Die Herren Helden

»In einem Wiesental vor dem Dorfe Seraincourt traf ich auf die Abschnittsreserve, die im Begriffe stand, in das Gefecht zu marschieren. Allen waren die schweren Kämpfe der letzten Monate nur zu deutlich anzusehen. Die Uniformen zerrissen – kaum noch die Abzeichen zu erkennen – die Gesichter oft erschreckend mager. Mit vielen sprach ich, viele Hände drückte ich, Männer, die sich in den jüngsten Kämpfen ausgezeichnet hatten, schmückte ich mit dem Kreuze. Dann verteilte ich meinen kleinen Vorrat an Schokolode und Zigaretten. So verging eine in all der Bitternis jener Tage unvergeßlich schöne Stunde im Kreise meiner bewährten Frontkämpfer.«

Kronprinz Wilhelm: ›Erinnerungen‹


Mit keinem Begriff ist seit dem Jahre 1914 so viel Unfug getrieben worden wie mit dem Wort »Helden«. Hindenburg ist ein Held, Ludendorff ist ein Held, die kaiserliche Familie bestand nur aus Helden . . . und vor allem die Generale hatten den Titel erblich. Wie ist es nun damit –?

Daß im aktiven deutschen Offizierskorps der kaiserlichen Armee die schwersten sittlichen Mängel zu Hause waren, wissen wir. Dazu gehörte[172] im allgemeinen nicht ein Mangel an Kollektivmut, das heißt an jenem Mut, den es zu betätigen galt, wenn andre dabei waren: wenn es sich um den seit Kindheit eingebleuten ›Dienst‹ handelte. Bei einem völligen Mangel an Zivilcourage waren diese Männer im allgemeinen nicht feige. Gut.

Je höher wir aber in der militärischen Stufenleiter steigen, desto dünner wird das mit dem ausposaunten Heldentum – und oben hats dabei ganz und gar geschnappt. Ludendorff hat ja, wie bekannt, bei Lüttich noch selbst mitgetan – und er wird sicherlich seine Soldatenpflicht genau so getan haben, wie sie eben jeder durchschnittlich geübte deutsche Soldat getan hatte.

In dem Augenblick aber, wo aus dem ›Soldaten‹, das heißt dem, der selbst Menschen töten sollte, ein Telefongeneral wurde – da war es aus.

Man denke das genau durch.

Kein vollsinniger Mensch wird von einem Kommerzienrat oder einem großen Bergwerksspekulanten verlangen, daß er selbst mit seinen Arbeitern schuftet. Es täte ihm manchmal gut – aber das ist eine andre Sache. Diese Leute nehmen aber auch gar nicht den Ruhm oder das Verdienst für sich in Anspruch, gute Schraubendreher, vorzügliche Häuer zu sein – sie sind etwas ganz andres: nämlich große kapitalistische Kaufleute. Ihre geistige Arbeitsleistung, wie verschieden man die auch einschätzen mag, bleibt sehr oft bestehn: wenn es sich nicht um faule Erben handelt, die andre die Arbeit tun lassen, so kann man sagen, daß sie eine Summe von Intelligenz, Spannkraft, Arbeit, Energie in ihre Sache stecken – wenngleich immer zu bedenken ist, daß sie diese Arbeit unter den allergünstigsten Umständen tun, die einem Menschen gegeben sind. Wie sieht das nun bei den Generalen aus?

Beim modernen General wird der Begriff ›Soldat‹ völlig aufgehoben. Er ist gar kein Soldat mehr.

Foch, Hindenburg, Pershing und wie sie alle heißen – sie mögen alles mögliche gewesen sein: energische Menschen, Führer, mitreißende Männer, fleißige Leute, Leute mit der Entschlußkraft des Augenblicks – alles, alles kann man ihnen zugestehen. Nur eins nicht: sie waren keine Soldaten. – Sie waren Verwaltungsbeamte.

