Fünf und zwanzigstes Kapitel

[265] »Sagen Sie mir doch, Ulmenhorst, was ist's, daß Sie jetzt so häufig verstimmt scheinen, und oft mitten im frohen Gespräch sich einer eigensinnigen Laune überlassen, die uns Ihre Unterhaltung verkümmert?« fragte Henriette. Albert erröthete, legte seine Hand sanft auf ihre Schulter. »Morgen sollen Sie's erfahren, wenn Sie mir helfen wollen?« – »Wenn ich kann, gern!« Und das Gespräch war abgebrochen.[265]

Henriette hatte ganz andere Besorgnisse, und fühlte sich erleichterten Herzens, als sie folgendes Billet gelesen hatte.


»Leiser berührt die weibliche Hand wunde Herzen; leihen Sie mir die Ihrige, meine Freundin, eines zurückzudrängen, das sich unaufgefordert zu mir hinneigt. Nie gab ich Lauretten Anlaß, mich für Ihren Liebhaber zu halten; nie fühlte ich für diese niedrigste aller Weiber; das wäre sie mir, auch ohne die Nähe ihrer englischen Cousine! Und dennoch macht sie Anstalt, mich mit stürmender Hand zu erobern. Ich verschweige, wie weit sie, aller weiblichen Delikatesse trotzend, sich vergaß. Das macht mich bei ihrem Eintritte still, weil ich mich in ihrer Seele schäme. Ihrer Zartheit, meine Freundin, traue ich es zu, daß Sie den verirrten Sinn sanft zurückführen werden. Zu hart wär's mit männlicher, mit meiner Hand. Überdem hat sie sich, meiner leisen Zurechtweisungen nicht achtend, mir nur frecher entgegen geworfen. Ungern würde[266] ich Sie indessen dem Spotte des Onkels und der Verachtung Anderer ausgesetzt sehen. Sie ist ein Weib, Albertinens Verwandte und muß geschont werden. Nach meinem Gefühle darf ein Mann die Fehler nicht strafen, die er veranlaßt. Leben Sie wohl! Von Ihnen hofft seine Befreiung

Ihr

Albert von Ulmenhorst.«


Henriettens Verlegenheit war groß, nicht geringer Albertinens, als sie folgenden Brief von der verschollenen Tante Elise erhielt.


»Bitte, bitte, sei nicht böse, Nichte Albertinchen, wenn ich unter den Wellen seligen Genusses, die über mir zusammen schlugen, eurer zu vergessen schien. Athemlos, in Wonne gelößt, schwebt mein Geist dem Deinen wieder entgegen und fleht um Einklangsseligkeit. Du Einzige gewährst sie mir.

Den Bruder grüße mit dem Kuß der Liebe. Nichte Lauretten sage – ach Gott! die[267] Arme! wie wird ihr Herz in dem Ocean der Kränkung sich nach einem errettenden Felsen sehnen! Die Arme!!! Sage ihr, weil es doch einmal gesagt werden muß, es ginge unmöglich an, daß Doctor (nicht mehr Magister) Doctor Wassermann sie heirathen könne, wie sie gern will, weil er mich schon geheirathet hat. Die Musen schlossen den ewigen Bund. Ach, was ist die Liebe für ein süßes Ding! – Die Welt nennt mich alt. Alt? Was ist das nun? Die Hülle, das Kleid wird alt; der Geist blüht in ewig schöner, jugendlicher Form. Wer nicht alt werden will, wird es nicht. Ich gestehe freilich, daß mein Wassermann nicht ganz das Ideal meiner Vorstellungen ist. Sein ernster Sinn verschmäht die leichten Blüthen des meinigen; oft windet er mir einen Kranz von Wermuth, wo ich Rosen brechen möchte; öfterer führt er mich unter Lauben von Cypressen, und lehnt meine Leier an die Thränen-Weiden der herben Vorwürfe; mehr nennt er mich eine[268] unerschaffene Ceder auf Libanon, denn eine Rose im einsamen Thale; aber dennoch verehre ich den Theuren grenzenlos. Ich beuge mich vor seinem stärkern Geist, und neige mich, wie das zarte Schilf im Sturme.

Begeistert durch die Nähe des Empyräum, streben unsre Geister hinanwärts, hinanwärts!!! Mein Bertram arbeitet, im Vertrauen sei's gesagt, an einem großen epischen Trauerspiel, von wie vielen Akten, das wissen die Götter! Den Stoff giebt die christliche Mythe, das Weltgericht. Sie begreifen, Nichte, wie reich! wie wenig er dem Übelstande der Lokalität ausgesetzt ist. Von Adam bis auf den Säugling dieser letzten Stunden, paßt alles hinein. Den Chorus geben die zur Rechten, und die zur Linken stehenden, den diese letztern als Böcke natürlich nur mäkkern. Sie werden tüchtig herunter gemacht vom Richter, und das giebt die Entwickelung. Denn sehen Sie, Nichtchen, sonst erführe man ja gar nicht, warum[269] die ganze Scene veranstaltet ist. Die Schäfchen zur Rechten tanzen ein Schlußballet zu dem Chorus und somit gut!

Sagen Sie es aber Niemand; es soll überraschen, will Bertram. Auch Eurer Elise Geist producirt und ersetzt die leibliche Descendenz. Nichtchen, ich, ich schwärme einen Roman, wie meine reiche Phantasie ihn mir hinzaubert. Wir waren bis jetzt in dem Wahn, meine Liebe, das Wesen des Romans wäre Natur und treues Sittengemälde. O ganz und gar nicht! Richardson und der erzgemeine Fielding sollten jetzt einmal aufstehen und lernen. Ihren abgeschmackten Dictionen sieht man's gleich beim ersten Blick an, daß ihre Verfasser Engländer sind, in England schrieben und von Engländern gelesen seyn wollten. Das ist nun eben unrecht. Es muß alles rein idealisch, rein poetisch seyn. Lieber muß man Schränke und Kommoden redend einführen, ehe man's den Personen anmerkt, wer sie sind, und was sie wollen? Und dann, so muß[270] auch die Moral nicht so Fuderweise darin aufgestapelt liegen. Dadurch entsteht dann die reine Menschheit. Ich sage dir, Nichtchen, die wenigen Figuren, die ich zu meinem Roman brauche, sollen, so zu sagen, wie die Figuren im Puppenspiel, zwischen Himmel und Erde schweben, an einem unsichtbaren Drath, und ihrem Thun und Lassen soll keiner abmerken, ob sie in jene oder diese Region gehören. Da vermeide ich dann die gemeine Natürlichkeit und weiche dem platten konventionellen Leben aus.

Lebe wohl! Tröste Laurettchen! Sage ihr, sie soll sich an dem Duft meines Glücks erlaben, und schreiben, schreiben; es füllt Küche und Keller. Lebe wohl! Die Deinige, im Rosenduft der Freude

Elise Wassermann.«


Albertinens Bestürzung über diesen Brief und ihre Verlegenheit in Ansehung ihrer Cousine, entging Lindenhain nicht. Seine Neugier wurde dadurch erregt und sie konnte[271] ihm die Mittheilung nicht versagen. – »Mißverstanden, Tante! abermals mißverstanden!« rief er. »O, ihr ehrwürdigen, erhabenen Geister, wie werdet ihr verstanden und von Kleinmeistern und Pfuschern gehudelt! Bittet für uns!«

Laurettens unglückliche Konstellation wollte einmal ihre Demüthigung. Ein dritter Brief an sie selbst kam an.


»Mademoiselle!


Dero Anfrage nach Lessing, siehe Minna von Barnhelm, ob ich keine Frau Vadius brauche? ist so ächt komisch, so wahrhaftig naiv, daß wir, meine verlobte Frau Braut, Madame Antonie Spürhauß und ich, sie nicht genug haben bewundern und belachen können. Nein, meine Geschätzte! ich brauche keine Frau Vadius, sintemal mich der Himmel schon mit einer versorgt hat, die so jung, als schön, so reich, als klug ist. Der wegwerfende Stolz, mit dem Sie sonst dem armen Secretär Vadius begegneten, wird[272] Ihnen nicht weiter zugerechnet, so wenig, wie der coup de desespoir, womit die alternde Jungfer Brandbriefe ausschickt. Meine Antonie ist in dem Fall, einer Kammerjungfer zu bedürfen; fühlten Sie sich geschickt zu dieser Stelle, so soll sie Ihnen unverhalten seyn. Das Vergangene sei vergessen. Mit dem gutmüthigsten Ernst bietet Ihnen zu Ihrem redlichen Unterkommen die Hand

Ihr

Cyprian Vadius.«


Laurette war braun vor Ärger; sie kochte Wuth, und drohte eine fürchterliche Explosion, die denn auch bald erfolgte, und sich über die häuslichen friedlichen Fluren verderbend ergoß. Wie alle gemeine Gemüther, fand sie in allem außer sich die Schuld, nur in sich selbst ahnete sie sie nicht. Sie war nicht klug genug, die derbe Weisung in sich selbst zu verarbeiten; so sehr die Freundinnen es zurück zu treiben sich bemühten, ward sie nicht ruhig, bis[273] alle Hausgenossen, selbst die geringste Dienstmagd, mit in ihren Unmuth stimmten und den Verbrecher mit entehrenden Namen nannten.

Wie sollten die Freundinnen es wagen, ihr von den beiden andern Briefen Kunde zu geben?

»Schwester Lieschen hat also den Wassermann wirklich geheirathet?« sagte Onkel über Tische. – »Ja!« sagte Albertine verlegen. – »Daß sich Gott erbarme!« rief Laurette keck. »Da muß die gute Tante recht heirathslustig gewesen seyn! Man lege ihre Jahre mir noch zweimal zu, ich möchte den pedantischen Narren nicht. An ihm liegt es nicht, daß ich Tanten nicht zuvorgekommen bin!« – Dämmrig rückte auf dem Stuhl hier hin, dort hin, räusperte sich und fing an: »Nichte, es will doch verlauten« – Albertine erschrak, gab Adelaiden einen Wink, und dieser liebe Schalk brachte dem Onkel seinen alten Spruch: ce, que nous aimons! zu, in den er sogleich einstimmte. Die Stimmung wurde nun[274] heiterer, das Gewitter verzog sich, und Laurette war für dieses mal losgelassen.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 265-275.
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