Deutscher Abend

[196] Nun gönnt die Firma stillen Abendfrieden

dem Arbeitsmann, den Mädels, dem Kommis –

nun sitzt ganz Deutschland um den runden, lieben

gedeckten Tisch und sieht aufs Visavis.


Da liegt das Land: ganz schwarz und blau und dunkel.

Es klirrt der Wind im Telegrafendraht.

Ein gelbes Fenster grüßt dich mit Gefunkel:

hier spielt der Förster seinen Dauerskat.


Man hebt die Zeitung, läßt sie wieder sinken,

die Welt, ihr Lieben, geht den alten Lauf –

hieraufbezüglich kann man einen trinken,

die Pfeife qualmt, nun steigt der Mond herauf.[196]


Und hundert Mimen spreizen ihre Glieder,

und hundert Bürger füllen sich mit Bier . . .

Und hundert Mädchen summen kleine Lieder,

denn morgen, morgen muß er fort von hier.


O Herr, so wie wir hienieden krauchen,

so segne Land und Leute und Kompott.

Verlaß dich drauf: wir könnens brauchen,

wir könnens brauchen, lieber Gott!


  • · Theobald Tiger
    Die Schaubühne, 02.04.1914, Nr. 14, S. 397, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 196-197.
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