Zweite Szene

[173] Saal im Schlosse zu München.

Ludwig tritt auf, setzt sich nieder und blickt nachdenklich in die Galerie hinaus, wo seine Söhne Albrecht, Stephan und Otto Ball spielen.


LUDWIG.

Dort spielen meine Knaben, lustig fliegt

Der bunte Ball herüber und hinüber.

In meiner Knabenzeit, da schlug ich so

Mit Friedrich und mit Leopold den Ball;

Doch andres Spiel begann uns, ernsteres:

Gewaltig Schicksal warfen wir uns zu,

Und müde bin ich von so strengem Spiel.


Mehrere Bürger von München nähern sich durch die Galerie.


Die Bürger kommen. Seid mir schön gegrüßt,

Getreue Münchner! Laßt mich wissen, was[173]

Euch Anlaß gab, mich um Gehör zu bitten!

ERSTER BÜRGER.

Wir sind schon fast beruhigt, hoher Herr,

Seit wir nur Euer teures Antlitz schaun.

Es hatte durch die Stadt sich das Gerücht

Verbreitet, daß Ihr plötzlich in der Nacht

Hinausgeritten zu dem Heere, das

Nach Brandenburg bestimmt ist, Eurem

Erlauchten Sohn zur Hülfe. Billig ist's,

Daß dem bedrängten Sohn der Vater helfe;

Doch hier auch drohet neuer Überfall:

Der alte Dränger Bayerns, Leopold,

Ist, wie Ihr wißt, mit großem Heereszug

In Schwaben eingerückt.

ZWEITER BÜRGER.

Zugleich verlautet,

Daß Friedrich, Eurer Großmut ungedenk,

Von neuem sich als König zeigen will.

ERSTER.

Nun ist Euch wohl bekannt, erhabner Herr,

Daß Euren Bürgern nichts zu kostbar ist

Für Euch und Euer Recht.

ZWEITER.

Mit Gut und Blut

Sind wir zu jeder Stund Euch dienstbereit.

ERSTER.

Dagegen ist uns nichts so unentbehrlich

Als Eure Gegenwart.

ZWEITER.

Ja, Herr, in Euch

Ist unsre Stärke.

ERSTER.

Darum waren wir

Bestürzt zu hören, daß Ihr plötzlich uns

Verlassen, um nach Brandenburg zu ziehn.

Wir sind getrost, Euch noch bei uns zu sehn,

Und bitten aus getreuem Herzen: bleibt

Uns gegenwärtig! und wenn Kampf beginnt,

So steht an unsrer Spitze wie vordem!

DIE ÄNDERN.

Das bitten wir. Das bitten alle Bayer.

LUDWIG.

An jenem Tag, da mich der Fürsten Bote

Zur Königswahl beschied und ich erbangend

Abwehrte den erhabenen Beruf,

Da standet ihr mit andrer Städte Bürgern

In diesem Saal und rieft mir freudig zu

Und drängtet euch ermutigend um mich.

Ihr habt's gewollt! Ich stieg auf Deutschlands Thron,

Und meine Sorge, die euch eigen war,[174]

Hat fortan unter viele sich geteilt.

Wo immer, sei's an Deutschlands fernster Mark,

Ein Feind sich rühret, dahin muß ich blicken

Und, wo am schwersten dräuet die Gefahr,

Da muß ich sein mit meiner Gegenwart.

Und jetzt, in diesem ernsten Augenblick,

Wo dort und hier nach mir gerufen wird,

Steh ich noch spähend, wo am dringendsten

Des Königes Erscheinen nötig sei.

Der Burggraf führt das Heer nach Brandenburg;

Es kann geschehn, daß ich ihm folgen muß,

Doch nicht als ob mich's dorthin stärker ziehe,

Weil dort mein Sohn gefährdet ist; auch hier

Sind meine Kinder: alle lieb ich gleich.

Herein, ihr Knaben!


Seine Söhne kommen herbei.


Stellt euch her zu diesen!

Sie sind die Meinigen, wie ihr es seid;

Und ruft des Reiches Not mich anderwärts,

Ihr bleibt bei ihnen als ein Unterpfand,

Daß euch und ihnen eine Sorge gilt.

Und mehr nicht, wahrlich, können sie verlangen,

Als daß ich so für ihre Sicherheit

Bedacht sei, wie ich's für die eure bin.

Seid ihr zufrieden, Bürger?

DIE BÜRGER.

Herr, wir sind's.

LUDWIG.

Wohlan, so sagt den Euren, was ich sprach!


Die Bürger ab.


Es ist ein Schweres, mit gebeugtem Geist

Der andern Mut noch hülfreich aufzurichten.

In Zeiten allgemeiner Drangsal ist

Fürwahr der König der Bedrängteste,

Auf den sich jeder wirft mit seiner Not.

ALBRECHT.

Du bist so traurig, Vater! Komm heraus,

Sieh unsrem Spiele zu! Du liebst es sonst.

STEPHAN.

Sei ohne Sorgen, Vater! Laß ihn kommen,

Den Leopold! Du hast ja um die Stadt

Die große neue Mauer lassen baun.

OTTO.

Bleib du, schick mich dem Bruder in die Mark![175]

ALBRECHT am Fenster.

Ei, welch ein schöner Ritter auf dem Hof!

Sein goldfarb Roß ist ganz mit Schweiß bedeckt.

Der muß ja vornehm sein: der Marschalk selbst

Hält ihm den Bügel.

LUDWIG.

Führt ihn gleich mir her!


Die Knaben ab.


Ich wart auf Botschaft; gute kommt nicht leicht.

Doch wenn das Unheil ganz sich dargelegt,

Kann erst die volle Abwehr wirksam sein.


Friedrich wird von Ludwigs Söhnen durch die Galerie geführt.


DIE KNABEN.

Hier ist er.

FRIEDRICH.

Ja, hier bin ich.

LUDWIG.

Täuschet mich

Mein Auge? Friedrich?

FRIEDRICH.

Freu dich nicht, erschrick

Ob meiner Wiederkunft! Sie zeigt dir an,

Daß unversöhnlich deine Feinde sind.

Unmöglich war mir der Bedingungen

Erfüllung, meine Rückkehr selbst ist Flucht.

LUDWIG.

Bewundern muß ich dich.

FRIEDRICH.

Als ich den Bruder,

Der sich mir aufgeopfert, von mir stieß,

Als ich mich losriß von der blinden Gattin,

Damals, im ersten Schmerze, schien mir's wohl,

Als hätt ich Übermenschliches getan;

Doch nun ich's recht betrachte, tat ich nichts

Als das Geringste, was ein Mann kann tun:

Ich hielt, was ich versprochen. Größre Taten,

Ruhmwürdige, die ich mir einst geträumt,

Vereitelte mein feindliches Geschick.

Doch daß ich mindestens mein Wort gelöst,

So gut ich konnte, davon zeuge dir

Die Krone hier!


Er deckt die Krone auf, die er unter dem Mantel mitgebracht.


Sie ist das einzige,

Was deinen Feinden zu entreißen war;

Es ist die Macht nicht, doch ein Schein der Macht,

An dem sich oft mein kindisch Herz vergnügt.


[176] Er legt sie von sich.


Ich selbst bin dein Gefangner wie zuvor.

Laß mich zur Trausnitz führen! Mich verlangt

Nach Einsamkeit. Mein Leben ist verlebt.

LUDWIG.

Du ein Gefangner? Nein, du bist ein Sieger.

Bei Mühldorf siegt ich durch der Waffen Macht,

Jetzt durch die Macht der Treue siegest du;

Vor dir verliert mein Purpur seinen Glanz!

Nicht kann ich König sein, wenn du's nicht bist.

Ja, Friedrich, als du tratst in diesen Saal,

Da hüb es sich zu hellen an, und jetzt

Ist mir es klar geworden wie der Tag:

In welcher Blendung irrten wir, in welcher

Betörung! Wir, die Enkel eines Ahns,

Die Jugendfreunde, wir verfolgten uns,

Wir trieben uns durch Fluten und durch Flammen.

Durch blut'ge Schlachten, Kerker, Kirchenfluch,

Und mit uns lernten unsre Völker sich

Verkennen, hassen und bekämpfen, sie,

Die einem Stamm entsprossen sind gleich uns,

Die alle deutschen Bluts Genossen sind.

Und doch so nahe lag die Lösung; nicht

Im Schwertkampf, nicht in List noch Zauberei,

Sie liegt uns einzig in der Kraft des Herzens.

Das Herz nur kann uns retten, das uns stets,

Wann wir zum Kampfe schritten, Warnung gab,

Das oft die Schlacht noch dann vereitelte,

Wann Heer dem Heere schon die Stirne bot.

Als wir noch waren wie die Kinder hier,

Die dich mir eben zugeführt, da wußten

Wir beßre Wege; damals hatten wir

Die Schüssel und den Becher und das Bett

Gemeinsam, und warum nicht jetzt den Thron?

O hätt ich dieses längst dir angeboten!

O hättest du es längst von mir begehrt!

FRIEDRICH.

Du träumest, Ludwig!

LUDWIG.

Das ist mehr als Traum;

Es steht mir wahr und wirklich vor dem Geist,

Und wie es vor mir steht, verkünd ich dir's:

Das Reich mit allen Rechten, allen Würden,

Wir sollen's beide haben als ein Mann[177]

Und als ein Mann uns wider jeden setzen,

Der unser einem feindlich sich erweist;

Wir sollen Brüder heißen und als Brüder

Uns halten; in dem Siegel unsrer Macht

Soll beider Name sich verschlingen, und

Wir selbst auch sollen fest verflochten sein

Und ungeschieden, bis der Tod uns trennt,

Und noch im Tode nehm ein Grab uns auf!

Die Krone, Friedrich, die du mir gebracht,

Ich setze sie auf dein geweihtes Haupt.


Er krönt Friedrich.


Die Stund ist heilig. Unser großer Ahn,

Der königliche Rudolf, schaut hernieder

Und segnet uns, und hier in diesen Kindern

Grüßt freudig uns das werdende Geschlecht.

FRIEDRICH.

Ich faß es nicht.

LUDWIG.

Jetzt bin ich hochgemut,

Jetzt bin ich stark, jetzt führ ich selbst mein Heer

Gen Brandenburg und bin des Siegs gewiß.

Dir, Bruder, übergeb ich unterdes

Die Pflege meiner Kinder, meines Landes.

Ich kann dir Teureres nicht anvertraun,

Und ihnen kann ich keinen Schutzvogt setzen,

Der so in allem mein Vertreter und

Verweser wäre, so mein andres Selbst.

Wenn Leopold herangezogen kommt,

Mein Bayern zu verwüsten, tritt ihm du

Entgegen in der Königswürde Schmuck!

Und lächeln wird sein finstres Angesicht.

FRIEDRICH.

Ich frage nicht mehr, ob es möglich ist,

Ob im feindseligen Treiben dieser Erde

So herrlicher Entschluß bestehen kann.

Genug, es ist in dieser großen Stunde,

Es lebt in diesem hehren Augenblick,

Ich fühl's und werfe mich an deine Brust.


Sie umarmen sich. Die Knaben drängen sich mit Zeichen der Freude an sie.


LUDWIG.

In dieser innigen Umarmung sei

Auf ewig ausgesöhnt der Bruderkrieg,

Der uns entzweit hat und das deutsche Volk![178]

Fußnoten

1 Der Verfasser denkt sich diese, meist in äußerer Handlung bestehende Szene so dargestellt, daß sie mittelst klarer Gruppierung und bezeichnenden, zusammengreifenden Spiels in den Hauptzügen schon als Pantomime sich verständlich mache.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 2, München 1980.
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