Sie töteten keinen Menschen. Sie lagen nur höchst selten in der Gefahrzone. (Nach der Melodie: »Der Feldherr muß sich den Truppen erhalten.«) Sie mußten nicht Tag für Tag jene stumpfsinnige, nerventötende Arbeit leisten wie die echten Soldaten – nicht den Kleinkrieg mit dem Objekt führen – sich nicht mit Läusen, faulem Stroh, Hunger und Durst herumplagen; sie lebten sauber und bürgerlich in geheizten, gut erleuchteten Räumen und arbeiteten. Mit dem Kriegshandwerk hat das gar nichts mehr zu tun.

Das ist nicht ihre Schuld. Aber dann sollen sie nicht immer so tun, als hätte ihre Tätigkeit noch irgend einen Zusammenhang mit dem Tun des[173] Soldaten – dieser Zusammenhang ist seit etwa einem Jahrhundert völlig verlorengegangen. Hat man schon einmal gehört, daß jemand Henry Ford einen Helden genannt hat? Man kann ihm allen Lorbeer der Welt um die Stirn flechten, wenn man will – aber ein Held? Grade das ist er nie gewesen und wollte es auch gewiß nicht sein. Jeder kleine Unteroffizier hatte in diesem Krieg mehr Heldentum zu bewähren als die Generale und Generalstäbler.

Sie waren falsch angezogen. Sie hätten so wenig eine Uniform tragen sollen wie etwa Wilhelm der Ausreißer: eine Uniform ist kein Ehrenkleid, man gönnt sie ihnen gerne – aber sie haben sie sich gestohlen! In Zivil hätten sie gehen sollen, diese Telefongenerale. (Man stelle sich das vor.) Aber dann hätte ihnen der ganze Krieg keinen Spaß mehr gemacht, trotz der Bombengehälter. Sie liefen herum wie die Todgeweihten, aber sie hatten nur die Chance, sich zu überfressen oder sich kleinere Salonkrankheiten zuzuziehen. Sie trugen die Affenjacke des Zwangssoldaten – aber sie waren es nicht. Es waren verkleidete Beamte, die Generale.

Was sie nicht hindert, die Klappe aufzureißen, daß man ganze Bände ihrer Kriegserinnerungen hineinstopfen kann.

Im oben zitierten Beispiel des Kronprinzen ist die Sache gradezu grotesk. Der teilt an Männer, die sterben gehn, Schokoladenplätzchen aus wie eine Mama an die Kinder, bevor die in die Schule wackeln – – und dann? Und dann –? – Wo blieb er dann?

Dann ging er, sauber gebadet, sauber rasiert, wieder in sein geschütztes Hauptquartier zurück, rieb sich die Hände, die Ordonnanzen flitzten um seinen Abendbrottisch, und inzwischen wälzten sich »seine bewährten Frontkämpfer« in ihren Därmen, die aus ihren Leibern hingen. Und ihr letzter Gedanke galt sicherlich dem prinzlichen Händedruck. Und nicht etwa Frau und Kindern.

Der moderne Krieg hat aus dem Führer einen Beamten gemacht – das darf man niemals vergessen. Alles Heldengerede, das denen da zu ihrer verderblichen Tätigkeit nun auch noch Ruhm, Glanz und Ehre anpappen will, arbeitet bewußt oder unbewußt mit den Formen von gestern. Es gibt keine Landsknechte mit der Hellebarde mehr – übrig geblieben sind nur noch die Vorstellungsformen aus jener Zeit: das ruhmreiche Schwert und der heldische Führer und das Feld der Ehre. Schwindel.

So, wie eine Fahne heute, zur Zeit der Gaskriege, ein sinnloser Lappen Zeug ist, so ist es diese ganze Ausdrucksform: wenn es Helden gegeben hat – im Stab haben die nicht gesessen. Da haben sie gefressen, mit Homers Achilles haben ihre Ledergamaschen nichts mehr zu tun.

Und wenn einer kommt und euch vom Heldentum eines Hindenburg, eines Ludendorff, eines desertierenden Kronprinzen etwas erzählen will, dann tut mit diesen Helden und Heldenverehrern das, was ihnen gebührt.

Lacht sie aus.


  • [174] · Ignaz Wrobel
    Das Andere Deutschland, 27.11.1926.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975.
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