Museum Carnavalet

[399] Im Museum Carnavalet zu Paris liegen kleine Überreste der großen französischen Revolution. Nicht die feierlichen Prunkstücke, wie die Erklärung der Menschenrechte, die im Musée des Archives zu sehen ist, kein Thron und kein Herrscherstab, ganz, ganz etwas andres.

Im Museum Carnavalet kann man sehen, wie diese Revolution einmal Sache eines ganzen Volkes gewesen ist; sie wurde nicht von ›landfremden Elementen angezettelt‹, sondern sie wuchs elementar aus dem Willen einer Nation heraus. Wie sorgfältig die geistige Vorbereitung dieser Umwälzung gewesen, wie tief das Gefühl einer Veränderung in Aas allgemeine Bewußtsein gedrungen sein muß, dafür gibt es ein untrügliches Zeichen: was sich der Bürger zu Hause an Aktualitäten aufhängt, daran glaubt er wirklich. Und ob sie geglaubt haben!

Bis zu den kleinsten Gebrauchsgegenständen hinunter ging die rote Welle: ein Thermometer mit einer Freiheitsmütze, Tassen, Töpfe, Bucheinbände; gestickt, gepunzt, in Holz geschlagen: Liberté –! Es ist erhaben[399] und spaßig zugleich. Denn welches Gemüt hat sich wohl Ohrringe in Gestalt einer Guillotine ausgedacht, welcher Findige hat dies Instrument als Spielzeug in den Handel gebracht, mit allem Komfort: sogar der Kopf der aufs Brett geschnallten Puppe ist entfernbar . . . Aber schließlich, ob ein Kind mit Bleisoldaten spielt oder hiermit – das kommt wohl auf eins heraus.

Natürlich fehlten auch die guten Kaufleute nicht, die ihre Schnupftabaksdosen entsprechend aktuell bemalen ließen: einer hat sogar einem Zapfhahn am Faß eine Freiheitsmütze aufgesetzt, und darunter steht: »Je verse la vie et la joie.« Und als alle Welt das Assignatenfieber hatte, gab es eine Tasse mit der Nachbildung eines solchen Scheines und der Inschrift: »Assignat de Cent Baisers. Payable au Porteur.« Und ein Topf als Hochzeitsgeschenk, darauf ist in krumpligen Buchstaben zu lesen: »1791. C'est le moment de faire des enfants.« Erhält sie das Getriebe durch Hunger und durch Liebe . . .

Ein Zimmerchen weiter wirds ernst. Das Bett der Königin aus dem Temple, ein Kleid der Königin, ein Becher des Königs, ein Spielzeug des Dauphins – schließlich haben ihre Hände einmal auf diesen Sachen geruht . . . Die Anklageakte gegen den König, aufgeschlagen: »Warum haben Sie die Wachen in den ersten Augusttagen verdoppeln lassen?« Und dahinter seine Antwort. Denn er hatte sich zu verantworten; der trug die Verantwortung. Da liegt sie.

Und ich sehe den Weg, den sie gegangen sind, den grauenvollen und doch so verdienten Weg. Den Weg aus den glänzenden Sälen von Versailles – wo man aus den Fenstern auf den edeln Park, auf die kleinen, verschwiegenen Höfe sah, wo hinter den eingefaßten Scheiben, durch eine Tapetentür erreichbar, der Gipfel des Luxus lag: ein kleiner mit Fliesen belegter Raum, wo die baignoires der Herrschaften aufgestellt waren –, den Weg aus Versailles in die Conciergerie, durch die Tür, wo heute der Frühstücksraum der Advokaten ist, ins Gefängnis. Hinauf die kleine Treppe nach oben, vor das Tribunal. Und wieder herunter und wieder warten. Und von da auf die Place de la Concorde oder die Place de la Nation. Und da war es dann zu Ende.

Nein, da war es noch nicht zu Ende. In der Nähe der Place de la Nation liegt ein Friedhof, ein ganz kleiner Friedhof, der von Picpus. Da hatten sie eine Grube gegraben, und in der Nacht karrte man die Kadaver dorthin, Frauen und Männer durcheinander, wie das gerade lag, und nicht jeder kam zu seinem zuständigen Kopf. Und weil viele Adlige, so auch ein Fürst von Salm-Kyrbourg, darunter waren, haben die Nachkommen dieser Familien den Platz später gekauft und ein paar Gedenksteine dorthin setzen lassen, gerade über der Grube. Heute ist, in des Wortes wahrster Bedeutung, Gras darüber gewachsen, die Vögel singen, der Wind raschelt, und die Pförtnersfrau bekommt ein Trinkgeld. Und unten liegen sie, 1306 an der Zahl. So ging der Weg.

[400] Im Museum Carnavalet kann man noch vieles sehen. Ein Luftballonzimmer ist da, mit Tellern und Teppichen, die das neue Wunder darstellen. Auf einem Porzellan enteilt eine Art fliegendes Bett mit einem Baldachin, und unten staunt ein Mädchen. Darunter steht: à dieu. Und viele Bilder Marats liegen in einer Vitrine zusammen, und man kann sehen, wie unähnlich sie alle untereinander sind, und doch wie ähnlich, und wieviel Bilder man gebraucht, um aus ihnen das Bild des einen Marat zu kristallisieren. Und Pendülen und Nippes sind zu sehen, in denen sich die Bürgerwut Europas gegen diese Horde da in Frankreich austobte, ein antibolschewistisches Kunstgewerbe, Hohn und Spott und Abscheu einer untergehenden Kaste.

Und man sieht ein Pastell von Boucher, ganz zart, nur ein weiches Frauenbein auf einem hellblauen Bett, nur das Bein, und kein Name und nichts. Und an der Wand die Frau von Sévigné, die hier einmal gewohnt hat, vollbusig, sehr fein, – mit einem lieblich-schiefen Lächeln, wie unsre Claire Waldoff. Und auf einem kleinen Ölgemälde steigt Voltaire, der große Voltaire, in die Hosen, bekläfft von einem Hündchen, und hinter dem Licht Europas steht ehrfürchtig ein Schreiber und wartet auf das Lever.

Das ist ein hübsches Museum. Und ich dachte mir so, wie das wohl wäre, wenn wir ein solches Museum von 1918 hätten . . .

Ein paar Importen; eine Kognakflasche; Noskes Revolver und geklebter Schlips; Akten, Zeitungen und Zettel. »Einigkeit und Recht und Freiheit! Friedrich Ebert.« – »Die Hand soll verdorren, welche . . . Philipp Scheidemann.« – »Wir haben die Republik vor dem Umsturz gerettet. Ministerpräsident Hirsch.« – »In Anbetracht aller Umstände konnten wir nicht . . . Konrad Haenisch.« Und eine leere Zigarrenkiste.

Das wäre das Museum der deutschen Revolution.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 26.06.1924, Nr. 26, S. 881, wieder in: Mona Lisa.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 399-401.
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