Suomi-Finnland

[158] Da ist ein wunderschönes Bilderbuch erschienen: ›Suomi-Finnland. Das Land der Tausend Seen‹. Von Franz Thierfelder. (Der Verlag steht auf der Schwarzen Liste des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller; ich bedaure, daß ich aus sachlichen Gründen gezwungen bin, sein Buch anzuzeigen.) Das Buch entspricht in Ausstattung und Inhalt ungefähr den Bänden, die früher im Verlag R. Piper & Cie zu München unter dem Titel ›Die schöne Stadt‹ erschienen sind. Der Text, der unter Mitwirkung von Johannes Oehquist, einem Attaché der Finnischen Botschaft zu Berlin, zustande gekommen ist, behandelt die finnische Literatur, Kunst, Geschichte und Politik und ist – mit Ausnahme eines Abschnitts – sachlich und nüchtern gehalten. Die Bilder zeigen Stadt und Land, Seen und Berge, Tiere und Menschen und enthalten prachtvolle Landschaftsaufnahmen; sie sind – mit einigen Ausnahmen – belehrend und gut gemacht.

So weit wäre über das Buch, das jeden Freund fremder Landschaft sicherlich fesseln wird, weiter nichts zu bemerken – wenn nicht der begreifliche Wunsch der Finnen, dem Ausland die Bekanntschaft mit ihrer Heimat zu vermitteln, die Herren zu einem peinlichen Schwupper verführt hätte.

Auf Seite 73 fiel mir ein Gedicht auf, formal etwa wie von einem unbegabten Geibel-Epigonen und ›Die Wacht am Rhein‹ betitelt. Darin ist zu lesen:

Wie hat, o Deutschland, alles, was verworfen,

Sich aufgetürmt auf deinem Golgatha;

Jetzt, wo der Riese endlich umgeworfen,

Sind vielgeschäftig auch die Zwerge da.

O Deutschland, deine Schmach wird bald sich wenden . . .

Aber ich hatte doch ein Buch über Finnland bestellt und bekomme nun patriotisches Grünzeug serviert . . . was geht hier vor –? Unter den Fotografien sind zehn dem Grafen v. d. Goltz und seinem ›Befreiungswerk‹ gewidmet. Das schlechte Gedicht ist eine bescheidene Quittung.


Der Randstaaten-Wahnsinn des Versailler Vertrags, der Volksangehörige großer Nationen nicht von ihnen befreite, sondern sie dem[158] Knebel eines kleinern, also um so staatswütigern Gebildes überantwortete, hat an der Ostsee eine Reihe politischer Formationen entstehen lassen, die mit viel Reklame und Tamtam ihre Existenzberechtigung und mit allen Fehlern moderner Staatswesen ihre Reife im Staatenspiel dartun. Bebürdet mit Administration, überladen mit politischen Verrichtungen, ahmen sie die Gebärden ihrer großem Brüder aufs unglücklichste nach, können schon wie jene ›Kommunist und Gendarm‹ spielen, ›Anschlußpolitik‹, ›Minoritätenfrage‹, und womit sich sonst noch so Staaten ihre Zeit vertreiben und die ihrer Zwangsangehörigen nutzlos in Anspruch nehmen.

Nicht, daß diese neuen Gebilde selbständig sind, ist der staatsrechtliche Skandal, sondern wie sie es sind. Es ist, als ob tausend ungehemmte Lokalwichtigmacher frei würden: endlich, endlich dürfen wir auch! Nichts gelernt; nicht gesehen, wie der Staatenunfug den Kontinent lieber, aber stetig von einer Katastrophe in die andre reißt, weit entfernt, ein Pan-Europa auch nur zu wünschen, tobt sich das in den schlimmsten Evolutionen ethosfeindlicher Staatsreligion aus. Man hat den Eindruck, als gäbe es Warenhäuser für kleine neue Staaten: alle haben sich wunderschöne Fahnen angeschafft, Militäruniformen, Titel, Briefmarken, eine uralte Literatur, prima Geschichtsunfälle, Gedenktage und – selbstverständlich – einen bösen Feind.

Jeder dieser Staaten hat etwa so viel Einwohner wie zwei europäische Großstädte zusammen, mancher nur so viel wie eine – und daß die Angelegenheiten dieser wenigen Leute minder wichtig wären als etwa die Interessen Londons, wäre ja töricht zu behaupten. Aber die Form, in der sie ihre Sache führen, ist derart vollgepackt mit falschem Gepränge, mit Bombast, mit Staatspomp, daß mitunter die Kosten für eine pariser Legation einen erheblichen Teil des Staatsbudgets verschlingen dürften. Sie haben alles im Schaufenster.

Auch ihre Propaganda.

Die Komik, die darin steckt, daß ein ganzes Land wie eine Zahnbürstenfabrik inseriert, Reklame trommelt, Statistiken schminkt, piekfeine Protzprospekte auf Glanzpapier drucken läßt, geht ihnen nicht ein. »Hier noch der garantiert unabhängige Staat! Universität! Militär! Schutz des Mittelstandes! Gesundes Trinkwasser! Eigne Nationalheilige in der Geschichte!« Wie steht bei Walter Mehring? »Trete Sie ein! Trete Sie ein! Hier isse gutt! Hier isse fein!« Sehr fein sogar. Und einen Programmpunkt des Plakats bei allen hätte ich beinah vergessen: »Kein Bolschewismus!«

Die Niederwerfung des ›roten Terrors‹ in Finnland anno 1918 ist Sache der Finnen und der Kommunisten. Eine politische Affäre, die die Parteien unter sich auszumachen haben. Ich werde allerdings immer ein bißchen mißtrauisch, wenn ich die Worte ›roter Terror‹ höre. Von dem hysterischen Gekreisch des Renaissance-Helden Mereschkowski[159] sehe ich ganz ab. Aber die Mittel, wie dieser ›Terror‹ niedergeworfen wird . . .

»Wie alt bist du?« – »Sechzehn Jahre . . . « antwortete gleichgültig der Gefangene. »Du hast dich freiwillig gemeldet? du Hundeblut!« schrie kalt und schneidend der Leutnant, und sein Russisch war mangelhaft. »Ja, freiwillig«, antwortete gleichgültig der Gefangene, und der Stiefel des Leutnants zertrat ihm die Nase. »So, und warum hast du dich freiwillig gemeldet?« – »Ich bin Kommunist.« – »Was bist du?« und wieder zuckte dem Gefangenen der Stiefel ins Gesicht. Der spuckte ein paar Blutfetzen und antwortete gleichgültig: »Kommunist.« – »Was bist du, du Aas?« und der Stiefel brach ihm die obern Schneidezähne heraus. Eine Blutwelle quoll über sein Kinn, er wischte mit dem Ärmel über das Gesicht und antwortete gleichgültig: »Kommunist.« – »Hast du dirs noch nicht anders überlegt? Na warte, du –! Wenn du nicht mehr Kommunist bist, dann sagst dus.« Und nun klatschte des deutschen Leutnants Reitpeitsche über den Kopf des Gefangenen. Zehnmal. Zwanzigmal. Immer noch. Ein formloser blutiger Klumpen war der Kopf. Und immer noch. Bis der junge Kommunist genug hatte. Der Leutnant schoß ein paarmal auf ihn, ein Schuß trieb aus dem Blutkloß die eine Gehirnhälfte, wie eine runzlige Kröte aus Elfenbein blieb sie daneben sitzen, als wollte sie dort Wache halten. Als dann die fünf Reiter, die den Bolschewiken gefangen und beim Verhör festgehalten hatten, über ihn herfielen, um Rubel in den Taschen zu finden, da wurde sie freilich ganz breit getreten. Aus der gar nicht genug zu empfehlenden Schrift: ›Es lebe der Krieg!‹ von Bruno Vogel – wohl das wahrste, was über die Schandzeit geschrieben worden ist, dem Reichsarchiv angelegentlichst zum Studium empfohlen. Erschienen im Verlag Die Wölfe zu Leipzig-Plagwitz, Ernst-Kly-Straße 16.

Wie sich Finnland die Politik vorstellt, lerne ich aus dem Abschnitt VIII. »Das bolschewistische Rußland hat noch immer nicht aufgehört, Finnland als Brücke zur Weltrevolution zu betrachten, deshalb ist auch heute die kommunistische Wühlarbeit im Lande sehr rege, und die Massenverhaftungen kommunistischer Führer vor den letzten Wahlen haben wohl nur vorübergehende Erleichterung gebracht.« Das müssen ja hübsche Wahlen gewesen sein. Nun, das soll nicht nur in Finnland vorkommen.

Dank und Preis aber singt die herrschende Klasse Finnlands dem Befreiungs-General v. d. Goltz. Unter den Bildern, die immer wieder seine Truppen, den berüchtigten Mannerheim, weiße Gardisten und Schutzwehr zeigen, ist eines: ›Begrüßung des Grafen v. d. Goltz durch den Magistrat‹, (der Stadt Helsingfors). Das Bild gehörte so, wie es da ist, in unser Witzblatt der Zukunft. Das muß man gesehen haben. Das frech-bescheidene Gesicht des Offiziers, seine ›Herren‹, die echten Kasinotypen, die demütigen Zivilisten, wie aus dem Bilderbuch: einer[160] sieht aus wie Herr Permaneder aus den ›Buddenbrooks‹. einer ist ein Zylinder auf Beinen, einer ist ja so stolz, daß er um den Arm und um den weichen Hut Bänder geschlungen hat und innerhalb der Absperrung stehen darf, stramm, bleich, ein gottesfürchtiger Pfingstochse. Hinten die Landsknechte mit umgehängtem Gewehr. Und ein paar Seiten vorher die schurkischen Rotgardisten, bewaffnete Bauern auf der Chaussee. Wenn man aber schon Bilder fälscht, dann muß man das intelligenter anstellen. Der Leichnam im Vordergrund ist etwas blaß geraten und in der Perspektive verfehlt: er ist aus einem andern Bild herausgeschnitten und in dieses hineingeklebt worden. Aber wie sollte man sonst den ›Terror‹ zeigen? Gegen ihn hat Goltz, den das Ganze einen Schmarrn anging, »scharf durchgegriffen«.

Sein Wirken wird anderswo weniger günstig beurteilt. Die Konkurrenz – Lettland – urteilt so: »Man ist glücklich, über die Kulturperiode des Grafen Goltz hinweggekommen zu sein . . . Wenn Graf Goltz trotzdem bei seinen gefühlsbetonten, geringschätzigen Äußerungen (gegenüber Lettland) bleibt, so ist eben hierin nicht eine vorurteilslose Erkenntnis maßgebend gewesen, sondern die blinde, verärgerte Leidenschaft.« (M. Walters: ›Lettland‹, 1923.) Aber der Condottiere behauptet in seinem Buch, eine »Sendung in Finnland und im Baltikum« gehabt zu haben . . . Die Urheber der Armenier-Morde hatten auch eine.

Wir haben kein Glück mit unsern deutschen Freunden im Ausland. Es gibt wirklich gute und anständige Leute darunter: Menschen, die immer noch auf Deutschland hoffen, auf jenes andre Deutschland; Menschen, die das Volk bedauern, die Opfer der Generale, der Nationalen, der Rotte Tirpitz. Der Rest bedauert nur, daß das schlechte Deutschland nicht gesiegt hat, weil sie sich ihm blutsverwandt fühlen.

Herr Oehquist, der die kitschige ›Wacht am Rhein‹ ins Deutsche übertragen hat, hats gut gemeint. Die Wacht am Rhein . . .

Vom Berg der Zeiten blickt sie in die Lande

Zum Henker, der sein schmachvoll Werk bestellt . . .

Man muß diesen übereifrigen Freunden Deutschlands sagen: Danke. Legen Sies inzwischen dahin. Wir kaufen nichts.

Es gibt eine andre deutsche Jugend. Es gibt eine militärfeindliche Schicht. Es gibt – in den dünnsten Keimen – ein andres Deutschland.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 07.07.1925, Nr. 27, S. 19.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 158-161.
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