Zwei und zwanzigstes Kapitel

[225] Viele Tage waren verstrichen, wo die Familie einzig mit der Krankheit des alten Herrn beschäftigt war, der sich nach gerade wieder erholte, die Bübin Rosamunde, wie er sie nun selbst nannte, bei allen Teufeln wünschte, sich seiner Befreiung von dem unleidlichen Joche freute, und den Kreis seiner Freunde, die er nun erst recht unterscheiden lernte, um sein Bette versammelt zu sehen wünschte.

Daß dieses letztere geschah, veranstaltete Lindenhain selbst; denn ihm verlangte nach gerade, sich der Bürde seines Herzens zu entledigen, da die Entwickelung so nahe vor der Thüre seyn mußte, von der auch wir noch nichts ahnen. Er hatte Ulmenhorst, Madame Euler, Laurette, die nicht übergangen werden durfte, vor des Onkels Bette beschieden, der bald selbst Anlaß gab, das Gespräch einzuleiten, indem er sagte, der Herr Neveu sei doch nun schon so lange[225] hier, und man hätte noch nichts von seinen Schicksalen und Kriegesthaten erfahren, und wie er von den Todten auferstanden sei? – »Es war hohe Zeit, Herr, daß Sie sich wieder einfanden, sonst hätte es mit der jungen Wittwe leicht eine Hochzeit geben können!« Dies sagte er, lose auf Albert blickend, der dadurch, daß ihn Lindenhain ungestüm an seine Brust drückte, aus einer Verlegenheit kam, um in eine andere überzugehen; denn ganz verstand er Lindenhains Umarmung nicht, da er von Albertinens Geständnisse nichts wußte.

»Ja« – fuhr der Onkel fort – »erzählen Sie doch vom Kriege; ich höre für mein Leben gern davon. Ich war schon ein großer Bengel, als Mama, selige, immer noch dafür hielt, ich werde wohl dem Kalbfelle folgen. Erstlich: weil ich so eine Art von einem kleinen Taugenichts war; und dann: weil ich als ein beinahe großer Mensch noch immer mit bleiernen Soldaten spielte, mir Festungen von Marzipan baute und sie dann mit stürmender Hand einnahm.[226] Ich gedenke immer noch eines tausend Spaßes« – Albertine fiel schlau genug ein, als sie den Onkel Anstalt machen hörte, eine schon hundertmal erzählte Kinderei wieder aufzuwärmen. »Lieber Onkel, der Arzt befiehlt, Sie sollen sich durchaus schonen!« Denn Albertinens Herz klopfte hoch vor ängstlicher Erwartung, was Louis zu erzählen habe, und darum mochte sie den Alten, den sie sonst mit der größten Gefälligkeit radotiren ließ, diesmal nicht anhören.

»Meine Kriegsthaten« – begann Lindenhain – »wenn der Diensteifer der Subalternen je diesen Namen verdient, haben hiermit, (auf seinen abgenommenen Arm deutend,) ihr Ende erreicht. Aber leicht wurde es mir nicht, dieses Ehrenzeichen zu verdienen. Der merkwürdige Tag, an welchem ich zum einhändigen Bettler wurde, verdient eine Schilderung, die ich meinem beschränkten Talent nicht zutrauen darf.«

Laurette faßte das Wort Bettler auf, und brachte auf ihre Weise zur Erörterung,[227] was so lange zu erwähnen, von allen Seiten vermieden wurde; nemlich den Verlust von Albertinens Vermögen. »Wußten Sie das damals schon?« fragte sie schneidend. – »Nein,« sagte Lindenhain, halb scherzend, »es gab da keine Lauretten. Wenn diese Vorstellung aber irgend einem guten Gemüthe kränkend ist, dann kann ich die tröstende Nachricht geben, daß das Schicksal mir und meiner Albertine mehr als zehnfachen Ersatz in der Erbschaft meiner alten Tante, der Gräfin Bodenheim, deren Universalerbe ich bin, gegeben hat.«

Alle stürmten nun glückwünschend auf ihn ein. Ulmenhorst sagte herzlich und anspruchslos: »Auch ohne diese Erbschaft warest du noch reich; du hattest Albertinen und deinen Albert, der für euch alle reich genug ist.« – Laurette konnte nicht aufhören, Albertinens unerhörtes Glück zu preisen; und ganz leise, doch so, daß Albertine es deutlich vernehmen mußte, setzte sie noch den Gellertschen Spruch hinzu: »Für Gürgen[228] ist mir gar nicht bange, der kommt gewiß durch seine Dummheit fort.«

Jetzt ersuchten alle, Lindenhain möchte ihnen die Art seiner Gefangennehmung erzählen. Und Lindenhain begann:

»Sie werden sich erinnern, daß unsre vortrefflichen Truppen, und mit ihnen das Regiment, zu welchem ich gehörte, sich durch Mühseligkeiten vielfacher Art und die äußersten Anstrengungen um ruhige Winterquartiere wohl verdient gemacht hatten. Indeß war eine schwere Winterkampagne vorauszusehen. Die rauhe Witterung, gegen welche uns weder Zelte noch Hütten mehr Schutz gaben, und die ernstlicheren Anstalten der Feinde zum Angriff, machten die Lage unserer Armee immer bedenklicher, und unsern Wunsch, uns durch irgend etwas Entscheidendes herauszureißen, immer heißer. Nie hatten bejahrte Krieger mehr guten Willen und mehr wahren Heldensinn gesehen, als da ein Detaschement von 1600 Mann aus verschiedenen Bataillons ausgehoben[229] wurde und Befehl erhielt, sich bei Nusweiler zu versammeln.«

»Friedrichs und des edlen Braunschweigers Geist ruhete auf der auserlesenen Schaar, die von ihrer Bestimmung nichts wußte, so wie auf den Zurückbleibenden, die sich laut darüber beklagten, daß sie ihre tapfern Kameraden den Weg zur Ehre allein antreten sähen.«

»Ohne an's Sentimentale zu streifen, darf ich sagen, daß die ganze Scene sich ganz zum Romantisch-Schauerlichen eignete. Voll des entschlossensten Heldenmuthes, der sich nicht in rohe, wilde Flüche, sondern in ruhigen Vorsatz, das Äußerste zu thun, ausließ, schritt mit kühnen, wiederhallenden Tritten die edle Schaar vorwärts. Das soldatisch-freundliche Lebewohl des Bruders oder Vetters, das ihnen die Zurückbleibenden nachriefen, hatte ihren Muth mehr angefeuert, als erweicht. Es sollte ein schwerer Kampf mit dem eisernen Schicksale beginnen. Jeder ahnete es; keiner wußte bestimmt, was ihrer harrte. Es war eine[230] feierliche Nacht, in der der Todes-Engel eine reiche Erndte hielt. Sie war herbstischkalt. Leichte Wolken streiften über dem aufgeklärten Himmel, und machten, daß der Mond den Kriegeszug nur dämmernd beleuchtete, und die weiße Binde, die jeder der Unsrigen am Arme trug, sichtbar werden ließ.«

»In feierlicher, furchtbarer Stille näherten sich unsere Detaschements der Bergfestung Bitsch, umgingen sie, und kamen auf der Straßburger Straße, eben um Mitternacht, bei dem bedeckten Gange an. Unbesorgt pfiff sich die Schildwache an den ersten Pallisaden ihr: ça ira, und schien nicht an die Möglichkeit eines feindlichen Besuchs zu denken. Man hörte unten ihr gewöhnliches: sentinelle, prennez garde à Vous! und beides diente zur Richtschnur.«

»In schauerlichem Schweigen kletterte nun die Kolonne den Berg hinan. Die Schildwache gewahrte den Feind erst, als er nur noch zwanzig Schritte von ihr entfernt war, und rief zweimal ihr: qui vit?[231] worauf sie die Antwort: republique francaise! erhielt. Als sie ihren Irrthum einsah, warf sie das Gewehr hin und lief davon. Wir überstiegen die Pallisaden und eilten dem bedeckten Gange zu.«

»Jetzt wurde in der Stadt Lärmen, nachdem zwei Posten Feuer gegeben hatten. Ein schrecklicher Tumult verbreitete sich; allenthalben erscholl: aux armes! aux armes! de ce coté, citoyens! içi Camerades

