Es ist

[263] Es ist so viel unverbrauchte Zärtlichkeit in Hotelzimmern,

wo sie allein liegen:

ein Mann, oder eine Frau, oder ein angebrochenes junges Mädchen –

in leiser Lächerlichkeit liegen wir allein.

Es ist eine Einsamkeit, umflossen

von den Strömen des städtischen Gases,

des elektrischen Stromes, für alle gemacht,

einer Zentralheizung, eines Zentralessens, einer Zentralzeitung . . .

aber ein kleiner Fleck ist noch da,

auf dem sind wir allein.

Jeder liegt in seiner Schublade.

Die kleinen Härchen auf den Oberarmen schwanken suchend im Luftzug,

wie die Greifer der Meerespflanzen in strömendem Wasser;

die Haut langweilt sich.

Wenn jetzt einer käme und sagte: »Bitte sehr! ich liege Ihnen zur Verfügung!«

wenn ich jetzt durch die Wand ginge zu meiner Nachbarin –

(»Man ist doch keine Hure! ich werfe mein Leben nicht in Hotels weg!« – Kusch.)

– wenn jetzt eine dicke Dame käme, mich im Bad zu massieren;[263]

wenn sich jetzt der Jungen ein verständiger Mann gesellte, der sie nur streichelte . . .

ungenützt ist die Nacht.

Dreivierteleins.

Es kocht in den Röhren des Badezimmers;

badet jemand noch so spät?

Neugierig sind wir auf fremde Körper.

Wie legen Sie abends das Hemd auf den Stuhl? Lieben Sie Fruchtsalz?

Ziehen Sie Ihre Uhr morgens oder abends auf?

Und in der Liebe?

Sind Sie gesund? Verzeihen Sie, ich habe solche Furcht vor Krankheiten –

das ist ein Teil meiner Tugend.

I'm in love again –

nein, das eigentlich nicht:

es sollte nur jemand da sein, an dem ich mich spüren kann.

Warum, 318 (mit Bad) liegen Sie so allein?

Denkbar wäre auch eine Hotelgeisha, die höflich liebt,

und die auf der Rechnung nur als kleiner, diskreter Kreis vermerkt ist –

aber schöner wäre ein Gast.

Warum kommt nie ein Einsamer zu einer Einsamen?

Stolz kriechen wir in unser zuständiges Gehäus,

hygienisch, unnahbar, vernünftig,

allein.

Knips das Licht an, sagt der Schlaflose zu sich selbst

(er duzt sich, weil er sich schon so lange kennt) –

und lies noch ein bißchen.

Du hast zu viel Pfirsich-Melba gegessen, daher solche Gedanken,

Luftblasen auf dem Meer der innern Sekretion.

Du bist überhaupt gar nicht allein. Du hast eine Zeitung. Lies:


8. Fortsetzung

Nachdruck verboten

Schließlich raffte sie ein Spiel Karten auf, kauerte sich neben den Kamin und begann, eifrig und hingegeben zu mischen.

»Ich kam in der Absicht«, begann er mit einer nicht ganz festen Stimme, »noch heute um Ihre Hand anzuhalten.« Das schöne Mädchen


  • [264] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 09.10.1928, Nr. 41, S. 560, wieder in: Mona Lisa.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 263-265.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.

128 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon