2. Francesco an Adriano

[594] Rom.


Mich freut das Zutrauen, das Sie in Ihrem Briefe zeigen, ich kann Ihnen nichts weiter darauf antworten, als daß ich glaube, Sie haben recht, und daß ich sogar darauf schwören wollte, daß Sie recht haben. – Sie kennen mich sehr gut, wenn Sie meinen, daß ich im stillen ebenso wie Sie über Andrea gedacht habe, aber ich gestand mir selbst nicht, wie ich dachte, es war mir grade so wie einem, der sich selbst gern eine Krankheit ableugnen möchte, um sich nur eine langweilige, mühselige Kur zu ersparen. Nun ich aber die erste Medizin genommen habe, kann ich unmöglich wieder zurücktreten, ohne alles zu verderben.

So wie man sich an alles in der Welt gewöhnt, so hatte ich mich auch daran gewöhnt, unsern Andrea zu bewundern; ich schob dabei immer die Schuld auf mich, wenn mir mancherlei an ihm seltsam und abenteuerlich vorkam. – Man kann wirklich annehmen, daß wir, so wie Andrea und alle Menschen, in einem gewissen Grade wahnsinnig oder toll sind, wir glauben es aber[594] nur von denen, bei denen diese Tollheit eine solche Konsistenz erhalten hat, daß sie zur sichtbaren Einheit wird und daß man sie als ein seltsames Kunstwerk betrachten kann. Aber jedermann hat irgend etwas an sich, das wahrhaftig nicht im mindesten mit seinem ordinären, sogenannten Verstande zusammenhängt. Ich habe Leute gesehen, die Geschmack hatten und die abgeschmacktesten verschimmelten Scharteken mit einem solchen Eifer zusammenkauften, als wenn es ihre Lieblingsschriftsteller gewesen wären; andere, die philosophische Schriften über alles rühmten und von einigen behaupteten, daß man sie nicht oft genug lesen könne, die sie aber nie lasen; Freigeister gibt es, die vor ihrem Schatten zittern, Abergläubische, die so handeln, als wenn kein Gott wäre. Es ist als wenn dieser Kampf von ungleichartigem Wesen in uns das hervorbrächte, was wir einen gewöhnlichen Menschen nennen; wer von dieser Komposition abweicht, auf der einen oder andern Seite ausschweift und alle Tollheit oder allen Verstand in sich erstickt, der ist einer von jenen ungewöhnlichen Menschen, die wir wohl anstaunen, aber nicht begreifen können, einer von jenen schrecklichen Magiern, die wir in Felsenschlüften, oder in Tollhäusern besuchen; wir übrigen stehn am Kreuzwege zwischen einem Heiligen und einem Wahnsinnigen. – So macht ich mir im Andrea jenes Närrische zum Menschlichen, und fand ihn darum nur um so liebenswürdiger, es war das, was seine Glorie verdunkelte, die wahre Narrenkappe, an der man den Menschen von den Tieren und den Engeln unterscheiden kann.

Andrea gab dem kalten, einfachen Menschen sehr viele Blößen. Er geht mit seinen sogenannten Freunden auf eine seltsame Art um, er scheint selbst mutwillig das von sich zu entfernen, was man Zutrauen und Wohlwollen nennt, um es dann doch auf einem andern mühseligern Wege wiederzusuchen; er ließ uns in Zweifel, ob wir seine Geistererscheinungen für Spaß oder Ernst nehmen sollten, aber alles dies schrieb ich auf die Rechnung der schon oft erwähnten Tollheit, die mich nach und nach ansteckte, so daß sie mir am Ende gar nicht mehr seltsam vorkam, sosehr sie mir auch im Anfange aufgefallen war. – Jetzt aber bin ich ganz und gar Ihrer Meinung, ich ahnde Plane und Maschinerien, und dies wird mich bewegen, mich ebenfalls von Andrea zurückzuziehn. – Wenn es nur möglich ist! Ich bin zu bequem, um große Schritte zu tun und die kleinen dienen bei einem solchen Menschen nur dazu, uns ihm wieder näherzubringen. – Wir sollten an Rosa schreiben, vielleicht daß er uns die besten Winke[595] geben könnte, da er immer mit Andrea am vertrautesten gewesen ist.

Lovell ist mir immer als ein Narr vorgekommen, aber seine Narrheit ist eine tragische, und das tut mir um so mehr leid, da ich ihm gut bin.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 594-596.
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