Hausbesitzer in der Loge

[482] Gleich wird das Theater beginnen – in der Loge vorn rechts sitzt ein hagerer Mann im Smoking. Er ist offenbar allein, er entfaltet sein Programm, er liest darin, sieht auf seine Armbanduhr. Dieser Mann ist mein Hausbesitzer.

Dieser Mann in der Loge rechts hat, besitzt, nennt zu eigen einen Teil der Allmutter Erde. Ein winziges Partikel der Oberfläche dieser mysteriösen Kugel gehört ihm, ist seins, stellt sein Eigentum dar. Nur der liebe Gott kann, in Form eines Blitzes oder eines Erdbebens, einer[482] Wasserhose oder eines Orkans, ihm gegen seinen Willen das Erdreich um und umwühlen. Gegen Menschen ist er gefeit. Er ist auch gegen Menschen gefeit, die kein Obdach haben, die hungern, frieren, deren Kinder sich aus der Mutter Schoß zwölf Monate langsam ins Grab husten, auch gegen Menschen, die, dreizehn in einem Zimmer, zusammengepfercht wohnen, alle polizeilich gemeldet, alle durchaus legal. Diese dürfen ihm nichts wegnehmen – das Grundstück ist seins.

Der Mann in der Loge hat auf diesem Grundstück ein Haus. Das Haus gehört ihm. Er hat es gekauft. Andre müssen wohnen, andre brauchen Steinwände um sich herum und ein Dach über dem Kopf, um ihren Geschäften nachzugehen, ihre Kinder aufzuziehen, abends Bücher zu lesen. Ich selbst, zum Beispiel, brauche dieses alles auch. Und weil wir es brauchen, deshalb sitzt mein Mann in der Loge.

Weil wir das brauchen, braucht er weniger zu arbeiten. Er kauft sich einen guten Anzug aus kräftigem wollenem Stoff. Seine Frau trägt kleine feine Stiefeletten. Seine Kinder haben einen schönen Schulranzen, mit einem vernickelten Schloß. Wir wohnen, und er hat Butter auf seinem Brot.

Stimmt im Programm etwas nicht? Der Hausbesitzer runzelt die Stirn. Ah – vielleicht hat er Sorgen! Vielleicht denkt er bei sich: »Wie mache ich nun diese langatmige Steuererklärung fertig, die mir der Staat da aufgebrummt hat! Sie muß geschrieben werden, in einem warmen, trockenen Zimmer geschrieben werden – das ist viel Arbeit. Wie kalkuliere ich die neue Fahrstuhlreparatur ein – ich muß sie noch einmal mit dem Architekten durchrechnen. Das ist viel Arbeit. Ich bin nicht auf Rosen gebettet. Ich schlafe auf Dornen, mein Trank ist Wermut, und meine Nahrung die Früchte des Feldes. Da unten sitzen die Leute, Mieter und Mieterinnen – sie glauben, es sei so einfach, ein Hausbesitzer zu sein. Wenn man die Rentabilität bedenkt . . . « Und während das Stück beginnt, fängt er an zu rechnen.

Kann man Erde verkaufen? Man tut es. Die einen wohnen, und die andern haben davon zu essen. Und weil sich jeder Hausbesitzer eine Zeitung hält – hält, als Abonnent nämlich, hält, am eisernen Faden, die der Zeitung um die Kehle läuft – so ist darüber nicht viel zu lesen.

Bodenreform? Adolf Damaschke? In der Loge sitzt der Hausbesitzer, genährt durch tausend Saugrohre von den Mietern im ganzen Theater. Warum gehen nun die nicht hin und drosseln ihm die Rohre ab? Weil sie alle, alle gern Hausbesitzer werden möchten.


  • [483] · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 16.10.1924, Nr. 42, S. 600.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 482-484.
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