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[107] . . . fähigkeit der Exterritorialen. Diese Leute leben überall zwischen den Nationen: vertriebene Optanten, Auswandrer, Flüchtlinge, Menschen, die irgendeine Konferenz neu eingeteilt hat, das ist zunächst nur auf dem Papier so, dann wird die nächste Kreisstadt besetzt, es hagelt Verfügungen, es setzt Verfolgungen, man muß gehen, es hilft alles nichts, eine beliebige Stelle auf der Landkarte ist nun rot, die gestern noch blau war – wem tut das etwas? Sie sind nun jedenfalls da, und es ist erstaunlich, was sie leisten.
Wovon leben sie? Von ihrer Findigkeit. Sie, die mit der Wirts- oder Herbergsnation nicht gar so eng verkettet sind, sehen die Lücken, die dem Eingesessenen nicht auffallen. Es geht so rasch. Was vorgestern noch, hohlwangig, rußbedeckt, über und über mit Gepäck, Sorgen und Schmutz belastet, im rauchigen Coupé fuhr, kam gestern an und bewegt sich heute schon auf dem fremden Pflaster sicher und eilfertig. Und das Pflaster gibt nach! Die starre Ordnung der heimischen Dinge fängt an, sich dem fremden, kräftig zupackenden Bürgerabenteurer zu beugen . . . Wie machen sie es?
Woher haben sie ihre Papiere? Eine Ausfuhrbewilligung für ein deutsches Buch: das ist Abenteuer – für uns! – und ein ärgerliches dazu. Diese da haben es heraus. Sie warten stundenlang auf dumpfen Korridoren, gehen heute zerknirscht aus den Büros und kommen morgen wieder, verstehen es, Beamte tot zu reden und verwirrt zu machen, daß man ihnen schon gibt, was sie haben wollen, nur, um sie endlich los zu werden . . . Es ist erstaunlich. Die Not treibt sie. Und sie meistern das Leben.
Denn es ist lebenskräftig und lebenstüchtig, so mit den Dingen fertig zu werden. Sie fressen sich hindurch. Die Angehörigen jeder Nation auf ihre Art – sie alle bauen sich im Urwald der Zivilisation wacker an (und der ist gefahrdrohender als der wirkliche). Erstaunlich, wie unter ihnen die Russen immer ihr Heimatland, immer ›Rossija‹ mit sich herumtragen, schleppen, nie von ihm lassen! Wo Bismarck saß, war oben. Wo sie leben, ist Rußland. »Wäre da Rußland!« denken sie.
Es gibt also etwas, das viel stärker ist als der Staatsgedanke. Denn sie sind geflohen und trotzen ihm. Der lächerliche Schlagbaum, der hunderttausende Beamte ernährt und allen andern lästig ist, der sich vor Automobilen senkt und vor Postkutschen öffnet, den die Industrien benutzen und umgehen, und der etwas abschließt, was nur noch durch die Abschließung am Leben ist – der Schlagbaum ist blamiert. Sie kriechen drunter durch – sie beugen sich, um sich desto stolzer aufzurichten. Staat, wo ist dein Stachel? Menschen sind manchmal stärker als ein Staat.
[107] Die Wirts- und Herbergsvölker sind nicht immer erbaut von dem fremden Besuch. Neidisch und im Vollgefühl ihrer Schwäche klopfen sie dem menschlich Größern loyal auf die . . .
( . . . unleserliches Gekritzel.)