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[291] Lebenssinn, Durst nach Glückseligkeit, und Wahrheitstrieb sind die leisen Ahnungen unserer Fortdauer.
Ausgestattet ist der Mensch mit einem, weit über dies Dasein hinausreichenden, Lebenstriebe, der ihn, Befriedigung suchend, durch Gefahren hinreißt; und immer ist ein entferntes Dort, woran seine Erwartungen hängen.
Die höchste Anstrengung seiner Thätigkeitskraft und die Unzufriedenheit, selbst im Besitze des reichhaltigsten Daseins, bezieht sich auf Lebenserweiterung, für welche kein Opfer ihm zu groß ist. Ja, er verschmäht es nicht, das Schattenleben eines Totenmahles in seine Phantasie aufzunehmen. Sein Wahn, seine Thorheiten sind verzerrte Schattenbilder dieser Sehnsucht, deren Ansprüche selbst die Vernunft vertritt.
Ebenso über die Grenze dieses Daseins hinausgreifend ist das Ringen des Menschen nach Glückseligkeit. Er fühlt tief, daß er sie bedarf, und daß sie ihm mangelt. Daher seine Unbeständigkeit. Vergebens sucht er überall den Himmel seines Herzens auf. Es häufe sich um ihn der Überfluß aller Lebensgüter: er besitzt die Glückseligkeit nicht. Aus der Unendlichkeit strahlt sie herab, wie das Leuchten der Wahrheit.
Dieses Leuchten der Wahrheit endlich, dieser Reiz der Erkenntnis reget den Forschertrieb auf; er erhebet sich, und steht vor einer unerschöpflichen Fülle. Der Eintritt in das Gebiet der Unermeßlichkeit ist schon hier ihm eröffnet, und läßt ein ewig fortschreitendes Leben der Erkenntnis ihn ahnen. Welch ein bedeutender Fortschritt der gesamten Menschheit ist es, der sich zwischen der rohen Menschennatur und der feinen Griechenkultur wahrnehmen läßt! Die Weisen der Vorzeit sind Morgensterne eines heraufdämmernden Tages; und jeder tiefere Blick in das Heiligtum der Wahrheit ist ein aufgehendes Morgenrot, welches der lichtvolleren Zukunft vorausgeht. Der Genius der Zukunft tritt in den Stunden der Einsamkeit tröstend vor die Seele; und wie aus fernem Nebel dämmert das Land unsrer Hoffnung empor.
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Urania
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