die Frau Denisel, die von den Uebrigen angeklagt sind, wollen leugnen, und Beaufort und Taket noch stärker; aber, verehrter Herr, alle diese Armseligen sind, wie Ihr ganz richtig geahndet habt, nicht die Kraft und der Kern der höllischen[391] Brüderschaft, sie sind nur der leichte Vortrab des satanischen Heeres. Land und Stadt, Kirche und Fürstenthum, ja Europa und Rom und der Papst sind von dem unendlich weit verbreiteten Bündniß bedroht, zu welchem selbst Priester sich halb und ganz haben verführen lassen, selbst Bischöfe und Cardinäle. Seit lange strebt man dahin, auch Fürsten und Könige für diesen Greuelbund zu gewinnen, und es steht dahin, ob es nicht schon gelungen ist, wenn wir beobachten, wie dieser und jener Prinz, der und jener König sich gegen Papst und Kirche betragen, welche Meinungen und Reden sie dulden, oder selber aussprechen. Und so werdet Ihr mir, Gnädigster, da Ihr diese Gesinnung offenbart, behülflich seyn, die Reichen und Mächtigen aufzuspüren, und der Strafe zu überliefern, und wir armen Geistlichen dürfen dann, von Eurer Autorität geschützt, um so fester den Frevel auszurotten streben, ohne vor den Drohungen des unverständigen Pöbels zu erschrecken.
Der Graf neigte beifällig sein Haupt und hatte die Acten des Prozesses wieder in die Hand genommen, die er tiefsinnend betrachtete. Er war ganz in Gedanken versunken, doch schien er nicht zu lesen, und es entstand eine lange Pause. Endlich fuhr er wie aus einem Traume auf, legte die Blätter auf den Tisch, erhob sich, grüßte den Bischof mit vieler Ehrerbietung, und verließ mit seinem Gefolge den Saal. Der Bischof verabschiedete die Geistlichen und sendete nach den Doktoren, die von der Universität Löwen gekommen waren, um sich mit diesen zu berathen.
In der Stadt hatte sich die Stimmung auffallend verändert. Der Pöbel, der anfangs die seltsame Sache nur als eine Neuigkeit angestaunt hatte, tobte jetzt in Schadenfreude, daß ein Ereigniß hervorgetreten war, welches auch die Reichen und Angesehenen bedrohe. Viele Mönche und[392] unwissende Geistliche, deren Phantasie von diesen Bildern des Aberwitzes ergriffen war, lehrten und predigten in Häusern und Gassen von der Möglichkeit und Wahrhaftigkeit dieser Greuel, wodurch Weiber und schwache Gemüther des Bürgerstandes auch überzeugt wurden. Wie etwas Erfreuliches und Unterhaltendes erzählte man sich in Gesellschaften neue Tollheiten, die die Gefangenen bekannt und ausgesagt haben sollten. Als der verständige Küster Wundrich auf der Gasse einen solchen Haufen von Bethörten belehren wollte, war er in Gefahr, gemißhandelt zu werden, und einige der Gläubigsten wollten ihn schon, als neu entdeckten Zauberer, mit Gewalt zur Inquisition schleppen. Wundrich nicht allein, sondern fast alle Geistlichen, die den Aberwitz einsahen, wurden eingeschüchtert, und sprachen nur offen zu Gleichdenkenden, oder wo sie sicher zu seyn glaubten. Da das Mährchen nun allgemein bekannt und verbreitet war, sahen boshafte Weiber und Männer, Tagelöhner und Hausbedienten jedem Vornehmen, dem sie auf der Straße begegneten, mit Frechheit in das Gesicht, als wenn sie ebenfalls die Kunst des Bischofs überkommen hätten, die Zauberer an den Augen zu erkennen. Da geht auch wohl ein Gast des Scheiterhaufens! mußte mancher würdige Mann hinter sich her sagen hören, wenn einen vom Pöbel sein Halsschmuck, oder die seidne, schmucke Kleidung geärgert hatte. So war Furcht in jeder Familie, und keiner wagte mehr, unbefangen seinen Geschäften nachzugehen, oder seine Freunde zu besuchen, noch weniger aber, wie sonst so oft geschah, beim Gastwirth Josset mit andern Fröhlichen ein heiteres Gelag in dessen großen Sälen zu feiern.
In dieser Stimmung schlossen sich sehr viele Bürger, und selbst Adlige, der Prozession an, welche der Bischof angeordnet hatte, um den Himmel um Gnade anzuflehen für[393] eine Stadt, die so tief in Sünde versunken war. Singend und betend ging der Zug, der Bischof an der Spitze, durch die Gassen, um dann in der Cathedrale den Gottesdienst zu feiern. Ein Wagen, schwer bepackt, hielt vor dem großen Hause des Schakepeh, und der stattliche Bürger stand in Reisekleidern davor, im Begriff, das Fuhrwerk zu besteigen. Da er die singende Menge herunterkommen sah, und die Prozession der Geistlichen, stellte er sich anständig hin, nahm seinen Hut ab und betete, um der geistlichen Ceremonie seine Ehrfurcht zu beweisen. Jetzt stand der Bischof dicht an ihm, gab das Kreuz, das er trug, aus den Händen, und der Gesang verstummte. Was macht Ihr hier, Freund Schakepeh? fragte der Bischof.
Ich wollte so eben eine Reise in Geschäften machen, antwortete der Bürger; mein Handel ruft mich nach Antwerpen, ich habe dorten Summen einzufordern, die ich nur erhalten kann, wenn ich persönlich erscheine.
So? sagte der Bischof; fein ausgedacht. – Er sah den Bürger, welcher mit bloßem Kopfe vor ihm stand, lange und bedeutend an, indessen mancher aus dem Zuge, der zu Schakepehs Bekannten gehörte, näher getreten war, um zu sehen, was geschehen würde. – Da der Bischof den Bürger immer noch durchdringend anschaute, verlor dieser die Geduld, setzte den Hut auf sein Haupt und sagte: Nun ist es genug, guter Herr, die Pferde, Diener und meine Geschäfte warten auf mich; wenn ich zurückkomme, so laßt mich nur rufen, und ich will Euch dann mein Gesicht, so lange Ihr wollt, zum Beobachten hinhalten.
Es wird mir wohl jetzt noch bleiben! rief der Bischof mit heiserer Stimme, denn ich erkläre Euch, daß Ihr mein Gefangener seid! Ihr seid ein alter Freund des Zauberers[394] Labitte und der Hexe Denisel, so wie des jungen Beaufort, und mein Auge hat in Eurem Eure Sünde erkannt.
Gevattersmann! rief Schakepeh im Zorn, wenn Ihr immer über den Durst trinkt, oder von Natur so dummhäuptig seid, so könnten wir eben so gut den Wetterhahn droben auf dem Rathhause zum Bischofe haben. Laßt mich ungeschoren!
So ist es nicht gemeint, antwortete der Bischof mit Gelassenheit und Ruhe. Er winkte, und die Häscher, die herbeigekommen waren, näherten sich dem Bürger. Laßt mich! rief Schakepeh; sind wir hier unter Räubern und Mördern? Ihr wackern Bürgersleute, die Ihr hier wie Staare und Dohlen in dem schwarzen Zuge mittrippelt, hat denn keiner mehr ein Gemüth für die Freiheit, um sich dieser Tyrannei zu widersetzen? Blödsinnigster aller Menschen! Ich, der Bürger und Holzhändler Schakepeh soll ein Hexenmeister seyn? Ich habe mehr zu thun, als die Alfanzereien auf Eurem Hexen-Sabbath mitzumachen.
Die Schergen hielten den Widerstrebenden; und da Schakepeh bemerkte, wie hier und dort einer von seinen Bekannten, die er für wackere Männer gehalten hatte, sich fortschlich, andre aber die Augen scheu zur Erde niederschlugen, so sagte er im Verdruß: Packt mich nicht, Ihr Herren Schergen, die Ihr jetzt unsre freie Stadt so verständig regiert, ich werde Euch freiwillig nach dem Gefängnisse folgen. Aber wehe den hohen Herren, die es dahin kommen lassen! Es muß alles zu Grunde gehen, wenn beim Bürger keine Kraft und beim Geistlichen kein Verstand zu finden ist, und wenn die, die uns schützen sollten, uns verderben.
Als er fortgeführt war, bemerkte der Bischof mit Verdruß, daß die Prozession sich sehr vermindert hatte, denn fast alle der wohlhabendem Bürger waren still und traurig[395] nach ihren Häusern geschlichen, alle liebten den Mann, den sie jetzt hatten mißhandeln sehn.
Als wieder das geistliche Gericht versammelt war, wurde nach den Anzeigen, die die alte Gertrud, so wie die übrigen Weiber aus der Dorfgemeinde gemacht hatten, beschlossen, auch den reichen Gastwirth Josset einzuziehen, der um so verdächtiger schien, weil bei ihm mehr wie einmal, eben so wie bei der Frau Denisel, der Maler Labitte bei fröhlichen Gelagen zugegen gewesen war, wo man von Frau Venus, Lucifer, unbekannten Obern gesprochen, und den Satan, so wie den Hexen-Sabbath, lächerlich vorgestellt habe. Noch andre angesehene Bürger wurden an demselben Tage verhaftet.
Als Peter Carrieux inne ward, wohin sich die Sache jetzt wendete, sagte er: Nun sehe ich ein, wie Schakepeh der Klügste von uns allen war, dessen Verstand es vorhersah, wie es nun gekommen ist; aber es hat ihm doch auch nichts geholfen, da er nicht früher abreisen konnte.
Und Ihr wollt immer noch nicht meinem Rathe folgen? rief der riesengroße Guntram; Euch bleibt ja doch nichts anderes übrig, und je früher Ihr dazu thut, je besser ist es für Euch. Laßt uns Arbeiter, so wie wir da sind, zu den Waffen greifen, denn wir sind wahrlich jetzt auf unsre Fäuste angewiesen, da es keine Gerechtigkeit mehr im Lande giebt. Ihr habt auch zuweilen mit dem heitern Alten, dem Labitte, gescherzt, Ihr seid auch im Hause der Frau Denisel gewesen; wollt Ihr es abwarten, bis sie Euch ebenfalls in die Inquisition führen, und über Dummheiten verhören?
Indem sie noch sprachen, kam ein Bote des geistlichen Gerichtes, der den Bürger und Teppichwirker Peter Carrieux vor das geistliche Gericht der Inquisition citirte, weil er der Zauberei und der Hexenkünste verdächtig sei, als Mitgenoß[396] und Freund des Labitte, welcher schon im Gefängniß alles freiwillig bekannt habe. Carrieux stand einen Augenblick zweifelhaft, ob er dieser Citation Folge leisten sollte; Guntram warf ihm einen bedeutenden Blick zu und schielte nach der Rüstung; da aber der verständige Bürger bedachte, daß man die Schergen senden würde, um ihn mit Gewalt fortzuführen, zog er es vor, dem Boten der Geistlichkeit freiwillig zu folgen.
Als der Herr des Hauses fortgegangen war, versammelte der zornige Guntram alle Gesellen, Diener und Handlanger, und stellte ihnen vor, wie sie alle zu Bettlern werden müßten, nun ihr Herr verhaftet sei; es sei nicht daran zu denken, daß man ihn so bald wieder frei geben würde, wahrscheinlich gehe der Unsinn so weit, ihn zu verdammen. Alle nahmen schnell Rüstungen, Schwerter und Schilde, weil sie den Versicherungen des alten, erfahrnen Guntram glaubten, wie sich die ganze Stadt, wenn nur ein Anfang gemacht würde, für sie bewaffnen müßte. Sie stürmten mit Geschrei hinaus und rannten vor den Pallast des Bischofs hin. Aber kein Bürger erhob sich, in der Nähe des Getümmels verschloß man die Läden, das Haus des Bischofs und die Inquisition waren fest verrammelt.
Die Gesellen tobten, und zerschlugen, was sie erreichen konnten; da aber Reisige, welche der Graf Etampes, unter Anführung eines Ritters, schickte, sich zeigten, schlichen sich viele der Aufrührer davon. Die Muthigen, welche blieben, hatten mit den bewaffneten Reitern einen ungleichen Kampf zu bestehn, erst als verschiedene getödtet und schwer verwundet waren, nahmen die Uebrigen die Flucht und wurden in den Gassen verfolgt. Der lange Guntram riß mit seiner Riesenstärke eine verschlossene Hausthüre auf, sprang über den Flur, rannte in den Garten, und kletterte über dessen[397] Mauer hinweg, worauf er bald in einsamen Gegenden verschwand, wodurch er sich seinen Verfolgern entzog, die nicht begreifen konnten, wohin er so schnell entkommen war. Darüber verwundert Ihr Euch? sagte einer von den Lanzenknechten. Er ist ja auch einer von denen, die mit dem Teufel ein Bündniß aufgerichtet haben, so hat der Satan unsre Augen verblendet, oder den thurmhohen Bösewicht durch die Lüfte oder auf einem Sturmwind davon geführt. Vielleicht hat er im Hause einen eingeweihten und sündlich getauften Besen gefunden, und ist auf diesem, wie auf dem besten Pferde, in alle Welt hinein geritten.
Der alte Beaufort saß trostlos in seinem innern Zimmer. Er hatte das Vertrauen zum Grafen Etampes verloren, da dieser sich so wenig der willkührlichen Tyrannei des Bischofes widersetzte, daß vielmehr seit seiner Anwesenheit weit mehr Verhaftungen, und von viel bedeutendern Menschen, stattgefunden hatten. In seinem Kummer überraschte ihn der Ritter Conrad, einer der Vertrauten des großen Grafen Etampes. Nach den Begrüßungen und einigem Gespräch sagte Conrad: Werther Herr, Eure Bürgerschaft handelt nicht klug daran, in offenbare Empörung gegen das Gesetz hinaus zu brechen, da durch die Gegenwart meines gnädigen Grafen der Stadt doch ein Unterpfand gegeben, daß ihr auf keine Weise Unrecht geschehen soll.
Bedenkt, mein werther Herr, erwiederte Beaufort, daß es keineswegs die Bürgerschaft war, die sich empörte, sondern es war nur eine Rotte von Arbeitern, die jetzt, nach Einziehung des Peter Carrieux, um ihren Unterhalt besorgt ist. Und es ist wahr, die Stadt wird bald wie verwaiset und ausgestorben seyn, wenn man fortfährt, so das Gewerbe zu stören.
Erlaubt, Herr Ritter, erwiederte Conrad, es war ein[398] großer Volkshaufen, es waren Bürger, die uns bekämpften, ich bin selbst zugegen gewesen. Ein Ritter, der treffliche Adelbert, mein vorzüglicher Freund, ist in diesem Strauß erschlagen; vier der Reisigen sind verwundet, und fünf Lanzenknechte liegen mit tödtlichen Stichen in der Brust im Spital. Soll da unser Graf nicht die Geduld verlieren, wenn er sehn muß, daß dieselben Bürger, welche er beschützt, sich ihm so mörderisch widersetzen?
Beaufort ward roth und sagte nicht ohne Bitterkeit: Könnten wir alle von diesem Schutze doch nur etwas gewahr werden. Daß der Graf so ganz mit unserm Bischofe, den wir immer nur geringe geachtet haben, einverstanden seyn würde, konnten wir wohl niemals befürchten, als wir uns seines Eintritts erfreuten.
Was sollte er thun? erwiederte Conrad; der Kirche und ihren Satzungen feindlich widerstreben? Sich zu den Meuterern gesellen? Die Angeklagten frei sprechen, bevor noch eine Untersuchung eingeleitet war? Den Kirchenbann und die Ungnade des frommen Herzoges wagen?
Es kann von allem, sagte Beaufort, innerlichst gekränkt, nicht die Rede seyn; es kann überhaupt keine Rede, und über nichts mehr, geführt werden, so wie der Graf es nur irgend der Mühe werth findet, nach diesen Aussagen und Anklagen hinzuhören. Wenn er sie wirklich in seiner Seele nicht für aberwitzig hält, oder sich nur, wer weiß, warum, die Miene giebt, sie nicht so zu nehmen, so ist es mit meinem Witze völlig zu Ende.
Es ist begreiflich, antwortete Conrad mit einigem Hohn, daß Ihr und Euresgleichen die Sache möchtet für abgemacht halten, bevor sie noch einmal angefangen hat; wir andern aber –
Ich und meinesgleichen? fragte Beaufort mit Heftigkeit,[399] indem die Hand nach der Schwertseite griff; was meint Ihr damit?
Keine Privatzwiste, sagte Conrad mit großer Kälte, denn es handelt sich jetzt um ganz andre Dinge, und ich bin Streites wegen von meinem Grafen nicht hergesendet worden. Weil der hohe Graf Euch persönlich ehrt und Euch befreundet ist, weil er Euren Stand achtet, so hat er mich, seinen Vertrauten, einen Euch ebenbürtigen Ritter abgeschickt, um Euch kund zu thun, daß Ihr auf wichtige und unabweisliche Anzeichen verhaftet seid, und daß Ihr Euch mit mir, damit kein Aufsehn erregt werde und man Euch nicht beschimpfen könne, sogleich zum Bischof begeben sollt.
Man wagt es! rief Beaufort im größten Erstaunen aus; an den Adel legt man die Hand, an den freien Rittersmann? Was habe ich mit dem albernen Bischof zu verrechnen, außer daß ich meinen Sohn von ihm fordern muß?
Er nahm den Degen, setzte das Barett auf, und ging mit Conrad die Stiege hinunter. So finde ich wenigstens, sagte er, Gelegenheit, diesem böswilligen Prälaten alles zu sagen, was ich von ihm denke.
Als sie auf die Straße traten, wurden sie vom Pöbel verfolgt, der sich vor dem Hause versammelt hatte, denn es mußte schon ausgekommen seyn, daß man den alten Ritter Beaufort zum Verhaft und in das Verhör der Geistlichen führe.
So ist es recht! rief ein Lahmer; auch die Reichen, auch die Vornehmen müssen ans Gericht. Die Bösewichter! Gott der Herr hat ihnen schon so vieles verliehen, Geld vollauf und alle Herrlichkeiten, und sie müssen sich doch aus Bosheit noch mit dem Satan verbinden! Indeß wir Hungernde, Kranke –
Beaufort wandte sich um. Er kannte den Bettler, der[400] oft Almosen von ihm empfangen hatte. Spiessing! alter Soldat! rief er ihn an, ich gab Dir oft, nimm auch dies noch, vielleicht zum letztenmal. Ich vergebe Dir.
Der alte Krüppel war beschämt und schlich weinend davon. Die Uebrigen erinnerten sich der Güte des greisen Ritters, und verließen ihn, ihrer Schlechtigkeit sich bewußt, und so gelangte er ohne Begleitung und Beschimpfung in die Wohnung des Bischofes.
Die Sache des jungen Ritter Köstein, die sehr geheim gehalten wurde, hatte indessen dem Anschein nach auch eine schlimmere Wendung genommen. Er war in ein strengeres Gefängniß gebracht, und niemand, auch sein Vetter Melchior nicht, durfte ihn besuchen und sprechen. Man erfuhr nur so viel, daß er beschuldigt sei, dem Leben des Prinzen Carl nachgestellt zu haben. Diesen Erben des Reichs erwartete man, um den peinlichen Prozeß des jungen Ritters zu beendigen.
Alles war in der Stadt in Verzweiflung, eine Angst hatte sich aller Gemüther bemächtigt. Niemand wagte, zu verreisen, wenn es sein Geschäft noch so dringend verlangte, um sich nicht dem Verdacht des argwöhnischen Bischofes auszusetzen, sein Gewissen treibe ihn fort und er wolle sich der Strafe entziehen. Fremde vermieden jetzt, auf ihren Wanderungen Arras zu berühren, aus Furcht, auch zu den Hexenmeistern und Zauberern gezählt zu werden. Diese Begebenheit hatte allenthalben das größte Aufsehn erregt, und man sprach darüber auf mancherlei Weise. Glaubten die schwachen Gemüther die Wahrheit der Anklage, so spotteten andere um so bitterer, vorzüglich in Frankreich, über diese augenscheinliche Thorheit; die Feinde von Burgund und des[401] Herzoges enthielten sich nicht, laut auszusagen, Philipp benutze diesen Aberglauben, um sich zu bereichern.
In Arras selbst wagte niemand mehr, laut zu sprechen, seit diejenigen, die man als die kühnsten Gegner dieses Hexen-Prozesses kannte, selbst als Mitschuldige waren eingezogen worden. Dem Bischofe gegenüber hatte man noch einigen Muth behalten, sich ihm zu widersetzen; aber seit der große Graf von Etampes mit seinen Rittern, Reisigen und Lanzenknechten in der Stadt wohnte, war auch der Verwegenste verstummt. Im Kreise der Familien flüsterte man, daß es leicht sei, der wahnsinnigen Gertrud in den Mund zu legen, was man nur wolle, und daß sie und die Bäuerinnen Mitschuldige ihres Sabbaths genannt, deren Namen sie früher nie gekannt hätten.
