Drittes Kapitel

[766] Franz hielt sich längere Zeit in Leiden auf, als er sich vorgenommen hatte, denn Meister Lukas hatte ihm einige Konterfeie zu malen übergeben, die Franz zu dessen Zufriedenheit beendigte. Beide hatten sich oft von der Kunst unterhalten, Franz liebte den Niederländer ungemein, aber doch konnte er in keiner Stunde das Vertrauen zu ihm fassen, das er zu seinem Lehrer hatte, er fühlte sich in seiner Gegenwart gedemütiget, seine freiesten Gedanken waren gefesselt, selbst Lukas' fröhliche Laune konnte ihn ängstigen, weil sie von der Art, wie er sich zu freuen pflegte, so gänzlich verschieden war. Er kämpfte oft mit der Verehrung, die er vor dem niederländischen Meister empfand, denn er schien ihm in manchen Augenblicken nur ein Handwerker zu sein; wenn er dann wieder den hurtigen erfinderischen Geist betrachtete, den nie rastenden Eifer, die Liebe zu allem Vortrefflichen, so schämte er sich dieses Gedankens.

Er hatte eine Reisegesellschaft gefunden, mit welcher er um ein Billiges nach Antwerpen kommen konnte, der folgende Tag war zur Abreise bestimmt, er ging jetzt zu Meister Lukas, um ihm zu danken und Abschied von ihm zu nehmen, und wie erstaunte er, als er die Tür der Malerstube öffnete, und seinen Lehrer, seinen über alles geliebten Dürer neben dem niederländischen Maler sitzen sah! Erst schien es ihm nur ein Blendwerk seiner[766] Augen zu sein, aber Dürer stand auf und schloß ihn herzlich in seine Arme. Die drei Maler waren überaus fröhlich, sich zu sehn, Fragen und Antworten durchkreuzten sich, besonders hinderte der lebhafte Lukas auf alle Weise, daß das Gespräch nicht zu einer stillen Ruhe kam, denn er fing immer wieder von neuem an sich zu verwundern und zu freuen. Er rieb die Hände und lief mit großer Geschäftigkeit hin und wider; bald zeigte er dem Albert ein Bild, bald hatte er wieder eine Frage, worauf er die Antwort wissen wollte. Franz bemerkte, wie gegen diese lebhafte Unruhe die Gelassenheit Alberts und seine stille Art sich zu freuen, schön kontrastierte. Auch wenn sie nebeneinander standen, ergötzte sich Franz an der gänzlichen Verschiedenheit der beiden Künstler, die sich doch in ihren Werken so oft zu berühren schienen. Dürer war groß und schlank, lieblich und majestätisch fielen seine lockige Haare um seine Schläfe und Schultern, sein Gesicht war ehrwürdig und doch freundlich, seine Mienen veränderten den Ausdruck nur langsam, und seine schönen braunen Augen sahen feurig aber sanft unter seiner edlen Stirn hervor. Franz bemerkte deutlich, wie die Umrisse von Alberts Gesichte denen auffallend glichen, mit denen man oft den Erlöser der Welt zu malen pflegt. Lukas erschien neben Albert noch kleiner, als er wirklich war, sein Gesicht veränderte sich in jedem Augenblicke, seine Augen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll, sein hellbraunes Haar lag schlicht und kurz um seinen Kopf.

Albert erzählte, wie er sich schon seit lange unpaß gefühlt und die weite Reise nach den Niederlanden nicht gescheut habe, um seine Gesundheit wiederherzustellen, vorzüglich hätten ihn seine Freunde, am meisten Pirkheimer, dazu gedrängt, weil sie alle, vielleicht übertrieben, um ihn besorgt gewesen: von Sebastian gab er unserm Franz einen Brief, der selber zwar nicht gefährlich aber doch so krank sei, daß er die Reise nicht habe unternehmen können, weil er sonst in dessen Begleitung würde gekommen sein. »Euch, Meister Lukas«, so beschloß er, »zu sehen, war der vornehmste Bewegungsgrund meiner Reise, denn das habe ich mir schon lange gewünscht, ich weiß auch noch nicht, ob ich einen andern Maler besuche, wenn der Wohnort mir aus dem Wege liegt, denn soviel ich sie kenne, ist mir nach dem berühmten Meister Lukas keiner merkwürdig.«

