Faust in Paris


[133] Ein Brief an Emil Jannings


Paris, den heutigen

Lieber Emil!

Neulich, als Du auf dem hiesigen Film-Bankett der ›Erste Mann‹ warst, während gerade der ›Letzte Mann‹ über die Boulevards lief – da war Paris heiter und hell wie gewöhnlich, und es hat mir nur leid getan, daß ich Dir nicht zeigen konnte, wie es neben den Sensationsprozessen und Modevorführungen und dem ›faabelhaften Verkehr‹ denn doch immerhin noch andere Sachen in Paris gibt. Wärst Du vier Wochen später gekommen, hätte ich Dich zum ›Faust‹ mitgenommen.

»Gala Universitaire donné au Théâtre de l'Odéon sous le Haut Patronage de . . . « Na, diesen Zimt kennst Du ja vom Film her. Aber so eine Aufführung – die hast Du beim Film denn doch noch nicht gesehen.

Also denk Dir: ich und der Präsident Doumergue, wir beide hatten Karten zu dieser Galavorstellung, die so ungefähr einer öffentlichen Generalprobe entsprach. Doumerguen habe ich am Abend nicht gesehen – wahrscheinlich hatte man ihm den Besuch aus Gesundheitsrücksichten verboten; wäre er dagewesen, er hätte sicherlich zwei Wochen nicht regieren können. Aber ich war da.

Das Odéon liegt beim Jardin du Luxembourg, es ist von außen ein ganz wunderhübsches Theater. Rundherum hat es Wandelgänge mit Laternchen, und es sieht so altväterisch aus, so gemütlich, durchaus wie die ›Komische Geschichte‹ von Anatole France, die da spielt. An diesem Abend ging es dortselbst furchtbar fein zu – galonierte Männer mit weißen Zwirnshandschuhen rissen einem die Türen vom Leibe, und[133] man sah viele Universitätsfräcke, ein auf der ganzen Erde gleiches Kleidungsstück. Die Aufführung fand zugunsten einer Studentenkasse statt, die halbe Sorbonne war anwesend. (Aber ganz voll wars nicht.)

Lieber Emil, Du hast mir oft erzählt, wie Du noch in Kalbe an der Saale als alter Moor und als Franz, die Kanaille, und als Karl Moor zugleich aufgetreten bist und wie Du in den Schlußakten bei Sudermann immer das bengalische Feuer auf einer Kohlenschippe in die Kulissen halten mußtest. Lieber Emil, erzähle mir nie wieder etwas von einer Schmiere – da kannst Du nicht mit.

Also denke Dir einen ›Faust‹, der brav und bieder Satz für Satz ins Französische übersetzt ist; das haben zwei Herren besorgt, die heißen Forst und Robert-Dumas. Warum sie den Foohst neu übersetzt haben, da es doch hier eine immerhin gute Übersetzung gibt, weiß niemand. Aber über die Übersetzung will ich nicht rechten – das mag schwer sein. Doppelt schwer, weil, erstens, das ganze Stück uns heute nicht mehr das bedeutet, was es einmal gewesen ist, weil wir uns mit anderen Dingen herumquälen, weil es keine Ewigkeitswerte in der Literatur gibt – und, zweitens, weil Verpflanzungen von nationalen Stücken immer eine kniffliche Sache sind. Sehen Franzosen einen deutschen Molière – dann werden sie das nicht immer für Molière halten, sondern für etwas anderes. Aber auch dieses andere kann gut und schön sein. Daß unsere deutschen Theater Racine jemals so spielen wie die Comédie Française, ist nicht anzunehmen – aber sie können ihn auf ihre Art auch gut spielen. Foohst aber . . .

Stelle Dir vor, daß das Stadttheater in Guben einen Regisseur nach Berlin entsandt hat, der dort durch die Regisseure Jeßner, Fehling, Erich Engel und alle die andern völlig verdreht wird. In seinem Kopfe geht das alles herum: Faltenvorhänge, die Treppe, Getümmel, Scheinwerferkegel und stilisierte Einfachheit . . . und so, wirr und wilden Tatendranges voll, kommt er zurück nach Guben, und was er dann da anrichten würde, das kannst Du jetzt hier in Paris sehen.

Über die Ausstattung ist nicht viel zu sagen – sie ist nicht gut. Das wäre nun an sich kein Unglück – obgleich diese kindlichen Späßchen eines mißverstandenen Kunstgewerbes heute nicht mehr aktuell sein dürften. Aber was an Schauspielern (frei!) herumlief – lieber Emil, bitte alles ab, was Du je auf das Theater im Schützenhaus zu Wendrinchen gesagt hast.

Faust: Ein alter Umhängebart mit Geschrei, der nicht ein Wort seiner Rolle verstand. Nachher ein süßer Schokoladenjüngling, etwa der allseits beliebte Held am Stadttheater zu Stettin. (Vor zwanzig Jahren.) Gretchen: direkt vom Maskenverleiher. So etwas von Wergpuppenhaar, von Zopf, von völlig ausdruckslosem Verseaufsagen – gab Gretchen bei euch die Frau Direktorin mit einem Schmerbauch? Es muß eine noble Leistung gewesen sein, vergleichsweise. Drum herum die Schüler, die Bürger, der[134] Wagner-Mensch, das glaubst Du nicht. Wie sie johlten und blechern schrien, wie sie umherwankten, wie sie Kappen schwenkten, die man ihnen zum Schwenken in die Hand gesteckt hatte, wie sie leere Becher leerten, hei! Guter Emil, immer kommst Du zu spät nach Paris.

Das Publikum muß gedacht haben, die Deutschen seien doch ein recht merkwürdiges Volk. Nur bei der Schülerszene lachten sie so nett und naiv und freundlich über alle die bösen Anspielungen auf die Wissenschaften, deren Vertreter ja im Parkett saßen. Es war wie bei einer Kneipe, wo ein Gelegenheitsstück aufgeführt wird. (Das wird aber besser aufgeführt.) Und im großen und ganzen hatte ich so den Eindruck, daß die Leute es nicht wissen wollten. Es war so ein Beifall . . . kennst Du diesen Beifall –? Na, Du kennst ihn natürlich nicht – aber Du hast wohl mal von ihm gelesen.

Na, und Mephisto? Lieber Emil, hier wird die Sache ernst. Dieser Mephisto ist ein Schauspieler, den die Franzosen recht hoch halten – es ist Herr Gémier, der jüngst in Amerika war. O wär er dort geblieben –!

Hast Du nicht auch einmal den Mephisto gespielt? Dann weißt Du ja, daß wir in Deutschland schon viele Mephistos gehabt haben: animalische, dicke, fette, tierische, die das Gretchen nur so abschleckern möchten; feine, spanierhafte, diplomatische, die sich das Stäubchen vom Rockärmel abknipsen; singende und randalierende; bösartige und verkrochene – alle Sorten. Aber dieser hier! –

Denke Dir einen unangenehmen, gleichgültigen, aufgeblasenen Burschen, der in sehr unzüchtigem Verhältnis zum Souffleur steht; einen, der »Ha-haha-haa –!« lacht, daß es die Bauern in Deinem Schützenhaus nur so kalt überlaufen hätte; einen, der keine Nuance bringt, keine versteht, alles verwaschen aufsagt, ein berühmter Mann – Emil! Ihr habt auch in Wittstock an der Dosse gastiert – nicht zum Zettelankleben hättet ihr den Kerl genommen!

Ja – also das war gar nichts. Und nun mußt Du hier den Gackerlärm lesen, der sich in den Literatenzeitschriften erhebt, das Geschrei für und dagegen, die ernsthafte Verteidigung der Herren Übersetzer, die gar nicht sehen, was sie da angerichtet haben. Aber da ist ja Pierre Mac Orlan in seiner Novelle von dem modernen Faust dem Ding viel näher gekommen! Nein, guter Emil: dieses ist ein Reinfall.

Du bist ja verständig genug, nun nicht zu sagen: »Natürlich . . . die Franzosen!« Das ist ja töricht. Schließlich ist Herr Antoine auch ein Franzose, und was der dem Theater gegeben hat, weißt Du ja. Und es gibt hundertundeine Vorstellung in Paris, die ganz reizend ist. Nur grade: Foohst – was hätte dazu der alte Goethe gesagt?

Es gibt eine schöne Geschichte, weißt Du, von Deinem guten, alten Kaiser Wilhelm dem Ersten. Der besah sich einmal eine Vorstellung am Gendarmenmarkt, und nach der Aufführung ließ er sich den überglücklichen Autor rufen. Ja – alles sehr schön und nett, reizend, ein unterhaltsamer[135] Abend – nur, vielleicht die eine Szene da im zweiten Akt, das wäre doch wohl etwas übertrieben – aber sonst sehr, sehr nett . . . Der arme Kerl strahlt vor Glück und geht selig ins Bett. Am nächsten Morgen ist das Stück vom Spielplan abgesetzt. Er sofort auf die Intendantur – sehr kalte Schulter. Was ist? Ja? Ein Hoftheater hätte Rücksichten zu nehmen, er müsse doch begreifen . . . Aber wüßten sie denn nicht, was Majestät zu ihm gestern noch gesagt hätte . . . ? »Ja, lieber Doktor – eben deswegen! Gröber wird Majestät nie!«

Lieber Emil, denk Dir, wir hätten in der Loge gesessen, gleich über den Sorbonne-Professoren. Wir sind feine Herren – nach dem zweiten Akt (wie ich uns kenne) wären wir herausgegangen, ganz, ganz leise, draußen wären wir auf je einem Bein zur Tür gehüpft, nun aber nichts wie raus, an die frische Luft, Hilfe! Wir hätten uns einen schönen Whisky eingefüllt chez Catherine oder im Bœuf sur le Toit oder sonstwo . . . und Du hättest herrliche Geschichten erzählt von dem Regisseur, der immer durchs Megaphon »Schau . . . schau . . . schau!« ruft und vom Schwarzen Adler zu Niederhainichen und von Berlin. Was Gémier angeht: wie sagen Deine geliebten Schlesier? »Nimm mersch oog nich iibel!« –

Grüß alle schön, Emil: Pinkus, den Waldspecht, und Maman und Deinen wilden Hund Greif, der immer wegläuft, wenn einer in der Nähe nur den Schlucken hat, und Dich selbst

vielmals von Deinem lieben Peter Panter


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 04.06.1925.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 133-136.
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