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[62] Reproduzierende Musiker sind die dümmsten Menschen der Welt.
Die Sängerin, die, einen selbstbestellten Blumenstrauß an den seidenen Busen gepreßt, mit kaltem Schweiß bedeckt in das Künstlerzimmer zurückkeucht, gehört zu den bejammernswertesten Erscheinungen des Daseins, und das Mitleid mit der Kreatur wird nur durch das irre Feuer zerstört, das in diesen Augen funkelt. Sie sehen nur sich. Sie sprechen nur von sich. Sie sind sehr langweilig, viel weniger nötig, als sie glauben, und was die Millionenzuschüsse angeht, die die Städte den sterbenden Opern leisten sollen . . .
Eitel oder nicht eitel – jeder hat seinen Sparren. Aber wenn einer so töricht ist, daß er seine Eitelkeit auch noch plakatiert, dann können Sie darauf schwören: das ist ein Musiker.
»Mannheim, September 1929.
Zahlreiche, im Laufe der letzten Jahre lautgewordene Beschwerden prominenter Künstler und Korporationen über die in Mannheim, im Gegensatz zu andern Städten, deprimierend wirkende Zurückhaltung in der Form der Beifallsbezeugungen geben uns Veranlassung, unsre Mitglieder recht herzlich zu bitten, um Verstimmungen vorzubeugen, den Künstlern jeweils den ihrem Range entsprechenden Empfang zu bereiten und am Schlusse eines Konzertes durch Verweilen auf den Plätzen den Dank zu zollen, der dem Ansehen Mannheims als Kunststadt nicht widerspricht.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Der Vorstand.«
Des Philharmonischen Vereins zu Mannheim nämlich. Das Edikt ist unvollständig.
Betritt die Liedersängerin Gertrud Werschke-Spontini den Saal, so hat das Publikum in einen Orkan der Verzückung auszubrechen, ein ff. Schauer hat durch den Saal zu gehen, und jüngere Damen sind gehalten, vor innerer Erregung an ihren Taschentüchern zu zerren. Nach jeder Gesangspièce hat die Versammlung das ›Te Deum‹, das ›Credo‹ oder im Bedarfsfalle das ›Kol Nidre‹ anzustimmen; nach Schluß der Vorstellung dürfen Blumen geworfen werden, Früchte nicht; Zugaben haben erbettelt zu werden, bis der Saaldiener das Licht löscht.
Um Verstimmungen vorzubeugen, sind die Künstler nach Dienstgraden gestaffelt zu begrüßen. Bassisten mit mittlerem, wenn auch riesigem Beifall; Sopranistinnen mit stürmischem Originalbeifall; Altistinnen mit Jubel; Koloratursängerinnen mit nicht-enden-wollendem Applaus und Tenöre mit dem aus Damenkehlen scharf ausgestoßenen Rufe: »Nimm mich hin beziehungsweise her!« Sollte der[62] Kapellmeister, auf den die herzliche Bitte des Vorstands zurückzuführen sein dürfte, Mannheim noch einmal mit seinem Stabe beehren, so ist die Stadt zu flaggen und der Wasserturm abzureißen; der Bürgermeister hat dem Kapellmeister die Schlüssel der Stadt sowie Feinbrot und Tafelsalz auf einem samtenen Kissen (kniend) darzubringen, Knieschützer sind gestattet. Das Publikum hat nach dem Konzert durch Verweilen auf den Plätzen bis Morgengrauen dem Künstler seinen Dank zu zollen.
Wackere Mannheimer. Klatscht nicht mehr, als ihr wollt. Nehmt keine Rücksicht auf eine größenwahnsinnig gewordene Schar von Virtuosen, gegen die der alte Possart ein Mauerblümchen gewesen ist. Hats euch gefallen, dann applaudiert. Hat euch jemand wirklich etwas gegeben, dann feiert ihn. Aber bereitet ihm ruhig den Empfang, der nicht seinem sondern euerm Range entspricht: dem von denkenden, vernünftigen Menschen.