Es war seltsam, daß die Richter der Sache eben so befangen und schüchtern waren. Viele, wie der Dechant, sahen den Unsinn und das Widersprechende der Aussagen ein; der Dechant aber war, durch frühere leichtsinnige Aeußerungen, so völlig in der Gewalt des Bischofes, daß er am eifrigsten den Prozeß betrieb, und allen Verstand aufbot, aufmerksam die früheren Begebenheiten und Hexen-Geschichten las und sammelte, um sich seinem Vorgesetzten nun als einen Bekehrten zu zeigen, damit dieser nicht, in seinen plötzlichen Launen, ihn selber den Gefangnen und Angeklagten beigesellte. Einige der Doktoren meinten, die Weiber seien von einer Gemüthskrankheit befallen, in welcher sie sich alles, was sie ausgesagt, nur eingebildet hätten; sei aber die Sache selbst unwahr, so könne die Aussage und das Zeugniß von Thörichten nicht gegen wackre unbescholtne Männer auf irgend eine Weise gelten. Ein junger Mann dachte dadurch der Sache den Ausschlag zu geben, daß er rieth, man solle eins dieser Weiber, in Gegenwart von Zeugen, sich oder einen[402] Stock mit der Zaubersalbe bestreichen lassen, um zu sehen, was sich ergeben werde. Bliebe sie, wie er glaubte, zur Stelle, oder fiele vielleicht nur in Schlaf, so sei die Unwahrheit von selbst entschieden. Dieser ward aber von den Eiferern überstimmt, und man entgegnete ihm, daß, so wie die Hexe oder der Zauberer im Gewahrsam einer ächten Obrigkeit sei, sie ihre Zaubermacht verlieren; auch könne der Teufel ihnen vielleicht immer noch gestatten, zu ihm zu kommen, und an ihrer Stelle einen Scheinkörper zurücklassen, um die Richter zu blenden. Dieser Versuch sei also der verwerflichste, weil durch ihn nichts bewiesen werden könne, und man außerdem noch in Gefahr gerathe, die Hexe selber einzubüßen. Es war nah daran, daß der Bischof und die Eifrigen seiner Parthei den jungen Rathgeber selbst für einen Genossen des Sabbaths erklärten, denn sie meinten schon, der Teufel selbst könne nur dem Gelehrten einen so listigen und verderblichen Rathschlag eingegeben haben, der, wenn er ausgeführt würde, wohl gar dem ganzen Hexen-Prozeß ein Ende machen dürfte.
Die alte Gertrud, Armgart und Elsbeth sagten von sich und andern aus, was man nur wollte. Labitte, der ganz zerstört war, erzählte schriftlich allerhand durcheinander, von seinen Grillen über Kunst und Natur, von seinen Gedanken über die Schöpfung und Lucifer, und daß er den Hexen-Sabbath müsse gekannt haben, weil er ihn sonst nicht habe malen können; dann phantasirte er wild, wie vertraut er mit allen Teufeln, aber eben so mit den Heiligen und dem Himmelreiche sei, und daß er, so weit er vermocht, Jung und Alt in seine Ansichten der Dinge eingeweiht habe. Die Frau Denisel hatte sich völlig der Betrübnis ergeben; sie konnte und wollte die Spiele nicht leugnen, in denen sie, nach Labitte's Anordnung, figurirt habe, als Venus, oder Göttin; eben[403] so bekannte sie ihren vertrauten Umgang mit Robert, von dessen Ketzereien sie allerdings Kunde gehabt. Friedrich und dessen Vater leugneten alles, nur gestand der letzte, als man ihn erinnerte, daß er als König Artus im Garten der Frau Catharina eingeführt sei. Taket, Schakepeh und Josset wollten auf nichts eingehn, bekannten aber ihre Freundschaft zu Labitte; am hartnäckigsten und heftigsten war Carrieux, der seine Richter immer mit Zorn und Verachtung behandelte, und ihnen, vorzüglich dem Bischofe, oft die härtesten Dinge sagte, und eben so wenig den Grafen Etampes verschonte, wenn dieser bei den Verhören zugegen war.
Bei denen, die beständig leugneten, hatte man die Folter angewendet. Da sie gequält eben so wenig gestanden, fanden die Eiferer, das eigene Geständniß sei überflüssig, da die ganz zerknirschte Gertrud, so wie Armgart und Elsbeth, die sich völlig bekehrt hatten, mehr als genug freiwillig von allen jenen Verstockten aussagten, um von deren Mitschuld überzeugt seyn zu können.
Als man nun endlich zum Urtheilspruch kam, waren viele der Meinung, und zeigten, um diese zu verstärken, Briefe aus der Fremde vor, in denen eben so geurtheilt wurde: da, alles auch zugegeben und angenommen, was die Weiber in überreizten und verwirrten Zuständen von sich und andern ausgesagt haben, sie selbst, sowie ihre angeklagten Mitschuldigen doch weder Raub und Mord, noch Entheiligung der Hostie ausgeübt, oder irgend sonst ein todeswürdiges Verbrechen begangen, sondern von Phantasie, Neugier und Vorwitz verführt, vielmehr sich einer Versündigung hingegeben, für die in den Gesetzen noch keine Strafe ausdrücklich namhaft gemacht sei, da diese seltsame Begebenheit fast als die erste in ihrer Art betrachtet werden könne: so schiene es billig und gerecht, daß man einige mit Kirchenbuße,[404] die Reicheren durch Geld zu bestrafen, allen aber aufzulegen habe, sich durch Fasten, Gebet und Wallfahrten nach heiligen Orten wieder zu reinigen, um als gesäuberte Glieder in die christliche Gemeinschaft wieder eintreten zu können.
Die Vernünftigeren unter den Richtern meinten die Sache dadurch entschieden zu sehn, und der Tollheit schon überflüssig nachgegeben zu haben. Der Bischof aber erhob sich in seinem frommen Eifer und rief: Nein, das soll unter uns hier nicht gesagt und gelehrt werden, daß dieser entsetzliche Abfall von Gott, dieses feierliche Verbündniß mit dem Satan, dieses Bekennen ketzerischer und ganz unchristlicher Lehren eine leichte und läßliche Sünde sei, die mit sanfter Strafe gebüßt werden könnte. Wahr ist es, wir hörten bis jetzt nur von diesem und jenem Magier, der sich dem Satan ergeben hatte, um abscheuliche Zwecke durchzusetzen, der durch diese oder jene Künste strebte, den Fürsten zu ermorden, den Feind des Landes zu begünstigen, sich am Gegner zu rächen, oder irgend eine vornehme Frau zur Gegenliebe zu nöthigen. Meistentheils gebrauchten diese Bösewichter zu ihren verruchten Thaten geweihte Hostien, um ihren Mord auszuüben. Diese Absicht weder, noch diese Entweihung hat sich aus den Bekenntnissen der hiesigen Sünder ergeben. Ich meine aber, sich gegen Gott und Christus aufzulehnen, seinem Bunde zu entsagen, und so schändlich des heiligen Sabbaths zu spotten, wie es so oft auf diesem Hexen-Sabbath geschah, sei Frevel, noch verruchter, als jene Entweihungen und Mordversuche. Freilich ist diese Sabbath-Feier etwas Neues und Unerhörtes, aber unsre Nachkommen, die frommen Christen der künftigen Jahrhunderte, müssen uns nicht eines freveln Leichtsinnes bezüchtigen können. Furchtbar muß die Strafe, eindringlich die Warnung seyn, damit die Bosheit geschreckt werde, die die Ermahnungen der Liebe nicht anhören will. Mein und[405] unser aller hier Versammelten Stolz muß es seyn, daß dieser Prozeß, die Untersuchung und das Wunder desselben, so wie es das erste große Beispiel eines so ungeheuern und verbreiteten Bündnisses ist, auch als ein Muster in der Führung, als ein Regulativ in der Bestrafung für alle künftige Zeiten dastehen muß. Denn wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, unendlich viele sind von diesem Gift, von dieser Krankheit angesteckt, und ich sehe im Geiste voraus, daß künftig in allen Ländern diese Schandthaten sich entdecken werden.
Alle Abergläubigen in der Versammlung stimmten ihm bei, und da der Graf Etampes ebenfalls äußerte, man dürfe die christliche Liebe nicht so unbedingt walten lassen, um so unerhörte Frevel der Strafe zu entziehen, so ging nach neuen Untersuchungen einige Tage später der strenge Vorschlag des Bischofs durch.
Als Advokat des Bischofs hatte sich in diesem Prozeß vorzüglich der junge Flamand thätig erzeigt. Er hatte sehr viel dazu mitgewirkt, daß endlich fast alle, die bis dahin immer noch leugneten, alles, oder doch das meiste eingestanden, dessen sie beschuldigt wurden. Nur Carrieux und Beaufort blieben fest.
Der Dechant, der aus Furcht eifrig zur Verdammung der Schuldigen mitgewirkt, erbat sich vom Bischof die Erlaubnis, den alten Ritter in seinem Gefängnisse besuchen zu dürfen. Er hatte umsonst gewünscht, Labitte oder die Frau Catharina zu sehen, denn beides hatte ihm der Bischof strenge verweigert. Da jetzt aber der Dechant versprach, er wolle es durch diesen Besuch dahin bringen, daß auch Beaufort alles eingestehe, so bewilligte ihm der strenge Bischof endlich sein Gesuch.
Der Ritter war erstaunt, den Dechanten in sein Gefängniß[406] kommen zu sehn. Es ist sonderbar, fing er an, daß wir uns hier treffen; keiner von uns hätte dies wohl vor acht Wochen glauben können. Ihr Herren von der Geistlichkeit zeigt uns, was Ihr vermögt, aber Ihr benutzt Eure Herrschaft auf eine Weise, daß Euch doch alles den Gehorsam aufkündigen wird.
Ich kam, sagte der Dechant, zerknirscht und tief bekümmert, in guter Absicht zu Euch. Ich wünschte Euch zu retten, und das ist nur möglich, wenn Ihr alles eingesteht.
Elender! Wahnsinniger! rief der Greis in der höchsten Entrüstung; also auch an mir wollt Ihr die verächtlichen Künste versuchen, die Euer Bursch, der klägliche Flamand, bei den übrigen Gefangenen angewendet hat? Leben und Sicherheit verspricht er, wenn sie durch eine elende Lüge den ungeheuren Aberwitz eingestehen und bekräftigen wollen. Auch mein junger Sohn, so höre ich, hat die Ehre so sehr vergessen, um alles zu bekennen, was die Rasenden von ihm verlangen. Freilich muß der Bischof und die Knechte seines Gelichters es dahin zu bringen suchen, um nicht ganz von Schmach überkleidet vor der Welt dazustehn. Sein Aberwitz muß doch eine Art von Entschuldigung zu erringen suchen: und um nur eine kümmerliche Ehrenrettung zu finden, beredet er mich durch Euch, seinen verworfenen Knecht, ebenfalls in sein Lied einzustimmen. Aber vor wem kann ihn diese Maßregel schützen? Kein Verständiger jetzt, keiner in Zukunft wird etwas von diesen Fieberträumen glauben. Er kann und darf nicht weiter gehn, als er bis jetzt gethan hat, und er muß schließen, mit Schande gebrandmarkt. Und darum ist es meine Pflicht, für meine beschimpften und gekränkten Mitbürger zu stehn, und mit meiner ganzen Kraft gegen diese elende Tyrannei zu kämpfen.
Verachtet mich, sagte der Dechant, alter, würdiger[407] Greis, ich verdiene jede Schmach. Durch Ueberklugheit, durch List, die ich mir zutraute, habe ich mich zum Sklaven dieses Bischofs gemacht. Ich muß ihm dienen, wenn er mich nicht selbst schmählich aufopfern soll. So habe ich mir mit meiner eingebildeten Weisheit die Ketten selbst geschmiedet. Durch meine Leidenschaft für die Frau Catharina, meine Eifersucht: ihr wollte ich drohen und sie dadurch in meine Gewalt bekommen; Winke, Worte ließ ich gegen den Bischof fallen, dessen Einfalt ich Kurzsichtiger verachtete. Sein tückisches Gemüth hat jeden Laut aufbewahrt. Eine Raserei bemächtigt sich, wie aus der Luft herabgeweht, einiger alten Weiber, und sie sagen Unsinn aus, der sich immer mehr und mehr bei jeder neuen Frage zu einem wilden Mährchen ausspinnt. Plötzlich ist das Entsetzen persönlich in unserm Hause, und alle meine Freunde sind in ein Netz verwickelt, das, wie es aus Luft gewebt, doch unzerreißbar ist. Glaubt mir, theurer Mann, ich bereue mein Thun, ja mein Leben, aber wir stehen der jämmerlichen Nothwendigkeit Angesicht an Angesicht gegenüber; gebt nach, sagt zu allen Thorheiten, die man Euch abfordern mag, Ja, sonst seid Ihr verloren.
Thue er doch, rief Beaufort, sein Aeußerstes! Was kann er ausrichten? Hand an mich legen? Das wagt der Verächtliche nicht. Sein Aeußerstes, sein Frechstes war, daß er mich hieher zu schicken sich unterfing; nun muß er wieder umkehren, und nur Scham und Reue bleibt ihm übrig.
Der Dechant sah den Greis an, brach in Thränen aus, und stürzte dann zu seinen Füßen nieder. Er ergriff die Hand des Alten und küßte sie inbrünstig. Unter Schluchzen rief er: Nein! nein! auf dem Wege verderbt Ihr Euch und Euern Sohn! Bedenkt die Schande, die auf Euern Namen fällt, bedenkt das unaussprechliche Elend. Der Bischof läßt Euch[408] mit fester Gelassenheit den Scheiterhaufen zuerkennen; rettet Euch und Euern jungen Sohn, wenn auch mit Verlust Eurer Habe. Nur durch ein unbeschränktes Eingestehen aller dieser eingebildeten Sünden könnt Ihr Euer Leben retten; denn alsdann tritt der Graf Etampes zu Eurem Besten gewißlich auf, der Euern Untergang nicht will, der Euch retten möchte, wenn Ihr diesen Weg einschlagt.
Wie? sagte der Ritter in tiefem Sinnen; Ihr sagt mir Wunder. Ich glaubte, der Prälat könne nie im Ernst daran denken, nur die ärmste dieser armen Weiber hinzurichten, – und Ihr denkt, er könnte selbst mich verderben wollen? Der Graf, der Herzog könnten, dürften dies irgend zugeben?
Der Geistliche hatte sich erhoben, setzte sich neben den Gefangenen, und nahm dessen Hand in die seinige. O mein theurer, tehurer alter Freund, sagte er dann; lernt Ihr denn jetzt so spät erst die Menschen kennen? Der alte, schwache Herzog meint es mit aller Welt gut, aber alles geschieht doch immer, wie er es nicht will. Sein Vertrautester, der Graf, ist an seiner Statt, als Stellvertreter, hergesendet. Dieser, statt Euch und die Bürger zu schützen, hat mit Klugheit gleich die Miene angenommen, als wenn er in Liebe und Ehrfurcht für die Kirche an die Wichtigkeit dieses Prozesses und den Inhalt der Klagen glaube. Seit seiner Anwesenheit haben die Bettlerinnen erst die Wohlhabenden der Stadt und Euch angegeben. Sind diese überführt, so fällt ihr Gut dem Herzoge anheim, und, wie ich glaube, ist alles schon dem Busenfreunde, dem Günstlinge, zugesichert. Verharret Ihr nun und leugnet fest, so ist der Bischof gezwungen, nach seiner Ueberzeugung, Euch hinzurichten; gesteht Ihr alles, ohne irgend etwas auszunehmen, so kann er Euch, wie ein verirrtes, armes Wesen behandeln, das Mitleid verdient, und er erläßt Euch mit christlicher[409] Gnade den Scheiterhaufen. Der Graf ist nicht blutdürstig und kein Unmensch, so habsüchtig er auch seyn mag; er bittet dann, aus Mittleid für Eure Verirrung, kräftig vor, und Ihr seid gerettet.
Beaufort war sehr nachdenkend geworden. Freilich, sagte er endlich, fällt unter diesen Umständen diese Hexengeschichte wie eine plötzliche große Erbschaft vor die Füße dieses Grafen nieder; meines Freundes, wie er sich so oft nannte. Soll es nun einmal ein Bluthandel werden, so bedinge ich mir aber auch das Leben meines Sohnes mit ein, der ja schon alles gestanden hat, und dem man, als einem jungen Manne, der der Verführung ausgesetzt ist, noch leichter vergeben kann. Dechant, könnt Ihr mir auf Euer Gewissen versichern, daß, wenn ich bekenne, mein Sohn mit mir gerettet ist, so will ich mich fügen und zu allem Ja sagen.
Ich glaube es versichern zu können, sagte der Dechant. Er umarmte den Ritter, und ging, einigermaßen beruhigt, zu seinem Bischofe, der die Nachricht, daß sich der verstockte Sünder endlich bekehrt habe, mit großer Freude vernahm.
Um diese Zeit starb der alte König von Frankreich, Carl der Siebente. Kein Monarch hatte so viele und sonderbare Abwechselungen des Schicksals erfahren. Sein Sohn, Ludwig der Eilfte, kehrte jetzt nach Frankreich zurück, um in Rheims gekrönt zu werden. Die Bewegung, welche diese Vorfälle in Burgund verursachten, benutzte der Küster Wundrich, um in einer Verkleidung zu entfliehen. Er begab sich nach Rheims, wo er, von angesehenen Freunden beschützt, wieder eine Anstellung als Geistlicher erhielt.[410]
Von dort schrieb er folgenden Brief nach Paris, an seine Freundin Sophie, die junge Tochter des Schakepeh.
»Erfahrt vor allen Dingen, geliebtes Kind, daß Euer theurer Vater, mein sehr werther Freund, dem entsetzlichen Schicksale, welches ihn bedrohte, entronnen ist. Verarmt ist er zwar, aber sein Leben ist gerettet. Es war ein furchtbarer, trauriger Tag, als vor dem Thore, im Freien, jene Hinrichtungen vorfielen, die unsre Stadt Arras und die Geistlichkeit dort mit Schande bedecken. Alle, bis auf unsern festen, eigensinnigen Carrieux, hatten die Verbrechen eingestanden, deren man sie bezüchtigte. Alle übergaben sich, bis auf diesen zu strengen Mann, der unbedingten Gnade oder Strafe der Kirche.
Auf dem Markt ward den Verbrechern, wie man sie nannte, ihre Sünde, die sie begangen, von neuem vorgelesen, und von neuem gestanden sie die Ketzereien, das Besuchen des Teufels-Sabbaths, die Verwandlungen, die sie unternommen, die Tänze, die sie gefeiert, und wie sie auf Besen, in Mulden, auf Ziegen und Böcken, auf Ofengabeln und Kröten hingeritten und gefahren seien; wie sie den Satan verehrt und sich ihm zu eigen gegeben. Die alte Gertrud lachte und war erfreut; die sonst so schöne Frau Denisel war blaß und abgefallen; der alte wunderliche Labitte war wie verklärt; Euer Vater und die Männer wagten vor Schaam nicht die Augen zu erheben, nur Carrieux lästerte und fluchte, und schalt seine Richter Narren und Blödsinnige. Hierauf wurden sie dem weltlichen Gerichte übergeben, und der Richter erklärte Labitte, Frau Denisel, Armgart, Elsbeth und die dritte Bäuerin, so wie zwei liederliche Dirnen aus Arras, nebst Peter Carrieux, dem Scheiterhaufen verfallen. Labitte konnte nicht sprechen und Frau Catharina war stumm, aber Carrieux sprach wieder laut von Schändlichkeit[411] und Lüge, und die übrigen Weibspersonen heulten und schrieen, betheuerten ihre Unschuld, und selbst die alten Bäuerinnen erklärten, wie alles nur in ihnen Krankheit und Einbildung gewesen, wie man ihnen die Anklagen in den Mund gelegt, und der Advokat Flamand versichert habe, es würde ihnen nichts geschehen, wenn sie nur bei ihrer Aussage blieben und immer mehr eingeständen. So wurden sie hinaus geführt, und es war tief erschütternd, mit welchen Blicken der junge Friedrich im Zuge nach der Frau Catharina hinsah.
Draußen, beim Scheiterhaufen, sagten noch einmal alle, daß sie unschuldig hingeopfert würden; Carrieux hielt noch eine Anrede an seine Richter, nur die wahnsinnige Gertrud lachte und jubelte und bekannte sich als Hexe. In kurzer Zeit waren sie nicht mehr. Nur wenige Bürger waren dem Zuge gefolgt; alles war still und traurig, jeder hatte sich in seinem Hause verschlossen.