Lukas dankte ihm, und sprang wieder durch die Stube, voller Freude, den großen Maler Dürer bei sich zu haben. Dann zeigte er ihm einige seiner neuesten Bilder und Albert lobte sie sehr verständig. Dieser hatte einige neue Kupferstiche bei sich, die er[767] dem Niederländer schenkte, und Lukas suchte zur Vergeltung auch ein Blatt hervor, das er dem Albrecht in die Hände gab. »Seht«, sagte er, »dieses Blatt wird von einigen für meinen besten Kupferstich erklärt, es hat sich schon auch selten gemacht, es ist nämlich die Familie des Till Eulenspiegel, er als Knabe, die Eltern mit ihm, reitend und gehend: ich habe das Werk mit besonderem Fleiße und Genauigkeit zu arbeiten gesucht. Es wollen einige jetzt, die sich mit der Gelehrsamkeit befassen, das Buch von seinen Schwänken verachten, und es als den Sitten und der Zucht zuwider verdammen; vielleicht möchte einiges darin besser mangeln können, aber ich muß gestehen, daß es mich im ganzen immer sehr ergötzt hat. Die Schalkheit des Knechtes ist so eigen, viele seiner Streiche geben zu so manchen kuriosen Gedanken Veranlassung, daß ich mich ordentlich dazu angetrieben fühlte, seine erste Jugend in Kupfer zu bringen.«

»Ihr habt es auch wacker ausgerichtet«, sagte Albert Dürer lachend, »und ich danke Euch höchlich für Euer Geschenk.«

»Es verstehn wohl wenige Menschen«, fuhr Lukas fort, »sich an Tills Narrenstreichen so zu freuen, wie ich, weil sie es sogar mit dem Lachen ernsthaft nehmen; andern gefällt sein Buch wohl, aber es kommt ihnen als etwas Unedles vor, dies Bekenntnis abzulegen; andern fehlt es wieder an Übung, das Possierliche zu verstehn und zu fassen, weil man sich vielleicht ebenso daran gewöhnen muß, wie es nötig ist, viele Gemälde zu sehn, ehe man über eins ein richtiges Urteil fällen kann.«

»Ihr mögt sehr recht haben, Meister«, antwortete Dürer, »die meisten Leute sind wahrlich mit dem Ernsthaften und Lächerlichen gleich fremd. Sie glauben immer, das Verständnis von beiden müsse ihnen von selbst, ohne ihr weiteres Zutun kommen. Sie überlassen sich daher mit Roheit dem Augenblicke und ihrem dermaligen Gefühl, und so tadeln und loben sie ohne Einsicht. Ja sie gehen mit der Malerkunst so um, daß sie davon kosten, wie man wohl ein Gemüse oder eine Suppe zu kosten pflegt, ob die Magd zu viel oder zu wenig Salz darangetan habe, und dann sprechen sie das Urteil, ohne um die Kenntnisse, die dazu gehören, besorgt zu sein. Ich muß immer noch lachen, sooft ich daran denke, daß es mir doch auch einmal auf ähnliche Weise erging. Ohne etwas davon zu verstehen, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmal darauf, ein Poet zu sein. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse müsse ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich nicht schon früher auf die Dichtkunst verfallen[768] sei. Ich machte also ein zierlich großes Kupferblatt, und stach mühsam rundherum meine Verse mit Buchstaben ein: sie sollten ein moralisches Gedicht vorstellen, und ich unterstund mich, der ganzen Welt darin gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, siehe da, so war es erbärmlich geraten. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausstehen müssen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergessen konnte! Er sagte immer zu mir: ›Schuster, bleib bei deinen Leisten! Albert, wenn du den Pinsel in der Hand hast, so kömmst du mir als ein verständiger Mann vor, aber mit der Feder gebärdest du dich als ein Tor.‹« –

»Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Leiden aufhalten«, sagte Lukas, »denn ich möchte gar zu gern recht viel mit Euch sprechen, und über so viele Dinge Euer Urteil vernehmen, denn ich wüßte keinen Menschen auf der Welt, mit dem ich mich lieber unterredete, als mit Euch.«

»Ich bleibe gewiß wenigstens einige Tage«, antwortete Dürer; »seit Franz von mir fortgezogen ist, habe ich mir diese Reise vorgesetzt, und alles Geld, was ich erübrigen konnte, dazu aufgespart.«

Unter diesen Gesprächen war die Mittagsstunde herangekommen; eine junge hübsche Frau, die Gattin des Niederländers, trat herein, sie erinnerte ihren Mann mit freundlichem Gesichte, daß es Zeit sei zu essen, er möchte mit seinen Gästen in die Speisestube treten. Man setzte sich zu Tisch. Lukas hatte einen Freund aus der Stadt und dessen Frau eingeladen. Der kleine behende Mann schien nun bei Tische erst recht an seinem Platze zu sein; er wußte so gutmütig zum Essen und Trinken zu nötigen, daß keiner seine Einladung auszuschlagen imstande war; dabei erwies er sich überaus artig gegen die Frauen. Dürer war viel ernster und unbeholfener, die schöne junge Frau des Lukas setzte ihn eher in Verlegenheit, als daß sie ihn unterhalten hätte, seine Sitten waren ernst und deutsch, und wenn sich ihm nicht ein Scherz von selber darbot, so hielt er es für eine unnütze Mühe ihn aufzusuchen. Franz war in einer heiligen Stimmung, es war ihm nicht möglich, seine Augen von seinem geliebten Lehrer abzuwenden, da es ihm beständig im Sinne lag, daß er morgen früh abreisen müsse.

»Ihr müßt mir erlauben«, rief Lukas fröhlich aus, »Meister Albrecht, (verzeiht mir, daß ich so vertraut tue, Euch bei Eurem Taufnamen zu nennen) daß ich Euer Konterfei abnehme, ehe Ihr von hier reiset, denn es liegt mir gar zu viel daran es zu besitzen,[769] und ich will mir alle Mühe geben, es recht treu und fleißig zu malen.«

»Und ich will Euch malen«, sagte Albrecht, »mir ist gewiß Euer Gesicht ebenso lieb, damit ich es mit mir nach Nürnberg nehmen kann.«

»Wißt Ihr, wie wir es einrichten können?« antwortete Lukas: »Ihr malt Euer eigenes Bildnis und ich das meinige, und wir tauschen sie nachher gegeneinander aus, so besitzt noch jeder etwas von des andern Arbeit.«

»Es mag sein«, sagte Dürer, »ich weiß mit meinem Kopfe ziemlich Bescheid, denn ich habe ihn schon etlichemal gemalt und gestochen, und man hat die Kopei immer ähnlich gefunden. Worüber ich mich aber billig wundern muß«, fuhr er fort, »ist, daß Ihr, Meister Lukas, noch so jung seid, und daß Ihr doch schon so viele Kunstsachen in die Welt habt ausgehen lassen, und mit Recht einen so großen Namen habt; denn noch scheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu sein.«

Lukas sagte: »Ich bin auch noch nicht dreißig Jahr alt, sondern kaum neunundzwanzig. Es ist wahr, ich habe fleißig gemalt, und fast ebensoviel in Kupfer gestochen als Ihr; aber, mein lieber Albrecht, ich habe auch schon sehr früh angefangen; Ihr wißt es vielleicht nicht, daß ich schon im neunten Jahre ein Kupferstecher war.«

»Im neunten Jahre?« rief Franz Sternbald voll Verwunderung aus; »ich glaubte immer, im sechszehnten hättet Ihr Euer erstes Werk begonnen, und das hat schon immer mein Erstaunen erregt.«

»Ich zeichnete schon Bilder und allerhand natürliche Sachen nach«, erzählte Lukas weiter, »als ich kaum sprechen konnte. Die Sprache und der Ausdruck durch die Reißkohle schien mir natürlicher als die wirkliche. Ich war unglaublich fleißig, und interessierte mich für gar nichts anders in der Welt, denn die übrigen Wissenschaften, so wie die Sprachen und dergleichen, waren mir völlig gleichgültig, ja es war mir verhaßt, meine Zeit mit solchem Unterrichte zuzubringen. Wenn ich auch nicht zeichnete, so gab ich genau auf alle die Dinge acht, die mir vor die Augen kamen, um sie nachher nachahmen zu können. Die größte Freude machte es mir, wenn meine Eltern oder andere Menschen die Personen wiedererkannten, die ich kopiert hatte. Kein Spiel machte mir Vergnügen, andre Knaben waren mir zur Last und ich verachtete sie und ging ihnen aus dem Wege, weil mir ihr Beginnen zu kindisch vorkam; sie verspotteten mich auch deshalb,[770] und nannten mich den kleinen alten Mann. Ich erkundigte mich, wie die Kupferstiche entständen, und einige eben nicht geschickte Leute machten mich mit der Kunst bekannt, soviel sie selbst begriffen hatten. So machte ich im neunten Jahre mein erstes Bild, das ich öffentlich herausgab, und das vielen Leuten nicht mißfiel; bald darauf taten mich meine Eltern auf mein inständiges Bitten zum Meister Engelbrecht in die Lehre, ich fuhr fort zu arbeiten, und im sechszehnten Jahre war ich schon einigermaßen bekannt, so daß meine Werke gesucht wurden.«

»Ihr seid ein wahres Wunderkind gewesen, Meister Lukas«, sagte Albert Dürer, »und auf die Art muß man freilich nicht erstaunen, wenn die Welt so viele Arbeiten von Euch gesehn hat.«

»Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin«, sagte Lukas sehr lebhaft, »so habe ich es nur Euch zu verdanken. Ihr wart mein Vorbild, Ihr gabt mir immer neues Feuer, wenn ich manchmal den Mut verlieren wollte, denn ich glaube, es gibt auch beim eifrigsten Künstler Stunden, in denen er durchaus nichts hervorbringen mag, wo er sich in sich selber ausruht, und ihm die Arbeit mit den Händen ordentlich widersteht; dann hörte ich wieder von Euch, ich sah eins Eurer Kupferblätter, und der Fleiß kam mir mit frischer Anmut zurück. Ich muß es gestehen, daß ich Euch meine meisten Erfindungen zu danken habe, denn ich weiß nicht wie es zugeht: einzelne Figuren oder Sachen stehen mir immer sehr klar vor den Augen, aber das Zusammenfügen, der wahre historische Zusammenhang, der ein Bild erst fertig macht, will sich nie deutlich vor den Sinn hinstellen, bis ich dann ein andres Blatt in die Hand nehme; da fällt es mir dann ein, daß ich das auch darstellen, und hie und da wohl noch verbessern könnte; aus dem Bilde, das ich vor mir sehe, entwickelt sich ein neues in meiner Seele, das mir dann nicht eher Ruhe läßt, als bis ich es fertig gemacht habe. Am liebsten habe ich Eure Bilder nachgemacht, Albrecht; weil sie alle einen ganz eigenen Sinn haben, den ich in andern nicht antreffe. Ihr habt mich am meisten auf Gedanken geführt, und Ihr werdet es wissen, daß ich viele Bilder, die Ihr ausgearbeitet habt, auch darzustellen versucht habe. Manchmal habe ich die Eitelkeit gehabt, (Ihr verzeiht mir meinen freimütigen Stolz, auch seid Ihr selbst ein grader, guter Mann) Eure Vorstellung zu verbessern und dem Auge angenehmer zu machen.«

»Ich weiß es recht wohl«, sagte Albert mit der gutmütigsten Freundlichkeit, »und ich versichere Euch, ich habe viel von Euch gelernt. Wie Ihr mit Eurem Körper behende und gewandter seid,[771] so seid Ihr es auch mit dem Pinsel und Grabstichel. Ihr wißt eine gewisse Anmut mir Wendungen und Stellungen der Körper in Eure Bilder zu bringen, die mir oft fehlt, so daß meine Zeichnungen gegen die Eurigen hart und rauh aussehen; aber Ihr erlaubt mir auch zu sagen, daß es mir geschienen hat, als wärt Ihr ein paarmal unnötigerweise von der wahren Einfalt des Gegenstandes abgewichen. So gedenke ich an ein paar Kupferstiche, wo vorne Leute mit großen Mänteln stehn, die dem Zuschauer den Rücken zuwenden, da sie uns wohl natürlicher das Angesicht hätten zukehren dürfen. Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Urteil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontrastierung mit den übrigen Personen im Bilde verstärken wollen; aber es kömmt doch etwas gezwungen heraus.«

»Ihr habt recht, Albert«, sagte Lukas, »ich sehe, Ihr seid ein schlauer Kopf, der mir meine Münzen wiederzugeben weiß. Ich habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein Bild verdorben habe, wenn ich es habe besser machen wollen, als ich es auf Euren Platten gesehn hatte. Denn man verliert gar zu leicht den ersten Gedanken aus den Augen, der doch sehr oft der allerwahrste und beste ist; nun putzt man am Bilde herum und über lang oder kurz wird es ein Ding, das einen mit fremden Augen ansieht, und sich auf dem Papiere oder der Tafel selber nicht zu finden weiß. Da seid Ihr glücklicher und besser daran, daß Euch die Erfindung immer zu Gebote steht; denn so ist es Euch fast unmöglich, in einen solchen Fehler zu fallen. – Wie macht Ihr es aber, Albrecht, daß Ihr so viele Gedanken, so viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt?«

»Ihr irrt Euch an mir«, sagte Albrecht, »wenn Ihr mich für so erfindungsreich haltet. Nur wenige meiner Bilder sind aus dem bloßen Vorsatz entstanden, sondern es war immer eine zufällige Gelegenheit, die sie veranlaßte. Wenn ich irgendein Gemälde loben, oder eine der heiligen Geschichten wieder erzählen höre, so regt sich's plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Gelüst empfinde, gerade das und nichts anderes darzustellen. Das eigentliche Erfinden ist gewiß sehr selten, es ist eine eigene und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Unerhörtes hervorzubringen. Was uns erfunden scheint, ist gewöhnlich nur aus älteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt, und dadurch wird es gewissermaßen neu; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschichte oder sein Gemälde doch auch nur zusammen, indem er teils seine Erfahrungen, teils was ihm dabei eingefallen, oder was er sich erinnert, gelesen, oder gehört hat, in eins faßt.«[772]

