XXIII

[149] In diesem Augenblick trat schnellen Schrittes Graf Rastoptschin in den Saal, in Generalsuniform, ein Ordensband um die Schulter, mit seinem vorstehenden Kinn und den rasch umherblickenden Augen. Der Haufe der Adligen trat auseinander, und Rastoptschin blieb vor ihnen stehen.

»Seine Majestät der Kaiser wird sogleich hier sein«, sagte er. »Ich komme soeben von ihm. Ich bin der Ansicht, daß in der Lage, in der wir uns befinden, lange Erörterungen nicht am Platze sind. Der Kaiser hat geruht, uns und die Kaufmannschaft zusammenzurufen. Von dort werden die Millionen fließen« (er wies nach dem Saal der Kaufleute hin), »uns aber fällt es zu, die Landwehr zu stellen und uns selbst dabei nicht zu schonen ... Das ist das wenigste, was wir tun können!«[149]

Nun begannen die Beratungen, aber nur unter den Magnaten, die am Tisch saßen. Die ganze Beratung verlief mehr als ruhig. Es machte sogar einen trübseligen Eindruck, als nach all dem vorhergegangenen Gerede und Geschrei sich nun einzeln die Stimmen der Greise vernehmen ließen, von denen der eine sagte: »Ich stimme bei«, ein anderer zur Abwechslung: »Ich bin derselben Meinung«, usw.

Der Sekretär wurde beauftragt, den Beschluß des Moskauer Adels niederzuschreiben: die Moskauer brächten, ebenso wie die Smolensker, zehn Mann von je tausend Seelen dar, samt vollständiger Ausrüstung. Die Herren Beisitzer erhoben sich wie mit einem Gefühl der Erleichterung, schoben polternd die Stühle zurück und gingen, um sich die Füße zu vertreten, im Saal umher, wobei sie den einen oder den andern unter den Arm faßten und sich mit ihm unterhielten.

»Der Kaiser, der Kaiser!« ging plötzlich ein Ruf durch die Säle, und die ganze Menge stürzte nach dem Eingang zu.

Auf dem schnell gebildeten breiten Gang, den rechts und links dichte Wände von Adligen einsäumten, betrat der Kaiser den Saal. Auf allen Gesichtern malte sich respektvolle, ängstliche Neugier. Pierre stand ziemlich fern und war nicht imstande, genau zu verstehen, was der Kaiser sagte. Aus dem, was er hörte, entnahm er nur, daß der Kaiser von der Gefahr sprach, in der sich der Staat befinde, und von den Hoffnungen, die er auf den Moskauer Adel setze. Dem Kaiser antwortete eine andere Stimme, die ihm den soeben gefaßten Beschluß des Adels mitteilte.

»Meine Herren!« sagte die zitternde Stimme des Kaisers.

Einen Augenblick lang ging eine Bewegung und ein Flüstern durch die Menge; dann wurde wieder alles still, und Pierre hörte deutlich die so angenehm menschlich klingende, gerührte Stimme des Kaisers, welche sagte:[150]

»Ich habe nie an dem Eifer des russischen Adels gezweifelt. Aber heute hat er meine Erwartungen übertroffen. Ich danke Ihnen im Namen des Vaterlandes. Meine Herren, lassen Sie uns handeln; die Zeit ist sehr kostbar ...«

Der Kaiser schwieg; die Menge drängte sich um ihn herum, und von allen Seiten erschollen enthusiastische Ausrufe.

»Ja, sehr kostbar ... Das ist ein Kaiserwort!« sagte schluchzend vom Hintergrund her die Stimme Ilja Andrejewitschs, der nichts ordentlich gehört, aber alles auf seine Art verstanden hatte.

Aus dem Saal des Adels begab sich der Kaiser in den Saal der Kaufleute. Er verweilte dort ungefähr zehn Minuten. Pierre mit einigen andern sah den Kaiser, als dieser aus dem Saal der Kaufmannschaft mit Tränen der Rührung in den Augen herauskam. Wie man nachher erfuhr, hatte der Kaiser seine Ansprache an die Kaufleute kaum begonnen gehabt, als ihm die Tränen aus den Augen gestürzt waren; mit zitternder Stimme hatte er dann zu Ende gesprochen. Als Pierre den Kaiser sah, trat dieser gerade, von zwei Kaufleuten begleitet, aus dem Saal. Den einen kannte Pierre: es war ein dicker Branntweinpächter; der andere war der Bürgermeister, mit magerem, gelblichem Gesicht und schmalem Bart. Beide weinten. Dem Mageren standen die Tränen nur in den Augen; aber der dicke Branntweinpächter schluchzte wie ein Kind und wiederholte fortwährend:

»Euer Majestät, nimm unser Leben und unser Vermögen!«

Pierre hatte in diesem Augenblick keine andere Empfindung als den Wunsch, zu zeigen, daß ihm kein Opfer zu groß und er bereit sei, alles hinzugeben. Er machte sich gewissermaßen Vorwürfe wegen seiner Rede mit der konstitutionellen Tendenz und suchte nach einer Gelegenheit, das wiedergutzumachen. Als er erfuhr, daß Graf Mamonow ein Regiment stelle, erklärte[151] Besuchow dem Grafen Rastoptschin sofort, er werde tausend Mann geben und die Unterhaltungskosten tragen.

Der alte Rostow konnte seiner Frau das, was sich begeben hatte, nicht ohne Tränen erzählen, erklärte sofort seine Einwilligung zu Petjas Bitte und fuhr selbst hin, um dessen Einschreibung zu bewirken.

Am folgenden Tag reiste der Kaiser wieder ab. Alle die Adligen, die an der Versammlung teilgenommen hatten, zogen ihre Uniformen aus, machten es sich wieder bei sich zu Hause und in den Klubs bequem, gaben unter vielem Räuspern ihren Verwaltern die nötigen Anweisungen über die Landwehr und wunderten sich über das, was sie getan hatten.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922, Band 3, S. 149-152.
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