Neunzehntes Kapitel

[200] Albertine trieb sich ohne allen frohen Genuß unter den wogenden Masken umher. Ihr Herz hob sich in den langsamen Pulsen innerer Trauer, unter dem bunten Gewande der Freude; in ihr Auge traten unwillkürliche Thränen, als der Klang der Saiten in ihr Ohr drang. Der Anblick des Barons weckte ihre ganze Empfindlichkeit[200] über das Vergangene, und sie glaubte, nicht ohne Affectation einen Punct unberührt lassen zu können, der ihr zwischen verschiedenen Geschlechtern eine nicht anständige Vertraulichkeit schien. Ihre Verwirrung ließ den Baron nur ahnen, was sie sagen wollte; er lehnte mit Feinheit und Grazie den Dank ab, (der ihm freilich auch nicht gebührte; denn Albert war der, der die Schuld in möglichster Eil und Verschwiegenheit getilgt hatte;) indeß wußte Weißensee sich schnell zu orientiren, und ließ es sich aus gewissen Ursachen gern gefallen, für Albertinens Beschützer gehalten zu werden, ohne daß es ihm einen Heller kostete.

Unter dem Gedränge bemerkte Albertine eine Kosaken-Maske, von der sie nicht nur immer verfolgt, sondern auch scharf beobachtet schien. Sie redete ihn einige Male an, seiner los zu werden; aber er antwortete nicht, schüttelte den Kopf und legte seufzend die Hände auf seine Brust, welches ihrem Begleiter, dem Hofmarschall, Anlaß zu manchem schaalen Scherze gab, an welchem[201] unsre Freundin wenig Geschmack fand. Endlich drängte sich der Kosak noch einmal an sie, und sagte mit verstellter, doch leiser Stimme: »Weile nicht zu spät hier, schöne Maske! Ein Sturm bricht über dich ein!« – Albertine wurde empfindlich, sehnte sich hinweg, und machte sich auf, ihre Gesellschaft zu suchen.

Indessen gingen in Albertinens Wohnung wunderliche Dinge vor, die wir, der Ordnung gemäß, berichten wollen.

Albertine hatte nicht sobald das Haus verlassen, als sich ihr Zöfchen, Lisette, an ihre Arbeit begab, die zu einem Geschenk für den charmanten Monsieur George, des Barons Kammerdiener, bestimmt war. Schauerlich heulte der Wind durch die Kamine der großen, jetzt leeren Gemächer. Unserm Lisettchen wurde es gar unheimlich um's Herz; sie fing an Riegel zu zuschieben und Schlösser zu verwahren, setzte sich wieder an's Tischchen, und lauschte gar ängstlich nach der Thüre hin, als plötzlich ein Gepolter entstand und eine kräftige Hand[202] anklopfte. »Wer ist da?« wimmerte Lisettchen. – »Gut Freund!« antwortete die Stimme von außen. – »Ich mache Niemand auf, der sich nicht nennt.« – »Lisette muß mir aufmachen, auch wenn ich mich nicht zu nennen für gut finde.« – »Herr Jemine! wie wissen Sie denn meinen Namen?« – »Weil ich gut Freund bin.« – »Herr Je! ich muß doch einmal sehen!« – Lisette machte auf; da war sie aber eben so klug. Denn den Herrn im Reisekleide, der sich ziemlich keck und herrisch betrug, kannte sie gar nicht. Daß er aber unklug sei, nahm sie für ausgemacht an; denn er sah zwar sehr schön, aber verwildert aus, sprach nicht, näherte sich Albertinens Bette, streckte die Hand bedeutend darnach hin, küßte die Decke, riß einen ihrer Handschuhe vom Tisch und küßte ihn ungestüm, trat an die Staffelei, betrachtete das Gemälde, worauf der Gemahl sterbend abgebildet war, und weinte laut. Lisette hatte sich vor dem großen wilden Mann hinter die Stühle geflüchtet und antwortete ganz schüchtern, als[203] er, nicht mit donnernder, sondern sehr affectvoller Sprache fragte: »ihre Dame ist also – hab' ich denn recht verstanden? – auf dem Ball?« – »Auf dem Ball!« wiederholte er einige Male und immer weicher. »O Gott! wie feierlich versprach sie's mir! und hier, hier in diesem verfluchten Treibjagen nach Lust!« – In diesem Affect entfiel dem Fremden ein Handschuh, und Lisette sah mit Entsetzen, daß er in dem Handschuh keine Hand hatte, und schrie wie Zeter Mordio: »Herr Jesu! Sie sind doch nicht unser seliger gnädiger Herr?« – – »Selig wahrhaftig nicht in diesem Augenblick! Schweige sie!« – »Ach nein; ich will lieber den alten Herrn wecken; mir graut's mit dem Herrn allein.« – »Nicht von der Stelle! sag' ich ihr. Wer ich auch sei; ich muß ihre Dame sprechen. Ich bringe ihr Nachrichten, die ihr wichtig seyn müssen.« – – Indeß hatte sich Lisette den wilden Mann etwas besser besehen, und fand sein Antlitz sehr menschlich, ja sogar schön; und vollends, wenn er sprach, und[204] die schönen Augen so auf einen richtete; und dann seine Gestalt, die schlank und doch kräftig, und sein Anstand, der so herrisch und doch auch wieder so milde, so ungezwungen edel war! – Genug, Lisetten verging das Grausen so gut, daß sie gar redselig wurde und dem Fremden viel von ihrer Herrschaft erzählte, die wohl die schönste Dame in der Stadt sei, der es aber auch nicht an Verehrern fehle. Den Baron Ulmenhorst habe sie abgewiesen; nun aber werde sie sich ehestens mit einem prächtigen jungen Herrn vermählen, der so reich, als großmüthig sei. Er habe heut' noch ein Stückchen gemacht, darum die Damen ihm gewiß gut seyn müssen. Ihre Dame sei zwar eine recht gute Wirthin; aber die Gelder wollten doch nicht immer zureichen, und da habe der allerliebste Baron ihr aus der Noth geholfen, und so charmant, daß sie nicht einmal davon gewußt hätte. – »Schlange, du lügst!« rief der Fremde entrüstet. »Du lästerst einen Engel! Sprichst du noch eine Sylbe, du bist des Todes!« –[205] »Herr Je! man weiß doch auch gar nicht, wie man mit dem Herrn daran ist!« – Jetzt hielt sie ihn wieder für rein toll; und da sie viel von Albertinens Bruder gehört hatte, hielt sie den Herrn dafür, verließ das Gemach, nachdem sie frische Lichter hingestellt hatte, und den Fremden an Albertinens Bette sitzend, in tiefe Betrachtungen versenkt.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 200-206.
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