»Ihr habt sehr recht«, sagte Lukas, »etwas im eigentlichsten Verstande aus der Luft zu greifen, wäre gewiß das Seltsamste, das dem Menschen begegnen könnte. Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung, denn selbst der Wahnsinnige erfindet seine Fieberträume nicht. Die Natur ist also die einzige Erfinderin, sie leiht allen Künsten von ihrem großen Schatze; wir ahmen immer nur die Natur nach, unsre Begeisterung, unser Ersinnen, unser Trachten nach dem Neuen und Vortrefflichen ist nur wie das Achtgeben eines Säuglings, der keine Bewegung seiner Mutter aus den Augen läßt. – Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, welchen Schluß man aus dieser Bemerkung ziehen könnte? Daß es also in den Sachen selbst, die der Poet oder Maler, oder irgendein Künstler darstellen wollte, durchaus nichts Unnatürliches geben könne, denn indem ich als Mensch auf den allertollsten Gedanken verfalle, ist er doch an sich natürlich und der Darstellung und Mitteilung fähig. Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen sind wir durch eine hohe Mauer geschieden, über die kein Blick von uns drin gen kann. Wo wir also in irgendeinem Kunstwerk Unnatürlichkeiten, Albernheit, oder Unsinn wahrzunehmen glauben, die unsre gesunde Vernunft und unser Gefühl empören, da müßte dies immer nur daher rühren, daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zusammengesetzt wären, daß Teile daruntergemengt sind, die nicht hineingehören, und die übrigen so verbunden, wie es nicht sein sollte. So müßte also ein höherer Geist, als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht hatte, aus allem Möglichen etwas Vortreffliches und Würdiges hervorbilden können.«

Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und wollte eben das Gespräch fortsetzen, als Lukas' Frau ausrief: »Aber, lieben Leute, hört endlich mit euren gelehrten Gesprächen auf, von denen wir Weiber hier kein Wort verstehn. Wir sitzen hier so ernsthaft wie in der Kirche, verspart alle eure Wissenschaften bis das Mittagsessen vorüber ist.« – Sie schenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein, und erkundigte sich bei Dürer, was er auf der Reise Neues gesehn und gehört habe. Albrecht erzählte, und Franz Sternbald saß in tiefen Gedanken. In den letzten Worten des Lukas schien ihm der Schlüssel, die Auflösung zu allen seinen Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Gedanken nicht deutlich fassen; er hatte von seinem Lehrmeister noch nie eine ähnliche Äußerung über die Kunst gehört, es schien ihm sogar, als wenn Dürer auf diesen Gedanken nicht so viel gebe, als er wert sei, daß er die Folgen nicht alle bemerke, die in ihm[773] lägen. Er konnte auf das jetzige Gespräch nicht achtgeben, vorzüglich da die Niederländerin anfing, sich nach allen Nürnbergischen Trachten der verschiedenen Stände zu erkundigen, und ihre Bemerkungen darüber zu machen.

Plötzlich sprang Lukas mit seiner Behendigkeit vom Tische auf, fiel seiner Frau um den Hals und rief aus: »Mein liebstes Kind, du mußt es mir jetzt doch schon vergönnen, daß ich mit Meister Albrecht wieder etwas über die Malerei anfange, denn mir ist da eine Frage eingefallen. Es wäre ja Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem Hause hätte, und nicht alles vom Herzen lossprechen sollte.«

»Meinetwegen magst du es halten, wie du willst«, antwortete sie; »aber was werden deine Gäste dazu sagen?«

»Darüber seid ohne Sorgen«, sagte die fremde schöne Frau, »können wir beide doch miteinander sprechen, denn mein Mann ist heut bloß des berühmten Deutschen wegen hergekommen, da er eigentlich dringende Geschäfte hat, und er ist auch einer von denen, die nie von Kunst und Büchern genug können reden hören, er bekümmert sich nie, was in der Welt vorfällt, außer es müßte sich etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben.«

»Daß wir den Mann vergessen konnten!« rief Dürer aus, indem er sein volles Glas in die Höhe hob: »Er soll leben! Noch lange soll der große Doktor Martin Luther leben! Der Kirche, und uns allen zu Heil und Frommen!«

Der Fremde stieß gerührt und mit leuchtenden Blicken an, auch Lukas, welcher lächelte. »Es ist zwar eine ketzerische Gesundheit«, sagte er, »aber Euch zu Gefallen will ich sie doch trinken. Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trübsale zu überstehen haben, ehe die neue Lehre durchdringen kann.«

Albrecht antwortete: »Wann wir im Schweiß unsers Angesichts unser Brot essen müssen, so verlohnt es ja wohl die Wahrheit, daß wir Qual und Trübsal ihretwegen aushalten.«

»Nun, das sind alles Meinungen«, antwortete Lukas, »die eigentlich vor den Theologen und Doktor gehören, ich verstehe davon nichts. – Ich wollte vorher, Meister Albrecht, eine andre Frage an Euch tun. – Es hat mir immer sehr an Euren Bildern gefallen, daß Ihr manchmal die neuern Trachten auch in alten Geschichten abkopiert, oder daß Ihr Euch ganz neue wunderliche Kleidungen ersinnt. Ich habe es ebenfalls nachgeahmt, weil es mir sehr artlich dünkte.«

Albrecht antwortete: »Ich habe dergleichen immer mit überlegtem[774] Vorsatze getan, weil mir dieser Weg kürzer und besser schien, als die antikischen Trachten eines jeden Landes und eines jeden Zeitalters zu studieren. Ich will ja den, der meine Bilder ansieht, nicht mit längst vergessenen Kleidungsstücken bekannt machen, sondern er soll die dargestellte Geschichte empfinden. Ich rücke also die biblische oder heidnische Geschichte manchmal meinen Zuschauern dadurch recht dicht vor die Augen, daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten lasse, in denen sie sich selber wahrnehmen. Dadurch verliert ein Gegenstand das Fremde, besonders da unsre Tracht, wenn man sie gehörig auswählt, auch malerisch ist. Und denken wir denn wohl an die alte Kleidungsart, wenn wir eine Geschichte lesen, die uns rührt und entzückt? Würden wir es nicht gerne sehen, wenn Christus unter uns wandelte, ganz wie wir selber sind? Man darf also die Menschen nur nicht an das sogenannte Kostüm erinnern, so vergessen sie es gerne. Die Darstellung der fremden Gewänder wird überdies in unsern Gemälden leicht tot und fremd, denn der Künstler mag sich gebärden wie er will, die Tracht setzt ihn in Verlegenheit, er sieht niemand so gehen, er ist nicht in der Übung, diese Falten und Massen zu werfen, sein Auge kann nicht mitarbeiten, die Imagination muß alles tun, die sich dabei doch nicht sonderlich interessiert. Ein Modell, auf dem man die Gewänder ausspannt, wird nimmermehr das tun, was dem Künstler die Wirklichkeit leistet. Außerdem scheint es mir gut, wie ich auch immer gesucht habe, die Tracht der Menschen physiognomisch zu brauchen, so daß sie den Ausdruck und die Bedeutung der Figuren erhöht. Daher mache ich oft aus meiner Einbildung Gewand und Kleidung, die vielleicht niemals getragen sind. Ich muß gestehen, ich setze gern einem wilden bösen Kerl eine Mütze von seltsamer Figur aufs Haupt, und gebe ihm sonst im Äußern noch ein Abzeichen; denn unser höchster Zweck ist ja doch, daß die Figuren mit Hand und Fuß und dem ganzen Körper sprechen sollen.«

»Ich bin darin völlig Eurer Meinung«, sagte Lukas, »Ihr werdet gefunden haben, daß ich diese Sitte auch von Euch angenommen habe; nur habt Ihr wohl mehr als ich darüber nachgedacht. Auch in manchen Sachen, die ich von Raffael Sanzius gesehn habe, habe ich etwas Ähnliches bemerkt.«

»Wozu«, rief Albrecht aus, »die gelehrte Umständlichkeit, das genaue Studium jener alten vergessenen Tracht, die doch immer nur Nebensache bleiben kann und muß? Wahrlich, ich habe einen zu großen Respekt vor der Malerei selbst, um auf derlei Erkundigungen[775] großen Fleiß und viel Zeit zu verwenden, vollends, da wir es doch nie recht akkurat erreichen mögen.«

»Trinkt, trinkt«, sagte Lukas, indem er die leeren Gläser wieder füllte, »und sagt mir dann, wie es kömmt, daß Ihr Euch mit so gar mancherlei Dingen abgebt, von denen man glauben sollte, daß manche Eures hohen Sinnes unwürdig sind. Warum wendet Ihr so viele Mühseligkeit an, Geschichten fein und zierlich in Holz zu schneiden, und dergleichen?«

