Wer hat die Frontsoldaten

»Schweine« genannt –?

[63] Das ›Andere Deutschland‹ hat in ›Fragen und Antworten‹ erzählt, wie ein Gesinnungsfreund einen Nazi damit abgeführt habe, daß er ihn in einer Versammlung aufforderte, dies zu unterschreiben:

»Ignaz Wrobel hat neulich in Wiesbaden öffentlich ohne erläuternden und einschränkenden Vor- und Nachsatz erklärt:

Alle Frontsoldaten waren Schweine.«

Das war sogar dem Nazi zu dumm. Er unterschrieb nicht. Aber ich will den wackern Knaben gern auf die gewickelten Beine helfen.

Zunächst habe ich, wenn mich meine Notizen nicht täuschen, in Wiesbaden überhaupt keine meiner Arbeiten vorgelesen, aus denen man durch Fälschung den obigen Satz herausholen könnte. Ich las das Gedicht ›Der Graben‹, das zuerst im ›Andern Deutschland‹ erschienen ist – ich las andres . . . , aber von Schweinen war nicht die Rede. In Wiesbaden nicht. Aber anderswo. Nämlich im Kriege.

Und da gebe ich denn zu, diese Dinge bei ihrem wahren Namen genannt zu haben. Es heißt in einem Gedicht ›Drei Minuten Gehör!‹.


Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.

Wart ihr noch Gottes Ebenbild?

In der Kaserne – im Schilderhaus

wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.

Der Offizier war eine Perle,

aber ihr wart nur ›Kerle‹!

Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine,

die Offiziere lagen alleine.[63]


Man muß schon von Hitler mit einem Industrie-Scheck vor den Kopf gehauen sein, um nicht zu begreifen, was hier gesagt ist.

Ihr wart die Schweine –

nämlich für die, die euch so genannt haben!

Und wer hat euch so genannt?

Die deutschen Offiziere.

Nicht einer, Hundert, Tausend, Zehntausend . . . für sie gehörte es zum guten Ton, von den ›Kerlen‹, den ›Schweinen‹ zu sprechen.

Ich halte mit meinen pazifistischen Gesinnungsfreunden die Bezeichnung ›Frontsoldat‹ an sich noch für keinen Ehrentitel. Die Frontsoldaten aller Nationen haben sich ihr schreckliches und sinnloses Erlebnis nicht ausgesucht; man hat sie mit einer Gewalt dazu gepreßt, die, kommt sie von den Bolschewiken, die Welt aufheulen läßt. Es gab unter diesen Frontsoldaten: echte Helden, nachgemachte Helden, anständige Kerle, Stumpfböcke, Verbrecher, verkleidete Fabrikbesitzer, arme Luder – alles gab es.

Aber Deutsche, die so auf Deutschen herumhacken, wie das die Nazis in die deutsche Politik eingeführt haben (denn sie haben es getan und nicht die Kommunisten) – so etwas hats nicht gegeben.

In Wiesbaden bin ich nach der Vorlesung an den Nazis vorbeigefahren; sie standen da und stießen ihren Original-Schlachtruf aus: »Huuu –!« und sie warfen mit Steinen und alten Brocken und waren überhaupt furchtbar mutig. Ich war nämlich einer und sie waren eine Herde. Ich sah in ihre Augen: verhetzt, verdummt, verbrüllt . . . und keine Idee dahinter.

Jedem Pazifisten die Ehre abschneiden; hinter den Republikanern her sein wie die Wölfe; das politische Leben vergiften; Minister mit Personalstunk bekämpfen; Straßen durchbrüllen und Fensterscheiben zerschmeißen; nach einem mißglückten Putsch von nichts wissen und alles abschwören; vor Gericht kneifen . . . wie nennt man solche Leute –?

Was die deutschen Frontsoldaten angeht –: sie sind keine Schweine gewesen.


  • · Ignaz Wrobel
    Das Andere Deutschland, 08.03.1930.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 8, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 63-64.
Lizenz:
Kategorien: