Berliner Kämpfe

[39] Revolution? Aber kein Gedanke!

Es brodelt im Hexenkessel der Panke,

es hupen die Autos, es knattern die Flinten,

Demonstrationen vorne und hinten –

Tun sie auch so wie die Menschenfresser:

die Panke war stets ein stilles Gewässer.[39]

Jahrelang – bängliches Zögern und Drehen.

Jahrelang – wir werden ja sehen!

Jahrelang – Krupp und Tirpitz sollen leben!

Jahrelang – rin in die Schützengräben!

Jahrelang – Reklamiertenschiß.

Kompromiß . . . und Kompromiß . . .

Jahrelang – Ausverkäufe an Sieg . . .

Sozialisierung? Krieg ist Krieg.


Und nun ist auf einmal Friede auf Erden.

Und nun soll das alles anders werden.

Wir hassen den bauchigen Kassenschrein.

Wir wollen alle glücklich sein!


Man kann sich über das Tempo zanken.

Nicht so bei uns an der blauen Panken.


Wenn die Regierung einen wie Liebknecht hätt!

Die Regierung aber sitzt auf dem Klosett

und berät wie früher in der Reichskanzlei,

was nunmehr und ob es zu tun sei.

Es erinnert an schlechteste alte Zeiten:

das Gesellschaftsspiel der Verantwortlichkeiten,

der deutsche Streit um die Kompetenz –

der alte politische Zirkus Renz.

Unterdessen schwillt der Spartakus

zur Macht empor, weil er will und muß.


Und der Bürger? Du liebe Güte!

Es wackeln im Wind die Zylinderhüte.

Er ist gegen jede Volksempörung.

Politik ist geschäftliche Störung.

Spartakus will seine Kasse bedrohn?

Das geht zu weit mit der Revolution.

Und wenn der Bürger noch zuschlagen wollte!

Es schläft Tante Minchen, es schläft Onkel Nolte . . .

Spartakus packt die Geschichte beim Schopf.

Der Bürger wackelt empört mit dem Kopf.


Und so stehn wir am Anfang und stehn am Ende.

Deutsches Blut floß über deutsche Hände.

»Lumpen! Deserteure! Proleten!«

So kann man dem Ding nicht entgegentreten.[40]


Ist Ruhe die erste Bürgerpflicht,

die von Empörern ist es nicht.

Gewalt gegen Gewalt, Kraft gegen Kraft:

das ist die alte Wissenschaft.

Weißt du, Deutscher, wie die neue heißt?

Gegen Gewalt den Geist!

Nur der Geist kann die Streitaxt begraben!


Aber freilich: man muß einen haben.


  • · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 16.01.1919, Nr. 3, S. 69, wieder in: Fromme Gesänge.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 39-41.
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