Auf einer hohen Bühne, dem Scheiterhaufen gegenüber, wurden die Männer ausgestellt, die, als reuig bekennend, ihre groben Irrthümer einsehend, und sich in den Arm der Kirche werfend, begnadigt wurden, nehmlich der Ritter Beaufort und sein Sohn Friedrich, Schakepeh, Euer Vater, und die Schöffen Taket und Josset. Der Bischof stand oben, ermahnte sie, und berührte sie dann nach der Reihe verschiedene mal mit einer Ruthe, als Zeichen der geistlichen Strafe. Dann wurden sie in das Gefängniß zurückgeführt, wo sie noch einige Zeit bleiben werden. Das Vermögen der Frau Catharina, so wie des reichen Carrieux, ist ganz an den Herzog, das heißt, an den Grafen Etampes gefallen. Auch Beaufort, Taket und Josset, so wie Euer Vater, müssen den Klöstern, noch mehr aber dem Herzoge, oder dem Grafen zahlen, daß ihnen eben nur soviel bleiben wird, ein dürftiges[412] Leben zu fristen. Die Güter sind eingezogen, die Häuser verkauft. Um einen ziemlich hohen Preis hat der junge Advokat Flamand vom Grafen das Haus Eures Vaters gekauft, und wird sich dort mit einer jungen hübschen Frau einrichten. Es scheint, alle haben gewonnen. Wenn der Graf durch die Straßen reitet, wenden die Bürger die Augen von ihm ab; der Advokat ist dreist und benimmt sich als reicher Mann.
Da dieses Unheil hat geschehen können, so spreche man nur nicht davon, daß wir besser und klüger geworden sind, als unsere Vorfahren. Manche träumen sogar, alle Völker würden nach und nach veredelt, und das ganze Menschenwesen menschlicher.
Der liebevolle, poetische, sinnreiche Labitte steht in seiner sanften Miene immer noch neben mir. Seine Scherze und Späße sind für ihn zu grimmigen Feinden geworden, und seine Erleuchtung hat ihm zum schmählichen Tode heimgeleuchtet. Er hatte Unrecht, die Macht des Satans zu leugnen, denn aus jedem lachenden Wort ist ihm ein Höllengeist erwachsen, der ihn und andre Unschuldige den Henkern übergeben hat.
Mich wollte der Bischof auch als einen Freund des Labitte greifen lassen, und ich benutzte die letzte Stunde, um hieher zu entfliehen. Er hat sogar verlangt, daß mich die hiesige Kirche ihm ausliefern soll; aber man hat sein Begehren mit Verachtung zurückgewiesen. Hier spricht alle Welt, auch die Geistlichkeit, nur mit Abscheu von jenem unsinnigen Prozeß in Arras. – Der Himmel behüte Euch. –«
In Arras war die Stadt nach kurzer Zeit mit einer andern großen Erscheinung beschäftiget, denn der Graf von Charolais, der Erbprinz von Burgund, zog wirklich mit einem großen Gefolge ein. Die Klagen wegen des gefangenen[413] Beaufort und der Uebrigen wies er von sich, weil er den Grafen Etampes, der ihm schon feindlich genug war, nicht kränken wollte, da er fürchten mußte, daß die Aussagen des Denis oder Köstein schon manches gegen diesen und die ihm verbündete Familie Croys aussagen möchten.
Alle diese Händel, Anklagen und Prozesse, in denen durch die Kleinen die Großen so leicht verwickelt waren, erregten dem alten friedfertigen Herzoge ein Grauen, und er hätte gern alles dieser Art ohne Untersuchung der Vergessenheit übergeben. Diesen Widerwillen benutzten seine Freunde und Günstlinge, um alles, was ihnen und ihren Partheien schaden konnte, dem alten Manne als gleichgültig oder verdächtig vorzustellen, so daß er alles, was er nur konnte, von sich schob, und sich selbst lieber hinterging, und nicht sehn wollte, was sich seinen Blicken aufdrang, als daß er scharf und fest eingeschnitten hätte, weil er nicht wissen konnte, wie tief sein Messer eindringen müsse. So hätte er auch diese Händel und die Anklage gegen Denis, so wie dessen Rechtfertigung, gern unbeachtet gelassen. Aber diese Anklage des verzweifelten Denis, welcher sich auf den Erben des Reiches selber berief, und diesen zum Richter über sich und den jungen Günstling Köstein aufforderte, machte es dem Herzoge unmöglich, diese Händel nicht zu beachten. Um so weniger, da der Graf Charolais diese Klage so heftig auffaßte, daß er die Sache ganz wie seine eigne nahm, und knieend seinen Vater bat, diesen Prozeß, der nicht weniger als sein Leben bedrohe, in seine eignen Hände nehmen zu dürfen. Auf diese Bitte des Sohnes und Erben ließ der Vater sogleich Köstein, seinen thörichten Günstling, der Wache übergeben, und als einen des Hochverrates Angeklagten nach Arras führen, um seinem Ankläger, Denis, gegenüber gestellt zu werden.
Wie viel der Prinz Carl nun auch erlangt hatte, so[414] wußte er doch, daß, wenn auch Köstein aufgeopfert würde, man die Sache doch wohl so führen könne und werde, daß von demjenigen, was er eigentlich zu wissen begehre, nur wenig zu Tage kommen möchte. Er vermuthete, daß die Richter selbst den Kläger wie Beklagten so führen und lenken würden, daß die vielverschlungene Verwicklung sich in Privathändel und persönlichen Haß und Mord auflösen würde. Der Prinz sah manches deutlich und ahndete noch weit mehr, und doch mußte er sich gestehn, daß er nicht wünschen könne, alles zu erfahren, und das weit verbreitete Netz des Verrathes ganz zu fassen und mit allen seinen Fäden in den Händen zu haben. Konnte er als Fürst handeln, so war viel gewonnen. Aber vom Argwohn des Vaters konnte er es nicht erwarten, daß dieser ihn zu seinem Stellvertreter ernennen und sich von den Regierungsgeschäften zurückziehen würde. Hätte der alte Fürst auch selbst aus Ueberdruß einen solchen Entschluß fassen können, so widersetzten sich alle Räthe und alle Verwandte des Herren einem solchen Schritte mit allen Kräften und auf jede Weise, weil die meisten fürchten mußten, daß der junge Prinz damit anfangen würde, ihnen allen Einfluß zu entziehen. Seine rasche, zornige Art, seine unfreundliche Laune hatte zu oft schon seinen Widerwillen gegen die Vertrauten und Günstlinge seines Vaters kund gegeben.
Denis war früher ein Diener des Ritter Köstein gewesen, von dessen Gnade er lebte. Denis hatte dann Reisen unternommen, und keiner wußte, wohin oder zu welchem Endzweck. Nur so viel hatte man erfahren, daß er in Frankreich und Italien gewesen sei. Seit der Dauphin von Frankreich am Hofe Philipps lebte, hatten sich die meisten Freunde des Herzoges an den Dauphin geschlossen, vielerlei mochte verabredet seyn, worauf diejenigen, die gegen den Prinzen[415] Carl waren, mit Sicherheit rechnen konnten, da jetzt dieser eilfte Ludwig zum König von Frankreich gekrönt war.
Denis hatte sich endlich mit seinem Beschützer Köstein entzweit. Sie stritten um eine Schuld, die der junge Köstein nicht anerkennen wollte. Denis erlaubte sich sonderbare Reden, über welche diejenigen erschraken, die ihn in seiner frühern Abhängigkeit gesehen hatten. Er bedrohte Köstein und gab zu verstehn, dessen Wohlfahrt liege unbedingt in seinen Händen. Köstein, der dies vernahm, verlachte diese Drohungen, und gab sich die Miene, Denis zu verachten. Er brachte aber durch Geschenke einen armen Verwandten des Canonicus Melchior dahin, daß dieser es über sich nahm, den unnützen Schwätzer Denis aus dem Wege zu räumen. Als Denis dies erfuhr, suchte er sich auch eine Parthei zu machen, und nach einigen Tagen fand man den Vetter des Canonicus ermordet. Seitdem war Denis unsichtbar geworden, weil alle Welt ihn für den Mörder hielt, und die Gerichte einen Preis auf seinen Kopf gesetzt hatten. Man suchte ihn emsig auf, ohne ihn finden zu können. Dem Herzoge hatte man erzählt, dieser Mörder trachte nicht nur nach dem Leben seines Lieblings, des jungen Köstein, sondern nach dem des Fürsten selber. Die Nachsuchungen und das Forschen nach diesem Denis war nun um so heftiger. Er war offenbar von mächtiger Hand beschützt; und da seine Gegner doch endlich seinen Aufenthalt in Arras entdeckten, so suchten sie ihn in einer Nacht meuchlerisch aus dem Wege zu räumen. Er war nicht ohne Hülfe und Begleitung, und jener Strauß erfolgte. Köstein und dessen Freunde hielten ihn für todt, und er war verschollen, bis Melchior ihn durch Zufall bei der alten Gertrud entdeckte. Hätte der Canonicus die Gesinnung des jungen Köstein mehr gekannt, so würde er den Gefangenen vielleicht nicht den Gerichten übergeben haben;[416] denn der Günstling, der die Sache schon für ganz abgemacht hielt, mußte jetzt von neuem in die Fragen und Antworten eingehn. Er dachte es indeß durch seine Stellung und die Gunst des Herzoges durchzusetzen, und hielt es nicht für schwer, seinen ehemaligen Vertrauten einem ewigen Gefängniß überliefern zu können. Jetzt wendete sich Denis an den Grafen Charolais selbst und behauptete, Köstein habe ihn nach Turin gesendet, um Gift für ihn zu kaufen, mit welchem der Ritter den Erben Burgunds langsam hinrichten wolle.
Wenn Carl, den die Welt nachher den Kühnen nannte, auch diese Beschuldigung glaubte, so hatte er in seiner Stellung immer nur wenig gewonnen, wenn ihm der unbedeutende Köstein aus seinem Wege geräumt würde. Er war bei mehreren Verhören selbst zugegen, und Denis mußte dem Ritter seine Anklage ins Angesicht wiederholen. Köstein leugnete bald, bald gab er zu, und entschuldigte sich nur damit, die geheimen Schachteln hätten kein Gift, sondern ein künstlich bereitetes Liebespulver enthalten, durch welches Köstein die Liebe und das Vertrauen des Thronerben habe erwerben wollen, weil er deutlich dessen Haß gegen ihn erkannt habe. Die Pulver selbst aber waren nicht mehr vorhanden und in andern Verhören schien es wieder, als sei dieses Vorgegebene nur eine armselige Lüge des Denis, der sich durch diese gegen die schweren Anklagen Kösteins und des Canonicus Melchior retten wollte.
Richter und Beisitzer, Advokaten wie Schöffen führten die Sache so, daß der Prinz wohl merkte, wie durch höhern Einfluß alles gehemmt sei und der Prozeß wesentlich nicht aus der Stelle rücke. So oft die Untersuchung sich zu den Gewaltigen des Landes zu lenken schien, so oft Kläger und Angeklagter auf diesen oder jenen irgend eine Hinweisung[417] vorbrachten, so wurde bald auf mehr oder minder künstliche Art die Sache wieder in einen andern Weg geleitet. Denis schien weniger als Köstein zu wissen, aber man mußte glauben, daß Köstein den Glauben gefaßt hatte, er könnte sein Leben retten, wenn er schwiege, durch Widersprüche seine eignen Aussagen schwäche und lieber sich Lügen beweisen ließe, als daß man seiner Wahrheit vertraute.
Endlich wurden Beide, Kläger und Angeklagter, des Todes schuldig befunden. Köstein, als Giftmischer, welcher den Prinzen hochverräterisch habe hinrichten wollen, und Denis als Mörder und Mitwissender dieses Plans.
Am Tage vor seinem Tode ließ Köstein den Grafen Carl um ein vertrautes Gespräch in einem einsamen Zimmer ersuchen, wo sie von niemand behorcht werden könnten. Die Richter und Edelleute wollten dem Prinzen abrathen, den Bösewicht vor sich zu lassen, der vielleicht in Verzweiflung jetzt noch einen Mordversuch an seiner geheiligten Person wagen würde. Doch Carl lächelte und ließ den Verbrecher vor sich erscheinen. Alle übrigen mußten das Zimmer verlassen und Köstein, krank, blaß und schwach kniete vor dem Thronerben nieder.
Der Graf Charolais stand groß und schlank vor dem in den Staub geworfenen Sünder, sah ihn aus seinem trotzigen braunen Gesicht mit den dunkeln Augen scharf an und sagte, indem er ihm mit der Hand winkte: Steht auf, Köstein, was habt Ihr mir zu sagen?
Köstein stand zitternd auf, warf den scheuen Blick umher und fragte: Ist auch gewiß niemand zugegen?
Niemand, der uns hören könnte, sagte der Prinz; Ihr saht selbst, wie sie sich alle in das fernste Vorgemach zurückgezogen haben. Ich denke aber doch, Ihr werdet mir hier[418] die Geschichte von der Vergiftung oder von den Liebestränken nicht wiederholen wollen, oder alle jene Thorheiten, was Euch gegen Denis aufgebracht, oder was Ihr gegen den Elenden verschuldet haben sollt. Ich denke, um dergleichen war es Dir beim Bitten um dieses Gespräch nicht zu thun.
Nein, mein gnädigster Herr und Fürst, sagte Köstein, sondern da ich sehe, daß mein Leben verfallen ist, daß die Hoffnungen, die man mir machte, trügerisch sind, will ich Euch vor meinem Tode wenigstens einen Dienst leisten, da ich Euch durch mein Leben so sehr entgegen gestrebt habe.
So sprich, sagte der Fürst.
Der Graf Etampes, der jetzt hier zugegen ist und mich mit so vielen Versprechungen hinterging, ist einer Eurer schlimmsten Feinde. Aber wo hättet Ihr die nicht? Die Nivernois, die Croys, die Räthe Eures Vaters, fast alle Großen des Landes. Man hat auch mich gemißbraucht, den alten Fürsten gegen Euch aufzubringen, Euch zu verleumden; die Parthei der Franzosen im Lande und unter Eurer nächsten Umgebung ist sehr groß. Man vertraute mir manches, und mehr noch habe ich errathen und erhorcht, da man mich für leichtsinnig und unbedeutend hielt, und viele sich in meiner Nähe ohne Rückhalt betrugen.
Fahre fort, sagte der Prinz, und sprich offen, da Du nichts mehr zu wagen hast.
Eure nächsten Diener, sagte Köstein, sind Euch ungetreu, wie Ihr Euch noch in dieser Woche davon überzeugen könnt. Wenn Ihr nach Gorkum von hier geht, so sind alle Anstalten getroffen, Euch auf einem Schiffe heimlich zu entführen.
Der Prinz sprang zurück. Wie? rief er aus; Du lügst!
Ein flüchtiger Brabanter, Rubempré, ist dort in der Stadt; sein Schiff ist im Hafen. Er verweilt da unter[419] allerhand Vorwänden. Orli, Euer Kammerdiener, Franz, Euer Stallmeister, wissen um die Sache. Am Abend in der Dämmerung, indem Ihr nach Hause geht, sollt Ihr unter einem glaublichen Vorwand in eine Barke gelockt, und von dort mit Gewalt auf das segelfertige Schiff gebracht werden, welches dann sogleich in See sticht.
Der Prinz hatte sich entfärbt und war in tiefem Sinnen. Und wohin mich führen? fragte er dann.
Darüber sind die Verräther wohl noch selbst nicht einig. Genug, Euer Leben ist in Gefahr, wenn Ihr dieser Bosheit nicht zuvorkommt. Wie Euch der König von Frankreich haßt und fürchtet, brauche ich Euch nicht zu sagen. Euer Vater ist so gut, daß er der edelste der Menschen seyn würde, wenn seine Schwäche, sein Mißtrauen ihn nicht immer wieder in die Hände Eurer Feinde lieferte. So sehr er Euch liebt, so giebt es gewisse Stunden, wo sein Mißtrauen, von den Croys und der französischen Parthei genährt, so stark wird, daß er Euch fürchtet, vor Eurer Heftigkeit zittert, und Euch die schwärzesten Complotte gegen seine Staaten und seine Person zutraut. Wie gereut es mich, daß ich mich selbst dazu habe mißbrauchen lassen, so viele seiner heitern Stunden zu vergiften. So glaubt er jetzt, Ihr habt Euch vom Hofe entfernt, um nach Holland zu gehn, und Euch dort als Souverain und unabhängigen Fürsten zu erklären.
Der Prinz schlug die Hände im Erschrecken zusammen. Nein! rief er dann, bleich im Gesicht, ich habe niemals glauben können, daß es die Bosheit meiner Feinde so weit treiben würde! – Er ging im Zimmer mit großen Schritten auf und ab. – So ist es mit mir denn ohngefähr ebenso, – sprach er für sich selbst – wie es mit diesem Dauphin Ludwig und seinem Vater Carl stand! – Dieses ewig wache[420] Mißtrauen – diese grübelnde Zweifelsucht – diese Unfähigkeit, Glauben zu fassen – sie vergiften jede Liebe, sie machen die Bande der Natur schwach und zerreißen sie oft. – Zwar bin ich kein schleichender, boshaft kluger Ludwig, und mein Vater ist stärker, als der schwache Carl es war – und doch! – Oft ist es ja nur Nothwehr, wenn das doch endlich geschieht und geschehen muß, was erst nur Lüge und Verleumdung war! – Wie traurig, wenn auch der beste Sohn nach dem letzten Tage des Vaters aussehen muß, durch welchen er erst frei und mündig wird! –
Sein Blick war zornig, seine Wange roth geworden. – Und dieser Rubempré, fragte er hastig, indem er sich wieder nahe vor Köstein hinstellte, – welcher ist es? Der Bastard oder dessen Bruder?
Ihr wißt, sagte Köstein, der Bruder, der sonst auch ein lieber und vertrauter Diener Eures Vaters war, ist jetzt bei Ludwig dem Eilften in großem Ansehn, nachdem er Eure Dienste hier, mit schlechtem Vorwande, verlassen hatte; dieser hat wohl, auf Befehl des Königs, den Bastard ausgesendet, um Euch zu fangen. Ludwig rechnet fest auf Euern Untergang, und wird gewiß, wenn Ihr ihn nicht überflügelt, alles versuchen, um Euch zu stürzen. Vielleicht will er Euch als Geißel entführen, um Eurem Vater Provinzen abzudringen; vielleicht ist es auf Euren Mord abgesehn. Die nächsten Mitgenossen und Unterhändler dieser Bosheit sind Eure schlimmsten Feinde, die Herren von Croys. Aber, wenn es Euch auch gelingt, diesen Bastard zum Geständniß und zur Strafe zu bringen, diesen Croys werdet ihr, so lange Herzog Philipp lebt, niemals etwas anhaben können, und dieser Rubempré ist so klug und vom listigen Könige gewiß so vorbereitet, daß Ihr Euch hüten müßt, daß in der[421] Untersuchung die Anklage des Verbrechens nicht gegen Euch selbst gewendet werde.
Gut! gut! rief Charolais, dem Anschein nach wieder beruhigt. Ich sehe immer deutlicher, ich stehe auf einer dünnen Eisrinde über einem Abgrunde. Das Notwendigste ist vorerst, diesen Rubempré zu fangen, und mich dann mit meinem Vater ganz und herzlich auszusöhnen, um ihm die Augen zu öffnen.
So thut, mein gnädigster Herr, denn einige Eurer nächsten Umgebung, scheinbar Eure Freunde, und die gegen Euch immer so eifrig auf den Herzog Philipp schelten, suchen Euch täglich zu überreden, Euch in Holland oder hier in Flandern als unabhängig zu erklären und die Fahne des offenbaren Aufruhrs zu schwingen. Ich brauche sie Euch nicht zu nennen, die schon mehr wie einmal Euch dies als das einzige Mittel, Euch zu retten, heftig angepriesen haben. Ihr habt ihnen schon ein geneigtes Ohr geliehen; ja im vorigen Monat seid Ihr schon schwankend gewesen. Alles dies weiß der Herzog, denn von den Croys, die mit diesen rechtlichen Herrn Eurer Umgebung in Verbindung stehn, erfährt Euer Vater alles. Und mit Zusätzen und Übertreibungen, wie Ihr Euch selbst vorstellen könnt.
So ist mir denn, rief der Fürst wehmüthig und erzürnt aus, der Vater fast ein eben so gefährlicher Feind als der König von Frankreich! Und nirgend Freunde!
Ihr entfernt sie durch Eure Heftigkeit, sagte Köstein, und durch Eure wechselnde Laune, so daß es kaum möglich ist, Vertrauen zu Euch zu fassen. So höre ich wenigstens alle die sprechen, die sich, weil sie es vielleicht gut meinen, entschuldigen wollen.[422]
Schweig! sagte der Fürst mit einiger Entrüstung; ich habe Dich nicht rufen lassen, daß Du mir Lehren geben solltest; und wenn auch vielleicht einiges Wahre in Deinen Worten wäre, so ziemt es dem tiefgebornen Vasallen nicht, sie auf diese Weise auszusprechen.
Vergebt mir, sagte Köstein demüthig; einer, der doch zum Tode verdammt ist, wagt mehr als der Freund und Rathgeber.
Und so danke ich Dir, sprach der Fürst; oder hast Du mir noch etwas zu entdecken?