»So glücklich der erste Angriff geschehen war, so viel unübersteigliche Hindernisse setzten sich ihm jetzt entgegen. Wir fanden eine wüthende Gegenwehr. Handgranaten, Steine, Balken, Kugeln und gehacktes Eisen unterhielten einen unaufhörlichen mörderischen Regen auf die andringenden Preußen.«

»Ewig unvergeßlich in Preußens Annalen wird die Unerschrockenheit bleiben, womit die vortrefflichen Truppen dem Tode, der in so vielerlei Gestalt unter ihnen wüthete, trotzten! Der Hinterste drängte den Vordersten; ›vorwärts, vorwärts!‹ war[232] der ununterbrochene Ruf der Tapfern. Während dieses mörderischen Gefechtes, wo die Gefahr der Vertheidigung in gar keinem Vergleiche mit der des Angriffs stand, waren zwei Thore gesprengt worden. In dem engen Gange konnten nur drei Mann in Fronte stehen. Waren diese getödtet oder blessirt, so eilten von hinten andere herbei, ihren Platz zu ersetzen! Der Sterbende ward unter die Füße getreten und seines Ächzens durfte nicht geachtet werden, wenn gleich der Freund oder Bruder darin erkannt wurde. Die Blessirten, die noch gehen konnten, drängten sich an den Wänden bis hinten hin zurück, wo sie fortgeschafft wurden.«

»In der Dunkelheit und dem Tumulte waren Äxte, Brecheisen und alle erforderlichen Instrumente verloren gegangen; die sie führten, waren getödtet oder verwundet, die Dunkelheit ließ nichts erkennen; ein wildes Durcheinanderrufen machte die Scene gräßlich. Am dritten Thore standen wir nun, und alle Anstrengung, es zu sprengen,[233] war vergebens. Vergebens floß das Blut der unerschrockenen Preußen. Nach vierstündigem Kampfe, der die Kräfte der menschlichen Natur zu übersteigen schien, folgte freilich Ermattung; aber kein Schatten von Muthlosigkeit entweihete den unbefleckten Heldeneifer der nun schon sehr zusammen geschmolzenen hochherzigen Preußen, davon jeder mit dem Blute seines Kameraden oder von eigenem bespritzt war.«

»Mein Herz blutete, daß so edle, so unerhörte Anstrengung nicht mit Erfolg gekrönt wurde! Des Augenblickes, wo ich aufhörte, thätig mitzuwirken, bin ich mir nicht deutlich bewußt; denn indem mein Arm zerschmettert wurde, traf mich ein Steinwurf am Kopfe. Ich sank und wurde wahrscheinlich mit den Füßen der vorwärts Drängenden bis in eine Vertiefung der Mauer des Ganges gestoßen und unter einen Haufen Todter geschoben.«

»Hatten Sie kein eau de Cologne bei sich, Herr Neveu?« fragte Onkel Dämmrig, ganz naiv. »Nein!« sagte Lindenhain[234] kurzweg. – »Das ist Schade; in dergleichen Fällen ist es höchst bewährt. Stoße oder quetsche ich mich; gleich eau de Cologne zur Hand, und geheilt bin ich.« –

»Unter freiem Himmel, auf einem rüttelnden Wagen voll schwer Verwundeter, kam ich wieder zur schmerzlichsten Besinnung. Albertine, als ich sank, dacht' ich dein; als ich jetzt wieder auflebte, warst du, Liebe, mein erster Gedanke. (Albertine legte hier ihr Haupt auf seine Schulter und schluchzte hörbar.) Ich war ein Gefangener, mein Körper verstümmelt, und Bitsch war nicht genommen! Für den Erfolg war mein Leben mir nicht zu theuer; aber nun – o Gott!« –

»Beschwert von einem schwer Verwundeten, der im Sterben lag, mußte ich in der unbequemsten Stellung liegen. Der Wagen eilte unaufhaltsam vorwärts; meine Schmerzen überwältigten mich; in Bouquenon wurde ich, als ein dem Tode Geweihter, bei Seite gelegt; ein Mitgefangener, leicht blessirter Landsmann bemerkte[235] mein leises Athmen und sorgte dafür, daß ich untergebracht wurde.«

»Dieses geschah nun glücklicherweise in dem Hause eines geschickten Wundarztes, der selbst, Krankheits wegen, die Französische Armee auf einige Zeit hatte verlassen müssen. Er untersuchte meine Wunden. Der Arm bis an den Ellenbogen war ohne Rettung verloren. Unerschüttert hörte ich diese Nachricht, die mich dienstunfähig machte, nicht; denn selbst in der Dumpfheit des Sinnes, hatte ich Plane und Dispositionen gedacht, wie Preußen an dem Feinde Rache nehmen und ich mitwirken könne. Als er die Quetschung an meinem Kopf untersucht hatte, machte er Anstalt zu trepaniren, und erklärte, ohne diese Operation sei ich verloren, ob ihm meine Rettung durch sie ebenfalls auch ungewiß sei.«

»O, mein Vater, so lassen Sie ihn ohne den Schmerz sterben; ich will ihn pflegen; ich will ihn retten; überlassen Sie ihn mir, mein Vater, er soll genesen!«« rief mit Wärme eine weibliche Stimme, und meinem[236] Lager näherte sich ein schönes, junges Frauenzimmer. Sie legte ihre Hand an meine kranke Stirn, und bemühte sich, mir durch leises Streichen wohl zu thun.«

Hier hob Albertine den Kopf von Lindenhains Schulter, und blickte ernsthaft und verlegen vor sich hin. Onkel Dämmrig machte ein loses Gesicht und murmelte ein bedenkliches: »ha, ha!«

Lindenhain fuhr fort: »»Adelaide! was soll das?«« sagte der Vater. »»Wie kommst du, kleiner Naseweiß, zu dieser Vorschnelligkeit?«« – »»Aber, mein Vater, Sie versprechen ja seine Besserung nicht; wozu den Greuel einer solchen Operation? Unter den nemlichen Bedingungen will ich ihm wohl thun. Sie wollen ihn todt plagen. Nein, nein! Er ist mein!««

Der Vater gab lächelnd nach. Er war jetzt selbst abgeneigt, sich mit meinem Arm zu schaffen zu machen, bis alle Anzeigen eine schnelle Operation nothwendig machten. Ein hitziges Fieber war die Folge davon, wobei meine Kopfwunde sich sehr übel befand.[237] Das schöne Mädchen hielt indeß Wort; sie verließ ihren Kranken nicht. Und nie hätte ich der französischen Lebhaftigkeit so viel Ausdauer zugetraut, als dieses treffliche Mädchen hier bewieß. Sie bestand jede Probe. Nächte hindurch ließ sie mein krankes Haupt an ihrer Brust ruhen, ohne sich in den beschwerlichsten Stellungen auch nur zu rühren. Ihre sanfte Hand kühlte meine brennende Schläfe; sie verband mit der herzlichsten Sorgsamkeit meine Kopfwunde, die sich unter ihrer Aufsicht sehr gut anließ, wie der Vater wohlgefällig bemerkte. Ich weiß, Albertine, du kannst nicht böse werden, daß ich diesem guten Mädchen von Herzen dankbar war, und aufrichtiges Wohlwollen für sie empfand.«

»O nein, ich bin es ja auch nicht!« sagte Albertine etwas kalt. Doch schwankte ihr Ton. Laurette lachte ihr unverwandt in's Gesicht. Der Onkel schnitt Gesichter nach seiner Weise, die spaßhaft seyn sollten.

»Als mein Zustand erträglicher wurde, brachte Adelaide ihre Harfe in mein Zimmer.[238] Sie durchschwebte die Saiten so leise und lieblich, daß die Melodie ätherisch dahin lispelte, wie von einer Aeolsharfe. Ihr Gesang war rein und kunstlos.«

»Sobald ich aufrecht sitzen konnte, verlangte ich Schreibmaterialien, um dir, meine Albertine, Nachricht von deinem armen Invaliden zu geben. Adelaide brachte sie mir, mit einem so trüben Gesichtchen, als ich bei ihr noch nicht gesehen hatte. Hier, meine Albertine, wird deine ganze Großmuth aufgefordert werden; ich schrieb, ich schrieb oft, und meine Briefe sind nicht zu dir gekommen. Das Geheimniß wird sich enthüllen.«

Albertine antwortete wenig und unverständlich. Sie machte sich mit dem Thee, den eben der Bediente gebracht hatte, zu schaffen. Es war sichtbar, daß sie litte.

