Das Museum der Eitelkeiten

[304] »Et croyez-moi, cher monsieur, je n'ai rien fait pour cela –!«


Neben der Gare d'Orsay, an der Seine, liegt das feine, graue Palais Salm, erbaut vor der Revolution, niedergebrannt in der Kommune, neu erbaut nach dem Kriege 1870/1871. Dieses Haus hat eine seltsame Bestimmung: es ist vollgestopft mit Akten und mit Registraturen – und unten, an der Querseite, ist ein kleines Museum untergebracht. Lasset uns eintreten: hier wohnt die Légion d'Honneur.

Hier ist zu sehen, wie durch die Geschichte der Jahrhunderte die Menschen äußerlich, durch ein handfestes Symbol, anerkannt zu haben wünschten, was sie etwa geleistet hätten: von der kindskopfgroßen Goldplakette bis zum Miniaturkreuzchen ist alles da. Orden auf Flächen und Orden auf Tassen; Orden auf rosa Stramin und Orden in Perlen gestrickt – sogar eine Uhr, in der wackelt das Kreuz der Ehrenlegion hin und her, wenn sie tickt . . .

Und ein Ahne der Ehrenlegion ist da: ein Orden vom Heiligen Geist;[304] und Bilder und Bilder: Napoleon (der die Ehrenlegion begründet hat) verteilt seine Kreuze und heftet sie den Grenadieren an, und durch Jahrhunderte machen die Geschmückten dabei dasselbe gehobene, stolze und ein wenig schafsdämliche Gesicht . . . Das ist wohl auf der ganzen Welt so. Und Bilder, auf denen die Schildwache den Ehrenlegionär grüßt, und der grüßt zurück, in Zivil, wie er ist, und seine ›bourgeoise‹ knixt geschmeichelt mit; und sterbende Patrioten, und eine ganze Verleihungsparade aus Bleisoldaten und eine aus Kartonsoldaten – und einmal regnet es auf einen Mann mit Regenschirm rote Bändchen herunter (»Quel vilain temps!«) und Bilder der Ordensritter, unter denen, wie männiglich bekannt, sich auch viele Deutsche befinden. Denn Paul Lincke, Goethe und Ludwig Fulda hatten und haben sie, und Er, der zu Eckermann einmal gesagt hat: »Schelten Sie mir die Orden nicht – sie halten manchen Puff ab im Gedränge«, er hat sich, wie man aus einem hier ausgestellten Briefe ersehen kann, am 12. November 1808 sehr freundlich für das Bändchen bekannt. »Flatté d'avoir reçu ce Gage précieux . . . « Und nun dürfte er ja wohl bei den Deutsch-Völkischen endgültig unten durch sein.

Und auf einem alten Revolutionsbild ist zu sehen, wie verschieden manchmal so die Insignien sind: ›Das Wappen des Volkes‹ – und darauf die phrygische Mütze und die Rutenbündel, ein Besenstiel und – schon damals – eine Sense.

Und wie ich nun nachdenke, was von hier aus, aus diesem kleinen Palais, alles ausstrahlt, da fühle ich mich wie in einer riesigen Ordenssonne, die ihre blitzenden Lichtpfeile nach allen Provinzen Frankreichs und weiter, bis nach Amerika, aussendet . . . Wie macht sie das?

Als Napoleon noch Erster Konsul war, hat er die Ehrenlegion begründet: das war im Jahre 1802. Damals bekamen das Bändchen hauptsächlich seine Soldaten, und nur später, im 1870er Kriege, hat man noch einmal versucht, die Ehrenlegion nur den Militärs zu reservieren. Aber das wurde bald wieder aufgehoben . . . Am 15. Juli 1804 wurde einem Soldaten das erste Kreuz angeheftet, und wie oft seitdem –! Die ungeheure Menschenklugheit, die Erkenntnis vom Wesen seinesgleichen hat Napoleon auch bei dieser Schöpfung ausgezeichnet. Wie hat er die Menschen verstanden –! Denn sie wollten das so, sie haben es immer gewollt, sie wollen es heute noch! Traum eines Franzosen, Traum des Menschen, zum Unterschied von den andern ›gewöhnlichen‹ Sterblichen mit irgendeinem Flitter behängt zu werden! Zur Zeit gibt es in Frankreich etwa 113000 gewöhnliche Ritter der Legion, etwa 19000 ›Officiers‹, 2700 ›Commandeurs‹, 391 ›Grands-Officiers‹ und 64 ›Grands-Croix‹. Auch Fahnen können die Ehrenlegion bekommen, auch Städte (Verdun hat sie). Unter den[305] Dekorierten sind über zweihundert Frauen, hauptsächlich um ihrer Verdienste um die Krankenpflege im Kriege.

Was der Dekorierte davon ›hat‹? Äußerlich einen kleinen jährlich ausbezahlten Geldbetrag, der übrigens nicht pfändbar ist: staffelweise geht das von 250 bis 3000 Francs. Viele verzichten darauf; es geht hier nicht ums Geld. Es geht übrigens auch nicht bei der Verleihung ums Geld: im vorigen Jahr platzte eine Skandalblase, weil inzwischen abgestrafte Beamte behauptet hatten, für eine große Summe Geldes die Ehrenlegion verschaffen zu können. (Es wurden damals viele zehntausend Francs gefordert und gezahlt.) Ich halte es nach meinen Erkundigungen für ganz ausgeschlossen, daß auch nur in einem einzigen Falle die Kanzlei des Ordens als Gegenleistung selbst für großherzigste Spende direkt das Bändchen verleiht. So einfach ist das hier nicht . . .

Welche ›Schritte‹; wieviel Besuche, Briefe, Telefongespräche; wie mühsam muß immer wieder das mitunter knarrende Uhrwerk der Beziehungen in Gang gesetzt werden – welche unerhörte Fülle von Arbeitskraft, Energie, Intrigen, Rankünen, Händedrücken, Lügen, Kabalen und Halbwahrheiten! Jedes Ministerium hat das Vorschlagsrecht – die Kanzlei der Ehrenlegion prüft dann ihrerseits nach, und was fällt dabei unter den Tisch und wird ächzend wieder heraufgeholt und noch einmal präsentiert und noch einmal und noch einmal . . .

Dabei geht es mitunter merkwürdig zu. Doumergue zum Beispiel, der in seiner Eigenschaft als Präsident Großmeister der Ehrenlegion ist und auch nach seiner Amtszeit ›Grand-Croix‹ bleibt – Doumergue war vor seiner Präsidentenschaft gar nichts, nicht einmal Chevalier. Durch Briand haben wahrscheinlich Tausende die Ehrenlegion bekommen, er selbst hat sie nicht.

Und dieses Streben nach der Légion d'Honneur ist nicht mit der Erlangung der unmittelbaren, gesetzlich fixierten Rechte und Vorteile erklärbar: nicht mit der Möglichkeit, Töchter in den drei Erziehungsinstituten der Legion, in Saint-Denis, in Exouen und im Walde von Saint-Germain, unterzubringen; nicht mit der Tatsache, daß alle Zivilpapiere den Zusatz ›Chevalier‹ tragen müssen; nicht einmal damit, daß die ›Grands-Croix‹ und die ›Grands-Officiers‹ nur vom höchsten französischen Gerichtshof abgeurteilt werden können. Nicht Geld und nicht Freierziehung der Kinder; nicht die Bevorzugung im Strafprozeß und nicht der Vortritt bei öffentlichen Feiern (stark modifiziert nach dem Beamten- oder Militärrang des Dekorierten) – das alles ist es nicht. Auch nicht die trotz der immensen Zahl der Dekorierten ängstlich bewahrte Exklusivität des Instituts, das sich seine Ehrengerichtsbarkeit bis zu dem Grade vorbehält, daß kein Legionär auf seine Würde verzichten kann – wohl aber[306] kann die Legion ihm das Kreuz wieder aberkennen (Fall von Victor Margueritte unter der jetzigen Großkanzlerschaft des Generals Dubail) – alles das ist es nicht.

Es ist Macht, die verliehen wird, um Macht auszuüben – Delegierte, Untertyrannis, Köder und Möglichkeit zu neuem Fischfang – es ist ein Teuerungsindex, Passepartout und Dietrich, Phiole mit Öl, das Wogen glättet und das geschmeidig macht, was knirscht . . . Direkt bedeutet es wenig oder gar nichts – indirekt fast alles. Mit der Légion d'Honneur kann man vielleicht gar nichts erreichen – ohne sie noch weniger. Sie bewahrt und sie schützt. Sie ist Schild und Lanze zugleich. Sie entflammt die ältesten Adelsmütter und die jüngsten Beamten. Sie spielt in die dörflichen Wahlkommitees hinein und kittet Verlobungen – mancher schießt sie auf der ersten Pirsch und mancher läuft ihr, mit heraushängender Zunge, ein dreiviertel Leben lang nach. Französischer Minister sein heißt unter anderm: dem schweren Ansturm der Bittenden zu widerstehen, die zu lebenslänglichen Feinden oder zu undankbaren Freunden werden, je nachdem, ob die Sache ›dans le lac‹ oder ›dans le sac‹ ist.

Es ist die tief im Menschen wurzelnde Sucht, äußerlich zu erkennen zu geben, was er erlangt hat. Wenn man es nicht sieht, macht ihm das ganze Verdienst keinen Spaß, nicht einmal der ganze Verdienst. Was dem einen seine Ehrenlegion, ist dem andern sein Zeughaus – wir wollen uns da nichts vormachen. Nur ist das rote Bändchen, das Sie so oft in Paris sehen können, ein eminent politischer Köder, mit dem die Regierung viel, sehr viel, unvorstellbar viel erreichen kann. Man darf getrost sagen, daß sie mit dem vorgehaltenen Zentimeter von Moirée – »Komm! komm! komm!« – eine kleine Armee von Menschen hinter sich herlockt, die sie so ziemlich in die äußersten Winkel führen kann. Sie folgen.

Nicht nur in den Krieg. Nicht nur die Offiziere, die ja an Bändchen und Orden gewöhnt sind. Nein – eine ganze Nation, sagen wir: eine dreiviertel Nation. Jeder Mensch macht in Frankreich über die Ehrenlegion seine Witze – mitunter sogar sehr gute – aber jeder nimmt sie, wenn er sie bekommt. Obgleich doch jeder weiß, wofür sie verliehen wird, und welche kleinen Feldzüge geführt, welche Schlachten geschlagen werden müssen, bevor der ersehnte Augenblick gekommen ist, wo endlich der Name des Dekorierten im ›Journal Officiel‹ steht. »Ach, ewig ist so lang!« sagt ein alter Spruch.

Jeder weiß Bescheid, zum mindesten jeder, der zum Bau gehört. Und trotzdem diese unbedingte Anerkennung ihres Wertes; die neidvolle Bewunderung; der Stempel; es ist eine Charakteristik, wenn eine Zeitung schreibt: »Un monsieur très bien, chevalier de la Légion d'Honneur . . . « Ein mystischer Doktortitel.

Und ein Machtmittel ersten Ranges. Zeitungsbesitzer, Parteiführer,[307] Beamte; Kritiker und Literaten; Maler und Schauspieler – sie haben alle schon davon gegessen. Und wer einmal davon gegessen hat, kann dem Koch nicht mehr gut in die Suppe spucken – wenigstens nicht in einer Form, die ihm gefährlich werden kann. Die Légion d'Honneur gehört zu jenen fast unnachahmlichen Mitteln, mit denen hier regiert wird. Leise Mittel, unhörbare Pressionen, das kommt gleich nach der Regierungskunst der katholischen Kirche . . .

Das rote Bändchen der Franzosen ist ja im Grunde nichts dem Lande Eigentümliches, wenn man durch Allegorien hindurchzuschauen vermag. Es drückt eben die soziale Rangordnung aus, unterstreicht sie noch, und plutokratisch, wie das Land ist, sickern nur wenig Bändchen nach unten, in das Proletariat. Dieser Tage hat der Minister Bokanowski einem Briefträger, einem ganz gewöhnlichen Landbriefträger, das Kreuz verliehen – und die Zeitungen kochten über vor so viel Demokratie.

Aus den hundertundfünfunddreißigtausend Akten der Lebenden, aus den Millionen der Toten, aus all den Akten, die in diesem Hause aufbewahrt liegen, steigt ein betäubender Duft auf – eine Staubwolke von Gier, Neid, Glück und Lust am Erfolg; Gesichter erscheinen, grün vor Ehrgeiz; verkniffene Gesichter von Professorengattinnen und verkrampfte Lippen von Präfektenfrauen; von Seidenkaufleuten aus Lyon und Varietédirektoren aus Paris. Alle Vöglein sind schon da.

Wer die französische Bürokratie kennt, kann ermessen, was dazu gehört, ehe sich einer durch dieses Labyrinth von Akten, Papier, Eingaben und Papieren hindurchgewunden hat – bis er hochaufatmend am Ziele steht. Da darf er denn dieses Wort sagen, das, mit einer leichten Handbewegung, fast jeder Franzose gleichmütig den gratulierenden Freunden hinwirft, die ihn, je nachdem, ob sie es haben oder nicht, herablassend oder ehrfurchtsvoll begratulieren, ein Wort, das sich auf die stets vorausgesetzten bitteren Kämpfe um das Bändchen bezieht, und das ein Courteline ersonnen haben könnte, weil es so humoristisch-doppeldeutig ist:

»Et vous savez – je n'ai rien fait pour cela –!«


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 09.09.1927.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 304-308.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon