Herr Wendriner in Paris

[431] »Mohjn, Welsch! Na, wie gehts? Ja, wir sind wieder zurück. Seit vorgestern. Komm Se rein. Na, erst an der Riwjera und denn noch 'n kleinen Abstecher nach Paris. Wies war –? Gott . . . wissen Se . . . wissen Se: Paris is nischt . . . manches ist ja schon faabelhaft. Nehm Se ne Zigarre –?

Also wie wir ankomm, regnets in Strömen. Ich denke: schon faul. Richtig: erst mußten wir zehn Minuten aufs Auto warten, der Kerl verstand erst nicht, na, dann gings. Ich hatte mir'n Zimmer reservieren lassen – Grang Hotel, ganz ordentlich. Na, und am nächsten Morgen sind wir dann los. Da hab ich meiner Frau mal Paris gezeigt. Nee, ich war vorher noch nicht da. Na, also die Buhlewars – ein faabelhafter Autoverkehr, na, unerhört. Da stehn die Autos man immer so in sechs, acht Reihen. Das ist schon imponierend. Und fahren tun die Kerls –! Man denkt immer, sie wem einen überfahn, oder man wird umkippen. Kippt aber keiner. Regierer war übrigens auch in Paris – wir trafen ihn auf der Plahhß an der Oper; mir war das sehr angenehm, er hatte die letzten Kurse aus Berlin telegrafisch bekommen, man hört doch immer gern von zu Haus. Sie, hörn Se, schmeißen Sie mir die[431] Asche nich aufn Teppich, meine Frau kann das nicht leiden, hier ham Sie 'n Aschbecher! Na, meine Frau hat eingekauft, nicht zu halten war sie. Wissen Se, soo billig ist Paris nu auch nich. Ich hab ihr unter anderm 'n Jackenkleid gekauft und zwei Kleider, ein großes Abendkleid, dann was fürn Strand, wenn Gott will, wird sie das in Heringsdorf tragen – dafür hab ich bezahlt, zusammen, im ganzen also 3550 Francs, das macht, warten Se mal, das wahn damals . . . circa 510 Mark. Dafür hat sies in Berlin auch. Aber sehr schick 'ne sehr schicke Verkäuferin hat uns bedient . . . Gegessen ham wir natürlich bei Prünjeeh. Haben Sie mal bei Prünjeeh gegessen? Nein? Na, faabelhaft. Sehr elegantes Publikum – Engländer, große Amerikaner, offenbar auch viel Diplomatie. Bei Ssiroh? Nein da war ich nicht, das soll ja nicht so gut sein. Im allgemeinen find ich die Portionen 'n bißchen klein, die Orrdöwas sind ja phantastisch, aber die Portionen sind doch 'n bißchen klein. Ein Freund von dem Bruder meiner Frau, der hat einen Vetter, der lebt in Paris, der hat uns in ein Lokal mitgenommen, da komm sonst Fremde nie hin, das war echt pariserisch. Na, und dann wahn wir im Louwer, sehr interessant, wahn Sie auch im Louwer?, ja, das muß man ja. Na, und denn sind wir noch so rumgebummelt, abends warn wir in der Revue, bei der Mistuingett. Ham Sie die Mistuingett mal gesehn? Ach, Sie ham sie gesehn . . . Na ja, die ist ja nicht so doll. Die Revue war ja faabelhaft. Aber dann haben wir in einem kleinen Theater da eine Person gesehn, ich weiß nicht mehr, wie sie heißt . . . ich komm nicht auf den Namen . . . die wem Sie nicht kennen – na, die war faabelhaft. Das hab ich noch nicht gesehn. Die Lichtreklame fand ich ja nicht so aufregend. Ich meine, das haben wir in Berlin auch. Dann wahn wir abends auf Mongmachta – kennen Sie das? Ach, Sie kennen das . . . Ja, ich war auch nicht so begeistert. Apachen sieht man gar nicht. Aber dann wahn wir im Perrokeeh – kennen Sie das? Das kennen Sie nicht? Was, Sie kennen Perrokeeh nicht? Na, das ist faabelhaft. Wir ham bezahlt, warten Sie mal, Sekt natürlich, alles in allem 320 Francs. Das sind . . . das waren damals 45 Mark. Im Café de Paris? So, wahn Sie da? Ich war da nicht, das soll ja nichts sein. Dann haben wir Freunds getroffen, wir hatten grade Strümpfe für meine Frau gekauft, und wie wir noch so vorm Laden stehn und umrechnen, wer steht da? Freund. Mit Frau. Ich mag ihn ja nicht. Hat er übrigens den Kredit aus Stuttgart bekommen? Sie, ich wer Ihnen was sagen: das ist ein ganz unverschämter Gauner ist das! Er hat gewußt, ich will den Kredit haben, schließlich haben wir zuerst mit den Leuten unterhandelt . . . Er sieht übrigens nicht gut aus. Regierer hat im Klärritsch gewohnt – ich möcht wissen, wie der Mann das macht. Was wir noch gesehn haben? Prünjeeh, die Revuen, die große Opa, Mongmachta, Notta Damm, den Louwer – na, das Wichtigste ham wir gesehn. Weiter ist ja dann auch nichts.

[432] Ja, und einen Abend bin ich allein ausgegangen. Wissen Se . . . also ich hatt doch erst den Doktor Hauser aufgesucht, ja, der immer in der ›Weltbühne‹ diese berliner Sachen schreibt. Jedesmal, wenn ich das lese, sag ich zu meiner Frau: ›Regierer – wie er leibt und lebt!‹ Na, er war kolossal erfreut, er freut sich wohl immer, wenn er Landsleute sieht. Ja. Na, und den hab ich nach Adressen gefragt. Seh ich gar nicht ein – wozu bin ich auf die ›Weltbühne‹ abonniert? Er hat gesagt, er wüßt keine . . . na, Regierer wußte aber welche, und an der Börse hab ich mir auch welche sagen lassen – und eines Abends hab ich zu meiner Frau gesagt, mein liebes Kind, du wirst müde sein, ruh dich aus, ich wer mir 'n bißchen die Schaufenster ansehn gehn. Da haben wir uns dann 'n Auto genommen, Regierer und ich, allein war mir die Sache zu riskant. Na, wissen Se . . . Vorm Haus standen schon andre Herrschaften, ich dräng mich so vorbei, auf einmal hör ich, wie einer sagt ›Boches!‹ – na, ich muß ja nicht von allem haben und wollt schon vorbei, aber auf einmal hör ich, die Leute sprechen deutsch! Da bin ich ran und hab dem Kerl aber ordentlich meine Meinung gesagt! Wissen Sie die Deutschen auf der Reise . . . Na! Ich habn aber ordentlich Bescheid gestoßen. Es war so ein ganz Kleiner, dem hab ichs aber gesagt! Na, und drin war denn alles voller Spiegel, und ein ganzer Saal mit nackten Weibern. Ein ganzer Saal voll. Na, nich rühr an, natürlich. Ich hab die obligate Flasche Sekt bezahlt, die Mädchen haben auch ein bißchen getanzt, eine hat was vorgemacht, eine sehr nette Person, sie sprach auch 'n bißchen deutsch. Ich war eigentlich etwas enttäuscht. Ich hatt mir die Pariserin eleganter gedacht. Überhaupt, nu frag ich Sie: wo ist in Paris die Eleganz? Auf den Buhlewars sind ja manchmal ganz schicke Personen – aber ich meine, sowas sieht man bei uns in der Premiere auch. Ich wer Ihnen mal was sagen: es is sehr viel Blöff dabei. Verstehn Sie? Sehr viel Blöff. Das sag ich Ihn. Na, und am Dienstag sind wir dann weg. Meine Frau wollte noch bleiben. Aber ich hab gesagt, mein liebes Kind – nu is genug Paris. Mein Bedarf ist gedeckt.

Und ich wer Ihn mal was sagen, Welsch – Herrgott, schmeißen Sie doch die Asche nicht immer aufn Teppich! Tun Sie das bei sich zu Hause auch? 'n Gemüt. Ich wer Ihnen mal was sagen: ich reise gewiß gern. Aber wissen Sie, wenn man so lange weg war, zur Erholung, immer in den Halls und in den eleganten Kasinos da unten, an der Riwjera, jeden Abend im Smoking – wenn dann der Zug so nach der Paßkontrolle über die Grenze fährt, und ich seh wieder den ersten Stationsbeamten in Preußisch-Blau – und man hat wieder seine Ruhe und seine Ordnung nach all dem Trubel – Paris hin, Paris her – könn Se sagen, was Sie wollen –: am schönsten is doch ze Hause –!«


  • [433] · Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 04.05.1926, Nr. 18, S. 709.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 431-434.
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