»So wie meine Genesung fortrückte« – fuhr Lindenhain fort – »vermied Adelaide ganz unaffectirt, allein in meinem Zimmer zu bleiben. Eine ältliche Gouvernante, die mit ihr dem Hauswesen vorstand,[239] war immer zugegen. Adelaide las uns vor, oder spielte und sang, oder beschäftigte sich mit irgend einer Handarbeit. Sie war immer gleich freundlich und sorgsam; doch hatte sie offenbar etwas auf dem Herzen, das bei ihrer sonstigen Offenheit sie drückte. Einst, als sie mir den Thee reichte, blieb sie wie zerstreut in meiner Nähe stehen und spielte mit einem Stückchen Papier, welches sie absichtslos in den Fingern zu rollen schien. Als sie mich verließ, sank das Papier aus ihrer Hand auf meinen Tisch und sie entfernte sich, merklich erröthend. Es war beschrieben. Meine Neugier wurde rege. Ich las. Es enthielt folgende Worte: ›Ich habe von einem Ihrer Landsleute gehört, daß Sie verheirathet sind. Ist das wahr? Adelaide.‹«

(Albertine, die bis jetzt wieder emsig strickte, stand auf, dem Onkel etwas zu reichen, so daß sie der Gesellschaft den Rücken zuwandte.)

»Adelaide kam diesen Tag erst zur Abendsuppe mit ihrem Vater und der Gouvernante[240] in's Zimmer. Sie war verlegen, und wich meiner Nähe wie meinem Gespräch aus. Ich hatte sehr bald Anlaß Adelaidens Frage zu beantworten, indem der Vater von dem Glücke sprach, das er an der Seite seiner verstorbenen Gattin genossen hatte. Da nannte ich dich, meine Albertine, und ein Strom des reinsten Gefühls deines Werthes, meine Liebe, ergoß sich von meinen Lippen.«

(Albertine umarmte hier Lindenhain; doch schien es mehr Ehrenhalber, als aus dem Herzen zu seyn. Laurette fragte gespannt: »Nun? Und Ihre Adelaide?«)

»Adelaide schien von der Wärme meiner Schilderung ergriffen. Sie lächelte und wechselte die Farbe; bei den rührenden Situationen flossen ihre schönen Augen über. Sie wünschte sich deine Freundschaft, meine Albertine!«

(»Hm! Ich möchte sie wohl kennen!« sagte Albertine nachlässig.)

»Sie ist deiner Freundschaft werth, Albertine! Sie erhielt dir deinen Gatten;[241] ihre Pflege und Aufsicht hat alles gethan.«

»Meinen Gatten erhielt sie mir; aber auch sein Herz?« Es mußte heraus. Albertine hielt sich nicht länger. Sie brach in Thränen aus, die sie gern verborgen und dem Hohne der Cousine nicht ausgesetzt hätte. Alle waren verlegen, und Lindenhain sagte schmerzlich: »ich darf nicht fortfahren, Albertine, wenn schon dies dich so erschüttert. Was ich noch zu sagen habe, setzt mich dann in die äußerste Verlegenheit!«

(»Sieh nicht auf mich; ich bin ein albernes Ding. Es wird sich geben. Zeige mir deine Achtung durch Wahrhaftigkeit!«)

»Nach diesem Gespräche fand ich Adelaidens Benehmen offner, herzlicher, zutraulicher, und fast möcht' ich's schwesterlich nennen. Sie sprach viel von meinem Vaterlande, von meiner Albertine, von dem Kummer unserer Trennung. Sie beschäftigte sich oft so unbefangen um mich her, als ob ich gar nicht zugegen gewesen wäre. Doch sahe ich sie im Ganzen seltener, da[242] ich schon im Stande war, selbst wieder für meine Unterhaltung zu sorgen. Ich vermißte ihre Gesellschaft; denn die unschuldsvolle, sich selbst unbewußte Seele des Mädchens war mir sehr werth geworden.«

