Unstern

[180] Unstern, diesem guten Jungen,

Hat es seltsam sich geschickt:

Manches wär ihm fast gelungen,

Manches wär ihm schier geglückt.

Alle Glückesstern im Bunde

Hätten weihend ihm gelacht,[180]

Wenn die Mutter eine Stunde

Früher ihn zur Welt gebracht.


Waffenruhm und Heldenehre

Hätten zeitig ihm geblüht,

War doch in dem ganzen Heere

Keiner so von Mut erglüht;

Nur als schon in wilden Wogen

Seine Schar zum Sturme drang,

Kam ein Bote hergeflogen,

Der die Friedensfahne schwang.


Nah ist Unsterns Hochzeitfeier,

Hold und sittig glüht die Braut;

Sieh, da kommt ein reichrer Freier,

Der die Eltern baß erbaut.

Dennoch hätte die Geraubte

Ihn als Witwe noch beglückt,

Wäre nicht der Totgeglaubte

Plötzlich wieder angerückt.


Reich wär Unstern noch geworden

Mit dem Gut der neuen Welt,

Hätte nicht ein Sturm aus Norden

Noch im Port das Schiff zerschellt.

Glücklich war er selbst entschwommen,

Einer Planke hatt er's dank,

Hatte schon den Strand erklommen,

Glitt zurück noch und versank.


In den Himmel sonder Zweifel

Würd er gleich gekommen sein,

Liefe nicht ein dummer Teufel

Just ihm in den Weg hinein.

Teufel meint, es sei die Seele,

Die er eben holen soll,

Packt den Unstern an der Kehle,

Rennt mit ihm davon wie toll.


Da erscheint ein lichter Engel

Rettend aus dem Nebelduft,[181]

Donnert flugs den schwarzen Bengel

In die tiefste Höllenkluft,

Schwebt der goldnen Himmelsferne

Mit dem armen Unstern zu,

Über gut' und böse Sterne

Führt er den zur ew'gen Ruh.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 180-182.
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