Altes Volkslied

[547] Wem habe ich zu danken

– sag an, mein Herz, sag an –:

Wer knebelt die Gedanken?

wer setzt der Freiheit Schranken?

wer ist der brave Mann?


Der Leutnant, schlank gewachsen –

sag an, mein Herz, sag an –

der Reichswehr? die in Sachsen

und Thüringen blutige Faxen

unmöglich getan haben kann?


Ist es der Hauptschriftleiter

– sag an, mein Herz, sag an –,

der dem schwarz-rot-goldenen Streiter

ein gebildeter, steter Begleiter

und noch nie einen Kampf gewann?


Es ist der deutsche Richter

– sag an, mein Herz, sag an –,

der sperrt das rote Gelichter

in die Zellen – und hinterher spricht er:

»Es gibt keine Klassenjustiz.«

Man siehts, mein Herz, man siehts.


Denn die es besser wissen,

die schlafen auf strohenen Kissen;

und die nach dem Lichte streben,

die stehn hinter gitternen Stäben;

und die die Freiheit begehren,

die können sich nicht mehr wehren.[547]


Was verdienen unsre Richter?

Sag an, mein Herz, sag an!

Paragraph juhu!

Paragraph juchei!

Wir wissen es ja schon:

Viel hundert Taler im Jahr, mein Herz –

Unsere Liebe.

Vertraun.

Und Pension.


  • [548] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 23.11.1926, Nr. 47, S. 819.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975.
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