Südfrüchte

[434] Wenn einer und er ißt Mittach –

feine Leute nennen diß »friehsticken« –

also: wenn er friehstickt unbestellt sich zum Schluß

wat Sießet: Appelsinenauflauf mit Guß,

und nu wird ihm der Kellner eine Gurke bringen –

so sagt der: »Nehm Sie das wieder fott!

Denn, lieber Herr Ober:

Saure Jurke ist keen Kompott!«


So auch im Leben.

Da glauben Biederbrillen und Fortschrittskneifer,

das deutsche politische Leben würde immer reifer und reifer.

Und sprechen davon, bei Tage, abends und in der Nacht,

wie wir es doch so herrlich weit gebracht.

Und wir hätten eine Republik und eine Verfassung

und ein freies Wahlrecht dazu –

wat sagste nu –?

Ich sage: Das Schild hat gewechselt, sag ich – im Laden der alte Trott:

Saure Jurke is keen Kompott!


Und ich sage: Wenn ich so abends die Herren Ministersch seh,

und die Herren Staatssekatäre im Frack, im Bristoll und Theata pareh –

wie sie doch so gern möchten mongdän sein mit ihre Damens

und vor jeden fremden Dippelmaten zusammenknicken,

wegen des Namens;

wie sie Fettlebe machen bei Rechtsanwälte und bei Bankiers,

wie sie so rumscharwenzeln auf die feinsten Modetees –

selig, wenn einer hinter sie herzischelt: »Diß is Geßler! Das ist Koch!«

wie manche fressen und spinkulieren noch und noch –

wenn ich das so sehe und denke: Die bilden sich nu ein,

große, internationale, politische Welt zu sein . . .

Dann sag ich bei mir: Die –? Ach, du lieber Gott . . .

Lauter saure Jurken. Und kein Kompott.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 11.05.1926, Nr. 19, S. 733.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 434.
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