Ein und zwanzigstes Kapitel

[218] Niemand war mehr erstaunt über das, was sich in seinem Hause in der Nacht zugetragen und er so ganz verschlafen hatte, als Onkel Dämmrig; obschon er das, was ihn eigentlich anging, erst noch erfahren sollte und wir selbst es noch nicht wissen. Über den schnurrigen Spaß mit dem todten Mann, der am Ende, wie's heraus kam, nicht todt war, wollte er sich immer zu Tode lachen. »Ja, ja!« wiederholte er beim Frühstück hundertmal, »ja, ja, Neveu, die luftigen Kerle, Ulmenhorst und Weißensee, hätten Ihnen Ihr Albertinchen bald weggekapert; aber sie hat sich gehalten, wie der leibhafte Paswan Oglu, hahaha! Nun hört, Kinder, das giebt nun auf Ehre eine recht scharmante Ehe en quatre, mit der Henriette oder Euler, wie sie da heißt. Ei, ei, daß Tante Elise das nicht erlebte!« So ging das in einem fort! Denn der arme Onkel war politisch; er[218] wollte nicht gern das Gespräch über gewisse andere Dinge aufkommen lassen, deren Erwähnung er mehr, als den Tod scheute; als da waren: sein ehrlicher Bankerutt, Albertinens verlornes Vermögen und was der odiösen Dinge mehr waren. Er hätte sich aber getrost alles Kopfbrechen hierüber ersparen können, denn Lindenhain war bereits auf's Zureichendste durch Albertinens Schwägerin, die gute Luise, unterrichtet, die es ihm, in ihrer beliebten schwarzen Kunst gearbeitet, mit den kleinsten Umständen mitgetheilt hatte, wovon er sich aber aus Schonung nichts merken ließ.

Es stand indeß da oben geschrieben, daß Onkels guter Humor getrübt werden sollte. So wie der Trost, kommt auch oft die Unlust aus Winkeln her, wo man sie nicht vermuthet. Ein unholder Polizeibeamter war der Freudenstörer. Madame Rosamunde sollte wegen eines ihrer artigen launigen Einfälle arretirt werden; sie und ihre Gesellschaft hatten sich den kleinen Spaß gemacht, einen jungen Ausländer von[219] der verführerischen Last einer reichen Erbschaft zu befreien, indem sie ihn, wie es in der Kunstsprache heißt, ausgeschält hatten. Weißensee hatte, in der Hoffnung sich durchzustehlen, seine edle Beschützerin verrathen, mit der er nun die Reise in's Ausland angetreten hatte. Die kluge Rosamunde war nicht wieder über Dämmrigs Schwelle gekommen, sondern war vom Balle gleich der nächsten Gränzstadt zugeeilt. Ihre Zofe hatte für diesen Fall längst ihre Anweisungen. Auf den verabredeten Wink hatte sie sich eilig mit den Kostbarkeiten ihrer Gebieterin auf den Weg gemacht; in der Geschwindigkeit verfehlte sie aber des rechten, woran freilich Monsieur George, Weißensee's Kammerdiener, Schuld seyn mochte, der, als ein Fremder, die rechten Wege nicht alle in dem Kopf haben konnte. Die Herrschaft ging durch Sachsen nach Frankfurt am Main zur Messe, und die Dienerschaft kam auf dem allernächsten Wege in Hamburg wohlbehalten an, wo Minette lange untröstlich weinte; denn Monsieur[220] George war mit Wechseln und Juwelen gleich in den ersten Tagen verschwunden.

In Laurettens Natur lag etwas, wodurch sie sich unwiderstehlich angereizt fühlte, Hiobsposten zu überbringen; auch diese brachte sie dem Onkel ohne alle Schonung, im dürren Tone eines Gerichtsdieners, der sein Amt thut. Der arme Mann entfärbte sich, sank zurück, und als er in sein Zimmer geschafft war, fand sich's, daß er vom Schlage gerührt war. Doch hielt der Arzt den Zufall für diesen Augenblick nicht tödtlich.

Indeß Albertine mit der herzlichsten Gutmüthigkeit um ihren Verwandten bemüht war, und sich kaum abmüßigte, zuweilen ihr niedliches Amorköpfchen in die Thüre herein zu stecken, ihrem Louis zu zuwinken oder ihm einen Kuß zu zuwerfen, war Laurette ihrer Seits bemüht, die Freuden des Wiedersehens zwischen den beiden zu verbittern. Sie gab Lindenhain mancherlei Winke über Albertinens Aufführung und ihre Verhältnisse zu den Männern ihrer[221] Bekanntschaft; aber nie gab es eine untreuere Übersetzung, nie ein boshafteres Unterschlagen des Textes, als in dieser höllischen Erzählung, der Lindenhain ganz ruhig zuhörte.

Als sie geendigt war, entgegnete er sehr kalt: »Ihr Gemälde hat viel Schatten, Cousine! Indeß habe ich es von Ihrer Hand so erwartet. Mein Weib, meine engelgute Albertine, hat gleich in den ersten Stunden unserer Wiedervereinigung ihre ganze Beichte mit der Offenheit, die keine Zweifel gestattet, bei mir abgelegt, und ich habe sie mit der vollsten Zustimmung meiner Vernunft absolvirt. Gebe Gott, daß sie meiner Beichte eben das könne angedeihen lassen!«

»Die ist klug gewesen, wahrhaftig!« tief Laurette, indem ein gallichtes Roth ihre dickhäutige Wange überzog. »Die Dummen haben doch immer eine eigene Schlauheit, ihr Interesse wahrzunehmen!«

Albertine hatte in der That aus dem edelsten Antriebe ihres ehrlichen Gemüths[222] ihrem Manne jegliches ihrer Verhältnisse erzählt, so ohne alle Selbstschonung, als es bei Menschen möglich ist. Mit der größten Naivetät schilderte sie ihre aufgeregte Eitelkeit, und den flüchtigen Reiz, den Weißensee dadurch für sie gehabt hatte; sie gestand, daß sie Ulmenhorst allen Männern vorgezogen haben würde, hätte das gütige Schicksal ihr nicht den Gatten wieder zugeführt. – »Aber« – setzte sie strafend hinzu – »warum mußte ich eine Wittwe heißen? Warum gab mein Louis zu, daß ich mich selbst dafür halten mußte?«

Lindenhain lauschte mit brennender Wange und thränentrübem Auge der banglichen Erzählung, bei der er oft unwillkürlich seine Stirne rieb. »Ach, Albertine!« rief er endlich, als sie schon einige Zeit schwieg, »Albertine, du bist ein Engel! In diesem Hause der Üppigkeit und des Wohllebens hast du die Feuerprobe bestanden. Wohl dir und wohl mir, daß der edle Albert der Mann war! Ach, Albertine, möchte ich dir nicht strafbarer erscheinen, möchten meine[223] Bekenntnisse das Engelsherz nicht von mir wenden! Dir war ich ein Todter; mir lebte meine Albertine; lebte mir in allen ihren Reizen, in der Ausübung theuer verheißner Treue.« –

»Was hast du mir zu beichten? Ich fürchte mich, zu hören,« sagte Albertine, ihm unruhig in's Auge schauend. »Du wirfst einen Pfeil in meine Seele, der meine Freuden tödtet.«

»Du sollst alles hören; ihr alle, der ganze Kreis der Freunde sollt hören; ihr sollt zu Gericht über mich sitzen, und ich will ehrlich seyn, wie du es gewesen bist!« –[224]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 218-225.
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