Noch eine Anzeige kann ich Euch mittheilen, sprach der junge Mann zagend, die Euch vielleicht die unglaublichste von allen dünken wird. Als jene dort in Gent, Brüssel und Brügge von dem Unsinn hier, dem Hexen-Prozeß, erfuhren, so verschmähten diese großen Herren auch diese thörichten Begebenheiten nicht. Ich sprach mit dem Grafen Etampes, der jetzt die Stadt bei dieser Gelegenheit geplündert, und das Vermögen der reichsten Einwohner im Namen Eures Vaters eingestrichen hat, und er fand nicht nur meinen hingeworfenen Rath, daß ihn der Abfall dieser verkehrten Menschen aus allen seinen Verlegenheiten helfen könnte, sehr vernünftig, sondern er meinte auch gleich, es sei von der höchsten Wahrscheinlichkeit, daß Fürsten und Herren, Monarchen und große Charaktere wohl auch schon von dieser Gottlosigkeit durchdrungen seyn möchten. Noch mehr ergriff die Familie Croys, die sich immer durch Rechtgläubigkeit und frommen Sinn ausgezeichnet hat, diese aberwitzigen Geschichten. Man freute sich, daß der blödsinnige Bischof hier in seiner Verblendung die Sachen so ernsthaft nahm. Man wartete es nur ab, wie Bürgerschaft und Adel, wie Frankreich und die übrigen Provinzen diesen Prozeß ansehn würden.[423] Alle hofften eifrig, das Feuer sollte alle Stände und die Vernunft aller Menschen sogleich ergreifen. Man hörte nicht auf eine Einwendung, daß jede tüchtige Dummheit Jahre brauche, um sich einzuwurzeln und die segenreichen Früchte zu tragen. – Ja, mein Prinz, wäre Frankreich und Deutschland, vorzüglich aber Euer Land, in einen pöbelhaften Jubel und Glaubenseifer über diese ruchlosen Anklagen und Verhaftungen ausgebrochen, hätten sich nicht Adel und Bürgerstand, vorzüglich aber die Universität von Paris und die Doctoren dagegen erklärt, so – –
Nun, so? rief der Prinz; sprich, Unglücklicher! –
So, sagte Köstein zögernd, – so hätte dieser und jener es wohl einer Armgart, oder Thalburg, oder wie die alten Weiber heißen mögen, auf die verdorrte Zunge gelegt, Euern Namen zu nennen, und Euch als einen Genossen des Sabbaths anzuklagen. –
Der Prinz ging plötzlich wieder auf und ab und rief: Sollte es möglich seyn? So sehe ich denn, wie man meinen Vater und auch mich verachtet! – Ich will Dir hierin nicht glauben, Thörichter. – Hast Du aber nicht, sprich selbst und ungezwungen, Deinen Tod zehnfach verdient, der Du so um alle diese Complotte wußtest, zu ihnen gehörtest und schwiegst?
Des Todes, sagte Köstein ruhig, bin ich schuldig; ich sterbe, aber Ihr könnt nicht alle hinrichten lassen, die eben so, oder noch mehr schuldig sind als ich.
Du hast Recht, Elender, antwortete der Fürst, winkte, und ließ Köstein wieder fortführen, der am folgenden Tage enthauptet wurde, so wie Denis, sein ehemaliger Gesell.
Der Prinz ging nach Gorkum und ließ dort den Bastard Rubempré verhaften, versöhnte sich mit seinem Vater, und[424] gerieth in tiefe Verwicklung mit seinem Adel und dem Könige von Frankreich.
Das Leben des Dechanten war gebrochen. Sein geistlicher Stolz war zu einer irren, ungenügenden Demuth, seine Sicherheit des Wissens zum leeren Zweifel, und sein fester Sinn zur Haltungslosigkeit herab gesunken. Seine Mitbrüder erkannten ihn kaum wieder, wenn sie ihm begegneten.
Der Bischof, jetzt noch dreister geworden, ließ wiederum Bürger und Kaufleute, auch Bauern verhaften, die sich verdächtig gemacht hatten oder die angezeigt waren; der Dechant aber zog sich von allen Untersuchungen und Verhören zurück, Krankheit vorschützend, welche ihm auch aus Angesicht und Auge zu sprechen schien.
Er vermied die Menschen, irrte gern im Felde umher, und verschloß sich dann wieder in seiner stillen Zelle. Dort blätterte er in einer Nacht in Papieren und Briefen, die ihm noch aus dem Nachlaß der alten Gertrud, von der Untersuchung ihrer Anklage, waren liegen geblieben; andre hatte ihm der Bischof, nach gefälltem Urtheil, wieder zurückgesendet. Da sie freiwillig alles selbst bekannt hatte, so waren diese Blätter nicht beachtet worden, und der Dechant nahm sie jetzt, in tiefer Nacht, um sich zu zerstreuen, wieder vor. Unvermerkt war er in Briefschaften mit aller Aufmerksamkeit festgehalten, die von der Jugendgeschichte der alten Zauberin vieles erzählten; sie war die Tochter vornehmer und reicher Eltern in Gent, hatte viele Freier gehabt und einen nach dem andern höhnisch abgewiesen. Ihre Schönheit aber lockte neue an, die eben so hart behandelt[425] wurden. Dies alles zeigte sich auf alten, vergelbten Blättern, zerrissenen Zetteln und in einer alten Kapsel, welches alles auf dem Grunde eines halb vermoderten Kastens, des einzigen, den die Alte besaß, gelegen hatte. Von ihr waren diese Blätter gewiß vergessen worden, sonst hätte sie sie wohl nicht aufbewahrt.
In der Kapsel fand sich eine Sammlung von Briefen, welche mehr zusammen hingen; sie waren fast alle von derselben Hand. Ein junger, schöner Krieger hatte endlich den Zauber der Spröden gebrochen, sie war ihm mit Wohlwollen, später mit Liebe entgegengetreten. Bald war ihr Verhältniß ein vertrautes geworden. Unwillkührlich stellte sich dem Dechanten das Bildniß der Frau Catharina vor, indem er dieses Lob der Schönheit, die Schilderung der Reize las; er schauderte, wenn er einen Augenblick wieder an die alte, greise, wahnsinnige Gertrud dachte, an welche ein wilder und frecher Jüngling, in Liebe erglüht, diese trunknen Worte vor vielen Jahren gerichtet hatte. Der schwärmende Soldat vertheidigte sich in andern Briefen gegen Anklagen, versprach besser zu werden und wieder die Kirche zu besuchen. Es fand sich sogar das Zeugniß eines Priesters, daß er wieder gebeichtet und am Sacrament Theil genommen hatte. Nun wurde auch der Name dieses Kriegers deutlicher, der Zeit nach traf es ebenfalls zusammen, daß er kein anderer war, als der Vater der Catharina Denisel. Nun fehlten Blätter, und es war plötzlich von einem Knaben die Rede, welchen der Liebende heimlich bei guten und sichern Leuten untergebracht hatte. Die Briefe trösteten, die Worte, wie gezwungen sie gestellt waren, suchten zu beruhigen. Es ergab sich, daß die Eltern der schönen Gertrud vor Gram gestorben waren, da sie die Schmach ihres[426] Kindes entdeckt hatten. Wieder Trost und Nachrichten vom Knaben, der von einer wohlwollenden Frau auf dem Lande versorgt wurde. Er beschreibt die Lage des Dorfes und des Hauses. Er kann aber seine Verlobte, auch ein reiches, angesehenes Mädchen, nicht verlassen; selbst sein Beichtvater macht es ihm zur Gewissenssache. Diese Verlobte war die Mutter der Denisel, wie es Name und Familie zeigte. Jetzt sah man, wie die kürzeren und seltneren Briefe das Erlöschen seiner Leidenschaft deutlich ausdrückten. Die Wittwe des Wassermüllers hatte dem Beichtvater den Knaben, der schon drei Jahr alt war, übergeben; er wollte ihn zum Geistlichen erziehen. Dieser Priester hieß Dubos, ein strenger Mann; er meldete plötzlich, der kleine Markus sei verstorben. – Ein wilder Brief der Gertrud, wie es schien der Entwurf eines abgesendeten, schilderte ihr Elend; sie wollte alles, was sie besaß, den Armen geben, und unbekannt, zur Strafe und Abbüßung ihrer Sünden, als Bettlerin leben. – Sie mußte diesen Vorsatz wohl ausgeführt haben, und in Arras, einer fremden Stadt, hatte sie sich verborgen und den Augen aller Bekannten und Freunde entzogen.
Plötzlich geschah wie ein heftiger Ruck im Gehirn des Lesenden. Ihm schwindelte. Er las wieder, und immer deutlicher wurden ihm die Erinnerungen, immer klarer trat alles in Zusammenhang. Er erinnerte sich jener Mühle im schönen Thal, er gedachte des strengen, finstern Priesters, von dem er den Namen Dubos hatte annehmen müssen. Als man ihn selbst zum Priester weihte, forschte er bei Dubos nach seinen eigentlichen Eltern, da er doch kein Sohn eines Geistlichen seyn könne. Dubos hatte ihm im Vertrauen eröffnet, er sei die Frucht der Sünde und möge seinem Ursprunge nicht nachforschen, auch seien alle seine Angehörigen[427] gestorben, die man schon längst vor ihrem Tode von seinem Hinscheiden überzeugt habe, um ihn ganz für die Kirche, als einen Sohn derselben, ohne Einspruch von andern erziehen zu können. Seine Eitelkeit erschrak damals vor dieser Entdeckung, und er selbst ging von der Zeit an allen Fragen über seine Herkunft am meisten aus dem Wege.
Jetzt enthüllte sich ihm das ganze entsetzliche Geheimniß. Gertrud war seine Mutter gewesen und Catharina Denisel von seinem Vater her seine Schwester. Von Leidenschaft geblendet hatte er diese verrathen, und dazu geholfen, sie und die eigne wahnsinnige Mutter dem Scheiterhaufen zu überliefern.
Ein ungeheurer Haß gegen den Bischof und gegen sich selbst ergriff sein zerrüttetes Gemüth. Er verließ die Zelle und irrte die ganze Nacht wehklagend in der Stadt umher. Die Einwohner erstaunten, ihm am Morgen so zu begegnen, der alle Zeichen des Wahnsinns an sich trug. Ohne Zusammenhang erzählte er jedem von sich, dem Bischof, der alten Gertrud und der schönen Denisel. Der Bischof, der von seiner Verrücktheit gehört, ließ ihn nicht vor sich, als er diesen um ein Gespräch ersucht hatte, und man führte ihn noch an demselben Tage in ein Zimmer des Narrenthurms, wo er nach einigen Wochen in seinem Elende verschied, indeß man sich in der Stadt mit den seltsamsten Gerüchten von ihm trug. Zum Theil hatte man die Wahrheit errathen, alles aber ward durch die Zusätze und Erzählung der gemeinen Bürger in ein grausenhaftes Mährchen verwandelt.
Der Bischof sah seine Krankheit und Raserei nur für Bestrafung an, die ihm wegen seines vertrauten Umganges mit der Hexe Denisel vom Himmel verhängt sei. Er war froh, daß der Dechant so von seinem geistlichen Amte entfernt[428] war, denn er kämpfte immer mit seinem Gewissen, ob er ihn nicht als Zauberer und Ketzer verhaften und verdammen sollte.
In dieser Stimmung, sich schon freuend, wieviel die neuen Verhöre der Eingekerkerten und die Aussagen auf der Folter wieder ergeben, welche Entdeckungen aus ihnen hervorgehn müßten, erhielt der Prälat folgendes seltsame Blatt, welches sein Gemüth noch höher aufspannte.
»Morgen, gegen die Zeit der Dämmerung, seid Ihr allein, denn alles folgt der großen Prozession, die Ihr diesmal nicht begleiten wollt. Hoher Mann, wenn Ihr um die Zeit, doch ohne alle Begleitung, einen Unbekannten in dem dunkeln Buchengange Eures Gartens sprechen wollt, so kann dieser Euch viel wichtigere Entdeckungen mittheilen, sonderbarer als alles, was bisher gefunden ist. Mißtraut Ihr mir, seid Ihr nicht ganz einsam, so erscheint niemand, und Ihr bleibt vom hohen Geheimniß ausgeschlossen.«
Das Blatt war sonderbar undeutlich geschrieben, und der Bischof ging mit sich selbst zu Rathe, wie er sich zu benehmen habe. Da es ihm aber schien, daß ein Gleich- und Wohlgesinnter, ein Eifernder für die gute Sache ihm diese Worte gesendet hatte, so theilte er niemand den Inhalt desselben mit, und erwartete mit Ungeduld die Dämmerung. Da er sich nicht wohl befand, entfernte er, um ganz einsam zu seyn, alle Diener, und begab sich dann am Abend in den dunkeln, abgelegenen Buchengang. Er erstaunte, den Unbekannten, einen riesengroßen Mann, der seine starke Figur bis auf den Kopf sogar in einen schwarzen Mantel gehüllt hatte, schon dort zu finden.
Schüchtern näherte sich der Prälat der großen finstern[429] Gestalt und sagte: Ihr schon hier? Der Thürhüter hat noch niemand eingelassen.
Brauch' ich des Eingangs dort? antwortete der Fremde mit dumpfer tiefer Stimme; mir stehn alle Wege offen, und ich hätte Euch deshalb eben so gut in Eurem Zimmer, ohne Anmeldung, besuchen können.
So? sagte der Bischof, und es schauerte ihn. Und was könnt Ihr mir entdecken?
Daß, wenn Ihr nicht morgen schon, rief der Verhüllte, morgen schon alle die unschuldig Eingekerkerten freigebt, Ihr, Unsinnigster, selbst in wenigen Wochen als Ketzer und Hexenmeister den Scheiterhaufen besteigt, auf derselben Stelle, wo Ihr jene Armen, falsch Angeklagten oder Wahnsinnigen habt hinrichten lassen.
Der kleine Bischof zitterte und mußte sich an einen Baum lehnen. Und, wenn ich sie nicht freispreche? sagte er mit dünner, fast erlöschender Stimme, indem er sich zu ermannen strebte.
Zehn böse, wilde Menschen haben sich verschworen, wenn Ihr nicht von Eurem Rasen lasset, Euch einstimmig als einen der obersten Hexenmeister anzugeben, sagte jener. Sie alle sind selber in den Sabbath eingeweiht, sind alle Zauberer; aber sie sind so von bösen Geistern besessen, daß sich alle mit Lachen wollen verbrennen lassen, wenn sie Euch, giftigen Pfaffen, nur ebenfalls den Flammen überliefern können. Sind also die Gefangenen morgen nicht frei, so tobt morgen schon der Zeter durch die ganze Stadt, daß Ihr auch ein Mitglied des Hexen-Sabbaths seid; die Bürger und der Adel, die Ihr gemißhandelt habt, werden es glauben, und Ihr werdet nach denselben Formen gerichtet und[430] verdammt, die Ihr selber eingeführt, und die Ihr nicht wieder umstoßen könnt.
Wer seid Ihr denn, klagte der Bischof, furchtbarster aller Menschen?
Ich bin kein Mensch! rief der Fremde mit donnernder Stimme, und schlug den Mantel vom Gesichte zurück, das schwarz, verzerrt und mit brennenden Augen den halb ohnmächtigen Prälaten angrinzte; der Satan bin ich, sagte die hohe Gestalt, der Dir schon sonst Geister und Gespenster zugesendet hat, um Dich zu ängstigen. Keinen von den Unschuldigen, die Du hast hinrichten lassen, habe ich bekommen, und Carrieux war ein frommer Mann; aber auf Deine Seele rechne ich!
Der Bischof ward von seinen Leuten, die ihn suchten, da es finster geworden war, ohnmächtig auf der Erde gefunden. Er war seitdem still und gemüthskrank, ließ die Eingekerkerten frei, und zog sich, als schwach am Verstande, von allen Geschäften zurück. Guntram, der zurückgekommen war, hatte, für seine Kraft ein Leichtes, die Mauer des Gartens überstiegen, um in der Maske den Prälaten zu erschrecken. Und so endigte mit einer Posse dieses fratzenhafte Possenspiel der unmenschlichsten Tragödie, die Unvernunft gedichtet und blödsinnige Grausamkeit hatte aufführen lassen.
Als der Herzog von Burgund, Philipp der Gütige oder Gute, mit dem Grafen Etampes und seinen übrigen Günstlingen zusammenkam, ward auch die Rede auf die Hexengeschichten von Arras gewendet; ich will nicht, sagte er, da der Bischof krank ist, daß in dieser Sache fortgefahren werde. Ich glaube, daß der von Baruth nur das Heil der Kirche und die Unverletzlichkeit der Religion im Auge gehabt hat. Aber unsre Nachbarn sind erschreckt, die Sache ist räthselhaft,[431] der stärkste Ankläger ist krank geworden, der Dechant ist wahnsinnig; – kann man es, unter diesen Umständen, nicht auf sich selbst beruhen lassen?
Der Graf Etampes gab dem Herzoge Recht und bewunderte dessen Klugheit und Menschenliebe. – Nun gut, fuhr der alte, kranke Herzog fort, ich habe mich mit meinem Sohne versöhnt, und wünsche, daß alle meine Vasallen jetzt, diese Aussöhnung beherzigend, ihn als mein zweites Ich, als meine eigne Person ansehn mögen. Graf Etampes, lieber Vetter, von Deutschland, Frankreich und England habe ich Briefe erhalten, die mir melden, daß ich, als meineidiger Fürst, unter dem Vorwand der Ketzerei, mich des Vermögens meiner Unterthanen bemächtige, und sie, damit keine Einrede stattfinde, verbrennen lasse, um ihnen den Mund zu stopfen. Ihr, Vetter, seid mein Zeuge, daß dem nicht so ist; wir müssen aber den bösen Menschen die Mäuler stopfen, die immerdar schwatzen, ohne daß sie selber wissen, was sie eigentlich sagen. Ich bin also der Meinung, daß man der Frau des Köstein, obschon er wegen Hochverrath hingerichtet ist, die Güter und das Vermögen des Mannes lasse, welches ich ihm alles geschenkt habe. Er war, seine Bosheit abgerechnet, ein guter Junge, und man muß auch nicht immer das Aeußerste durchsetzen wollen.
Der Graf verneigte sich und war derselben Meinung. Er war für jetzt aus allen seinen Verlegenheiten gerettet, und wenn er auch die Summe, für welche sich Beaufort verbürgt hatte, bezahlte, so blieb ihm doch von den eingezogenen Gütern so viel übrig, daß diese Wiederbezahlung einer alten Schuld nur eine Kleinigkeit war.
Der eigentliche Bischof kehrte jetzt von Rom von seiner Gesandtschaft zurück. Er mißbilligte das Verfahren seines[432] Stellvertreters, und eben so der Papst. Noch mehr that dies der berühmte Aeneas Sylvius, Graf Piccolomini, welcher jetzt den Stuhl bestieg. Doch blieb der Hexen-Prozeß noch in der Schwebe.
Nach zwei Jahren ward Schakepeh, der Ritter Beaufort, Taket und Josset freigesprochen, aber sie waren verarmt. Jetzt ließ Schakepeh seine Tochter von Paris zurückkommen, die wenigstens ihre Mitgift gerettet hatte, obgleich dies als ein Geheimniß verschwiegen wurde. Sie vermählte sich dem jungen Friedrich, und die Eltern kauften vom Grafen Etampes jene unscheinbare Hütte in der Vorstadt, in welcher Gertrud gelebt hat. Nach und nach ließen die Familien von ihrem klug geretteten Vermögen etwas mehr sehn, kauften die Nebenhäuser, die auch nur unscheinbar waren, und bauten neue.
Endlich, als der Bischof, der Dechant, der alte Herzog, Graf Etampes längst verstorben waren, und schon lange vor ihnen der alte Beaufort, als Burgund gestürzt und zwischen Frankreich und Oestreich getheilt war, als Friedrich von seiner liebenswürdigen Sophie schon erwachsene Söhne und Töchter hatte, ward jener Hexen-Prozeß von 1459 noch einmal durchgesehn, und völlig kassirt und für null und nichtig erklärt. Man rief aus, daß Peter Carrieux, der Maler Labitte, Frau Catharina, die alte Gertrud und die übrigen Weiber, welche verbrannt waren, so wie Beaufort, dessen Sohn, Taket, Josset, Schakepeh, und wer noch beschuldigt war, völlig unschuldig, rein und tugendhaft befunden wären, und das Gedächtniß und die Ehre ihrer Familien und ihres Namens wieder hiermit hergestellt würde.
Aber das Vermögen, das Leben der Angeklagten war verschwunden und längst vernichtet. Friedrich, so wenig wie[433] Sophie und deren Kinder, wollten bei dieser Ehren-Erklärung gegenwärtig seyn. An derselben Stelle, wo vor vielen Jahren die Angeklagten waren verbrannt worden, wurde, nachdem man ihre Ehrenrettung laut vorgelesen hatte, eine lustige Comödie gespielt, über welche die Zuschauer viel lachten. Und doch war dieser unsinnige Hexen-Prozeß nur der erste große in Europa, nach dessen Form bis 1700, bis auf Thomasius und Spee's Einrede, so viele Unschuldige und Wahnsinnige dem Feuer geopfert wurden.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Hexen-Sabbath
|
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro