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[191] Die französischen Witze haben viel mehr feststehende Figuren als die unseren. Da ist in erster Linie der ›cocu‹.
Das Wort ist nicht zu übersetzen. ›Hahnrei‹ ist ein Wort, für das selbst der alles wissende Doktor Wasserzieher in seinem ›Ableitenden Wörterbuch der deutschen Sprache‹ keine Erklärung gibt und das ein gesunder Mensch wohl nur ausspricht, wenn man ihn fragt, was ›cocu‹ auf deutsch heißt. Und ›betrogener Ehemann‹ ist eine kriechende Schildkröte für einen Schwalbenflug. (Daß das Wort, der Begriff[191] und die Witzfigur die außerordentlich bürgerlich veranlagte Französin gänzlich verzerrt wiedergeben, sei nur nebenbei erwähnt.)
Da ist ferner der Geistliche, ein unerschöpfliches Thema französischer Witze, und wie jeder weiß, der einmal in katholischen Ländern gelebt hat, ist der Witz, der auf Kosten des Geistlichen gemacht wird, nur ganz selten eine Verhöhnung der Kirche: der Witz bemächtigt sich eben einfach aller zum täglichen Leben gehörenden Personen. Zunächst ist es sehr häufig der Mann der Kirche, der in dem Witz obsiegt, so zum Beispiel in dem gesalzenen Wort des Monseigneur Duchesne über den Tango: »Dieser Tanz ist wirklich sehr reizend anzusehen, mais je me demande, pourquoi elle se danse debout« Manchmal geht es auch umgekehrt. Der Bischof hat Besuch vom Abt und bittet ihn zum Frühstück. »Nein, danke sehr,« – »Aber ich bitte Sie . . . « – »Monseigneur«, sagt der Abt, »erstens habe ich schon zweimal gefrühstückt, und zweitens ist heute Fasttag.« Dann gibt es auch im Französischen jene Scherze, in denen die verschiedenen Konfessionen sich necken. So in der Morgenunterhaltung eines Rabbiners und eines Curés im Schlafwagen. »Ich habe heute nacht«, sagt der Curé, »geträumt, ich sei im jüdischen Paradies. Ein Gestank! Und ein Schmutz! Und Lumpen in allen Ecken! Und ein Haufen Leute . . . entsetzlich!« – »Wie sich das trifft«, sagt der Rabbiner. »Ich habe heute nacht geträumt, ich sei im christlichen Paradies. Wunderschöne Düfte umflossen mich, überall Blumen, herrliche Bäume – und kein Mensch.«
Auch hat der französische Witz selbstverständlich seine Berufswitze. Unvermeidlich die Ärzte. Der Doktor Z. begegnet auf dem Pont des Arts einem seiner Patienten. Kurzes Gespräch. »Nun, wie gehts . . . ?« – »Aber, lieber Freund«, sagt der Doktor, »Sie werden einen mächtigen Schnupfen bekommen; knöpfen Sie sich doch Ihren Mantel zu!« – »Da haben Sie eigentlich recht«, sagte der andre. »Na und sonst . . . Kennen Sie schon die Geschichte von dem . . . « Sie plaudern noch eine Weile, der Doktor und sein Patient, dann gehn sie auseinander. Nach drei Tagen schickt der Doktor folgende Liquidation:
Eine Konsultation
20 Francs
Der Brückenpatient schickt auch eine:
Herrn Doktor Z. einen Witz erzählt
20 Francs
Gewartet, bis er ihn verstanden hat
20 Francs
Summe 40 Francs
Davon gehen ab für die Konsultation
20 Francs
Meine Restforderung an Herrn Doktor Z.
20 Francs[192]
Einen ganz großen Raum in Frankreich nimmt der regionale Witz ein, und da ist es vor allem der Süden, Marseille und die Gascogne, die den Haupttribut bezahlen. Wer Gelegenheit gehabt hat, den für deutsche Ohren schauerlichen ›accent du midi‹, den ›assent‹, einmal zu hören, der wird verstehn, daß aus dem französischen Sächseln eine Fülle von Komik herauszuholen ist. Kommt dazu, daß die Leute aus dem Süden für kolossale Aufschneider gelten und wohl auch tatsächlich im Überschwang ihres Temperaments ganz heitere Dinge von sich geben – die Kette dieser Geschichten reißt jedenfalls nie ab. Der Lokalton geht natürlich für uns verloren. »Vorigen Winter«, erzählt der Mann aus Marseille, der immer Marius oder Olive heißt, »hat es bei uns geschneit, und da ist mehr als ein Meter Schnee gefallen.« – »Ein Meter breit?« fragt jemand.
»Est-ce que tu vois la mouche au sommet de la Tour d'Eiffel?« fragt ein Gascogner einen Marseiller. »Non! Mais je l'entends!« erwidert der. Es ist viel Bauernschlauheit in diesen Geschichten.
Eine Pflanze, die gar nicht im Französischen gedeihen will, ist der jüdische Witz. Es gibt sie alle, es gibt eine ›Collection d'Histoires Juives‹ im Verlag der ›Nouvelle Revue Française‹, sie fehlen in kaum einer Sammlung. Aber sie sind nicht nach Vorschrift zubereitet; so etwas wie das Jiddish im Englischen gibt es im Französischen nicht, und der elsässische Akzent, der übrigens in der jungen Generation vielfach schwindet, ist ein kümmerlicher Ersatz.
Aber die Franzosen brauchen keine Anleihen bei Fremden zu machen, sie haben eigne gute Witze genug. Ganz besonders drollig sind die Kindermünder. »Großpapa, kommen die Löwen in den Himmel?« – »Nein, mein Kind.«–»Großpapa, kommen die Curés in den Himmel?« – »Ja, natürlich, mein Kind.« – »Großpapa, wenn nun aber der Löwe einen Curé frißt . . . ?«
Die folgende Geschichte hinwiederum muß man ins Berlinische übertragen, um ihre ganze Würze abzuschmecken. Da ist ein junger Rechtsanwalt, der seit vierzehn Tagen in seinem neuen Büro sitzt und auf seinen ersten Klienten wartet. Endlich, endlich klingelt es, das Mädchen öffnet. Der Rechtsanwalt hört eine Männerstimme und sagt zu dem Mädchen, ohne sie anzuhören: »Lassen Sie den Herrn warten!« Denn das ist er sich aus Prestigegründen schuldig. Nach zehn Minuten klingelt er, ergreift das Telefon, läßt den Besucher eintreten und sich in einer dringenden und hochwichtigen Unterhaltung überraschen. Er gestikuliert in den Hörer: »Selbstverständlich, Herr Oberregierungsrat! Das kann ich nicht versprechen, Herr Oberregierungsrat! Ich bin derartig beschäftigt . . . Unter neunhunderttausend Mark kann ich für meinen Klienten nicht abschließen! Gewiß. Also dann auf Wiedersehen, Herr Oberregierungsrat! – Was wünschen Sie?« sagt er dann zu dem Mann. Darauf der Besucher: »Ick komme wejen det Telefong. Det is kaputt.«
[193] Ganz französisch ist auch diese kleine Geschichte, in der die kleine sechsjährige Tochter einer Femme entretenue das Wort ›demi-mon-daine‹ aufschnappt und nun ihre Mama fragt: »Mama, wenn ich groß werde, darf ich dann auch demi-mondaine werden?« – »Ja«, sagt die Mama, »wenn du artig bist!«
Zahllos sind die Witze über den ›Nepp‹ der Restaurants, allwelches Wort auf französisch ›coup de fusil‹ heißt. In einem sehr eleganten Lokal in Vichy moniert ein Gast die Rechnung. »Sie haben mir da für Keks fünf Francs aufgeschrieben, ich habe aber gar keine gehabt!« – »Verzeihung!« sagt der Ober, »darf ich um die Rechnung bitten? Ich werde das gleich in Ordnung bringen.« Auf der verbesserten Rechnung steht: Keks vier Francs.
Etwas fehlt dem französischen Witz fast völlig. Das ist die exzentrische Überkugelung, wie wir sie in amerikanischen und irischen Witzen antreffen. Findet man in den Anekdotensammlungen dergleichen, so kann man darauf schwören, daß die Geschichte aus dem Englischen übersetzt ist. So diese von dem weltberühmten Zwerg Tom Puce, der eines Tages in London zufällig im selben Hotel abgestiegen war wie der berühmte französische Sänger Lablache, ein Hüne von etwa zwei Meter Höhe. Da war nun eine neugierige londoner Dame, die wollte die kleine Weltattraktion einmal besichtigen, ließ sich im Hotel die Zimmernummer geben, irrte sich in der Tür und stand nun fassungslos vor diesem Gaurisankar. »Ich . . . ich wollte den Zwerg Tom Puce sehen!« – »Der bin ich, gnädige Frau!« – »Sie? Sie sind der Zwerg Tom Puce?« – »Nur im Theater, gnädige Frau; zu Hause mach ich es mir bequem!«
Ein Kind beider Welten, der französischen und der englischen, scheint dieses Zwiegespräch zu sein: Der Kontrolleur: »Sie haben ein Billett dritter Klasse, werte Dame, und hier ist erste Klasse!« – »Entschuldigen Sie«, sagt die Dame, »ich dachte, ich wäre in der zweiten.«
So. Nun sind da noch viele schöne Geschichten, die ich nicht erzählt habe, wegen Unpassendlichkeit derselben. Aber es dürfte nun genug sein. Und wenn ich durch diese Zeilen nur das Repertoire einiger Conférenciers bereichert habe, so fühle ich mich für meine gesamte Arbeit reichlich belohnt.
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