Zehntes Kapitel

[143] »Das ist ein süperber Anzug, Albertine, werden Sie den anlegen?« fragte die einfache Euler, die freilich ihre Toilette sehr beschränken mußte. »Es ist mein Anzug für diesen Abend. Der Onkel und die Rosamunde bestanden auf dieser Eleganz,« antwortete Albertine, etwas verlegen. – »Ach, es ist immer ein gutes Zeichen, wenn junge Wittwen so angelegentlich ihre Toilette besorgen,« erwiederte Madame Euler. – »O, nicht diese Sprache, meine Henriette! Bin ich denn nicht mehr Ihre Albertine?« indem sie sich an Henriettens Busen warf. – »Ach, Albertine! wenn der Strudel Sie fassen sollte! Wenn dieses herzige, innige Wesen in jene kalte Herzlosigkeit der Welt sich verlöre! Wenn Lindenhains Wittwe einen solchen Mißgriff thäte!« – »Nein, Henriette, das ist zu viel! Noch hat kein unwürdiger Gedanke sein theures Bild in mir entweiht!« – Albertine setzte[143] sich wehmüthig an ihre Arbeit und retouchirte einiges an dem, seinem Andenken gewidmeten, Gemälde. Sie vertiefte sich so, daß sie erinnert werden mußte, sich zu der Abendfete zu schmücken.

Die Gesellschaft, in die Rosamunde sie einführte, war in der That glänzend. Das heißt, sie war äußerlich im höchsten Grade elegant. Albertine erkannte Männer vom ersten Range; zwar einigermaßen travestirt, doch hielt sie das in ihrer Unerfahrenheit für gewohnte Sitte. Indeß schienen wieder die Damen nicht jener höhern Klasse anzugehören. Obwohl sehr geschmückt, hörte sie in manchem aufgehaschten Fragmente eines Gespräches so gewöhnliche Ausdrücke, als ob sie vielmehr den ganz untersten Klassen entronnen wären. Sie waren theils Rosamundens ehemalige Gefährtinnen, theils die Hausfreundinnen jener travestirten großen Herren, die sich's einmal mit ihrem Unterstabe wohl seyn ließen. Rosamunde durchkreuzte den großen Saal in allen Richtungen, küßte und kosete mit der alten[144] Kameradschaft, und sprach zu jedem mit großem Gepränge, Albertinens Namen von Lindenhain aus; wogegen die junge, schöne Wittwe manch artiges Kompliment eintauschte.

Albertine war nie verlegen; aber die Ahndung, in was für einer Gesellschaft sie sich befände, und ein unwillkührlicher Gedanke an ihren Bruder, gaben ihrem Betragen eine liebenswürdige Zurückhaltung, die allerdings unter diesen Weibern eine ganz fremde Erscheinung war. Sie verließen den Saal, und gingen in ein Nebenzimmer, wo Hazardspiele gespielt wurden. Rosamunde war eine leidenschaftliche Spielerin; sie trat an einen Pharaotisch, und überließ Albertinen der Unterhaltung eines jungen Herrn von Stande, der bei einer schönen, interessanten Figur, alle Künste der Verführung im höchsten Grade, besonders die gefährliche Schmiegsamkeit besaß, sich in jeden fremden Karakter leicht einzufügen. Albertine befand sich bei seiner leichten, anmuthigen Unterhaltung sehr[145] wohl; er hatte Länder und Menschen gesehen und von beiden das Interessanteste aufgefaßt, welches wie ein sanft rinnender Bach von seinen Lippen floß. Albertine wurde nicht müde, ihm zuzuhören, und – was sollen wir's leugnen! – ihn zu sehen, so daß Mitternacht vorbei war, als sie den Abend kaum begonnen zu haben meinte.

»Ich bitte; nur auf ein Wort!« rief Rosamunde Albertinen zu und trat verstört zu ihr. »Ich habe heut' entschiedenes Unglück; haben Sie eine Börse bei sich?« – Albertine gab ihr acht Louisd'or; und die Spielerin eilte damit zu den raubgierigen Geiern zurück, die in sehr kurzer Frist die acht Louisd'or in ihren Händen hatten. Rosamunde rief Albertinen noch einmal auf die Seite. Der Baron Weißensee, eben der, der Albertinen so angenehm unterhalten hatte, bemerkte schnell die Verlegenheit der Dame und präsentirte ihr mit der feinsten Art seine volle Börse. Rosamunde wollte Umstände machen; er bat aber, so viel davon anzunehmen, als sie eben brauche, bekümmerte[146] sich auch nicht darum, wie viel sie nahm. Auch dieses liberale und galante Benehmen verfehlte seine Wirkung bei unserer jungen Freundin nicht. Mit diesem Gelde spielte Rosamunde sehr glücklich, und in einigen Stunden lag ein hoher Klumpen Gold vor ihr. Sie verließ endlich den Spieltisch um drei Uhr Morgens, und Albertine bemerkte, daß sie dem Baron nur zehn Goldstücke zurück gab, da sie genau gesehen hatte, daß sie sich deren zwanzig zugezählt hatte. Albertinen gab sie, ungeachtet sie so sehr viel gewonnen hatte, keinen Schilling zurück, worüber diese sehr betroffen war, denn es war beinahe ihre ganze kleine Baarschaft, die sie ihr hingegeben hatte.

Der Baron Weißensee führte die Damen zu ihrem Wagen, und erhielt leicht die Erlaubniß, ihnen in ihrem Hause aufwarten zu dürfen, die er denn so gut benutzte, daß er nicht nur der tägliche Besuch war, sondern bald zu den nähern Hausfreunden gerechnet[147] wurde; wogegen Albertine wenigstens nichts einwendete.

Als Albertine in ihrer Wohnung ankam, sah sie bei Elisen noch Licht, und hörte, als sie vor ihrer Thüre vorüber mußte, laut sprechen. Aus Besorgniß, es könne der Tante etwas zugestoßen seyn, trat sie zu ihr hinein, und wurde durch den nymphenhaften Aufzug unsrer alten Jungfer seltsam überrascht, die mit einem Blumenkranz auf dem fliegenden Haare, in einem ganz romantischen Kostüme umherwanderte, ein Gedicht, was sie so eben gemacht hatte, sich laut vor zu deklamiren. Die Gegenwart der Nichte schien sie zwar anfangs verlegen zu machen, besonders da diese ihr Erstaunen nicht recht zu verbergen wußte; aber bald gewann die Dichterwuth wieder die Oberhand und sie machte Albertinen zur Vertrauten ihrer so schüchternen Muse.

Elise hatte von Kindesbeinen an so viel Verse gelesen und auswendig gelernt, daß ihr endlich kleine Mondscheinliederchen ganz artig gelangen, worin sie es denn freilich[148] an Maienblüthenregen, Monddämmerung und Rosenknöspchen nicht fehlen ließ. Albertine wurde an den blonden wallenden Locken bald inne, wem dies Gedicht gesungen sei.

»Sie würden den jungen Mann unsäglich eitel machen, liebe Tante, wenn er je etwas davon erführe!« – »Ei, mein liebes Kind! er weiß alles. Unter Liebenden muß nichts geheim bleiben. Sehen Sie da – indem sie an ihren Schreibetisch trat – die Früchte meiner durchwachten Nächte!« Sie zeigte ein starkes Heft Gedichte vor, die Albert alle schon nach und nach erhalten hatte. Albertine wußte jetzt selbst nicht mehr, was sie denken sollte, und fragte ganz bescheiden: »und was hat er hierauf geantwortet?« – »Ja, wenn ich sagen soll, eigentlich nichts; nur gedankt hat der bescheidene Jüngling für die Mittheilung, und mein Talent gepriesen.« – Albertine schwieg, hielt es jedoch für Pflicht, der Tante in der Folge den Wahn schonend zu benehmen; als sie die Gute so überselig[149] sah, konnte sie es nicht über ihr Herz bringen, ihr wehe zu thun. Sie ging jetzt zur Ruhe, und rieth der Tante Sappho, ein Gleiches zu thun.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 143-150.
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