Malborough s'en va-t-en guerre

[41] Herr General Malborough kommt heraus, herrlich bunt anzusehen und aufgetakelt wie ein Pfingstochse: weinrotes Seidentuch, dito Höflingshöschen, weiße Strümpfe, schwarze Escarpins und güldene Ringellocken. Er ist hupferrot im Gesicht vor lauter kriegerischem Mut und schielt. Er stelzt an die Rampe. »Dies, verehrte Zuhörer, ist keine Komödie – dies ist eine kleine Ballade.« Sprichts in ganz vernünftigem Ton, dreht sich um und brüllt seine Gattingemahlin an, hohl, trompetend, mit rollenden Konsonanten und weithinhallenden Vokalen. »Madame . . . !«

So beginnt Marcel Achards Komödie: ›Malborough s'en va-t-en guerre‹, die in der Comédie des Champs Elysées gespielt wird. Malborough wird von dem Direktor, dem Regisseur, dem Schauspieler Louis Jouvet dargestellt. Drei Akte – aber ein Hauch, ein leiser Witz, eine außerordentliche Karikatur in Pastell. Der Pastellmaler Achard hat schon einmal ein knallbuntes Plakat gemalt: ›Voulez-vous jouer avec moâ‹.

Um von der Regie und der Ausstattung einen Begriff zu geben, nehme ich für Berliner die Erinnerung an den Blauen Vogel zu Hilfe. Die Kulissen, vor bunten einfarbigen Tüchern, sind auf die einfachste Formel gebracht: das Schloß ist auf Pappe gemalt, und wenn die Königin angekündigt wird, so zieht jemand rechts und links je drei Pappdrommeten auf, die unmittelbar am Schloß angebracht sind: Tätä – machen die Trompeten, das ist bei Königinnen so. Das Zelt des großen Generals sieht ähnlich aus; der Turm auch, auf den die trauernde Malborough'n steigt (»Madame à s tour monte«, heißt es im Liede, »si haut qu'ell' peut monter«). Alles ist aus einem Bilderbogen ausgeschnitten, aber nicht so betont primitiv-kindlich wie bei den Russen, sondern mehr: Darauf kommt es hier nicht an – bitte, achten Sie auf das Spiel!

Man achtet auf das Spiel. Warum kann man drei Akte lang so einen leichten Spaß aushaken? Weil unten ein Orchesterchen von sechs Mann sitzt: Flügel, Cello, zwei Geigen, Flöte und eine lustige Etappen-Trompete, die laut bläst. Sie unterstreichen mit einer außerordentlich guten Musik von Georges Auric das Spiel, mit Signalen, Rezitativen und[41] kleinen Akt-Ouvertüren, in denen rein, abgebogen, variiert, verbeult und überfahren das alte Volkslied als Thema immer wiederkehrt.

Oben geht inzwischen folgendes vor sich:

Der Grrrroße General braucht Geld. »Lieben Sie mich, Madame?« fragt er seine Frau. Sie ist ganz Schmachtung. »Also – sie lieben mich! Dann schreiben Sie Ihrem Herrn Papa, wegen der Daumenbewegung!« Nein, das will die Dame nicht. »Haaa!« Ein markerschütterndes Gewitter durchtobt die Luft – aber, so wie beim Militär, so hilft es auch hier nicht. Hingegen hat die Malborough einen Pagen, der auch so aussieht. Er liebt sie. Aber er traut sich noch nicht so recht. Der General ist eifersüchtig, die Generalin gibt nach, die Königin erfährt, daß die von ihr geliebte Generalin . . . ach, darüber haben wir ja gar nicht so gelacht. Aber da sind vier Offiziere (die ›quatre-z-officiers‹ des Liedes) die immer zugleich auftreten, alle dasselbe, es aber alle verschieden sagen, dazu ein vollkommen aus dem Leim gegangener Dialog (»Les ordres de ma reine sont mes désirs«, sagt der General einmal) – und das Stück erreicht mühelos die Wirkung Shaws ohne jede Gedankenschwere oder Auseinandersetzung.

Der General im Zelt hat eine riesige Leinwandkarte, die wird wie ein Badeläufer auf den Boden ausgebreitet, an jeden Fleck stellt er einen seiner militärischen Schafsköpfe – welch Pleonasmus! – und arrangiert den nächsten Sieg. Es geht munter zu in dem Generalszelt. Die Zofe der Generalin schreibt an die Offiziere je einen Brief, an alle denselben, wie sich bei dreien herausstellt. Der vierte kann nicht lesen. (Offiziere, die lesen können, können es meist auch nicht.) Die Herren Kameraden wollen ihm helfen. Nein, er will nicht. Er küßt den Brief und steckt ihn in den Busenlatz – vielleicht steht was andres drin . . . Eine Gefangene wird gebracht, ein französisches Bauernmädchen. Sie heißt Jeanne, wie ihre große Schwester. Der General – schert euch mal raus, ihr andren! – verhört sie selbst. Sehr militärisch, sehr würdig, und schließlich macht er ihr eine kleine Proposition. So habe ich mir immer militärische Erotik vorgestellt. Sie bittet sich Bedenkzeit aus. Gut: Bedenkzeit. »Aber du mußt mich ansehen, kleines Mädchen!« – »Ich wollte Ihnen doch eine, wenigstens eine Chance lassen, Herr General!« sagt die Kleine. Und verrät schließlich scheinbar die französischen Stellungen und packt dabei den General mächtig herein und legt ganz nebenbei eine der stärksten schauspielerischen Leistungen hin, die ich in Paris bisher zu sehen bekommen habe. Frau Jane-Chevrel heißt die kleine Dame, da stand doch jemand auf der Bühne, zum Donnerwetter! In dieser sauber ausgearbeiteten Vorstellung, die nur so blinkt von Akkuratesse und Fleiß, eine Leistung, die ganz meisterhaft ist. In Trotz, Scham, Ausbruch und Ironie einfach wundervoll. Worauf Malborough von hinten durch die Brust geschossen, auf eine Bahre gelegt wird, angibt, ihm wäre gar nicht gut, und verscheidet.[42]

Während sich Jouvet hinten abschminkt, geht es noch sehr heiter auf der Bühne zu. Generalin und dicke Zofe erwarten auf dem dicken Turm neue Nachrichten. Sie spähen, wie man eben so späht, in die Parkett-Landschaft. Schließlich kommen sie alle an: der Page und die quatre-z-officiers. Sag dus! sagt einer dem andern. Der Page sagts. Hu – die Malborough'n bricht zusammen, wie man eben zusammenzubrechen hat. »Sprich mir von ihm!« Dem Cyrano nicht unähnlich, singt der Page, als anständiger Kerl und Dichterpage, das Loblied des andern. »Ich wußte es ja«, sagt die Trauernde, »er war ein Held.« Die Offiziere sehen sich an und sagen nichts. Die Dame wendet sich vom Pagen ab, das hat er nun davon. Der Page liegt auf dem Turm und weint wie ein Hund, den man wohin getreten hat. Die dicke Zofe mit ihren vier Kerlen kommt zurück. Wer weint hier so? Mein Gott . . . wo hast du dein Wehwehchen? Der Page, erstickend, rasend gemacht, zerheult, brüllt die Wahrheit heraus: »Ein Feigling war er! Er war ein Feigling!« Die Zofe kanns nicht glauben. »Ists wahr?« fragt sie die vier Offiziere. Sie wollen sich herausreden. Dann geben sie zu: von hinten durch die Brust. Die Zofe kanns und kanns nicht glauben. Sie sieht von einem zum andern. Und die Offiziere nehmen ihre spitzen Dreimaster ab, daß man vier kahle Schädel sieht und blicken zum Himmel, Trompetensignal – und sagen die denkwürdigen Worte: »Und wenn auch. Il a pour lui l'Histoire!« Und dann ist es aus.

Die Geschichte hat er für sich . . . Nicht wahr? Schiebungen mit der Frau und der hohen Obrigkeit, Mitgiftjägerei und Dummheit, Feigheit und Trottelei, Niederlage und militärischer Dünkel, daß man nicht aus den schönen Augen sehen kann, verlacht zu Lebzeiten und erkannt, heimlich gehöhnt und gelästert, durchschaut und verflucht – aber:

Wir sind nicht befugt, zu urteilen. Wir sind nicht ermächtigt, ihn einzusperren, mit seiner Person bezahlen zu lassen, die Haftung zu fordern. Wir nicht. Er trägt die ›Verantwortung‹. Die Geschichte wird richten.


  • · Peter Panter
    Die Weltbühne, 10.02.1925, Nr. 6, S. 209.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 41-43.
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