[118] Den ganzen nächsten Tag über schliefen wir bombenfest, die nächtlichen Abenteuer lagen uns wie Blei in den Gliedern. Am Abend machten wir uns dann wieder weiter, immer hinter einem kolossal langen Floße her, das feierlich wie eine prozession vor uns dahinzog. An Bord waren vier große Hütten, hohe Flaggenmasten an beiden Enden und in der Mitte ein freies, lustig flackerndes Feuer, um das viele Männer rauchend, trinkend und Karten spielend, lagerten. Es mochten wohl etwa dreißig Leute Bemannung darauf sein. Ja, das lohnte der Mühe, Steuermann an Bord eines solchen Ungeheuers zu werden, das war doch etwas! Unser kleines Ding kam mir dagegen vor wie eine Wasserfliege, die sich an den Schwanz einer Seeschlange klammert.[118]
Wir kamen an eine starke Krümmung des Flusses, und allmählich bewölkte sich der Himmel und es wurde sehr heiß. Der Strom war hier sehr breit und dichte, hohe Wälder zogen sich an beiden Ufern hin, wie dicke schwarze Linien ohne jede Unterbrechung, ohne jeden Lichtstrahl. Wir sprachen über Kairo, unser nächstes Ziel und meinten, ob wir es wohl erkennen würden, wenn wir dran kämen. Ich sagte nein, vielleicht nicht, denn ich hatte gehört, es seien überhaupt nur ein Dutzend Häuser da, und wenn sie die nicht ganz extra hell erleuchteten, wie sollten wir wissen, daß es eine Stadt vorstellte? Jim meinte, wo die beiden Flüsse zusammenkämen, das müsse man doch gewiß sehen. Das schien mir gar nicht so ausgemacht; denn wir konnten uns leicht einbilden, die Spitze einer Insel zu passieren, und in dem Fahrwasser des alten Stromes zu sein. Dieser Gedanke beunruhigte Jim – und mich nicht minder. Da war nun die Frage, was thun? Laß mich ans Ufer fahren, schlug ich vor, sobald sich ein Licht zeigt. Dann sag' ich, mein Alter käme nach mit seinem Warenschiff, wisse aber nicht recht Bescheid hier in der Gegend und wie weit's wohl noch nach Kairo sein könne. Jim hielt die Idee für ausgezeichnet; wir rauchten drauf noch eine Pfeife zur besseren Verdauung und hielten dabei Ausschau.
Etwas anderes, als ordentlich die Augen offen halten, konnten wir im Moment nicht thun. Es galt, die Stadt sehen und nicht blind an ihr vorüberfahren. Jim meinte, er sehe sie sicher zuerst, denn dann sei er ein freier Mann, ein freier Nigger! Vorbeifahren hieße wieder in die Sklaverei gehen, nur über den Ohio könne er zur Freiheit gelangen, sonst sei's aus und vorbei. Alle paar Augenblicke schnellte er auf:
»Da sie sein!«
Aber niemals war's wirklich so. Einmal war's ein Irrlicht, dann ein paar Leuchtkäfer, die er für Lichter der[119] Stadt hielt und er setzte sich seufzend wieder hin, um geduldig weiter auszuschauen. Es mache ihn ganz wackelig und zitterig, sagte der arme Kerl, der Freiheit nun so nahe zu sein. Mich machte etwas auch zitterig und wackelig, aber ganz was andres. Mir kam's plötzlich durch den Kopf, Jim war ja jetzt schon so gut wie frei, – und wer war daran Schuld? – Ich! Ich, ich – Huck Finn – verhalf einem Nigger dazu, seinem Herrn durchzubrennen!1 Zum allererstenmal in der ganzen langen Zeit, die ich mit Jim zusammengewesen, wurde mir so recht klar, was ich eigentlich that. Mich packte es wie mit Teufelskrallen! Ich konnt' nicht still bleiben, nicht stehen, nicht liegen, nicht sitzen! Mir wurde ordentlich heiß und fiebrig bei dem Gedanken. Ich suchte mich bei mir selbst zu entschuldigen, ich war ja eigentlich gar nicht zu tadeln, ich hatte ja Jim nicht davonlaufen heißen von seiner rechtmäßigen Besitzerin! Das half mir aber nichts. Allemal regte sich wieder das Gewissen und sagte: ‚Aber du hast ihm geholfen auf der Flucht und hättest doch nur ans Ufer zu rudern und jemandem davon zu sagen brauchen.' Wahrhaftig, so war's – da half keine Ausrede. Das gab mir einen Stich. Und weiter bohrt das Gewissen:,Was hat dir denn Miß Watson gethan, Huck Finn, daß du mit ansehen kannst, wie ihr einziger Nigger sozusagen unter ihrer Nase durchgeht, ohne daß du ein Sterbenswörtchen sagst? Was hat dir das arme, alte Ding gethan, daß du ihr den Streich spielst? Was, sie wollte dich doch lesen lehren, wollte dir Manieren beibringen, wollte dein Bestes, so gut sie's verstand! Das ist's, was sie dir gethan hat, Huck – Huck Finn!'
Mir war so erbärmlich, so elend zu Mute, daß ich wünschte, ich wäre tot und weg. Ich rannte hin und her[120] und machte mich immerzu in Gedanken vor mir selber schlecht und Jim rannte mit, immer an mir vorbei. Keiner konnte ruhig bleiben. Jedesmal, wenn er wieder auffuhr: »das sein Kairo!« ging es mir wie ein Schuß durchs Herz und ich dachte, wenn's wirklich wäre, würde ich sterben vor Schreck.
Jim sprach immer laut vor sich hin, während ich's leise mit mir selber abmachte. Wenn er erst frei wäre, – sagte er – wolle er schaffen wie ein Pferd und sparen, sparen, bis er sein Weib loskaufen könne, das zu einer Farm in der Nähe von Miß Watson gehörte. Dann wollten sie beide für die Kinder sparen, und wenn der Herr dieselben nicht verkaufen wolle, so wolle er irgend einen »Ablitionisten« bitten, sie für ihn zu stehlen.
Mir gefror das Mark in den Knochen, als ich das Zeug hörte. Vorher hätte er nie, nie gewagt, so etwas je zu sagen. Was doch der Gedanke, jeden Augenblick frei sein zu können, für einen Unterschied bei ihm machte! Das alte Sprichwort hatte eben Recht:,gieb 'nem Nigger den kleinen Finger, und er nimmt die ganze Hand!' Denk' ich, das kommt davon! Hast du einem Nigger geholfen, davonzulaufen und, kaum am Ziel, sagt er dir ganz naiv und unverfroren, er wolle seine Kinder stehlen – Kinder, die einem Manne gehören, den du nicht einmal kennst, der dir nie was Böses gethan hat!
Mir that's leid, daß Jim dergleichen sagen konnte, es setzte ihn so tief herab in meinen Augen. Mein Gewissen rumorte in mir, toller als je, bis ich ihm zuletzt zuflüstre: ›laß bleiben, es ist ja noch nicht zu spät, sowie ich das erste Licht sehe, gehe ich ans Ufer und sag's‹. Danach war ich ruhig und zufrieden und fühlte mich so leicht wie eine Feder. Alles, was mich gequält, war mit einemmal verschwunden, wie weggeblasen. Ich spähe nach einem Lichte aus und sing' mir dabei was vor. Da zeigt sich eins und Jim schreit:[121]
»Sein gerettet, Huck, sein gerettet! Spring' un sei froh, das sein gute alte Kairo endlich, endlich! Jim weiß's, Jim fühlt's! Müssen sein Kairo! Gute, alte Kairo!«
Sag' ich:
»Will doch lieber das Boot nehmen, Jim, und nachsehen, es könnt' am Ende doch nicht wahr sein!«
Er springt nach dem Boot, hat's im Nu flott gemacht, legt mir noch seinen alten Rock auf die Bank, um den Sitz bequem zu machen, drückt mir das Ruder in die Hand und jauchzt:
»Alte Jim bald wird singen vor Freud! Wird er sagen: Alles, alles danken Huck! Jim sein freie Mann, wären nie nix gewesen freie Mann ohne Huck, gute, alte treue Huck! Jim nix vergessen das, Huck! Huck Finn sein arme, alte, schwarze Nigger seine beste Freund, sein alte Jim seine einzigste Freund!«
Und ich war eben im vollen Begriff, ihn zu verraten! mein Gewissen zu beruhigen! Als er so zu mir redete, wurde ich weich wie ein Waschlappen, das Ruder schien wie Blei so schwer und ich wußte nicht, war ich froh, daß ich gegangen, oder wär' ich lieber geblieben. Wie ich kaum ein kleines Streckchen weit entfernt bin, ruft Jim mir noch nach:
»Da du gehen hin, alte, treue Huck! Einzigste weiße Mann, was hat nix gelogen mit arme, alte Jim! Gute, treue Huck!«
Mir war ganz elend zu Mut, sagte mir aber: Du mußt's und mußt's thun, da giebt's keinen Ausweg, kannst dich nicht drum herum drücken! Gerade in dem Moment kommt ein Nachen daher mit zwei Männern drin, sie halten an und ich auch. Sagt der eine:
»Was ist das dort?«
»Ein Stück Floß,« sag' ich.[122]
»Gehörst du drauf?«
»Ja!«
»Sonst noch wer drauf?«
»Noch einer!«
»Es sind fünf Nigger durchgebrannt da drüben von der Farm gerade an der Flußbiegung da hinten – dort! Ist euer Mann auf dem Floß weiß oder schwarz?«
Ich konnte nicht gleich antworten. Die Worte schienen mir in der Kehle kleben zu bleiben. Ein oder zwei Sekunden lang wollte ich mir Mut fassen und alles gestehen, war aber nicht Mann's genug dazu – mir war nicht für einen Pfennig Kourage geblieben! Als ich fühlte, wie ich weich wurde, gab ich denn auch gleich nach, wehrte mich nicht lang' und fahre nur so heraus:
»Weiß ist er!«
»Na, wollen doch lieber selber nachsehen!«
»Das wär' mir gleich recht,« sag' ich, »denn der dort ist mein Alter. Ihr könntet mir vielleicht dann gleich helfen, das Floß ans Ufer bringen. Er ist nicht ganz wohl, der Alte, und Mutter auch nicht und Annemarie!«
»O, geh' zum Kuckuck, Junge, wir habe Eile. Doch, – na schneid' nur kein Gesicht, werden's wohl thun müssen, soll ja doch immer ein Christenmensch dem andern helfen! Na, denn 'mal los, komm', vorwärts, schnell! Haben keine Zeit zu verlieren!«
Sie griffen nach den Rudern, ich auch und als wir ein paarmal ausgezogen hatten, sag' ich:
»Vater wird euch so dankbar sein! Jeder, den ich bis jetzt gebeten habe, mir zu helfen, ist davongelaufen und allein kann ich das Floß nicht ans Land bringen.«
»Na, das ist aber recht scheußlich! Merkwürdig auch! Sag', Jung', was ist denn eigentlich los mit deinem Vater?«[123]
»Nichts – nicht viel – er hat nur – ach, – eigentlich gar nicht viel – gar nichts!«
Sie hielten plötzlich an; wir waren nicht mehr weit vom Floß entfernt. Sagt der eine:
»Junge, du lügst! Was ist los mit deinem Vater? Schnell heraus damit, ohne Flunkern, es ist um so besser für dich!«
»Ich will's ja gestehen, wahrhaftig, ich will's, ihr Leute, aber laßt uns nicht stecken, bitte, bitte! Es sind die – die – ach, wenn ihr nur vorrudern wolltet, dann könnte ich euch die Leine zuwerfen und ihr müßtet gar nicht nahe kommen!«
»Halt' an, John, zurück!« schreit der eine und sie wenden in plötzlicher Hast. »Halt' dich weg, Junge, dort nach rechts! Hol's der Henker, ich glaub' der Wind bläst gerade vom Floß auf uns her! Dein Vater, Junge, hat gewiß die Blattern, und du weißt's auch ganz gut! Warum hast du's nicht ehrlich und offen gesagt, sondern fährst da herum und bringst andre ehrsame Leute in Gefahr?«
»Ach,« stotter' ich und fang an zu schluchzen, »ich hab's ja vorher immer gesagt und da ist jeder weggelaufen!«
»Armer Kerl! Du hast so unrecht nicht. Ja, siehst du, du thust uns leid, aber die Blattern – weißt du, das ist so eine Sache! Komm', ich will dir mal sagen, wie du's anfängst. Zu landen mußt du nicht probieren, das bringst du allein nicht fertig, ohne daß alles zu Schanden geht. Treib' also nur ruhig weiter, noch so ein paar Stunden, bis du nach einer Stadt kommst am linken Ufer. Bis dorthin ist dann die Sonne schon lang herauf und wenn du Hilfe holst, sagst du, deine Leute hätten das Fieber. Sei nicht wieder solch' ein Narr und laß dir's anmerken, was eigentlich los ist. Es würde dir auch gar nichts helfen, da drüben bei dem Licht anzulegen, das ist nur ein Zimmerplatz. Sag'[124] einmal, gelt, dein Vater ist recht arm und jetzt recht schlimm dran? Da – ich leg' dir ein Zwanzig Dollar-Stück auf dies Brett, das fängst du dann auf, wenn's an dir vorbeitreibt. Mir kommt's scheußlich vor, daß wir dich so stecken lassen, armer Kerl, aber die Blattern, siehst du, das ist keine Kleinigkeit!«
»Wart' mal, Parker,« ruft der andre, »da sind auch zwanzig Dollars von mir. Leg's dazu auf's Brett. Na, leb' wohl, Junge, mach's nur, wie der Mr. Parker dir's gesagt hat, dann wird schon alles recht werden!«
»Das denk' ich auch, mein Jung', na, leb' wohl, leb' wohl! Wenn du was von den Niggern siehst, mach', daß du Hilfe kriegst und faß sie ab, da ist Geld dabei zu verdienen, viel Geld!«
»Schönen Dank, ihr Herrn, schönen Dank! Wenn ich die Nigger kriegen kann, soll's mir lieb sein, wollt', 's wär' so, könnt's brauchen und Vater auch!«
Fort waren sie und ich ruderte zum Floß zurück, fühlte mich elend und erbärmlich, wußte wohl, wie unrecht ich gethan, aber bei mir lohnt's sich schon nicht mehr der Mühe, probieren zu wollen, anders und besser zu werden. Das muß man von Kind auf gewöhnt sein, sonst ist man nicht fest genug drin und wenn man einmal in der Klemme sitzt, ist man nicht stark genug, sich herauszuziehen, sondern bleibt allemal drin hängen. Ich hatte eben wieder einmal nicht den Mut gehabt, das Rechte zu thun, wie andre ehrliche, brave Menschen! Dann, denk' ich aber wieder, wenn du nun recht gehandelt hättest und den alten Jim verraten, wär' dir dann wohl jetzt besser zu Mut? Nein, sag' ich, nein, erst recht nicht, dann wär's noch viel schlimmer. Und, denk' ich, was nützt's denn, wenn man versuchen will, besser zu werden und recht zu thun, wenn's einem da nicht anders zu Mut ist, als[125] wenn man unrecht thut? Zudem kostet recht thun Mühe, unrecht thun keine, – der Lohn dafür ist aber doch derselbe. Da saß ich fest! Eine Antwort konnte ich mir hierauf nicht geben. Wollt' mich auch nicht weiter mit plagen, sondern beschloß, in Zukunft immer das zu thun, was mir im Augenblick zuerst in den Sinn käme – recht oder unrecht, einerlei!
Ich ging in die Hütte, Jim war nicht drin, ich stöberte jeden Winkel durch, er war nirgends. Ruf' ich:
»Jim!«
»Hier sein Jim, Huck! Sein Männer ganz weg? Du nix reden laut!«
Er war im Wasser unter dem Steuerruder und guckte nur mit der Nase hervor. Als ich ihm sagte, sie seien schon weit weg, kroch er heraus und kam an Bord. Sagt er:
»Jim alles hören, Huck, alles, un Jim springen in die Wasser, um zu schwimmen an die Land, wenn Männer kommen. Dann Jim wollen schwimmen zurück, wenn Männer sein weg. Aber, Huck, du sie haben wundervoll angeführt! Sein gewesen die beste Streich, die Jim haben gehört all seine Leben! Ach, Herr Jemine, Huck, du haben Jim gerettet, Jim das wohl wissen, du haben Jim wieder gerettet, Jim das nie nix vergessen!«
Dann berieten wir uns über das Geld. Zwanzig Dollars für jeden von uns war nicht bitter! Jim meinte, damit könnten wir Gott weiß wie weit Passage nehmen auf einem Ohio-Boot und behielten gewiß noch ein gutes Teilchen übrig, um drüben in den freien Staaten ein neues Leben zu beginnen. Noch ein paar Stunden weiter auf dem Floß zu bleiben, sagte er, sei nicht lang, aber er wollte doch, sie wären vorüber.
Gegen Tagesanbruch legten wir an und Jim war diesmal ganz besonders drauf bedacht, das Floß gut zu verbergen.[126] Dann beschäftigte er sich den ganzen Tag über damit, unsre Sachen in Bündel zu packen, um zum Verlassen des Floßes fertig zu sein.
Gegen zehn Uhr am andern Abend endlich kamen uns die Lichter einer Stadt am linken Ufer in Sicht.
Ich stieß im Boot ab, um Erkundigungen einzuziehen. Bald fand ich auch einen Mann in einem Nachen, der eine Leine auswarf.
»Ist das Kairo dort?« frag' ich.
»Kairo? Nein. Ich glaub', du bist nicht recht gescheit!«
»Wie heißt denn die Stadt?«
»Wenn du's wissen willst, geh' hin und frag'! Wenn du noch eine Minute lang mir hier die Fische verjagst mit deinem dummen Gefrag', geb' ich dir was, nach dem du nicht verlangt hast!«
Ich also wieder zum Floß zurück. Jim war schrecklich enttäuscht, ich aber tröstete ihn und meinte, Kairo käme gewiß jetzt erst.
Vor Tagesanbruch noch kamen wir an einer andern Stadt vorbei und ich wollte eben hin und fragen, da sagte Jim, die Ufer seien zu steil hier, Kairo liege flach, das wisse er; so blieb ich denn. Wieder bargen wir unser Floß für den Tag und mir dämmerte allmählich eine Ahnung, Jim desgleichen. Sag' ich:
»Jim, ich glaub', wir sind am Ende an Kairo vorübergefahren, damals im Nebel, weißt du noch?«
Antwortet er:
»Wir nix wollen reden mehr davon. Arme Nigger können nix haben Glück! Jim immer denken, Schlangenhaut von Insel hören noch nix auf zu bringen Unglück!«
»Wollt', ich hätt' die verd – Haut nie gesehen, Jim, wahrhaftig, ich wollt's!«[127]
»Sein nix deine Schuld, Huck, du nix konnten wissen von Schlangenhaut-Unglück!«
Als es Morgen ward, sahen wir deutlich, wie sich das klare Ohio-Wasser mit dem schmutzigen Gelb des Mississippi mengte. Das war also aus und vorbei, war verpaßt, soviel war sicher! An ein Zurückgehen, ein Stromaufwärtsfahren mit dem Floß war nicht zu denken, es blieb uns nur übrig, unser Heil in dem Boot zu probieren. Im Augenblick ließ sich nichts andres thun, als die Nacht abzuwarten. So schliefen wir denn den ganzen Tag im Weidendickicht, um uns für's Kommende zu stärken und als wir gegen Abend zum Floß gingen, war das Boot, unsre letzte Hoffnung – fort! Losgerissen, fortgeschwemmt von der Strömung!
Lange, lange sagten wir kein Wort, wir wußten, daß die Schlangenhaut nochmals dabei im Spiel gewesen. Was ließ sich da also sagen? Das hätte am Ende nur noch mehr Unglück heraufbeschworen; es war daher das beste, geduldig stille zu halten! –
Dann berieten wir uns, was wir nun anfangen wollten, und fanden, daß es am geratensten sei, ruhig im Floß weiter zu treiben, bis wir uns einmal irgendwo ein Boot verschaffen – kaufen könnten. Auf meines Alten Art eins zu ›leihen‹, kam uns nicht in den Sinn, man hätte uns am Ende dabei abfassen können! –
Also vorwärts auf dem Floß und gute Miene zum bösen Spiel gemacht! Nach Einbruch der Dunkelheit setzten wir denn auch unsern Weg fort.
Wer bis jetzt vielleicht noch nicht fest geglaubt hat an das Unglück, welches das Anfassen einer Schlangenhaut bringt, der wird's nun unfehlbar thun, wenn er hört, wie es uns weiter ergangen!
Nirgends konnten wir eine Gelegenheit entdecken, uns[128] ein Boot zu verschaffen, soviel wir auch ausspähten. Sonst begegnet man doch immer Flößen oder dergleichen, die ein übriges Boot haben und gerne abgeben, aber nein, wir sollten kein Glück haben! Die Nacht wurde schwärzer und schwärzer, es war beinahe so schlimm wie Nebel, man konnte die Hand kaum vor den Augen sehen, geschweige denn den Strom überblicken. Allmählich war's spät geworden und sehr still und da hören wir ein Dampfboot in der Entfernung heranbrausen. Wir zündeten unsre Laterne an, damit man uns sehen könne. Wir hörten das Schnauben und Keuchen der Maschine näher und näher, konnten aber erst etwas entdecken, als das Ungetüm schon ganz dicht bei uns war und wir merkten, daß es direkt auf uns lossteuerte. Das thun die großen Dampfer nun manchmal, um zu zeigen, wie geschickt sie im Lenken des Kolosses sind und wenn sie hart vorbeistreifen und das Rad ein Ruder faßt und abknackst, da streckt dann wohl der Steuermann lachend den Kopf heraus und meint wunder, welche Heldenthat er vollbracht. Wir dachten, sie wollten dies auch bei uns probieren und waren selbst voller Erwartung, wie es gelingen würde. Aber es kam näher und näher, furchtbar schnell und sah aus, wie eine dicke, pechschwarze Wolke mit kleinen Glühwürmchen gespickt. Und ehe wir uns nur besinnen konnten, glühten schon dicht über uns die weitoffenen Lucken des Maschinenraums wie feurige Schlünde, bereit, uns zu verschlingen. Man schrie uns zu, gellendes Pfeifen ertönte, Dampf zischte und qualmte, Jim wälzte sich von der einen, ich von der andern Seite über Bord und im selben Moment krachten und splitterten die Planken unseres Floßes, in Fetzen gerissen, auseinander.
Ich tauchte unter und suchte möglichst auf den Grund zu kommen, um das Rad des Dampfers, das über mich wegrauschte, nicht zu genieren. Eine Minute hab' ich's immer[129] unter Wasser aushalten können, diesmal blieb ich wohl anderthalb, aber dann schoß ich auch nur so nach oben, sonst wäre ich im nächsten Moment geborsten. Als ich bis an die Schultern wieder an der Luft war, blies ich erst das Wasser aus den Nüstern und prustete und keuchte mich zurecht. Vom Dampfer konnte ich nichts mehr sehen in der gräßlichen Finsternis, hörte nur noch das Schnauben und Stampfen und fühlte die wilden Wellen. Sie hatten nach ein paar Sekunden Aufenthalt die Maschine wieder in Gang gesetzt und dampften nun davon, ohne sich weiter um das elende, kleine Floß zu kümmern.
Ich rief nach Jim, wieder und wieder, vergebens. Weiß Gott, was aus dem armen Kerl geworden! Eine Planke trieb gegen mich, die erfaßte ich und ließ mich eine Weile treiben, um zu ruhen und nach Jim auszuspähen. Ich konnte aber nichts entdecken, vielleicht war er doch dem Ufer zugeschwommen. Die Strömung trieb nach der linken Seite, so überließ ich mich derselben, in der Hoffnung, daß Jim es ebenso machte und so erreichte ich denn auch nach einiger Anstrengung sicher das Ufer.
Hier lief ich hin und her und schrie: Jim, Jim! Aber kein Jim war zu hören und zu sehen und endlich fiel ich totmüde und elend an einem Baum zu Boden und weinte mich in Schlaf – mir war gar so einsam und allein zu Mute! So öde – so verlassen von aller Welt!
1 | Zur Zeit der Sklaverei war dies ein höchst strafbarer Frevel. |
Ausgewählte Ausgaben von
Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn
|
Buchempfehlung
Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro