V

[26] Davout war der Araktschejew des Kaisers Napoleon – kein Feigling wie Araktschejew, aber ebenso diensteifrig und hart und ebensowenig wie jener imstande, seine Anhänglichkeit an den Herrscher anders als durch Härte und Grausamkeit zum Ausdruck zu bringen.

In dem Mechanismus des Staatswesens sind solche Menschen ebenso notwendig wie die Wölfe in der gesamten Einrichtung der Natur; auch sie sind immer vorhanden, kommen immer wieder zum Vorschein und behaupten sich, wie ungehörig es auch scheinen mag, daß sie überhaupt existieren und sich der obersten Regierungsgewalt so nahe befinden. Nur aus dieser Notwendigkeit läßt es sich erklären, daß Araktschejew, ein Mann von solcher[26] Grausamkeit, daß er eigenhändig den Grenadieren die Schnurrbärte ausriß, dabei von so schwachen Nerven, daß er keine Gefahr ertragen konnte, ein Mensch ohne Bildung und ohne höfische Gewandtheit, dennoch so lange bei dem ritterlich edlen, zartfühlenden Alexander einen solchen Einfluß behaupten konnte.

Balaschow traf den Marschall Davout in einem Schuppen, der zu einem Bauernhaus gehörte; der Marschall saß auf einem kleinen Faß und war mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt: er revidierte Rechnungen. Ein Adjutant stand neben ihm. Es wäre mit Leichtigkeit möglich gewesen, ein besseres Unterkommen zu finden; aber der Marschall Davout war einer von den Menschen, die sich absichtlich in die verdrießlichsten Lebensverhältnisse versetzen, um ein Recht zu haben verdrießlich zu sein. Und zu demselben Zweck arbeiten solche Menschen auch immer eilig und hartnäckig. »Wie kann ich hier an die freundliche Seite des menschlichen Lebens denken, wenn ich, wie Sie sehen, in einem schmutzigen Schuppen auf einem Faß sitzen und arbeiten muß«, sagte seine Miene. Das größte Vergnügen und geradezu ein Bedürfnis ist es für solche Leute, wenn sie mit einem lebensfrohen Menschen zusammenkommen, diesem ihre eigene mürrische, eigensinnige Tätigkeit vorwurfsvoll vor Augen zu halten. Dieses Vergnügen machte sich Davout, als Balaschow zu ihm geführt wurde. Er vertiefte sich noch mehr in seine Arbeit, als der russische General zu ihm hereingeführt wurde, warf zwar durch die Brille einen Blick nach Balaschows Gesicht, das unter der Einwirkung des schönen Morgens und des Gesprächs mit Murat einen frischen, lebhaften Ausdruck zeigte, stand aber nicht auf und rührte sich nicht einmal, sondern zog die Augenbrauen noch finsterer zusammen und lächelte grimmig.

Als er dann auf Balaschows Gesicht den üblen Eindruck wahrnahm,[27] den ein solcher Empfang bei diesem hervorrief, hob er den Kopf in die Höhe und fragte kalt, was er wünsche.

In der Voraussetzung, dieser Empfang könne ihm nur deswegen bereitet werden, weil Davout nicht wisse, daß er Generaladjutant des Kaisers Alexander und sogar dessen Repräsentant dem Kaiser Napoleon gegenüber sei, beeilte sich Balaschow, den Marschall von seinem Stand und seiner bedeutsamen Mission in Kenntnis zu setzen. Aber gegen seine Erwartung wurde Davout, als er diese Mitteilungen hörte, nur noch mürrischer und gröber.

»Wo haben Sie denn Ihren Brief?« fragte er. »Geben Sie ihn her, ich werde ihn dem Kaiser schicken.«

Balaschow erwiderte, er habe Befehl, den Brief persönlich dem Kaiser selbst zu übergeben.

»Die Befehle Ihres Kaisers werden bei Ihrem Heer befolgt; aber hier«, entgegnete Davout, »haben Sie zu tun, was Ihnen gesagt wird.«

Und als ob er den russischen General seine Abhängigkeit von der rohen Gewalt noch mehr empfinden lassen wollte, schickte Davout seinen Adjutanten weg, um den diensttuenden Offizier zu rufen.

Balaschow zog das Kuvert hervor, in dem das Schreiben des Kaisers enthalten war, und legte es auf den Tisch; dieser Tisch bestand aus einer auf zwei Tonnen gelegten Tür, an der noch die ausgerissenen Haspen saßen. Davout nahm den Brief und las die Adresse.

»Sie sind vollkommen berechtigt, mir Achtung zu bezeigen oder zu versagen, wie es Ihnen gut scheint«, sagte Balaschow. »Aber gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ich die Ehre habe, die Stellung eines Generaladjutanten Seiner Majestät zu bekleiden.«

Davout blickte ihn schweigend an, und es machte ihm offenbar[28] Vergnügen, auf Balaschows Gesicht eine gewisse Erregung und Verstimmung wahrzunehmen.

»Was Ihnen gebührt, wird Ihnen nicht vorenthalten werden«, antwortete er, schob den Brief in die Tasche und verließ den Schuppen.

Gleich darauf erschien der diensttuende Adjutant des Marschalls, ein Herr de Castré, und führte Balaschow in das für ihn bestimmte Quartier.

Zu Mittag speiste Balaschow an diesem Tag mit dem Marschall in dem Schuppen, an jener über die Fässer gelegten Brettertür.

Am andern Tag ritt Davout frühmorgens weg. Vorher ließ er Balaschow zu sich rufen und sagte ihm mit großem Nachdruck, er ersuche ihn, hierzubleiben und, wenn dazu Befehl kommen sollte, mit der Bagage weiterzugehen und mit niemandem als mit Herrn de Castré zu sprechen.

Nach vier Tagen der Einsamkeit, der Langeweile und des peinlichen Gefühls der Abhängigkeit und Machtlosigkeit, das für ihn deshalb besonders drückend war, weil er ganz vor kurzem selbst zu den Vielvermögenden gehört hatte, und nach mehreren Märschen mit der Bagage des Marschalls und den französischen Truppen, die die ganze Gegend anfüllten, wurde Balaschow endlich nach Wilna gebracht, das jetzt von den Franzosen besetzt war, und zwar unter demselben Schlagbaum hindurch, durch den er vier Tage vorher ausgeritten war.

Am andern Tag kam der kaiserliche Kammerherr de Turenne zu Balaschow und teilte ihm mit, Kaiser Napoleon wolle ihm eine Audienz gewähren.

Vier Tage vorher hatten vor demselben Haus, nach dem Balaschow gebracht wurde, Schildwachen des Preobraschenski-Regiments gestanden; jetzt waren dort zwei französische Grenadiere[29] in blauen auf der Brust aufgeknöpften Uniformen und zottigen Mützen postiert, und eine Eskorte von Husaren und Ulanen und eine glänzende Suite von Adjutanten, Pagen und Generalen standen vor der Haustür um Napoleons Reitpferd und seinen Mamelucken Rustan herum und warteten auf das Herauskommen des Kaisers. Napoleon empfing Balaschow in demselben Haus in Wilna, aus welchem ihn Alexander abgeschickt hatte.

Quelle:
Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922, Band 3, S. 26-30.
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