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[39] Humoristen haben aufeinander stets eine mächtige Wut. Hans Reimann und ich zum Beispiel – wir sind schrecklich höflich zusammen. Wenn wir uns sehen, lächeln wir uns an – (so, nach der Melodie: »Was an dem eigentlich komisch ist, das möchte ich auch mal wissen. Es muß wohl so eine Art Lokalberühmtheit sein . . . !«). Und dann grüßen wir uns wieder furchtbar freundlich. Nur wenn die Rede auf den großen Meister des unfreiwilligen. Humors kommt: auf Schlaikjers Erich – dann schweigen wir ehrfürchtig still. Denn da können wir alle beide nicht mit.
Was ich sagen wollte: Wißt ihr, was Nippes sind? Nippes ist, wenn man es als Kind entzweiwirft und man bekommt Prügel. Und wenn einer je – wie Pazaurek in Stuttgart – ein Gegenbeispiel-Zimmer aufbaut,[39] etwa einen sächsischen Salon: dann dürfen die ›Sächsischn Miniaturen‹, die Hans Reimann soeben im Verlag seines ›Drachen‹ (zu Leipzig, Königstraße 19) hat erscheinen lassen, nicht fehlen. Ich weiß nicht einmal, was sie kosten, aber für eine Mark mehr werdet ihr immer noch lachen, das ist gewiß.
Mit den Dialektschnurren ist das so eine Sache. Wer nicht in der Lokalität geboren ist, oder wer sich nicht sehr einfühlen kann, dem werden die ›Oberschlesischen Schnurren‹ von Felix Kondziolka, dem wird ›Jöä‹ von dem hannoveraner Théodore le Singe – dem werden Döntjes und Läuschen kein Lächeln ablocken. Erstens enthält das Heftchen den Extrakt Reimannscher Saxonica, und dieser wiederum enthält die Herzgose des sächsischen Börjers in Reinkultur.
Sachsen, ein Land, das in völliger Verkennung der Tatsachen nicht an den ›Feindbund‹ abgetreten worden ist, verrät zum Glück auch jedem Unkundigen seine Seele durch die Sprache. ›Seele‹ – ist übertrieben; aber ›Sprache‹ ist es auch. In letzter, formvollendeter Echtheit kann Reimann diese Mitteilungsart schriftlich wiedergeben. Man versteht die holden Laute überhaupt nur, wenn man sie sich selbst laut vorliest.
›De Gadze‹ und ›Schbießr‹ habe ich mir mindestens zehnmal laut vorgelesen. Ohne Lachen gings nie. Wie da mißtrauisch, gedankenfaul und lautreich immer einer um den andern herumredet, wie da aus nichts Gedanken wie Blasen heraufsteigen und zerplatzen: das ist ganz wundervoll beobachtet. Und mehr: mit jener epigrammatischen Verkürzung wiedergegeben, in der so etwas allein möglich ist.
Fast alles in dem Heftchen ist ganz erster Güte. Anekdoten, Witzchen – am nettesten fand ich jene, die, wie die Gegend, gar keine Spitze aufweisen; das Gespräch fängt an, rinnt so fort, hört auf . . . Brillant die Behandlung der Sprache; sie ist so ›pfleglich behandelt‹ (wie das unsre Hämorrhoidarier in den Kultusministerien nennen), daß man Hans Reimann auf ein Lährschdielchen für säcksche Rädeweise in Connewitz zu berufen denn doch nicht länger zögern dürfte.
Bevor die Redewendung erstrahlt: »Igloowe, srähjnd.« – »Siss awwr och gee Wundr bei dähn Wäddr!« – steht als Glanzleistung da: ›Baul Ball‹. Das ist mehr als Spaß.
Wie dieser Plattenbruder mitten in der Nacht, um zwei, sein Gespräch beginnt: »Guudr Mann, ich bin nähmlich ä Freigeist!« – und wie er dann sofort dazu übergeht, von seinen drei Operationen an der Hand und jener andern am Bein zu erzählen, und dann, wie er überhaupt geartet sei, an der Seele beispielshalber und am Garaggder: das erinnert in seiner Mischung von Herzensgüte, Gedankensprüngen und Besoffenheit an Hauptmanns Schluck. Diese Drucksachen sind beste Literatur.
Ein solches Buch, das ganze Landstriche erklärt und ihre Bewohner, Gott behüte, bis aufs Hemd auszieht, konnte nur einer illustrieren,[40] und der hats auch illustriert: George Grosz. Es war ein Fressen für ihn. Er hats noch sanft gemacht: milde wie der Beischlaf eines Kommandierenden Generals ist der Zeichenstift dahingefahren und hat dabei Sachsens Mann, Frau und Kind schonungslos getroffen. Der Spießer lacht gern über sich, wenn der Verlachte eine Generation zurückliegt, und niemand ist unter Bornierten freundlichen Applauses so gewiß wie der Spitzwegsche Kleinbürger. Grosz hat den von heute beim Kragen, bei der Krawatte, beim Bauch genommen – und der Schädel mit der Einbuchtung auf Seite 34 ist Helfferichs Gefolgsmann ein für alle Mal. Schade, daß er ›Die Jalousien‹, diese wundervolle Geschichte des Provinzklatsches, nicht bebildert hat.
Und um euch zum Schluß Laune zu machen, daß ihr das Heft beim Verlag des ›Drachen‹ bestellt – eine (fast koscher zubereitete) Rosine aus dem Guchen: »De Laadschn. Wemmr ä Baar Laadschn hadd, unn der eene iss weck unn mr hadd bloß den andrn – da nudzen een alle beede nischd!«