Auf den unbekannten Soldaten


[46] von J.-René Darnys


Du hast die Nächte nur zum Schlafen,


Soldat! Du weißt doch, wo du liegst!

Der kalte Stein, wo du dich schmiegst,[46]

ist so ein Ort, wohin man geht,

wenn man nicht weiß, was anzufangen.


Da kommen deine Freunde an in langen

und dichten Scharen. Regenwolken ziehn –

heut ist nichts mit den Tuilerien.

Na, gehn wir hierher . . .


Ins Kino gingen sie, du armer Junge,

wärs da umsonst . . . Sieh! Sie ziehn Trauerfalten.

Für dich. Und weil auf ihrer Zunge

sich noch von Mittag her ein schlechter Nachgeschmack erhalten.


An manchen Tagen wirst du schön bepredigt

von großen Tieren, Herrn vom Parlament –

(und alle Welt ist froh, wenn das erledigt).

Die Flamme brennt . . .


Du bist der ihre, armer Junge!

Dich mit dem einen Bein, mit etwas Lunge,

dich, Opfer, namenlose Nummer:

dich brauchen sie – und desto stummer

du bist, je besser ists.

Für ihr Geschäft, Soldat:

Dich brauchen sie als ein Plakat –!


Du bist ihr Mann – der Mann der Generale!

Du bist ihr Mann – der Mann der Finanziers!

Du bist ihr Mann – der Mann der Prinzipale,

der Hausbesitzer und der Ehrenkomitees!


Sie stehn umher auf deinen Knochen.

Weit öffnet sich der Rednermund.

Tagsüber kommt das angekrochen

und schreit sich seine Kehle wund.

Minister, Offiziere, Grafen . . .

Du hast die Nächte nur zum Schlafen.


Und kommt die Nacht, gehn sie mit schnellen Beinen

in ihre Kneipe, nehmen einen . . .

Nachtschatten steigt. Du liegst allein.

So still ist es hier nie gewesen.[47]

Schon kann man nicht mehr alle Namen lesen:

Eylau und Wagram – da im Stein . . .

Auch da ist so viel Blut geflossen.

Für wen verströmt? Für wen vergossen?


Dunkel um dich. Und endlich hast du Ruh.

Alles ist fort. Die Schwärze deckt dich zu.

Es ging in blauer Dämmerung Schwaden

der letzte Kunde aus dem Laden . . .

Für heute ist dein Leidenstag geendet.

Im Sternenlicht

unhörbar spricht

ein toter Mann:

»Ich hab vollendet.«


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 17.02.1925, Nr. 7, S. 245.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 46-48.
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