Der deutsche Buchhändler

[160] Als vor einiger Zeit Ferdinand Avenarius versuchte, durch Einführung eines Dürerbund-Stempels Bücher erster und zweiter Klasse zu schaffen, wehrten sich die deutschen Buchhändler empört dagegen. Sie wollten nicht bevormundet sein. Sie wollten allein dem Käufer empfehlen und raten. Überhaupt seien sie es, denen die Kulturförderung obliege.

Sie liegt ihnen ob. Erfüllen sie ihre Obliegenheit? Nein.

Es klafft der Zwiespalt, Geld verdienen zu müssen und Kultur fördern zu wollen. Das Geldverdienen erschweren sie sich – das ist ihre Sache; die Kultur auf dem Büchermarkt wird durchaus nicht gefördert – das ist unsre Sache.

Was liegt denn hier vor? Doch wohl ein Geschäft, eine kapitalistische Institution, ein Gewerbe. Das Buch ist Ware. Gegen diesen Satz sträuben sie sich alle noch immer. Das Buch ist Ware, und wer sie verkauft, muß warenkundig sein, so wie der Rayonchef der Strumpf-Abteilung des ganz unpersönlichen Warenhauses viel von Strümpfen wissen muß. Das Buch ist Ware: ein Geisteswerk ist weder broschiert noch gebunden für sieben Mark zu haben. Aber eine gewisse mittelalterliche apothekerhafte[160] Schwerfälligkeit hat bis jetzt zu verhindern vermocht, daß alle die Einrichtungen eines modernen Kaufmannsbetriebes die Arbeit der Buchhändler erleichtern; ihre Abrechnungen sind kompliziert, unerhört verwickelt, und nicht einmal die Prozentberechnung ist überall durchgeführt. Der Verleger liefert dem Sortiment sechs Exemplare gegen Bezahlung und ein siebentes umsonst; das nennt man: 7/6, und da daneben die Prozentrechnung herläuft, so kann man sich einen Begriff machen, wie schwierig Gewinne auszukalkulieren sind. Die Buchhändlerkonten sind eine Kabbala, die jährliche Abrechnung eine sakrale Feierlichkeit, die nur erfahrene und würdige Greise nach den Regeln des Ritus zu verrichten vermögen. Ganz große Betriebe haben sich von diesen alten Gebräuchen losgemacht und arbeiten nach vernünftigen, rein kaufmännischen Prinzipien, unterscheiden sich in der Buchführung durch nichts von ihrem Nachbargeschäft, das mit Gasstrümpfen oder Papierkörben handelt. Und so soll es sein. Das Buch ist eine Ware.

Das sind Interna, aber ihr bekommt sie genugsam zu fühlen. So wie hinter den Kulissen die rege Betriebsamkeit fehlt, die das neue Gute erfaßt, wo sie es erwischen kann, so arbeitet vorn im Laden die Schläfrigkeit ungeschickter Sortimenter. Bevor ich fortfahre, möchte ich mich salvieren: es geht nicht gegen die einzelnen Buchhändler, die ehrenhaft und in bestem Glauben handeln – es geht gegen einen gewissermaßen sektiererischen Zug, der nicht in ihrem, nicht in unserm Interesse liegen kann. Sie wehren sich mit Händen und Füßen: sie sind doch Stehen geblieben. Hört! Ich brauche einen Zylinderhut. Ich gehe also in das Hutgeschäft, äußere dem Verkäufer meinen Wunsch, und er legt mir Zylinderhüte vor. Nun wird er mir genau sagen können, wie sich dieser trägt und jener, welche Nachteile dieser hat und welche Vorteile der andre. Wenn er ein guter Verkäufer ist, wird er mir sogar einen kleinen Rat geben können, ob mich der hohe besser kleidet oder der niedrige. Den Preis wird er auch wissen, denn der steht ja im Hut vermerkt. Ich möchte mir eine Literaturgeschichte kaufen. Aber wehe mir Armem, der ich nun in die Buchhandlung gehe. Dort weiß man nur den Preis der zwei dicken Bücher, die man auf Lager hat und dreier andrer, die im Katalog verzeichnet stehen. Man weiß auch (aber das geht mich nichts an), wie alle fünf Werke rabattiert werden. Und man wird mir sogar freundlich den Namen des Verlegers und des Verlagsortes mitteilen. Aus. Kein Wort über den Wert, über die innere Art des Buches. »Dieses Werk wird sehr viel gekauft.« Allenfalls dies noch oder ein paar allgemeine Redensarten.

Sollen also die Sortimenter alle Bücher lesen, die sie verkaufen? Alle gewiß nicht; aber sie sollen die Waren- und Fachkenntnis haben, in der ihnen jetzt jeder einigermaßen gebildete Literat über ist. Und wenn sie nicht jeder Verkäufer haben kann, weil dazu die Gehälter zu niedrig sind, so soll sie wenigstens einer im Laden haben, und es ist[161] nicht einzusehen, warum man nicht die Fächer unter die Verkäufer teilt und so, wie man heute schon einen Antiquar im Laden hat, auch einen Spezialisten für Belletristik, einen für Jura und einen für Kunst beschäftigt. Sie können das nicht bezahlen? Sie können es allerdings nicht, wenn das Sortimentergeschäft so wenig Gewinn abwirft wie jetzt. Und warum tut es das?

Eben wieder aus diesen Gründen: wir werden nicht angelockt, durch nichts gereizt. Unser zweifellos vorhandenes Bedürfnis nach Büchern wird nicht ausgenutzt. Man hat uns in den letzten Jahren sinn- und wahllos mit Büchern vollgestopft und wird uns vielleicht die Freude an schönen Büchern einmal stark vermindern. Aber man hat sich nie die Mühe gegeben, der jedes Spezialgeschäft andrer Gewerbe sich sorgfältig unterzieht: uns individuell und auf Grund einer großen Fachkenntnis mit dem bekannt zu machen, was der so reiche deutsche Büchermarkt jedem von uns zu bieten hat. Die deutschen Buchhändler sträuben sich – vielleicht mit Recht – gegen eine öffentliche Ausgabe ihres ›Buchhändler-Börsenblattes‹ (bei der man ja die Nettopreise fortlassen könnte). Es ist kein gutes Zeichen, daß wir alle neugierig nach diesem offiziellen Anzeiger greifen, wo wir ihn zu fassen bekommen: er zeigt uns stets zehn bis zwanzig interessante Neuheiten an, von denen uns niemand unterrichtet hat. Die Auslagen unsrer Sortimenter werden viel zu wenig ausgewechselt und enthalten ohne jede höhere Auswahl gut rabattierte Prachtwerke, das Sensationsbuch und Langweiliges durcheinander. In den Spezial-Buchhandlungen ist es schon besser: die Juristen und Mediziner wollen sehr gut bedient sein und verlangen von ihrem Buchhändler eine genaue Beherrschung seines engem Kreises, die wohl im allgemeinen vorzufinden ist. Die andern legen aus, was ihnen in die Hand kommt. Von einer systematischen Propagierung irgendwelcher Bücher – guter oder schlechter – ist nichts zu merken. Man hat sich erst in letzter Zeit dazu aufgeschwungen, den Kaufzwang in Buchhandlungen durch Einrichtung kleiner Lesezimmer aufzuheben, aber auch hier ist der Besucher meist auf sich selbst angewiesen und irrt ratlos im Labyrinth der Bücher.

Die deutschen Buchhändler dürfen sich in keiner Weise beklagen, daß Tausende und Tausende von Büchern, von wertvollen Büchern, einfach untergehen, denn sie wissen fast alle noch nicht einmal, an welches Publikum sie sich damit zu wenden haben, wie sie auf dieses Publikum einwirken müssen, was dieses Publikum eigentlich will. Aber die Autoren können jammern. Gewiß: es gehört ein Unmaß von Arbeit, es gehören sehr fein ausgebildete Registraturen und Kartotheken und es gehört, vor allem, eine ganz genaue literarische Fachkenntnis dazu, zwischen Buch und Käufer zu vermitteln. Aber schließlich verlangen wir auch von jedem Schlosser, daß er sein Gewerbe kennt. Dieser langweilige und wenig erträgliche Zustand ist soweit[162] gediehen, daß man, zum Beispiel, in der Buchabteilung eines großen berliner Warenhauses besser und sachgemäßer bedient wird als in mancher Sortimentsbuchhandlung.

Das darf nicht so weitergehen. Wenn die Buchhändler wirklich sich berechtigt glauben, gegen jede Bevormundung eines Dritten Protest einzulegen, dann müssen sie selbst aus einem Winterschlaf erwachen, der sie schon lange gefangen hält, und dem hoffentlich bald ein neuer Bücherfrühling folgen wird.


  • · Kurt Tucholsky
    Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 160-163.
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