»Es war mir gar nicht gleichgültig, als wir von unsern Wunden hergestellte Gefangene tiefer in Frankreich hinein geschafft wurden. So sehr sonst meine Wünsche mich in's südliche Frankreich versetzt hatten, so ungern ging ich jetzt dahin ab. Dem commissair ordonateur stellte ich vor, daß meine Dienstunfähigkeit mich nicht länger zum Kriegsgefangenen qualifizire; er gab mir aber den vielleicht schmeichelhaft seyn sollenden Bescheid: der Arm mache nicht allein den Feind gefährlich; der Kopf wär's. Er wußte wohl nicht, daß die Unsrigen erst zur öffentlichen Wirksamkeit gelangen, wenn sie schon wieder ergrauen.«

»Auf einem ziemlich anständigen Fuhrwerke traten wir unsere Reise nach der Gegend von Toulouse an.«

»Und Ihr Abschied von Adelaiden?«[243] unterbrach ihn hier der Onkel. »Ich bin ganz verliebt in das allerliebste Mädchen.«

»War herzlich und meiner Seits von Dankbarkeit überfließend. Wie hätte ich anders gekonnt?« – fuhr Lindenhain fort. »Noch aus Bouquenon schrieb ich einen langen, umständlichen Brief an dich, meine Albertine, dem ich die kleine Summe beifügte, die mir, wie durch ein Wunder, erhalten war. Da ich in die Todtenlisten des Regiments eingetragen war, so darf ich mich nicht wundern, wenn Ihr, meine Theuren, weiter keine Schritte thatet, etwas von mir zu erfahren.«

»Adelaide hatte sich viele Tage emsig mit meiner Reiseanstalt beschäftigt. Wie hatte das edle Mädchen für Alles gesorgt! Was die sorgsamste Aufmerksamkeit auf alle kleine Bedürfnisse nur ersinnen kann, fand ich hier bei einander. In einer kleinen bonbonniere fand ich zwanzig Louisd'or und diesen Ring von ihrem Haar, mit dem Zettelchen: pour la charmante Albertine! – Hier, meine Albertine, ist er; trag'[244] ihn diesem würdigen Mädchen zum Andenken!«

Alle machten jetzt große Augen, als Lindenhain den Ring hervorzog und ihn der sich halb weigernden Albertine an das Fingerchen schob. »Das ist ein stark Stück, das!« sagte Onkel, die Hände reibend. Albertine, auf die aller Augen theils boshaft neugierig, theils mitleidig theilnehmend gerichtet waren, sprang auf, umarmte ihren Gatten weinend, und sagte unter Schluchzen: »Dein edles Zutrauen, mein Louis, reißt mich hin; du erhebst mich über mich selbst! Wie ehrst du mich! Vergieb den Kampf in meinem Innern! Ich habe gesiegt; ja, ich hoffe, ich habe gesiegt!«

Kein Auge blieb trocken. Selbst Lauretten entwischte ein unwillkürliches: »recht brav!« Doch wollte Ulmenhorst das Wort Drama nachtönen gehört haben.

»Trage diesen Ring zum Zeichen dieser Stunde, meine gute, edle Albertine! Mein Glaube an dich hat mich nicht getäuscht. –[245] Doch, ich eile zum Schluß meiner Erzählung!«

»Mein neuer Aufenthalt war an sich viel reizender und gab meinen Beobachtungen reichen Stoff. Doch fehlte mir ein verwandtes Herz; wenn ich es mit einem Worte sagen soll, eine Deutsche Natur, nach der ich mich nun schon mit aller Kraft sehnte. Der geringste unserer Landsleute interessirte mich deshalb innigst; ich habe Denkarten unter ihnen getroffen, die den gebildetsten Ständen Ehre machen würden; auch bemerkte ich mit Vergnügen, daß ihre Gradheit, ihre ehrliche Treuherzigkeit, ihr Fleiß von den Landesbewohnern auszeichnend bemerkt wurden.

Einst kam ich von einem Spaziergange zu Hause; da hieß es: ein junger, schöner Knabe habe nach mir gefragt; er sei, um meiner zu warten, in die nahe Kirche eingetreten. Wer konnte hier nach mir fragen! Nach einer halben Stunde erschien wirklich ein sauber gekleideter Knabe in Bediententracht, in dem ich, beim ersten[246] Anklang seiner Sprache, Adelaiden erkannte.«

»Nun, nun, den Braten merkt' ich!« sprach der Onkel. Alle andere schwiegen betroffen.

»Um Gotteswillen!« rief das Mädchen, »denken Sie nicht unrecht von mir! Stoßen Sie mich nicht aus! Ich bin eine Waise, bin emigrirt, und würde hülflos ohne ihren Schutz umher irren müssen!« – Ich stand versteinert, und auf Ehre kann ich bezeugen, daß ich nichts weniger, als erfreut war. Sie bemerkte es, und erzählte mir schnell, daß bald nach meiner Abreise ihr armer Vater angeklagt, in's Gefängniß geschleppt und schnell guillotinirt worden sei, weil er durch seine Theilnahme an den Preußen verdächtig geworden wär. Ihr habe ein ähnliches Schicksal gedroht; sie habe sich daher diese Kleidung zu verschaffen gewußt und sei mit einer Dame hierher gekommen. Jetzt wolle sie mein Bedienter seyn; sie habe von einer Auswechselung der Gefangenen gehört; sie müsse nun doch[247] fort und wolle bei mir und Albertinen leben.«

»Sie ist dir ganz nahe, Albertine! Wirst du sie, willst du sie aufnehmen? Dein Bruder, der Treffliche, der mich aufzusuchen reisete, führt sie dir zu!«

»Erstehen wir das große Himmelbette des Grafen von Gleichen,« sagte der Onkel lachend. »Das giebt eben so eine Geschichte. Auf meine Ehre!«

Albertinens Gemüth hatte sich aber nun einmal einen Schwung gegeben; sie blieb sich gleich und sagte edelmüthig: sie solle ihr willkommen seyn! Doch schien ihr der Ausweg nicht mißfällig, als ihre kluge Freundin Euler sagte: daß die Vorsehung wohl vielleicht ihrer Einsamkeit eine Gefährtin in Adelaiden bestimmt habe. – Alle, auch Lindenhain, stimmte diesem Gedanken von Herzen bei, außer Laurette, die sich höhnisch lächelnd auf die Lippen biß.

Jede Erwartung führt etwas Bängliches mit sich. Es ist Albertinen nicht zu verdenken, wenn sie diese Nacht wenig schlief und[248] sich ihrer nur zu geschäftigen Phantasie überließ. Doch konnte sie weder in ihres Gatten, noch in des wackern französischen Mädchens Betragen etwas Sträfliches ergrübeln; und da sie denn nichts eingebüßt zu haben hoffte, erschien sie sich in ihrer eigenen Größe um so wohlgefälliger.

Ganz frühe schon weckte sie ihren Louis, ihm das Geheimniß der ausgebliebenen Briefe abzufragen; denn sie hatte einen dunklen Argwohn gefaßt, Adelaide könne sie unterschlagen haben. Ungern gestand ihr Louis, ihre eigene Schwägerin, ihres Bruders Frau, habe das Falsum begangen, sie los zu werden und sie mit ihrem Bruder zu entzweien. Sie hatte gehofft, Albertine werde als eine unabhängige Wittwe recht viel dumme Streiche machen und in Noth und Verwirrung gerathen. Die Briefe waren jederzeit unter der brüderlichen Addresse gekommen; da hatte Frau Louise stets schlau gewußt, sie auf die Seite zu bringen, indem sie das Briefgeschäft in der nächsten Stadt durch ihre Boten besorgen[249] ließ; und was vermag nicht ein listiges Weib, das seines Gatten unumschränktes Vertrauen usurpirt! eines Gatten, dessen Seele, rein von Betrug, am wenigsten die Schlange ahnet, die er an seinem Herzen erwärmt.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 225-250.
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