»Ich weiß es selbst nicht recht, wie's zugeht«, antwortete ihm Albrecht. »Seht, Freund Lukas, der Mensch ist ein wunderliches Wesen; wenn ich darüber zuweilen gedacht habe, so ist mir immer zu Sinne gewesen, als wenn der wunderbarliche Menschengeist aus dem Menschen herausstrebte, und sich auf tausend mannigfaltigen Wegen offenbaren wollte. Da sucht er nun herum, und trifft beim Dichter nur die Sprache, beim Spielmann eine Anzahl Instrumente mit ihren Saiten, und beim Künstler die fünf Finger und Farben an. Er probiert nun wie es gelingt, wenn er mit diesen unbeholfenen Werkzeugen zu hantieren anfängt, und keinmal ist es ihm recht, und doch hat er immer nichts Besseres. Mir hat der Himmel ein gelassenes Blut geschenkt, und darum werde ich niemals ungeduldig. Ich fange immer wieder etwas Neues an, und kehre immer wieder zum Alten zurück. Wenn ich etwas Großes male, so befällt mich gewöhnlich nachher das Gelüst, etwas recht Kleines und Zierliches in Holz zu schnitzeln, und ich kann nachher tagelang sitzen, um die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern. Ebenso geht es mir mit meinen Kupferstichen. Je mehr Mühe ich darauf verwende, je lieber sind sie mir. Dann suche ich wieder freier und schneller zu arbeiten, und so wechsele ich in allerhand Manieren ab, und jede bleibt mir etwas Neues. Die Liebe zum Fleiß und zur Mühseligkeit scheint mir überdies etwas zu sein, was uns Deutschen angeboren ist; es ist gleichsam unser Element, in dem wir uns immer wohlbefinden. Alle Kunstwerke, die Nürnberg aufzuweisen hat, tragen die Spuren an sich, daß sie der Meister mit sonderbarer Liebe zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig vernachlässigte und gering schätzte; und ich mag dasselbe wohl von dem übrigen Deutschlande und auch von den Niederlanden sagen.«

»Aber warum«, fragte Lukas, »habt Ihr nun Eurem Schüler Sternbald da nicht abgeraten, nach Italien zu gehn, da er doch gewiß bei Euch seine Kunst so hoch bringen kann, als es ihm nur möglich ist?«[776]

Franz war begierig, was Dürer antworten würde. Dieser sagte: »Eben weil ich an dem zweifle, was Ihr da behauptet, Meister Lukas. Ich weiß es wohl, daß ich in meiner Wissenschaft nicht der Letzte bin; aber es würde töricht sein, wenn ich dafürhalten wollte, daß ich alles geleistet und entdeckt hätte, was man in der Kunst vollbringen kann. Glaubt Ihr nicht, daß es den künftigen Zeiten möglich sein wird, Sachen darzustellen, und Geschichten und Empfindungen auszudrücken, auf eine Art, von der wir jetzt nicht einmal eine Vorstellung haben?«

Lukas schüttelte zweifelhaft mit dem Kopfe.

»Ich bin sogar davon überzeugt«, fuhr Albrecht fort, »denn jeder Mensch leistet doch nur das, was er vermag; ebenso ist es auch mit dem ganzen Zeitalter. Erinnert Euch nur dessen, was wir vorher über die Erfindung gesprochen haben. Dem alten Wohlgemuth würde das Ketzerei geschienen haben, was ich jetzt male, so würde Euer Lehrer Engelbrecht schwerlich wohl auf die Erfindungen und Manieren verfallen sein, die Euch so geläufig sind. Warum sollen unsre Schüler uns nun nicht wieder übertreffen?«

»Was hätten wir aber dann mit unsrer Arbeit gewonnen?« rief Lukas aus.

»Daß sie ihre Zeit ausfüllt«, sagte Dürer gelassen, »und daß wir sie gemacht haben. Weiter wird es niemals einer bringen. Jedes gute Bild steht da an seinem eigenen Platze, und kann eigentlich nicht entbehrt werden, wenn auch viele andre in andern Rücksichten besser sind, wenn sie auch Sachen ausdrücken, die man auf jenem Bilde nicht antrifft. Ja oft geht man rückwärts, indem man vorschreitet, vor einiger Zeit sah ich ein altes Bild Wohlgemuths wieder, und eine solche Lieblichkeit und zarte Rührung glänzten mich daraus an, wie ich mir nie getraue, hervorzubringen, weil meine Weise wohl stärker und härter ist.«

»Ja, ja«, sagte Lukas still vor sich hin, »da mag was dran sein, hat doch einer sogar einmal behauptet, meine Bilder dürften sich mit denen des alten Johann von Eyck nicht messen. Wer weiß, welche sonderbare Werke und kunterbunte Meinungen nach uns in der Welt entstehen!«

»Ich habe mich immer darin gefunden«, fuhr Dürer fort, »daß vielleicht mancher zukünftige Maler von meinen Gemälden verächtlich sprechen mag, daß man meinen Fleiß, und auch wohl mein Gutes daran verkennt. Viele machen es schon jetzt mit denen Meistern nicht besser, die vor uns gewesen sind, sie sprechen[777] von ihren Fehlern, die jedem in die Augen fallen, und sehn ihr Gutes nicht; ja es ist ihnen unmöglich, das Gute daran zu sehn. Aber auch dieses Lästern rührt bloß vom bessern Zustande unsrer Kunst her, und darum müssen wir uns darüber nicht erzürnen. Und deshalb sehe ich es gerne, daß mein lieber Franz Italien besucht, und alle seine denkwürdige Kunstsachen recht genau betrachtet, eben weil ich viel Anlage zur Malerei bei ihm bemerkt habe. Aus wem ein guter Maler werden soll, der wird es gewiß, er mag in Deutschland bleiben oder nicht. Aber ich glaube, daß es Kunstgeister gibt, denen der Anblick des Mannigfaltigen ungemein zustatten kömmt, in denen selbst neue Bildungen entstehn, wenn sie das Neue sehen, die eben dadurch vielleicht ganz neue Wege auffinden, die wir noch nicht betreten haben, und es ist möglich, daß Sternbald zu diesen gehört. Laßt ihn also immer reisen, denn so viel älter ich bin, wirkt doch jede Veränderung, jede Neuheit noch immer auf mich. Glaubt nur, daß ich selbst auf dieser Reise zu Euch viel für meine Kunst gelernt habe. Wenn Franz auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt, und durch sein Lernen in der eigentlichen Arbeit gestört wird, (und ich glaube wohl, daß sein sanftes Gemüt dem ausgesetzt ist) so wird er doch gewiß dergleichen überstehn, und nachher aus diesem Zeitpunkte einen desto größern Nutzen ziehn.« – Dürer erzählte, daß er über das Dorf gereiset sei, in welchem Sternbalds Pflegemutter wohnte, er hatte das neue Altarblatt betrachtet, und lobte, bis auf einige Verzeichnungen, alles, vorzüglich den Gedanken der doppelten Beleuchtung, der ihm selber neu und unerwartet gewesen, er erinnerte sich die fromme Rührung, die aus der stillen Lieblichkeit des Bildes hervorgehe. »Wahrlich«, so beschloß er, »mein lieber Franz, du hast schon jetzt übertroffen, was ich von dir erwarten konnte, und ich freue mich inniglich, daß ich einen solchen Schüler gezogen habe.«

So große Worte waren über den armen Franz noch niemals ausgesprochen, darum wurde er schamrot; aber innerlich war er so erfreut, so überglücklich, daß sich gleichsam alle geistigen Kräfte in ihm auf einmal bewegten und nach Tätigkeit riefen. Er empfand die Fülle in seinem Busen, und ward von den mannigfaltigsten Gedanken übermeistert.

Lukas, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, brach eine neue Weinflasche an, und ging selber mit lustigen Gebärden um den Tisch, um allen einzuschenken. Fröhlich rief er aus: »Laßt uns munter sein, solange dies irdische Leben dauert, wir wissen ja so nicht, wie lange es währt!«[778]

Albrecht trank und lachte. »Ihr habt ein leichtes Gemüt, Meister«, sagte er scherzend, »Euch wird der Gram niemals etwas anhaben können.«

»Wahrlich nicht!« sagte Lukas, »solange ich meine Gesundheit und mein Leben fühle, will ich guter Dinge sein, mag es hernach werden wie es will. Mein Weib, Essen und Trinken und meine Arbeit, seht, das sind die Dinge, die mich beständig vergnügen werden, und nach etwas Höherem strebe ich gar nicht.«

»Doch«, sagte Meister Albrecht ernsthaft, »die geläuterte wahre Religion, der Glaube an Gott und Seligkeit.«

»Davon spreche ich bei Tische niemals«, sagte Lukas. – »Aber so seid Ihr ein größerer Ketzer als ich.« – »Mag sein«, rief Lukas, »aber laßt die Dinge fahren, von denen wir ohnehin so wenig wissen können. Oft mag ich gern arbeiten, wenn ich so recht fröhlich gewesen bin. Wenn der Wein noch in den Adern und im Kopfe lebendig ist, so gelingt der Hand oft ein kühner Zug, eine wilde Gebärde weit besser, als in der nüchternen Überlegung. Ihr erlaubt mir wohl, daß ich nach Tische eine kleine Zeichnung entwerfe, die ich schon seit lange habe ausarbeiten wollen; nämlich den Saul, wie er seinen Spieß nach David wirft. Mich dünkt, ich sehe den wilden Menschen jetzt ganz deutlich vor mir, den erschrocken David, die Umstehenden und alles.«

»Wenn Ihr wollt«, sagte Dürer, »so mögt Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehn, da Ihr den kühnen Entschluß einmal gefaßt habt. Mir vergönnt im Gegenteil einen kleinen Schlaf, denn ich bin noch müde von der Reise.«

Jetzt ward der Tisch aufgehoben. – Lukas führte den Albrecht zu einem Ruhebette; die beiden Frauen gingen in ein anderes Zimmer, um sich nun ungestört allerhand zu erzählen, der fremde Gast eilte in die Stadt an sein Geschäft, und Lukas begab sich nach seiner Werkstätte.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 766-779.
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