Entsagung

[110] Wer entwandelt durch den Garten

Bei der Sterne bleichem Schein?

Hat er Süßes zu erwarten?

Wird die Nacht ihm selig sein?

Ach! der Harfner ist's, er sinkt

Nieder an des Turmes Fuße,

Wo es spät herunterblinkt,

Und beginnt zum Saitengruße:


»Lausche, Jungfrau, aus der Höhe

Einem Liede, dir geweiht!

Daß ein Traum dich lind umwehe

Aus der Kindheit Rosenzeit.

Mit der Abendglocke Klang

Kam ich, will vor Tage gehen

Und das Schloß, dem ich entsprang,

Nicht im Sonnenstrahle sehen.


Von dem kerzenhellen Saale,

Wo du throntest, blieb ich fern,

Wo um dich beim reichen Mahle

Freudig saßen edle Herrn.

Mit der Freude nur vertraut,

Hätten Frohes sie begehret,

Nicht der Liebe Klagelaut,

Nicht der Kindheit Recht geehret.


Bange Dämmerung, entweiche!

Düstre Bäume, glänzet neu!

Daß ich in dem Zauberreiche

Meiner Kindheit selig sei.

Sinken will ich in den Klee,

Bis das Kind mit leichtem Schritte[110]

Wandle her, die schöne Fee,

Und mit Blumen mich beschütte.


Ja, die Zeit ist hingeflogen,

Die Erinnrung weichet nie;

Als ein lichter Regenbogen

Steht auf trüben Wolken sie.

Schauen flieht mein süßer Schmerz,

Daß nicht die Erinnrung schwinde.

Sage das nur, ob dein Herz

Noch der Kindheit Lust empfinde?«


Und es schwieg der Sohn der Lieder,

Der am Fuß des Turmes saß;

Und vom Fenster klang es nieder,

Und es glänzt' im dunkeln Gras.

»Nimm den Ring und denke mein,

Denk an unsrer Kindheit Schöne!

Nimm ihn hin! ein Edelstein

Glänzt darauf und eine Träne.«


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 110-111.
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