Sechszehntes Kapitel

[186] Albertine war indessen durch die niedrigen Künste ihrer Gesellschafter gänzlich umstrickt, welches selbst durch die edle Unbefangenheit ihres Gemüths gefördert wurde. Ihre liebende Seele widerstand nicht den Schmeicheleien derer, von welchen sie nur[186] kalte Zurücksetzung gewohnt war. Henriette hatte oft vor, sie diesem Zustande gewaltsam zu entreißen und an ihren Bruder zu schreiben. Dieser war aber, einer Angelegenheit wegen, außer Landes, und Albert widerrieth immer jede heftige Maaßregel, weil er vielleicht zu sehr auf die Rückkehr eines tugendhaften Gemüthes rechnete, ohne daran zu denken, daß es einem weiblichen und dazu verirrten Gemüth an Energie zur Rückkehr gebricht. In der That wurde sie durch Verlegenheiten, die er nicht wissen konnte, am meisten aber durch eine geheime Zuneigung zu dem Verführer zu sehr erschwert.

Albertine gerieth durch anhaltenden Verlust in Geldverlegenheiten, wobei sie das wieder gewinnen als die einzige Ressourçe ansah; da diese aber immer abgeredetermaßen fehlschlug, beging sie die erste Unbesonnenheit, sich ihrer Kammerjungfer zum Verkauf einiger Pretiosen zu bedienen. Da der Verkauf so über Erwarten gut von Statten ging, fuhr sie damit fort, bis sie[187] in der That nichts mehr zu verkaufen hatte, und in wirkliche Schuldennoth gerieth.

Tief in sich versenkt, saß sie da, grämte sich und gedachte wehmüthig der Zeit ihrer Reinheit, als sie noch mit offnem Auge jedem Blicke begegnen durfte. Jetzt war sie der Willkühr einer verächtlichen Rotte überlassen; ihrem Onkel, dem sie sich aufgeopfert zu haben glaubte, nützte sie eigentlich zu nichts. Ihre edleren Freunde hatte sie diese letzte Zeit her vernachlässiget, und nie hätte sie es gewagt, sich ihrer Henriette, von der sie so manche freundliche Warnung bekommen hatte, zu entdecken, als diese ungerufen in's Zimmer trat. Albertine stürzte ihr mit heißen Thränen in die Arme! –

»Liebste Albertine, Sie sind nicht glücklich!« – »O nein, nein, ihre Albertine ist tief, tief gesunken. Sie kann nicht mehr glücklich seyn!« – »Armes Kind! Was ist Ihnen begegnet? Sprechen Sie!« – Albertine vermochte es nicht; Thränen erstickten ihre Stimme. Sie gab Henrietten[188] einen Zettel, der eine grobe Mahnung um zweihundert Thaler, mit Androhung des Arrestes, enthielt. Albertine verbarg ihr Gesicht in die Sophakissen, indeß die Freundin las.

Henriette sprach keine Sylbe, wischte die Thränen ab, und entfernte sich. – »Henriette! Henriette!« rief Albertine ihr mit schwacher Stimme nach; »wenn auch du mich verlässest! Ach, ich hab' es verdient; wohl hab' ich's verdient, wenn die Vortreffliche mit Abscheu von mir weicht!« – Indem kam Henriette mit beruhigender Freundlichkeit zurück. »Endlich ist mir's vergönnt,« sagte sie, »die Schuld der Freundschaft abzutragen! – Hier, meine Albertine; diese Summe, die eben zureicht, Sie zufrieden zu stellen, ersparte ich, ich darf sagen, von meinem Überflusse. Denn ich entbehrte nichts; ich darbte mir nichts ab. Nun? Was wird's? Warum dies Zögern?« – – »O ewig, ewig müßten diese Augen beschämt am Boden haften, unterfinge ich mich, in den Früchten des redlichsten Fleißes,[189] der edelsten Genügsamkeit zu schwelgen! Nein, Henriette,« sagte Albertine mit trocknem, brennendem Auge und einer heftigen, krampfhaften Bewegung; »nein, Henriette! ehe verwese diese Hand im Gefängnisse, ehe sie sich zu diesem Altarraub ausstreckt. O, meine Freundin,« setzte sie wehmüthig hinzu, »weiß ich's denn nicht, wie Sie arbeiten? wie Sie sich die erlaubtesten Genüsse versagen? wie edel Sie entbehren? Und ich Unwürdige sollte – –! Aber nie, nie vergesse ich dieses Augenblicks, in dem ich mich von Ihnen verstoßen wähnte!« – –

Als Henriette sah, daß die wärmste Beredsamkeit der Freundschaft nicht zureichte, Albertinens Festigkeit über diesen Punkt zu besiegen, ließ sie ab, und sagte bekümmert: »Nun dann, weil Sie durchaus das Herz betrüben wollen, aus dem ich Ihnen dieses mir Entbehrliche anbot, so werden Sie sich doch nicht weigern, dieses zurück zu nehmen?« Und hier breitete die Gute alle Kleinodien über den Tisch hin, die Albertine nach und nach verkauft hatte. »Ich[190] war die Käuferin. Verzeihen Sie der sorgsamen Freundschaft die kleine List, deren sie sich, um zu ihrem Zwecke zu kommen, bediente.«

»Das ist zu viel, Henriette!« rief Albertine mit einem Erstaunen, in welches sich einiger Unwille zu mischen schien; »das ist zu viel! Das kommt nicht von Ihnen allein! So für mich zu wirken, vermögen Sie nicht allein, Henriette! Die Hand eines Dritten ist hier im Spiele, und ich kann, ich darf, was so reichlich bezahlt wurde, nie zurücknehmen. O, in welchen Abgrund von Schande und Verwirrung sehe ich mich verloren! O, mein Leichtsinn! Mein Leichtsinn!« – »Wie kann meine Freundinn einem solchen Opfer einen so unermeßlichen Werth beilegen! Weiß ich's denn nicht aus vielfacher Erfahrung, daß mir in ähnlichem Falle eben das von ihr widerfahren würde? Bin ich nicht längst daran gewöhnt, nur das Nothwendige zu haben? ich gab aber das Entbehrliche!« – »Ach, Henriette, jedes Wort durchbohrt[191] mich!« – Hier schwieg sie. Ein Thränenstrom hemmte ihre Rede. Indeß legte Henriette, ohne sich abhalten zu lassen, die Juwelen in Albertinens Toilette, umarmte ihre Freundin ernst und schweigend, nahete sich der Thüre, kehrte noch einmal wieder, drückte sie gerührt an ihr Herz und entfernte sich dann schnell.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 186-192.
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