Das Tal

[36] Wie willst du dich mir offenbaren,

Wie ungewohnt, geliebtes Tal?

Nur in den frühsten Jugendjahren[36]

Erschienst du so mir manchesmal.

Die Sonne schon hinabgegangen,

Doch aus den Bächen klarer Schein!

Kein Lüftchen spielt mir um die Wangen,

Doch sanftes Rauschen in dem Hain!


Es duftet wieder alte Liebe,

Es grünet wieder alte Lust;

Ja selbst die alten Liedertriebe

Beleben diese kalte Brust.

Natur! wohl braucht es solcher Stunden,

So innig und so liebevoll,

Wenn dieses arme Herz gesunden,

Das welkende genesen soll.


Bedrängt mich einst die Welt noch bänger,

So such ich wieder dich, mein Tal!

Empfange dann den kranken Sänger

Mit solcher Milde noch einmal!

Und sink ich dann ermattet nieder,

So öffne leise deinen Grund

Und nimm mich auf und schließ ihn wieder

Und grüne fröhlich und gesund!


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 36-37.
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