Papiernot

[272] Gewiß – es ist nicht immer schön gewesen

das aberwitzige Echo unsrer Zeit:

man konnte rechtsrum, konnte linksrum lesen

und war zum Schluß meist ebenso gescheit.

Die Presse schmückte stets mit neuen Funkelthesen

ihr Morgen-, Mittags- und ihr Abendkleid . . .

Und doch: ein Quentchen blieb – es war nicht viel,

ein Stückchen Bürgerfreiheit – kurz: ein Dampfventil.


Doch jetzt, im Krieg, schwillt des Geheimrats Weste,

er liebt die Einfachheit für die Nation,

und hilflos spricht er: »Es ist wohl das beste:

Ein Volk, Ein Heer, Ein Fölljetohn.

Spart nur Papier!« Doch mit empörter Geste

erhebt sich brüsk die Zeitungskonfektion:

»Der Fortschritt ist bedroht! das Volk! der Staat!«

Dahinter, riesengroß: das Inserat!


Das ist der deutsche Zustand. Und du, Zeitung,

du kleener Freiheitshut, wie stehst du da?

Noch hast du Platzzum Beispiel zur Verbreitung

von Kintopschwatz für ganz Christiania.

Es strömt bei Arras. Die Annoncen-Leitung

pflegt eifrig Gasthaus-Personalia . . .

Ob ihr genug Papier habt oder keins:

Ihr helft dem Land nicht!

Es ist alles eins.


  • · Theobald Tiger
    Die Schaubühne, 12.07.1917.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 272.
Lizenz:
Kategorien: